Motive & Symbole
Die vorliegende Novelle Das Haus in der Dorotheenstraße verfügt über eine Vielzahl an verschiedenen Leitmotiven und Symbolen, von denen wir drei besonders prägnante Motive im Rahmen dieser Analyse vorstellen werden. Zuvor werden jedoch noch die generellen Charakteristika eines Motivs erläutert.
Merkmale eines Motivs
- Es handelt sich bei einem Motiv um ein immer wiederkehrendes Thema, das gezielt in einem Text vorkommt und eingesetzt wird
- Meist erscheint das Motiv in einer bestimmten Situation, in welcher es dann eine repräsentative Rolle für beispielsweise eine bestimmte Stimmung einnimmt
- Einem Motiv können zweierlei Beweggründe zugrunde liegen: Ein abstrakter, nicht sichtbarer Beweggrund oder ein Anlass, der als Beweggrund fungiert
- Motive können in unterschiedlicher Form auftreten, die von Gegenständen über Zustände bis hin zu Tätigkeiten reichen
Motiv „Das Haus“
- Das Haus in der Dorotheenstraße kann als Dingsymbol für die Ehe der Klausens verwendet werden. Ebenso wie die Beziehung von Xenia und Gottfried Klausen wirkt das Gebäude zunächst intakt, während die Ehe der Klausens „miteinander vertraut“ (S. 73, Z. 19) ist und auf den ersten Blick harmonisch und gesund wirkt
- Wenn wir jedoch das Haus näher betrachten, so fällt auf, dass zwar die „Vorderfront, eine gewölbte Wand mit langgestreckten Fenstern [...] beinahe wie ein Musterbeispiel aus dem Art déco“ (S. 74, Z. 5ff) wirkte, jedoch hinter dem Haus „der Garten [...] verwildert“ (S. 74, Z. 2f) aussieht und auch „der Putz breitflächig abgebröckelt war“ (S. 74, Z. 4). Da das Haus stellvertretend für die Ehe Gottfrieds und Xenias steht, deutet die Verfassung des Hauses auch auf die Instabilität ihrer Beziehung hin, die nicht offensichtlich, aber dennoch existent ist
- Gegenüberstellung der Darstellung des Hauses im ersten und im sechsten Kapitel: Besonders in dem Vergleich des ersten mit dem letzten Kapitel in der Erzählung lässt sich eindrücklich die Veränderung, welche von dem Haus in der Dorotheenstraße ausgeht, beobachten. Einleitend wird die alte Villa in Kohlhasenbrück als ein Ort angeführt, der dem Paar „das Gefühl von Geborgenheit“ (S. 73, Z. 21) gibt und die „Verkehrsanbindung“ (S. 74, Z. 10) ist verbesserungswürdig, wird jedoch nicht als störend wahrgenommen. Das ehemals Sicherheit ausstrahlende Haus wird jedoch im sechsten Kapitel als Ort beschrieben, an welchem man „sich nicht allzu sicher fühlen“ (S. 93, Z. 9) sollte. Auch hier lassen sich wieder Parallelen zu der Ehe der Klausens ziehen, welche zum Zeitpunkt des sechsten Kapitels bereits zerrüttet und irreparabel ist
- Antithetik: Indem der Autor die beiden antithetischen Komponenten „Frauenlachen“ (S. 93, Z. 8) und eine lauernde Gefahr in einem Zuge erwähnt (S. 93), lässt er den Leser über diesen widersprüchlichen Umstand stolpern und verstärkt auf diese Weise die Unsicherheit, die von dem Haus ausgeht
- Der Ausruf „Put out the light!“ (S. 93, Z. 15) beschließt das Finale der Novelle: Aus dem ehemals heimelig anmutenden, hell erleuchteten Zuhause wird mit einem Mal ein einsamer Ort und am Ende liegt „das Haus [...] in völliger Dunkelheit“ (S. 93, Z. 18). Die Dunkelheit repräsentiert zum einen die Ungewissheit, welche der Leser angesichts des offenen Endes der Handlung spürt und zum anderen die Unklarheit darüber, wie die Geschichte des Ehepaars Klausen ausgeht
Motiv „Aschewolke“
