Der weltanschauliche Aspekt
Welche Weltanschauung wird im Werk vermittelt?
Büchner ist dafür bekannt, seine Weltanschauung in seinen Werken zu thematisieren und zu präsentieren, indem er wie bei seinen revolutionären Aussagen den Figuren seine eigenen Worte in den Mund legt. Besonders interessante und in Dantons Tod häufig verarbeitete Weltanschauungen sind der Geschichtsfatalismus und der Nihilismus. Diese sind auch ein wesentlicher Bestandteil der Aussage dieses Dramas.Dass Büchner an einen Fatalismus der Geschichte geglaubt hat, ist historisch belegt. Als Quelle gilt ein Brief an seine Verlobte Wilhelmine Jaeglé von 1834, in welchem er wiederum einige Formulierungen verwendet, die, ein Jahr später, ihren Weg in Dantons Tod finden. Im Brief definiert er den Einzelnen als „Schaum auf der Welle“, das Wirken des Genies als „ein Puppenspiel“. Der mittlerweile in Gießen in einem politisch nur mäßig interessierten Umfeld studierende Büchner verabscheut das Wort „müssen“ und stellt eine gewichtige Frage „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?“ Er fühlt sich wie ein seelenloser Automat.
Dieses Bewusstsein findet sich ohne Abstriche in Dantons Tod wieder. Hier gilt vor allem Danton als Medium Büchners. Laut Büchners Brief hat Danton „das Höchste“ erreicht, nämlich, den Fatalismus der Geschichte zu erkennen: „Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.“ (S. 32)
Danton weiß also, dass er kein Held ist, der die Geschichte mit einer Bewegung seiner Hand verändert, sondern dass eine Kette von Ereignissen ihn zu einem Repräsentanten gemacht hat, dass er selbst in seiner hohen Position nicht gegen die Entwicklung der Geschichte agieren kann. Danton ist eine für Büchners Weltanschauung besonders interessante Figur. Der Fatalismus der Geschichte lässt sich nicht besser zeigen als durch einen machtlosen Helden. Wie eine Puppe fühlt er sich, „von unbekannten Gewalten am Draht gezogen“ (S. 43) - diese Formulierung erinnert an Büchners Definition des Wirken des Genies als Puppenspiel. Danton erkennt, dass der Mensch ein Automat ist. Sein Rückzug aus der Politik geschah auch aus dem Gefühl heraus, wie ein Automat zu wirken. Den Automatismus des Menschen benutzt Danton aber nicht als Rechtfertigung der Geschehnisse in der Welt. Er stellt eine Frage, die fast dieselbe ist wie jene Büchners: „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ (S. 43) Anstatt den Lauf der Geschichte so hinzunehmen, wie er ist, stürzt die Schlechtigkeit der Welt bei deren gleichzeitiger Unabänderlichkeit für den Einzelnen Danton in Hoffnungslosigkeit. Robespierres Diktatur verabscheut er, doch kann er nichts gegen sie tun. Dies erkennt man in seinem Traum, den er Julie schildert. In diesem packt er als gigantisches Abbild seiner Selbst die Welt und versucht sie wie ein wildes Pferd zu bändigen. Doch anstatt dies zu erreichen, wird er mitgeschleift. Der Traum ist als eine Allegorie zu verstehen. Danton sieht sich in seinem Traum als Riesen, mit einer gewaltigen Macht ausgestattet. Das Packen der Welt verdeutlicht seine Einmischung in die Politik, er will das Weltgeschehen nach seinem Willen verändern. Doch ihm gelingt dies nicht, stattdessen wird er von der Welt erfasst und gezogen. Er hat in seiner Position keine Kontrolle mehr, das Geschehen bestimmt ihn und nicht andersherum. Danton behagt die Vorstellung letztlich nicht, für einen höheren Sinn zu leiden und zu sterben (vgl. S. 79 f.). Aus diesem Unwillen gegenüber dem Lauf der Welt entwickelt er schließlich den Nihilismus.
Ob Büchner ein Nihilist war, ist noch heute umstritten. Zumindest atheistische Züge lassen sich bei Büchner erkennen, wenn man den Autor mit dem Menschen gleichsetzt. Atheistische Weltanschauungen finden sich sowohl in Dantons Tod Revolutionsbewegung, der er angehörte, kritisch betrachtete. Aufgrund seiner Neigung, gesellschaftliche Konventionen und die soziale Ordnung zu hinterfragen, liegt der Schluss nahe, dass Büchner ebenfalls die Religion kritisch und skeptisch betrachtet hat. Sicherlich war er kein frommer und gottesfürchtiger Mann. Seine Kunst und seine Aktivitäten zielten auf die Analyse der Welt und die Behebung ihrer Missstände. Die Suche seiner Figuren nach Gott scheitert. Lenz wird im Verlauf der Erzählung wahnsinnig und verliert seinen Glauben, Danton ist nach eigener Aussage ein Atheist, er sieht zudem keinen Sinn im Leben. Büchners Bewunderung für Jesus gilt aber als gesichert. Dieser wird auch von Danton als der feinste Epikureer bezeichnet. Für Büchner stand dabei aber die Moral Jesu im Vordergrund, nicht dessen Göttlichkeit. Zumindest ist dadurch ein Nihilismus des jüngeren Büchners unwahrscheinlich. Zu Zeiten des Hessischen Landboten war er jedenfalls noch ein Moralist. Spätere Briefe belegen aber die Beschäftigung mit dem Leiden und seinen Geschichtsfatalismus. Die Frage, ob Büchner zum Zeitpunkt der Niederschrift von Dantons Tod ein Nihilist war und keinen Sinn im Leben sah, muss leider offen bleiben. Ein grundsätzliches Interesse an Figuren, die den Sinn suchen, ihn aber nicht finden, kann ihm aber bescheinigt werden. Die Handlung in Büchners Drama scheint den Nihilismus zu propagieren. Alles Heldenhafte Dantons, seine Weigerung, vor dem Tribunal zu kapitulieren, erhalten nur eine gestische Bedeutung, im Endeffekt sind sie wirkungs- und sinnlos. Die letzten Worte der Dantonisten werden von Hérault mit hämischen Kommentaren bedacht, er macht sich über das Bemühen lustig, mit dem Tod einen Appell an die Menschen richten zu wollen. Der Tod bewirkt nichts, er beendet nur das ohnehin jämmerliche Leben auf elende Art und Weise.
