Kontext und Einordnung

Aus: Friedrich Schiller: Kabale und Liebe, Stuttgart, Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2001 (Erstausgabe 1784).

Auf einen Blick

  • Kabale und Liebe wurde 1784 in Frankfurt am Main zum ersten Mal aufgeführt
  • Es geht um die Liebe zwischen der Bürgerlichen Luise und dem Adeligen Ferdinand; die Beziehung wird von Ferdinands Vater, dem Präsidenten, durch eine Intrige zerstört, was im Tod von Luise und Ferdinand resultiert
  • Themen sind ständeübergreifende Liebe, Unfreiheit und Ungerechtigkeit, Moral des Bürgertums und Korruption des Adels, das Aufbegehren gegen die Ständegesellschaft
  • Das Drama ist typisch für die Epoche des Sturm und Drang und die Gattung des von Lessing entworfenen bürgerlichen Trauerspiels (s. auch Epochen: Sturm und Drang)
Friedrich Schillers bürgerliches Trauerspiel Kabale und Liebe, das am 13.4.1784 in Frankfurt am Main uraufgeführt wurde, ist eines der letzten und zugleich prägenden Werke des Sturm und Drang. Im Werk geht es um die Liebe der Musikerstochter Luise zum Adeligen Ferdinand von Walter, welcher der Sohn des Präsidenten am fürstlichen Hofe ist. Da Ferdinands Vater eine Heirat seines Sohns zur Geliebten des Herzogs plant, was ihm politischen Einfluss sichern soll, zerstört er die Liebe der beiden durch eine hinterhältige Intrige (= Kabale). Doch der Plan des tyrannischen Vaters geht nicht auf, denn Ferdinand tötet Luise und sich selbst. Als Vorbild des Dramas wird ein Autor der Aufklärung genannt, nämlich Gotthold Ephraim Lessing und v. a. sein Stück Emilia Galotti von 1772, zu dem Kabale und Liebe zahlreiche Parallelen aufweist.
Das bürgerliche Trauerspiel, das in Deutschland von Lessing entworfen wurde, war damals eine Revolution des Theaters, da angesehene Theater in den Städten nur die Welt des Adels thematisierten und Bürger darin höchstens als unwichtige Nebenfiguren auftraten. Lessing brachte das Bürgertum jedoch auf die städtischen Bühnen, und zwar nicht als plumpe und ungebildete Schicht, sondern als ein gesellschaftlicher Stand, der ein hohes Selbstbewusstsein durch seine Moralität besaß. Im bürgerlichen Trauerspiel geht es um Familienkonflikte und auch um Ständeunterschiede - dieses Konzept griff Schiller mit Kabale und Liebe auf und entwickelte es weiter. Wo Lessing noch im Sinne der Aufklärung die Sittlichkeit und Mäßigung betonte, untermalt Schiller die Freiheit, die Subjektivität und den Sturm der Leidenschaft gegen die Ständeschranken und soziale Ungerechtigkeit. Lessing zeigte letztere zwar auf, doch Schiller forderte das Aufbrechen der Ständegesellschaft, was Kabale und Liebe zu einem politisch sehr brisanten Drama macht. Dem skandalträchtigen Inhalt geht zudem eine bewegte Entstehungsgeschichte voraus.
Schillers Stück Die Räuber von 1782 hatte ihn einerseits bei den liberalen Studenten beliebt gemacht, ihm andererseits aber auch ein Schreibverbot des Herzogs von Württemberg eingebracht, denn Schiller war damals ein Militärarzt und durfte sich politisch nicht frei äußern. Da ihm das Schreiben aber wichtiger war als der Beruf, beging er im selben Jahr eine der schwersten Verbrechen und desertierte (= floh aus der Armee). Nach zwei hektischen Jahren unter Geldsorgen, zahlreichen Aufenthalten in verschiedenen Städten und der Angst, von den Behörden gefasst zu werden, ergatterte Schiller 1784 eine Anstellung als Theaterdichter in Mannheim. Dies bedeutete zugleich seinen ersten Versuch, als Schriftsteller zu leben. Im gleichen Jahr erschien sein Drama Kabale und Liebe. Die Einflüsse von Goethe und Shakespeare sind in diesem Werk sehr deutlich; 10 Jahre nach den Leiden des jungen Werther brachte Schiller den Sturm und Drang noch einmal auf den Punkt. Die Unfreiheit des Bürgertums und die Willkürherrschaft des Adels hatte er ja am eigenen Leib erfahren.
Typisch für den Sturm und Drang sind die Themen des Werks: Ständeübgreifende, impulsive Liebe steht über dem Staatsinteresse, die Korruption eines ungerechten Adels steht der Moral des Bürgertums gegenüber, doch die Liebe muss schließlich mit dem Tod Luises und Ferdinands enden, da letztlich die Gesellschaft mächtiger ist als der Einzelne. Schiller übt Kritik am Adel und greift aktuelle politische Kontroversen auf: Der Einfluss von Mätressen (Geliebte eines Fürsten, die dieser trotz seiner Ehe öffentlich hielt) auf die Politik wurde zunehmend kritisch gesehen; auch der Verkauf von deutschen Soldaten nach Amerika, wo die Amerikaner ihre Unabhängigkeit gegen die englische Kolonialmacht erkämpften, wird von Schiller angeklagt. Gleichzeitig kann von Kabale und Liebe eine Brücke zur Weimarer Klassik geschlagen werden, denn Moral und Freiheit sind bereits hier ein wichtiges Thema. Nach diesem Werk entwickelte sich Schiller weg von der Impulsivität der Frühphase seines Schaffens und interessierte sich mehr für den Lauf der Geschichte als für radikale Subjektivität. Die theoretische Ausarbeitung seiner Literatur zeigt sich aber auch schon 1784: In seiner Schrift Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet sprach sich Schiller für die Vorstellung aus, dass das Theater die Zuschauer moralisch erziehen müsse, indem die ethischen Grundsätze der Aufklärung im Stück als vorbildlich gezeigt werden. Das Theater solle ein zweites Mal Gericht über die Gesellschaft halten und Ungerechtigkeit, die im echten Leben nicht beseitigt wird, an den Pranger stellen. Eben das geschieht in Kabale und Liebe.