Walpurgisnacht
2
Harzgebirg Gegend von Schierke und Elend
3
4
Faust. Mephistopheles.
5
6
Mephistopheles:
7
Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
8
Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
9
Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.
10
11
Faust:
12
Solang ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,
13
Genügt mir dieser Knotenstock.
14
Was hilft's, daß man den Weg verkürzt!-
15
Im Labyrinth der Täler hinzuschleichen,
16
Dann diesen Felsen zu ersteigen,
17
Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
18
Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
19
Der Frühling webt schon in den Birken,
20
Und selbst die Fichte fühlt ihn schon;
21
Sollt er nicht auch auf unsre Glieder wirken?
22
23
Mephistopheles:
24
Fürwahr, ich spüre nichts davon!
25
Mir ist es winterlich im Leibe,
26
Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
27
Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
28
Des roten Monds mit später Glut heran
29
Und leuchtet schlecht, daß man bei jedem Schritte
30
Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
31
Erlaub, daß ich ein Irrlicht bitte!
32
Dort seh ich eins, das eben lustig brennt.
33
Heda! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
34
Was willst du so vergebens lodern?
35
Sei doch so gut und leucht uns da hinauf!
36
37
Irrlicht:
38
Aus Ehrfurcht, hoff ich, soll es mir gelingen,
39
Mein leichtes Naturell zu zwingen;
40
Nur zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.
41
42
Mephistopheles:
43
Ei! Ei! Er denkt's den Menschen nachzuahmen.
44
Geh Er nur grad, in 's Teufels Namen!
45
Sonst blas ich ihm sein Flackerleben aus.
46
47
Irrlicht:
48
Ich merke wohl, Ihr seid der Herr vom Haus,
49
Und will mich gern nach Euch bequemen.
50
Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll
51
Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll
52
So müßt Ihr's so genau nicht nehmen.
53
54
Faust, Mephistopheles, Irrlicht (im Wechselgesang):
55
In die Traum- und Zaubersphäre
56
Sind wir, scheint es, eingegangen.
57
Führ uns gut und mach dir Ehre
58
Daß wir vorwärts bald gelangen
59
In den weiten, öden Räumen!
60
Seh die Bäume hinter Bäumen,
61
Wie sie schnell vorüberrücken,
62
Und die Klippen, die sich bücken,
63
Und die langen Felsennasen,
64
Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
65
66
Durch die Steine, durch den Rasen
67
Eilet Bach und Bächlein nieder.
68
Hör ich Rauschen? hör ich Lieder?
69
Hör ich holde Liebesklage,
70
Stimmen jener Himmelstage?
71
Was wir hoffen, was wir lieben!
72
Und das Echo, wie die Sage
73
Alter Zeiten, hallet wider.
74
75
Uhu! Schuhu! tönt es näher,
76
Kauz und Kiebitz und der Häher,
77
Sind sie alle wach geblieben?
78
Sind das Molche durchs Gesträuche?
79
Lange Beine, dicke Bäuche!
80
Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
81
Winden sich aus Fels und Sande,
82
Strecken wunderliche Bande,
83
Uns zu schrecken, uns zu fangen;
84
Aus belebten derben Masern
85
Strecken sie Polypenfasern
86
Nach dem Wandrer. Und die Mäuse
87
Tausendfärbig, scharenweise,
88
Durch das Moos und durch die Heide!
89
Und die Funkenwürmer fliegen
90
Mit gedrängten Schwärmezügen
91
Zum verwirrenden Geleite.
92
93
Aber sag mir, ob wir stehen
94
Oder ob wir weitergehen?
95
Alles, alles scheint zu drehen,
96
Fels und Bäume, die Gesichter
97
Schneiden, und die irren Lichter,
98
Die sich mehren, die sich blähen.
99
MEPHISTOPHELES:
100
Fasse wacker meinen Zipfel!
101
Hier ist so ein Mittelgipfel
102
Wo man mit Erstaunen sieht,
103
Wie im Berg der Mammon glüht.
