Abschnitt 8
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Inzwischen war auch der Junker seiner Haft in Wittenberg entlassen, und
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nach Herstellung von einer gefährlichen Rose, die seinen Fuß entzündet
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hatte, von dem Landesgericht unter peremtorischen Bedingungen
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aufgefordert worden, sich zur Verantwortung auf die von dem Roßhändler
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Kohlhaas gegen ihn eingereichte Klage, wegen widerrechtlich
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abgenommener und zu Grunde gerichteter Rappen, in Dresden zu stellen.
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Die Gebrüder Kämmerer und Mundschenk von Tronka, Lehnsvettern des
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Junkers, in deren Hause er abtrat, empfingen ihn mit der größesten
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Erbitterung und Verachtung; sie nannten ihn einen Elenden und
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Nichtswürdigen, der Schande und Schmach über die ganze Familie bringe,
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kündigten ihm an, daß er seinen Prozeß nunmehr unfehlbar verlieren
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würde, und forderten ihn auf, nur gleich zur Herbeischaffung der Rappen,
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zu deren Dickfütterung er, zum Hohngelächter der Welt, verdammt werden
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werde, Anstalt zu machen. Der Junker sagte, mit schwacher, zitternder
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Stimme: er sei der bejammernswürdigste Mensch von der Welt. Er
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verschwor sich, daß er von dem ganzen verwünschten Handel, der ihn ins
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Unglück stürze, nur wenig gewußt, und daß der Schloßvogt und der
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Verwalter an allem schuld wären, indem sie die Pferde, ohne sein
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entferntestes Wissen und Wollen, bei der Ernte gebraucht, und durch
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unmäßige Anstrengungen, zum Teil auf ihren eigenen Feldern, zu Grunde
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gerichtet hätten. Er setzte sich, indem er dies sagte, und bat ihn nicht durch
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Kränkungen und Beleidigungen in das Übel, von dem er nur soeben erst
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erstanden sei, mutwillig zurückzustürzen. Am andern Tage schrieben die
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Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der eingeäscherten Tronkenburg
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Güter besaßen, auf Ansuchen des Junkers, ihres Vetters, weil doch nichts
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anders übrig blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Pächter, um
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Nachricht über die an jenem unglücklichen Tage abhanden gekommenen
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und seitdem gänzlich verschollenen Rappen einzuziehn. Aber alles, was sie
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bei der gänzlichen Verwüstung des Platzes, und der Niedermetzelung fast
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aller Einwohner, erfahren konnten, war, daß ein Knecht sie, von den flachen
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Hieben des Mordbrenners getrieben, aus dem brennenden Schuppen, in
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welchem sie standen, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo er sie
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hinführen, und was er damit anfangen solle, von dem grimmigen Wüterich
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einen Fußtritt zur Antwort erhalten habe. Die alte, von der Gicht geplagte
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Haushälterin des Junkers, die sich nach Meißen geflüchtet hatte,
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versicherte demselben, auf eine schriftliche Anfrage, daß der Knecht sich,
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am Morgen jener entsetzlichen Nacht, mit den Pferden nach der
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brandenburgischen Grenze gewandt habe; doch alle Nachfragen, die man
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daselbst anstellte, waren vergeblich, und es schien dieser Nachricht ein
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Irrtum zum Grunde zu liegen, indem der Junker keinen Knecht hatte, der im
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Brandenburgischen, oder auch nur auf der Straße dorthin, zu Hause war.
