Aufbau
Das Werk In der Strafkolonie ist nicht in Kapitel gegliedert. Die Geschichte lässt sich jedoch in drei thematisch voneinander unterscheidende Abschnitte unterteilen. Sie setzt unmittelbar mit der Beschreibung des Exekutionsapparaten ein, mitten im Besuch eines Forschungsreisenden in der Strafkolonie auf einer Insel. Die handelnden Personen werden nicht eingeführt. Ihre Positionen sind allein durch ihre jeweiligen Bezeichnungen für den Leser erschließbar.
Gattungsspezifika
- Das Werk beinhaltet einige typischen Charakteristika einer Erzählung, weshalb sie als solche bezeichnet werden kann. Zudem weist sie auch, wenn auch eher unscheinbare, novellenartige Merkmale auf.
- Wie bereits erwähnt, handelt es sich um einen uneinheitlichen Aufbau der Geschichte.
- Das sehr kurze und abrupte Ende besteht aus einer epiloghaften Schlusssequenz.
- Äußerst gattungssepzifisch für die Erzählung ist der eindimensionale und undifferenzierte Handlungsstrang der Geschichte.
- Man könnte die Geschichte als eine Art Erzählprosa bezeichnen: Es wird nur ein Ausschnitt gezeigt, über welchen genau berichtet wird.
- Weder eine Einführung in die Handlung, noch eine Rahmenhandlung sind erkennbar.
- Die Handlung eröffnet sich unmittelbar in medias res.
- Es gibt einen Ortswechsel und ein Wendepunkt (eine Pointe) ist erkennbar. (Plötzlich befindet sich der Offizier an der Stelle des Verurteilten)
- Ähnlichkeit zur Novelle: Es existiert ein singuläres Ereignis im Zentrum einer einsträngigen Erzählung. Die Handlung ist straff geführt und kommt mit wenigen Hauptakteuren aus. Ihre Charaktere sind nicht ausgestaltet, sondern wirken wie die Handlung insgesamt eher konzentriert und knapp. Die Handlung ist real vorstellbar und beinhaltet einen Wendepunkt.
„unerhörte Begebenheit“
Die Erzählperspektive
Im Folgenden taucht der von Gerard Genette geprägte Begriff der Fokalisierung auf, der sich auf die Perspektivierung des Dargestellten in der Handlung bezieht. Es geht um das Verhältnis von Autor, Erzähler und Figur. Die Fokalisierung fragt, aus welcher Sicht erzählt wird und bestimmt zudem den Wissensgrad des Erzählers, d.h was dieser über die Figuren und die erzählte Welt weiß.- Interne Fokalisierung (synonym zur personalen Erzählperspektive/ einem personalen Erzähler): Der Erzähler entspricht der Figur und weiß bzw. sagt somit nicht mehr, als eine der Figuren innerhalb der Erzählung weiß bzw. wahrnimmt. Es handelt sich um das Erzählen aus der Perspektive einer Figur, eine Mitsicht.
- Externe Fokalisierung (synonym zur neutralen Erzälperspektive/ einem neutralen Erzähler): Der Erzähler sagt weniger als die Figur weiß und berichtet aus einer Außenperspektive heraus.
- Eine externe Fokalisierung liegt beim Offizier, Verurteilten und Soldaten vor, d.h. es wird von außen auf die Personen geblickt. Die Gedanken und Einstellungen der Figuren bleiben somit verborgen.
- Die Geschichte wird durch den Reisenden wahrgenommen. Als Leser schauen wir mit den Augen des Reisenden.
- Der Reisende ist sowohl die Figur einer internen als auch externen Fokalisierung. Im Gegensatz zu den anderen Figuren erhält der Leser durch den intern fokalisierten Reisenden einen Einblick in seine Gedankenwelt, Einstellungen, Zweifel und Meinungen bspw. zum Apparaten und auch zu anderen Figuren. Es findet ein Zusammenfall von Erzähler und Reisendem statt.
Beispiel: S. 48 Z. 25 „(...) der Kommandant, wie er jetzt gehört hatte, kein Anhänger dieses Verfahrens war und sich gegenüber dem Offizier fast feindselig verhielt.“
- Dieser Zusammenfall wird auch an anderen Stellen deutlich: „Begriff es schon der Offizier? Nein, er begriff noch nicht“ (S. 52, Z. 35)
- Genauer gesagt handelt es sich in der Geschichte um eine feste statt variable interne Fokalisierung, da die Wahrnehmung an eine einzelne Figur gekoppelt ist.
- Charkreristisches Strukturelement der Erzähöung generell und der internen Fokalisierung im Speziellen, ist die atemporale erlebte Rede des Reisenden in der 3. Person Singular. Sie gibt die Vorgänge im Bewusstsein einer Person wieder.
- Da der Erzähler gleichzeitig eine Nebenfigur der Handlung ist (Zusammenfall mit der Figur des Reisenden), kann man hier in den Worten Genette, auch von einer homodiegetischen Erzählposition sprechen.
Zeitliche Dimensionen des Erzählens/der Handlung
- Im Hinblick auf die Dauer des Erzählens kann man von einer Zeitdeckung in der Geschichte sprechen (Zeitdeckendes Erzählen), d.h. es besteht ein konstantes Verhältnis von der Dauer der erzählten Zeit und der Dauer der Erzählzeit. (Erzählte Zeit = Erzählzeit) Der Fachbegriff hierfür lautet Isochronie.Die Ursache hierfür ist auch die mehrfache Verwendung von erlebter Rede.
- Das zeitdeckende Erzählen umfasst einen Zeitraum von circa zwei bis drei Stunden.