- Mit dem Ausbruch des isländischen Vulkans Grimsvötn bezieht sich Hartmut Lange in Das Haus in der Dorotheenstraße auf ein reales Ereignis, welches sich im Mai 2011 zuträgt. In Anbetracht dessen, dass die Entstehungszeit der Novelle unmittelbar an den Vulkanausbruch grenzt, kann davon ausgegangen werden, dass Lange das Naturgeschehen als Vorlage für seine Erzählung verwendete
- Kurz bevor Gottfried Klausen im vierten Kapitel von London aus zu Xenia nach Berlin fliegen möchte, erreicht ihn Kunde darüber, dass aufgrund des Ausbruchs des Vulkans Grimsvötn bis auf Weiteres „der Flugverkehr über England still“ (S. 85, Z. 17) stehe. Doch die Explosion des isländischen Vulkans kündigt sich bereits am Abend zuvor an, als der Korrespondent bemerkt, dass „es von draußen her roch“ (S. 84, Z. 17) und „er spürte so etwas wie Brandgeruch“ (S. 84, Z. 19f)
- Dunkelheit: So wie die Aschewolke, die als Resultat des Ausbruchs den gesamten Himmel verdunkelt, tappt Klausen auch im Dunkeln, was seine Beziehung zu Xenia angeht. Nachdem ihm klar wird, dass er dem Erliegen des Flugverkehrs zuschulden unmöglich seine Heimreise fortsetzen kann und versucht, seine Frau telefonisch zu erreichen, meldet sich am anderen Ende der Leitung anstatt seiner Frau eine Männerstimme. Regelrecht ohnmächtig durch diesen Vorfall und unfähig, einen logischen Schluss aus den Umständen ziehen zu können, fällt der Protagonist in tiefes Loch
- Die Erschütterung findet nicht nur auf isländischem Grund, sondern auch in Gottfrieds Innenleben statt. Der üblicherweise vernunftgeleitete Mensch Klausen ist nicht dazu in der Lage, den Ehebruch Xenias sachlich zu hinterfragen und erlebt „wie betäubt“ (S. 87, Z. 13), dass sein einst so geordnetes Leben ihm vorkommt wie „ein Aschefeld [...], das alles unter sich begraben hat“ (S. 92, Z. 6f)
- Wenn Klausen zuvor von einem moderaten Vulkanausbruch ausging, wird ihm das Ausmaß und die Tragweite der Katastrophe erst in den darauffolgenden Tagen bewusst. Doch nicht nur „Der Ausbruch des Grimsvötn fiel gewaltiger aus als erwartet“ (S. 87, Z. 1f). Auch die Folgen des verheerenden Gesprächs mit der Männerstimme an Xenias Telefon zeigen sich deutlich darin, dass Gottfried „begann, schlampig zu recherchieren“ (S. 90, Z. 8f) und sich damit entgegen seiner sonstigen Herangehensweise verhält
Motiv „Die Brücke“
- Es existieren zahlreiche Brücken in der Novelle, wobei sie alle als eine Art von Dingsymbol fungieren. Das Motiv der Brücke besitzt im Allgemeinen einen vereinigenden Charakter, bildet eine Schnittstelle zwischen zwei verschiedenen Welten und somit auch ein Symbol des Friedens oder der Vermittlung
- Kohlhasenbrück: Das letzte Wortglied dieses Ortsnamens hat das Städtchen erhalten, da in der Nähe von Kohlhasenbrück eine unauffällige Brücke über den Bach Bäke führt. Der Ort am Teltowkanal bildet ein Grenzgebiet zwischen dem ehemaligen Osten und Westen Berlins und besitzt somit auch eine darstellende Rolle für die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland
- In der Novelle selbst kommen die Nathanbrücke sowie verschiedene Brücken an der Londoner Themse vor, bei denen es sich ebenso um reale Orte handelt wie auch bei den übrigen Schauplätzen in Das Haus in der Dorotheenstraße
- Brücken lösen beim Protagonisten ein Gefühl der Heimatverbundenheit aus, weshalb ihn auch „auf einer Brücke“ (S. 76, Z. 20) an der Themse der Gedanke einholt: „Vielleicht hätte ich doch nicht hierherkommen sollen“ (S. 76, Z. 19f). Auch als er sich entschließt, seine Frau Xenia in Kohlhasenbrück zu besuchen, kommt er nicht umhin zu betonen, „wie wichtig es für ihn sei, endlich wieder einmal auf der Nathanbrücke zu stehen“ (S. 83, Z. 21f)