Über das Leben äußern sich Danton und andere abschätzig. So meint Danton: „Das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.“ (S. 33) Der Gefangene Thomas Payne erachtet die Welt als leidvoll, woraus er den Schluss zieht, dass Gott nicht existiert. Die Geschehnisse um Dantons Tod sind mit Leiden verbunden. Es ist ein zermürbender Kampf gegen den Tod, der nicht gewonnen werden kann. Das Leben wird von anderen Lebenden beendet, weil der politische Grundsatz höher gewertet wird als dieses. Die Menschen sind korrupt, von Selbstsucht und Genusssucht (Danton) zerfressen, sie sind Heuchler (der Wohlfahrtsausschuss) und Fanatiker (Robespierre und St. Just). Die Verhältnisse lassen sich nicht ändern, trotz oder wegen ihrer unvernünftigen Verworrenheit. Dantons Tod erfüllt keinen Zweck. Zwar sieht er Robespierres Tod voraus - doch das ist für den damaligen Leser und auch heute noch kein Trost. Denn nach Robespierres Tod folgt die Herrschaft des Besitzbürgertums und schließlich das Regime Napoleons. Es gibt keine Hoffnung am Ende des Dramas, keinen Funken Licht, das Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit bleibt unerfüllt.
Somit ist Danton auch ein Charakter, der eine nihilistische Krise durchlebt. Unabhängig von Büchners eigener Überzeugung offenbart sich der Zustand der Gesellschaft des damaligen Frankreichs darin, dass Danton an der Moral zweifelt. Für ihn gibt es weder Tugend noch Laster, sondern nur Tätigkeiten, die Spaß machen und solche, die Schmerz bereiten. Robespierres Handeln entlarvt er schließlich auch als Mittel zum Zweck: Dieser benehme sich tugendhaft, um sich dadurch von unmoralischen, „unteren“ Menschen abzugrenzen und so sein Selbstwertgefühl zu steigern. In einer Zeit der politischen Verwirrung kann Danton keine Ideale erkennen und gibt sie somit auf. Dies verknüpft er mit der Vorstellung der Sinnlosigkeit des Lebens. Die Sinnsuche des Menschen und sein Scheitern werden in Desmoulins‘ Traum thematisiert. Dieser träumte, dass der Nachthimmel auf die Erde sinkt, so nah, dass er in wortwörtlich greifbarer Nähe ist. Desmoulins betastet den Himmel, er fühlt sich „wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke“ (S. 74). Auch dies ist eine Allegorie, wobei sie mehrdeutig ist. So kann man den von Sternen erhellten Nachthimmel als die Hoffnung auf die Existenz von Idealen deuten oder generell als die Grenze dieser Welt. Interpretiert man den Nachthimmel als die Versinnbildlichung von Idealen, die jetzt „ein greifbarer Nähe“ sind, leitet sich daraus ab, dass Desmoulins diese als Fassade erkennt: Er dringt nicht durch sie hindurch, „es ist nichts dahinter“. Auf die zweite Weise interpretiert, möchte Desmoulins aus der Welt ausbrechen, doch sie ist begrenzt und eng, dass man sich wie ein Gefangener fühlt. Ein ähnliches Bild des Begrenztseins findet sich auch in Lenz. Der titelgebende Dichter wandert durch das weite Steintal und fühlt alles „dicht“ und beengend, auch er will in gewisser Weise ausbrechen, doch schafft er dies nicht. Büchners Figuren versuchen oft, einen Wert im Leben zu finden, etwas zu bewirken, Sinn zu stiften und enden mit nihilistischen Ansichten. Der Nihilismus wird bei Dantons Tod noch zum Absurden geführt. Für Danton ist das Nichts die Hoffnung auf Erlösung, er möchte von der Welt scheiden und sich vollkommen auflösen. Doch denkt er, dass Etwas nicht zu Nichts werden könne. In Anbetracht des turbulenten Revolutionsgeschehens kommt er zum Schluss, dass die Schöpfung „eine Wunde“ ist (S. 67). Nietzsches berühmtem Satz „Gott ist tot“ entspricht die Ansicht Dantons „Das Nichts hat sich ermordet“ (S. 67). Das Nichts ist für Danton gleichbedeutend mit Gott (vgl. S. 80). Wer das Nichts für den größten Hoffnungsträger hält, wer eher darauf hofft, nichts mehr zu fühlen, als dass sich alles zum Guten wendet, der hat den Glauben an das Gute verloren.