104
105
Faust:
106
Wie seltsam glimmert durch die Gründe
107
Ein morgenrötlich trüber Schein!
108
Und selbst bis in die tiefen Schlünde
109
Des Abgrunds wittert er hinein.
110
Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
111
Hier leuchtet Glut aus Dunst und Flor
112
Dann schleicht sie wie ein zarter Faden
113
Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
114
Hier schlingt sie eine ganze Strecke
115
Mit hundert Adern sich durchs Tal,
116
Und hier in der gedrängten Ecke
117
Vereinzelt sie sich auf einmal.
118
Da sprühen Funken in der Nähe
119
Wie ausgestreuter goldner Sand.
120
Doch schau! in ihrer ganzen Höhe
121
Entzündet sich die Felsenwand.
122
123
Mephistopheles:
124
Erleuchtet nicht zu diesem Feste
125
Herr Mammon prächtig den Palast?
126
Ein Glück, daß du's gesehen hast,
127
Ich spüre schon die ungestümen Gäste.
128
129
Faust:
130
Wie rast die Windsbraut durch die Luft!
131
Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!
132
133
Mephistopheles:
134
Du mußt des Felsens alte Rippen packen
135
Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
136
Ein Nebel verdichtet die Nacht.
137
Höre, wie's durch die Wälder kracht!
138
Aufgescheucht fliegen die Eulen.
139
Hör, es splittern die Säulen
140
Ewig grüner Paläste.
141
Girren und Brechen der Aste!
142
Der Stämme mächtiges Dröhnen!
143
Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
144
Im fürchterlich verworrenen Falle
145
Übereinander krachen sie alle
146
Und durch die übertrümmerten Klüfte
147
Zischen und heulen die Lüfte.
148
Hörst du Stimmen in der Höhe?
149
In der Ferne, in der Nähe?
150
Ja, den ganzen Berg entlang
151
Strömt ein wütender Zaubergesang!
152
153
Hexen (im Chor):
154
Die Hexen zu dem Brocken ziehn,
155
Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün.
156
Dort sammelt sich der große Hauf,
157
Herr Urian sitzt oben auf.
158
So geht es über Stein und Stock,
159
Es farzt die Hexe, es stinkt der Bock.
160
161
Stimme:
162
Die alte Baubo kommt allein,
163
Sie reitet auf einem Mutterschwein.
164
165
Chor:
166
So Ehre denn, wem Ehre gebührt!
167
Frau Baubo vor! und angeführt!
168
Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
169
Da folgt der ganze Hexenhauf.
170
171
Stimme:
172
Welchen Weg kommst du her?
173
174
Stimme:
175
Übern Ilsenstein! Da guckt ich der Eule ins Nest hinein,
176
Die macht ein Paar Augen!
177
178
Stimme:
179
O fahre zur Hölle! Was reitst du so schnelle!
180
181
Stimme:
182
Mich hat sie geschunden,
183
Da sieh nur die Wunden!
184
185
Hexen, Chor:
186
Der Weg ist breit, der Weg ist lang,
187
Was ist das für ein toller Drang?
188
Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
189
Das Kind erstickt, die Mutter platzt.
190
191
Hexenmeister, halber Chor:
192
Wir schleichen wie die Schneck im Haus,
193
Die Weiber alle sind voraus.
194
Denn, geht es zu des Bösen Haus,
195
Das Weib hat tausend Schritt voraus.
196
197
Andere Hälfte:
198
Wir nehmen das nicht so genau,
199
Mit tausend Schritten macht's die Frau;
200
Doch wie sie sich auch eilen kann,
201
Mit einem Sprunge macht's der Mann.
202
203
Stimme (oben):
204
Kommt mit, kommt mit, vom Felsensee!
205
206
Stimmen (von unten):
207
Wir möchten gerne mit in die Höh.
