Zehnter Auftritt
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Marinelli. Appiani.
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Appiani: Nun, mein Herr?
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Marinelli: Ich komme von des Prinzen Durchlaucht.
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Appiani: Was ist zu seinem Befehle?
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Marinelli: Ich bin stolz, der Überbringer einer so vorzüglichen Gnade zu
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sein. – Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner
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ergebensten Freunde in mir verkennen will – –
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Appiani: Ohne weitere Vorrede, wenn ich bitten darf.
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Marinelli: Auch das! – Der Prinz muß sogleich an den Herzog von Massa,
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in Angelegenheit seiner Vermählung mit dessen Prinzessin Tochter,
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einen Bevollmächtigten senden. Er war lange unschlüssig, wen er dazu
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ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen.
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Appiani: Auf mich?
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Marinelli: Und das – wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf – nicht
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ohne mein Zutun –
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Appiani: Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit. –
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Ich habe schon längst nicht mehr erwartet, daß der Prinz mich zu
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brauchen geruhen werde. –
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Marinelli: Ich bin versichert, daß es ihm bloß an einer würdigen Gelegenheit
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gemangelt hat. Und wenn auch diese so eines Mannes wie Graf
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Appiani noch nicht würdig genug sein sollte, so ist freilich meine
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Freundschaft zu voreilig gewesen.
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Appiani: Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort! – Mit wem red
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ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft hätt' ich mir nie
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träumen lassen. –
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Marinelli: Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein unverzeihliches
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Unrecht, daß ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein wollen. – Bei
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dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen angetragene
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Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie werden sie mit
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Begierd' ergreifen.
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Appiani (nach einiger Überlegung): Allerdings.
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Marinelli: Nun so kommen Sie.
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Appiani: Wohin?
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Marinelli: Nach Dosalo, zu dem Prinzen. – Es liegt schon alles fertig; und
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Sie müssen noch heut abreisen.
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Appiani: Was sagen Sie? – Noch heute?
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Marinelli: Lieber noch in dieser nämlichen Stunde als in der folgenden. Die
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Sache ist von der äußersten Eil'.
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Appiani: In Wahrheit? – So tut es mir leid, daß ich die Ehre, welche mir der
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Prinz zugedacht, verbitten muß.
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Marinelli: Wie?
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Appiani: Ich kann heute nicht abreisen – auch morgen nicht – auch
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übermorgen noch nicht. –
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Marinelli: Sie scherzen, Herr Graf.
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Appiani: Mit Ihnen?
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Marinelli: Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist er um
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so viel lustiger. – Sie können nicht?
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Appiani: Nein, mein Herr, nein. – Und ich hoffe, daß der Prinz selbst meine
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Entschuldigung wird gelten lassen.
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Marinelli: Die bin ich begierig zu hören.
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Appiani: Oh, eine Kleinigkeit! – Sehen Sie; ich soll noch heut eine Frau
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nehmen.
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Marinelli: Nun? und dann?
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Appiani: Und dann? – und dann? – Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv.
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Marinelli: Man hat Exempel, Herr Graf, daß sich Hochzeiten aufschieben
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lassen. – Ich glaube freilich nicht, daß der Braut oder dem Bräutigam
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immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes haben.
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Aber doch, dächt' ich, der Befehl des Herrn –
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Appiani: Der Befehl des Herrn? – des Herrn? Ein Herr, den man sich selber
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wählt, ist unser Herr so eigentlich nicht – Ich gebe zu, daß Sie dem
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Prinzen unbedingtem Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich. – Ich
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kam an seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu
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dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines größern
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Herrn –
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Marinelli: Größer oder kleiner: Herr ist Herr.
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Appiani: Daß ich mit Ihnen darüber strittet – Genug, sagen Sie dem
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Prinzen, was Sie gehört haben – daß es mir leid tut, seine Gnade nicht
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annehmen zu können, weil ich eben heut eine Verbindung vollzöge, die
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mein ganzes Glück ausmache.
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Marinelli: Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem?
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Appiani: Mit Emilia Galotti.
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Marinelli: Der Tochter aus diesem Hause?
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Appiani: Aus diesem Hause.
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Marinelli: Hm! Hm!
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Appiani: Was beliebt?
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Marinelli: Ich sollte meinen, daß es sonach um so weniger Schwierigkeit
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haben könne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurückkunft auszusetzen.
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Appiani: Die Zeremonie? Nur die Zeremonie?
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Marinelli: Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen.
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Appiani: Die guten Eltern?
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Marinelli: Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiß.
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Appiani: Ja wohl gewiß? – Sie sind mit Ihrem ja wohl – ja wohl ein ganzer
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Affe!
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Marinelli: Mir das, Graf?
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Appiani: Warum nicht?
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Marinelli: Himmel und Hölle! – Wir werden uns sprechen.
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Appiani: Pah! Hämisch ist der Affe; aber –
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Marinelli: Tod und Verdammnis! – Graf, ich fodere Genugtuung.
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Appiani: Das versteht sich.
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Marinelli: Und würde sie gleich itzt nehmen – nur daß ich dem zärtlichen
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Bräutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.
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Appiani: Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! (Indem er ihn bei der
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Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht schicken
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lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit übrig. –
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Kommen Sie, kommen Sie!
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Marinelli (der sich losreißt und abgeht): Nur Geduld, Graf, nur Geduld!