Sechster Auftritt
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Odoardo Galotti. Die Gräfin. Marinelli.
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Odoardo Galotti: Verzeihen Sie, gnädige Frau –
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Orsina: Ich habe hier nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts
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übelzunehmen – An diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem
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Marinelli weisend.)
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Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich): Nun vollends! der Alte! –
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Odoardo: Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der äußersten
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Bestürzung ist – daß er so unangemeldet hereintritt.
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Orsina: Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel. – Ha,
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willkommen!
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Odoardo: Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht, daß
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hierherum die Meinigen in Gefahr wären. Ich fliege herzu und höre, daß
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der Graf Appiani verwundet worden, daß er nach der Stadt
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zurückgekehret, daß meine Frau und Tochter sich in das Schloß
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gerettet. – Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie?
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Marinelli: Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer Tochter
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ist nichts Übels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie befinden
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sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich, Sie zu
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melden.
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Odoardo: Warum melden? erst melden?
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Marinelli: Aus Ursachen – von wegen – Von wegen des Prinzen. Sie
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wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem
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freundschaftlichsten Fuße. So gnädig er sich gegen Ihre Gemahlin und
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Tochter bezeiget – es sind Damen – Wird darum auch Ihr unvermuteter
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Anblick ihm gelegen sein?
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Odoardo: Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet.
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Marinelli: Aber, gnädige Gräfin – kann ich vorher die Ehre haben, Sie nach
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Ihrem Wagen zu begleiten?
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Orsina: Nicht doch, nicht doch.
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Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend): Erlauben Sie, daß ich
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meine Schuldigkeit beobachte. –
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Orsina: Nur gemach! – Ich erlasse Sie deren, mein Herr! Daß doch immer
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Ihresgleichen Höflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich
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ihre Schuldigkeit wäre, als die Nebensache betreiben zu dürfen! –
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Diesen würdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre
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Schuldigkeit.
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Marinelli: Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen?
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Orsina: Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn.
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Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet): Mein Herr, ich
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muß Sie hier mit einer Dame lassen, die – der – mit deren Verstande –
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Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie wissen, was Sie
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auf ihre Reden zu geben haben – deren sie oft sehr seltsame führet.
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Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort.
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Odoardo: Recht wohl. – Eilen Sie nur, mein Herr.