208
Wir waschen, und blank sind wir ganz und gar;
209
Aber auch ewig unfruchtbar.
210
211
Beide Chöre:
212
Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,
213
Der trübe Mond verbirgt sich gern.
214
Im Sausen sprüht das Zauberchor
215
Viel tausend Feuerfunken hervor.
216
217
Stimme: (von unten):
218
Halte! Haltet
219
220
Stimme (oben):
221
Wer ruft da aus der Felsenspalte?
222
223
Stimme: (von unten):
224
Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!
225
Ich steige schon dreihundert Jahr,
226
Und kann den Gipfel nicht erreichen
227
Ich wäre gern bei meinesgleichen.
228
229
Beide Chöre:
230
Es trägt der Besen, trägt der Stock
231
Die Gabel trägt, es trägt der Bock
232
Wer heute sich nicht heben kann
233
Ist ewig ein verlorner Mann.
234
235
Halbhexe (unten):
236
Ich tripple nach, so lange Zeit;
237
Wie sind die andern schon so weit!
238
Ich hab zu Hause keine Ruh
239
Und komme hier doch nicht dazu.
240
241
Chor der Hexen:
242
Die Salbe gibt den Hexen Mut,
243
Ein Lumpen ist zum Segel gut
244
Ein gutes Schiff ist jeder Trog
245
Der flieget nie, der heut nicht flog.
246
247
Beide Chöre:
248
Und wenn wir um den Gipfel ziehn,
249
So streichet an dem Boden hin
250
Und deckt die Heide weit und breit
251
Mit eurem Schwarm der Hexenheit
252
(Sie lassen sich nieder.)
253
254
Mephistopheles:
255
Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
256
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
257
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
258
Ein wahres Hexenelement!
259
Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
260
Wo bist du?
261
262
Faust: (in der Ferne):
263
Hier!
264
265
Mephistopheles:
266
Was! dort schon hingerissen? Da werd ich Hausrecht brauchen müssen.
267
Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
268
Hier, Doktor, fasse mich! und nun in einem Satz
269
Laß uns aus dem Gedräng entweichen;
270
Es ist zu toll, sogar für meinesgleichen.
271
Dortneben leuchtet was mit ganz besondrem Schein,
272
Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
273
Komm, komm! wir schlupfen da hinein.
274
275
Faust:
276
Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.
277
Ich denke doch, das war recht klug gemacht:
278
Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht,
279
Um uns beliebig nun hieselbst zu isolieren.
280
281
Mephistopheles:
282
Da sieh nur, welche bunten Flammen!
283
Es ist ein muntrer Klub beisammen.
284
Im Kleinen ist man nicht allein.
285
286
Faust:
287
Doch droben möcht ich lieber sein!
288
Schon seh ich Glut und Wirbelrauch.
289
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
290
Da muß sich manches Rätsel lösen.
291
292
Mephistopheles:
293
Doch manches Rätsel knüpft sich auch.
294
Laß du die große Welt nur sausen,
295
Wir wollen hier im stillen hausen.
296
Es ist doch lange hergebracht,
297
Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
298
Da seh ich junge Hexchen, nackt und bloß,
299
Und alte, die sich klug verhüllen.
300
Seid freundlich, nur um meinetwillen;
301
Die Müh ist klein, der Spaß ist groß.
302
Ich höre was von Instrumenten tönen!
303
Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewohnen.
304
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders sein,
305
Ich tret heran und führe dich herein,
306
Und ich verbinde dich aufs neue.
307
Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.
308
Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
309
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe
310
Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt
311
Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?
312
313
Faust:
314
Willst du dich nun, um uns hier einzuführen,
315
Als Zaubrer oder Teufel produzieren?
316
317
Mephistopheles:
318
Zwar bin ich sehr gewohnt, inkognito zu gehn,
319
Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
320
Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
321
Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
322
Siehst du die Schnecke da? sie kommt herangekrochen;
323
Mit ihrem tastenden Gesicht
324
Hat sie mir schon was abgerochen.
