4. Szene
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Mariens Kammer
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Marie (sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in der
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Hand): Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen müssen!
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(Bespiegelt sich.) Was die Steine glänzen! Was sind's für? Was hat
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er gesagt? Schlaf, Bub! Drück die Augen zu, fest! (Das Kind
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versteckt die Augen hinter den Händen.) Noch fester! Bleib so
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still, oder er holt dich! (Singt.)
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Mädel, mach's Ladel zu
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s kommt e Zigeunerbu,
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führt dich an deiner Hand
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fort ins Zigeunerland.
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(Spiegelt sich wieder.) 's ist gewiß Gold! Wie wird mir's beim Tanzen
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stehen? Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stück
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Spiegel, und doch hab ich ein' so roten Mund als die großen
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Madamen mit ihrem Spiegeln von oben bis unten und ihren
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schönen Herrn, die ihnen die Händ küssen. Ich bin nur ein arm
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Weibsbild! (Das Kind richtet sich auf.) Still, Bub, die Augen zu!
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Das Schlafengelchen! Wie's an der Wand läuft. (Sie blinkt ihm mit
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dem Glas.) Die Auge zu, oder es sieht dir hinein, daß du blind wirst!
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(Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf, mit den Händen nach den
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Ohren.)
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Woyzeck: Was hast du?
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Marie: Nix.
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Woyzeck: Unter deinen Fingern glänzt's ja.
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Marie: Ein Ohrringlein; hab's gefunden.
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Woyzeck: Ich hab' so noch nix gefunden, zwei auf einmal!
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Marie: Bin ich ein Mensch?
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Woyzeck: 's ist gut, Marie. Was der Bub schläft! Greif ihm unters
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Ärmchen, der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf
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der Stirn; alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf.
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Wir arme Leut! Da ist wieder Geld, Marie; die Löhnung und was
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von meim Hauptmann.
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Marie: Gott vergelt's, Franz.
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Woyzeck: Ich muß fort. Heut abend, Marie! Adies!
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Marie (allein, nach einer Pause): Ich bin doch ein schlechter Mensch! Ich
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könnt' mich erstechen. Ach, was Welt! Geht doch alle zum Teufel,
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Mann und Weib!