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Männer aus Dresden, die wenige Tage nach dem Brande der Tronkenburg
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in Wilsdruf gewesen waren, sagten aus, daß um die benannte Zeit ein
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Knecht mit zwei an der Halfter gehenden Pferden dort angekommen, und
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die Tiere, weil sie sehr elend gewesen wären, und nicht weiter fort gekonnt
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hätten, im Kuhstall eines Schäfers, der sie wieder hätte aufbringen wollen,
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stehen gelassen hätte. Es schien mancherlei Gründe wegen sehr
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wahrscheinlich, daß dies die in Untersuchung stehenden Rappen waren;
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aber der Schäfer aus Wilsdruf hatte sie, wie Leute, die dorther kamen,
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versicherten, schon wieder, man wußte nicht an wen, verhandelt; und ein
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drittes Gerücht, dessen Urheber unentdeckt blieb, sagte gar aus, daß die
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Pferde bereits in Gott verschieden, und in der Knochengrube zu Wilsdruf
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begraben wären. Die Herren Hinz und Kunz, denen diese Wendung der
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Dinge, wie man leicht begreift, die erwünschteste war, indem sie dadurch,
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bei des Junkers ihres Vetters Ermangelung eigener Ställe, der
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Notwendigkeit, die Rappen in den ihrigen aufzufüttern, überhoben waren,
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wünschten gleichwohl, völliger Sicherheit wegen, diesen Umstand zu
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bewahrheiten. Herr Wenzel von Tronka erließ demnach, als Erb-, Lehnsund
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Gerichtsherr, ein Schreiben an die Gerichte zu Wilsdruf, worin er
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dieselben, nach einer weitläufigen Beschreibung der Rappen, die, wie er
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sagte, ihm anvertraut und durch einen Unfall abhanden gekommen wären,
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dienstfreundlichst ersuchte, den dermaligen Aufenthalt derselben zu
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erforschen, und den Eigner, wer er auch sei, aufzufordern und anzuhalten,
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sie, gegen reichliche Wiedererstattung aller Kosten, in den Ställen des
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Kämmerers, Herrn Kunz, zu Dresden abzuliefern. Dem gemäß erschien
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auch wirklich, wenige Tage darauf, der Mann an den sie der Schäfer aus
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Wilsdruf verhandelt hatte, und führte sie, dürr und wankend, an die Runge
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seines Karrens gebunden, auf den Markt der Stadt; das Unglück aber Herrn
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Wenzels, und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas wollte, daß es der
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Abdecker aus Döbbeln war.
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Sobald Herr Wenzel, in Gegenwart des Kämmerers, seines Vetters, durch
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ein unbestimmtes Gerücht vernommen hatte, daß ein Mann mit zwei
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schwarzen aus dem Brande der Tronkenburg entkommenen Pferden in der
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Stadt angelangt sei, begaben sich beide, in Begleitung einiger aus dem
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Hause zusammengerafften Knechte, auf den Schloßplatz, wo er stand, um
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sie demselben, falls es die dem Kohlhaas zugehörigen wären, gegen
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Erstattung der Kosten abzunehmen, und nach Hause zu führen. Aber wie
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betreten waren die Ritter, als sie bereits einen, von Augenblick zu
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Augenblick sich vergrößernden Haufen von Menschen, den das Schauspiel
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herbeigezogen, um den zweirädrigen Karren, an dem die Tiere befestigt
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waren, erblickten; unter unendlichem Gelächter einander zurufend, daß die
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Pferde schon, um derenthalben der Staat wanke, an den Schinder
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gekommen wären! Der Junker, der um den Karren herumgegangen war, und
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die jämmerlichen Tiere, die alle Augenblicke sterben zu wollen schienen,
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betrachtet hatte, sagte verlegen: das wären die Pferde nicht, die er dem
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Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der Kämmerer, einen Blick
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sprachlosen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn er von Eisen gewesen
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wäre, ihn zerschmettert hätte, trat, indem er seinen Mantel, Orden und Kette
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entblößend, zurückschlug, zu dem Abdecker heran, und fragte ihn: ob das
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die Rappen wären, die der Schäfer von Wilsdruf an sich gebracht, und der
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Junker Wenzel von Tronka, dem sie gehörten, bei den Gerichten daselbst
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requiriert hätte? Der Abdecker, der, einen Eimer Wasser in der Hand,
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beschäftigt war, einen dicken, wohlbeleibten Gaul, der seinen Karren zog,
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zu tränken, sagte: »die schwarzen?« – Er streifte dem Gaul, nachdem er
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den Eimer niedergesetzt, das Gebiß aus dem Maul, und sagte: »die Rappen,
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die an die Runge gebunden wären, hätte ihm der Schweinehirte von
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Hainichen verkauft. Wo der sie her hätte, und ob sie von dem Wilsdrufer
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Schäfer kämen, das wisse er nicht. Ihm hätte«, sprach er, während er den
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Eimer wieder aufnahm, und zwischen Deichsel und Knie anstemmte: »ihm
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hätte der Gerichtsbote aus Wilsdruf gesagt, daß er sie nach Dresden in das
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Haus derer von Tronka bringen solle; aber der Junker, an den er gewiesen
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sei, heiße Kunz.« Bei diesen Worten wandte er sich mit dem Rest des
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Wassers, den der Gaul im Eimer übrig gelassen hatte, und schüttete ihn auf
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das Pflaster der Straße aus. Der Kämmerer, der, von den Blicken der
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hohnlachenden Menge umstellt, den Kerl, der mit empfindungslosem Eifer
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seine Geschäfte betrieb, nicht bewegen konnte, daß er ihn ansah, sagte:
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daß er der Kämmerer, Kunz von Tronka, wäre; die Rappen aber, die er an
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sich bringen solle, müßten dem Junker, seinem Vetter, gehören; von einem
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Knecht, der bei Gelegenheit des Brandes aus der Tronkenburg entwichen,
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an den Schäfer zu Wilsdruf gekommen, und ursprünglich zwei dem
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Roßhändler Kohlhaas zugehörige Pferde sein! Er fragte den Kerl, der mit
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gespreizten Beinen dastand, und sich die Hosen in die Höhe zog: ob er
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davon nichts wisse? Und ob sie der Schweinehirte von Hainichen nicht
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vielleicht, auf welchen Umstand alles ankomme, von dem Wilsdrufer
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Schäfer, oder von einem Dritten, der sie seinerseits von demselben gekauft,
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erstanden hätte? – Der Abdecker, der sich an den Wagen gestellt und sein
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Wasser abgeschlagen hatte, sagte: »er wäre mit den Rappen nach Dresden
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bestellt, um in dem Hause derer von Tronka sein Geld dafür zu empfangen.