325
Wenn ich auch will, verleugn ich hier mich nicht.
326
Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
327
Ich bin der Werber, und du bist der Freier.
328
(Zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzen:)
329
Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
330
Ich lobt euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
331
Von Saus umzirkt und Jugendbraus;
332
Genug allein ist jeder ja zu Haus.
333
334
General:
335
Wer mag auf Nationen trauen!
336
Man habe noch so viel für sie getan;
337
Denn bei dem Volk wie bei den Frauen
338
Steht immerfort die Jugend oben an.
339
340
Minister:
341
Jetzt ist man von dem Rechten allzu weit,
342
Ich lobe mir die guten Alten;
343
Denn freilich, da wir alles galten,
344
Da war die rechte goldne Zeit.
345
346
Parvenü
347
Wir waren wahrlich auch nicht dumm
348
Und taten oft, was wir nicht sollten;
349
Doch jetzo kehrt sich alles um und um,
350
Und eben da wir's fest erhalten wollten.
351
352
Autor:
353
Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
354
Von mäßig klugem Inhalt lesen!
355
Und was das liebe junge Volk betrifft,
356
Das ist noch nie so naseweis gewesen.
357
358
Mephistopheles (der auf einmal sehr alt erscheint):
359
Zum Jüngsten Tag fühl ich das Volk gereift,
360
Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
361
Und weil mein Fäßchen trübe läuft,
362
So ist die Welt auch auf der Neige.
363
364
Trödelhexe:
365
Ihr Herren, geht nicht so vorbei!
366
Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
367
Aufmerksam blickt nach meinen Waren,
368
Es steht dahier gar mancherlei.
369
Und doch ist nichts in meinem Laden,
370
Dem keiner auf der Erde gleicht,
371
Das nicht einmal zum tücht'gen Schaden
372
Der Menschen und der Welt gereicht.
373
Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
374
Kein Kelch, aus dem sich nicht in ganz gesunden Leib
375
Verzehrend heißes Gift ergossen,
376
Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
377
Verführt, kein Schwert, das nicht den Bund gebrochen,
378
Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.
379
380
Mephistopheles:
381
Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
382
Getan, geschehn! Geschehn, getan!
383
Verleg Sie sich auf Neuigkeiten!
384
Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
385
386
Faust:
387
Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!
388
Heiß ich mir das doch eine Messe!
389
390
Mephistopheles:
391
Der ganze Strudel strebt nach oben;
392
Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.
393
394
Faust:
395
Wer ist denn das?
396
397
Mephistopheles:
398
Betrachte sie genau! Lilith ist das.
399
400
Faust:
401
Wer?
402
403
Mephistopheles:
404
Adams erste Frau. Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren,
405
Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
406
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
407
So läßt sie ihn so bald nicht wieder fahren.
408
409
Faust:
410
Da sitzen zwei, die Alte mit der Jungen;
411
Die haben schon was Rechts gesprungen!
412
413
Mephistopheles:
414
Das hat nun heute keine Ruh.
415
Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.
416
417
Faust (mit der Jungen tanzend):
418
Einst hatt ich einen schönen Traum
419
Da sah ich einen Apfelbaum,
420
Zwei schöne Äpfel glänzten dran,
421
Sie reizten mich, ich stieg hinan.
422
423
Die Schöne:
424
Der Äpfelchen begehrt ihr sehr,
425
Und schon vom Paradiese her.
426
Von Freuden fühl ich mich bewegt,
427
Daß auch mein Garten solche trägt.
428
429
Mephistopheles (mit der Alten):
430
Einst hatt ich einen wüsten Traum
431
Da sah ich einen gespaltnen Baum,
432
Der hatt ein ungeheures Loch;
433
So groß es war, gefiel mir's doch.
434
435
Die Alte:
436
Ich biete meinen besten Gruß
437
Dem Ritter mit dem Pferdefuß!
438
Halt Er einen rechten Pfropf bereit,
439
Wenn Er das große Loch nicht scheut.
440
441
Proktophantasmist:
442
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
443
Hat man euch lange nicht bewiesen:
444
Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen?
445
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
446
447
Die Schöne (tanzend):
448
Was will denn der auf unserm Ball?
449
450
Faust (tanzend):
451
Ei! der ist eben überall.
452
Was andre tanzen, muß er schätzen.
453
Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen,
454
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
455
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
456
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
457
Wie er's in seiner alten Mühle tut
458
Das hieß' er allenfalls noch gut
459
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.
460
461
Proktophantasmist:
462
Ihr seid noch immer da! nein, das ist unerhört.
463
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
464
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel
465
Wir sind so klug, und dennoch spukt's in Tegel.
466
Wie lange hab ich nicht am Wahn hinausgekehrt,
467
Und nie wird's rein; das ist doch unerhört!
468
469
Die Schöne:
470
So hört doch auf, uns hier zu ennuyieren!
471
472
Proktophantasmist:
473
Ich sag's euch Geistern ins Gesicht:
474
Den Geistesdespotismus leid ich nicht;
475
Mein Geist kann ihn nicht exerzieren.
476
(Es wird fortgetanzt.)
477
Heut, seh ich, will mir nichts gelingen;
478
Doch eine Reise nehm ich immer mit
479
Und hoffe noch vor meinem letzten Schritt
480
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
481
482
Mephistopheles:
483
Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
484
Das ist die Art, wie er sich soulagiert,
485
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
486
Ist er von Geistern und von Geist kuriert.
487
(Zu Faust, der aus dem Tanz getreten ist.)
488
Was lässest du das schöne Mädchen fahren,
489
Das dir zum Tanz so lieblich sang?
490
491
Faust:
492
Ach! mitten im Gesange sprang
493
Ein rotes Mäuschen ihr aus dem Munde.
494
495
Mephistopheles:
496
Das ist was Rechts! das nimmt man nicht genau;
497
Genug, die Maus war doch nicht grau.
498
Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?
499
500
Faust:
501
Dann sah ich-
502
503
Mephistopheles:
504
Was?
505
506
Faust:
507
Mephisto, siehst du dort ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
508
Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
509
Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
510
Ich muß bekennen, daß mir deucht,
511
Daß sie dem guten Gretchen gleicht.
512
513
Mephistopheles:
514
Laß das nur stehn! dabei wird's niemand wohl.
515
Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
516
Ihm zu begegnen, ist nicht gut:
517
Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
518
Und er wird fast in Stein verkehrt;
519
Von der Meduse hast du ja gehört.
520
521
Faust:
522
Fürwahr, es sind die Augen einer Toten,
523
Die eine liebende Hand nicht schloß.
524
Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
525
Das ist der süße Leib, den ich genoß.
526
527
Mephistopheles:
528
Das ist die Zauberei, du leicht verführter Tor!
529
Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.
530
531
Faust:
532
Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
533
Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
534
Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
535
Ein einzig rotes Schnürchen schmücken,
536
Nicht breiter als ein Messerrücken!
537
538
Mephistopheles:
539
Ganz recht! ich seh es ebenfalls.
540
Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen,
541
Denn Perseus hat's ihr abgeschlagen.
542
Nur immer diese Lust zum Wahn!
543
Komm doch das Hügelchen heran,
544
Hier ist's so lustig wie im Prater
545
Und hat man mir's nicht angetan,
546
So seh ich wahrlich ein Theater.
547
Was gibt's denn da?
548
549
Servibilis:
550
Gleich fängt man wieder an. Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben.
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So viel zu geben ist allhier der Brauch,
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Ein Dilettant hat es geschrieben
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Und Dilettanten spielen's auch.
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Verzeiht, ihr Herrn, wenn ich verschwinde
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Mich dilettiert's, den Vorhang aufzuziehn.
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Mephistopheles:
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Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
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Das find ich gut; denn da gehört ihr hin.