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Was er da vorbrächte, verstände er nicht; und ob sie, vor dem
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Schweinehirten aus Hainichen, Peter oder Paul besessen hätte, oder der
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Schäfer aus Wilsdruf, gelte ihm, da sie nicht gestohlen wären, gleich.« Und
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damit ging er, die Peitsche quer über seinen breiten Rücken, nach einer
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Kneipe, die auf dem Platze lag, in der Absicht, hungrig wie er war, ein
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Frühstück einzunehmen. Der Kämmerer, der auf der Welt Gottes nicht
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wußte, was er mit Pferden, die der Schweinehirte von Hainichen an den
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Schinder in Döbbeln verkauft, machen solle, falls es nicht diejenigen wären,
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auf welchen der Teufel durch Sachsen ritt, forderte den Junker auf, ein Wort
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zu sprechen; doch da dieser mit bleichen, bebenden Lippen erwiderte: das
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Ratsamste wäre, daß man die Rappen kaufe, sie möchten dem Kohlhaas
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gehören oder nicht: so trat der Kämmerer, Vater und Mutter, die ihn
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geboren, verfluchend, indem er sich den Mantel zurückschlug, gänzlich
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unwissend, was er zu tun oder zu lassen habe, aus dem Haufen des Volks
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zurück. Er rief den Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der über die
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Straße ritt, zu sich heran, und trotzig, den Platz nicht zu verlassen, eben
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weil das Gesindel höhnisch auf ihn einblickte, und, mit vor dem Mund
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zusammengedrückten Schnupftüchern, nur auf seine Entfernung zu warten
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schien, um loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Großkanzler, Grafen Wrede,
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abzusteigen, und durch dessen Vermittelung den Kohlhaas zur
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Besichtigung der Rappen herbeizuschaffen. Es traf sich, daß Kohlhaas
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eben, durch einen Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des
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Großkanzlers, gewisser, die Deposition in Lützen betreffenden
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Erläuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwärtig war, als der
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Freiherr, in der eben erwähnten Absicht, zu ihm ins Zimmer trat; und
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während der Großkanzler sich mit einem verdrießlichen Gesicht vom
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Sessel erhob, und den Roßhändler, dessen Person jenem unbekannt war,
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mit den Papieren, die er in der Hand hielt, zur Seite stehen ließ, stellte der
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Freiherr ihm die Verlegenheit, in welcher sich die Herren von Tronka
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befanden, vor. Der Abdecker von Döbbeln sei, auf mangelhafte Requisition
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der Wilsdrufer Gerichte, mit Pferden erschienen, deren Zustand so heillos
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beschaffen wäre, daß der Junker Wenzel anstehen müsse, sie für die dem
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Kohlhaas gehörigen anzuerkennen; dergestalt, daß, falls man sie
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gleichwohl dem Abdecker abnehmen solle, um in den Ställen der Ritter, zu
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ihrer Wiederherstellung, einen Versuch zu machen, vorher eine
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Okular-Inspektion des Kohlhaas, um den besagten Umstand außer Zweifel
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zu setzen, notwendig sei. »Habt demnach die Güte, schloß er, den
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Roßhändler durch eine Wache aus seinem Hause abholen und auf den
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Markt, wo die Pferde stehen, hinführen zu lassen.« Der Großkanzler, indem
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er sich eine Brille von der Nase nahm, sagte: daß er in einem doppelten
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Irrtum stünde; einmal, wenn er glaube, daß der in Rede stehende Umstand
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anders nicht, als durch eine Okular-Inspektion des Kohlhaas auszumitteln
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sei; und dann, wenn er sich einbilde, er, der Kanzler, sei befugt, den
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Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, abführen zu
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lassen. Dabei stellte er ihm den Roßhändler, der hinter ihm stand, vor, und
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bat ihn, indem er sich niederließ und seine Brille wieder aufsetzte, sich in
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dieser Sache an ihn selbst zu wenden. – Kohlhaas, der mit keiner Miene,
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was in seiner Seele vorging, zu erkennen gab, sagte: daß er bereit wäre,
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ihm zur Besichtigung der Rappen, die der Abdecker in die Stadt gebracht,
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auf den Markt zu folgen. Er trat, während der Freiherr sich betroffen zu ihm
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umkehrte, wieder an den Tisch des Großkanzlers heran, und nachdem er
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demselben noch, aus den Papieren seiner Brieftasche, mehrere, die
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Deposition in Lützen betreffende Nachrichten gegeben hatte, beurlaubte er
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sich von ihm; der Freiherr, der, über das ganze Gesicht rot, ans Fenster
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getreten war, empfahl sich ihm gleichfalls; und beide gingen, begleitet von
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den drei durch den Prinzen von Meißen eingesetzten Landsknechten, unter
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dem Troß einer Menge von Menschen, nach dem Schloßplatz hin. Der
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Kämmerer, Herr Kunz, der inzwischen den Vorstellungen mehrerer Freunde,
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die sich um ihn eingefunden hatten, zum Trotz, seinen Platz, dem Abdecker
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von Döbbeln gegenüber, unter dem Volke behauptet hatte, trat, sobald der
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Freiherr mit dem Roßhändler erschien, an den letzteren heran, und fragte
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ihn, indem er sein Schwert, mit Stolz und Ansehen, unter dem Arm hielt: ob
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die Pferde, die hinter dem Wagen stünden, die seinigen wären? Der
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Roßhändler, nachdem er, mit einer bescheidenen Wendung gegen den die
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Frage an ihn richtenden Herrn, den er nicht kannte, den Hut gerückt hatte,
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trat, ohne ihm zu antworten, im Gefolge sämtlicher Ritter, an den
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Schinderkarren heran; und die Tiere, die, auf wankenden Beinen, die
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Häupter zur Erde gebeugt, dastanden, und von dem Heu, das ihnen der
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Abdecker vorgelegt hatte, nicht fraßen, flüchtig, aus einer Ferne von zwölf
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Schritt, in welcher er stehen blieb, betrachtet: gnädigster Herr! wandte er
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sich wieder zu dem Kämmerer zurück, der Abdecker hat ganz recht; die
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Pferde, die an seinen Karren gebunden sind, gehören mir! Und damit,
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indem er sich in dem ganzen Kreise der Herren umsah, rückte er den Hut
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noch einmal, und begab sich, von seiner Wache begleitet, wieder von dem
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Platz hinweg. Bei diesen Worten trat der Kämmerer, mit einem raschen,
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seinen Helmbusch erschütternden Schritt zu dem Abdecker heran, und
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warf ihm einen Beutel mit Geld zu; und während dieser sich, den Beutel in
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der Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare über die Stirn
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zurückkämmte, und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, die
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Pferde abzulösen und nach Hause zu führen! Der Knecht, der auf den Ruf
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des Herrn, einen Kreis von Freunden und Verwandten, die er unter dem
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Volke besaß, verlassen hatte, trat auch, in der Tat, ein wenig rot im Gesicht,
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über eine große Mistpfütze, die sich zu ihren Füßen gebildet hatte, zu den
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Pferden heran; doch kaum hatte er ihre Halftern erfaßt, um sie loszubinden,
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als ihn Meister Himboldt, sein Vetter, schon beim Arm ergriff, und mit den
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Worten: du rührst die Schindmähren nicht an! von dem Karren
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hinwegschleuderte. Er setzte, indem er sich mit ungewissen Schritten über
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die Mistpfütze wieder zu dem Kämmerer, der über diesen Vorfall sprachlos
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dastand, zurück wandte, hinzu: daß er sich einen Schinderknecht
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anschaffen müsse, um ihm einen solchen Dienst zu leisten! Der Kämmerer,
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der, vor Wut schäumend, den Meister auf einen Augenblick betrachtet
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hatte, kehrte sich um, und rief über die Häupter der Ritter, die ihn
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umringten, hinweg, nach der Wache; und sobald, auf die Bestellung des
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Freiherrn von Wenk, ein Offizier mit einigen kurfürstlichen Trabanten, aus
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dem Schloß erschienen war, forderte er denselben unter einer kurzen
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Darstellung der schändlichen Aufhetzerei, die sich die Bürger der Stadt
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erlaubten, auf, den Rädelsführer, Meister Himboldt, in Verhaft zu nehmen.
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Er verklagte den Meister, indem er ihn bei der Brust faßte: daß er seinen,
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die Rappen auf seinen Befehl losbindenden Knecht von dem Karren
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hinwegeschleudert und mißhandelt hätte. Der Meister, indem er den
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Kämmerer mit einer geschickten Wendung, die ihn befreiete, zurückwies,
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sagte: gnädigster Herr! einem Burschen von zwanzig Jahren bedeuten, was
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er zu tun hat, heißt nicht, ihn verhetzen! Befragt ihn, ob er sich gegen
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Herkommen und Schicklichkeit mit den Pferden, die an die Karre gebunden
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sind, befassen will; will er es, nach dem, was ich gesagt, tun: sei's!
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Meinethalb mag er sie jetzt abludern und häuten! Bei diesen Worten wandte
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sich der Kämmerer zu dem Knecht herum, und fragte ihn: ob er irgend
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Anstand nähme, seinen Befehl zu erfüllen, und die Pferde, die dem
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Kohlhaas gehörten, loszubinden, und nach Hause zu führen? und da dieser
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schüchtern, indem er sich unter die Bürger mischte, erwiderte: die Pferde
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müßten erst ehrlich gemacht werden, bevor man ihm das zumute; so folgte
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ihm der Kämmerer von hinten, riß ihm den Hut ab, der mit seinem
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Hauszeichen geschmückt war, zog, nachdem er den Hut mit Füßen
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getreten, von Leder, und jagte den Knecht mit wütenden Hieben der Klinge
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augenblicklich vom Platz weg und aus seinen Diensten. Meister Himboldt
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rief: schmeißt den Mordwüterich doch gleich zu Boden! und während die
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Bürger, von diesem Auftritt empört, zusammentraten, und die Wache
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hinwegdrängten, warf er den Kämmerer von hinten nieder, riß ihm Mantel,
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Kragen und Helm ab, wand ihm das Schwert aus der Hand, und schleuderte
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es, in einem grimmigen Wurf, weit über den Platz hinweg. Vergebens rief
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der Junker Wenzel, indem er sich aus dem Tumult rettete, den Rittern zu,
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seinem Vetter beizuspringen; ehe sie noch einen Schritt dazu getan hatten,
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waren sie schon von dem Andrang des Volks zerstreut, dergestalt, daß der
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Kämmerer, der sich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der ganzen Wut der
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Menge preis gegeben war. Nichts, als die Erscheinung eines Trupps
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berittener Landsknechte, die zufällig über den Platz zogen, und die der
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Offizier der kurfürstlichen Trabanten zu seiner Unterstützung herbeirief,
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konnte den Kämmerer retten. Der Offizier, nachdem er den Haufen verjagt,
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ergriff den wütenden Meister, und während derselbe durch einige Reuter
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nach dem Gefängnis gebracht ward, hoben zwei Freunde den
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unglücklichen mit Blut bedeckten Kämmerer vom Boden auf, und führten
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ihn nach Hause. Einen so heillosen Ausgang nahm der wohlgemeinte und
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redliche Versuch, dem Roßhändler wegen des Unrechts, das man ihm
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zugefügt, Genugtuung zu verschaffen. Der Abdecker von Döbbeln, dessen
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Geschäft abgemacht war, und der sich nicht länger aufhalten wollte, band,
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da sich das Volk zu zerstreuen anfing, die Pferde an einen Laternenpfahl,
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wo sie, den ganzen Tag über, ohne daß sich jemand um sie bekümmerte,
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ein Spott der Straßenjungen und Tagediebe, stehen blieben; dergestalt, daß
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in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei sich ihrer annehmen
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mußte, und gegen Einbruch der Nacht den Abdecker von Dresden
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herbeirief, um sie, bis auf weitere Verfügung, auf der Schinderei vor der
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Stadt zu besorgen.