Auszug
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Iason: Ihr Frauen, die ihr hier so nahe beim Palast steht, ist vielleicht
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Medeia, die so Schreckliches beging, noch im Hause oder ist sie
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entflohen? Denn wahrlich, sie muß sich in der Erde bergen oder ihren Leib
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beflügeln und zum hohen Äther heben, wenn sie nicht der Rache des
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Königshauses verfallen will. Glaubt sie denn, sie könne nach dem Mord am
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Landesherrn straflos aus diesem Hause fliehen? Doch geht es mir weniger
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um sie als um die Kinder; ihr nämlich werden jene Schlimmes antun, denen
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sie selbst so Schlimmes tat. Ich kam nur, um das Leben meiner Kinder zu
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retten, damit nicht die Verwandten ihnen etwas antun, aus Rache für den
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frevlen Mord der Mutter.
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Chor: O armer Iason, du kennst die volle Größe deines Leids noch nicht,
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sonst sprächest du nicht so.
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Iason: Was ist? Will sie vielleicht auch mich töten?
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Chor: Die Kinder starben von der Mutter Hand.
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Iason: Weh mir! Was sagst du? Weib, du vernichtest mich!
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Chor: Du mußt begreifen: Deine Kinder sind nicht mehr.
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Iason: Wo hat sie sie getötet? Drinnen oder vor dem Haus?
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Chor: Öffne nur die Tür! Dann siehst du die Leichen deiner Knaben.
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Iason: Ihr Diener, brecht sofort das Schloß auf! Reißt die Pflöcke heraus,
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damit ich mein Doppelleid, die Ermordeten, sehe und an ihr Rache nehme!
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Medeia: Was läßt du am Tor rütteln und es aufhebeln, um die Leichen zu
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suchen und mich, die Mörderin? Spar deine Mühe! Suchst du aber mich,
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sag, was du von mir willst! Mit deiner Hand aber wirst du mich nie
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berühren, denn diesen guten Wagen gab mir Helios, der Vater meines
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Vaters, zum Schutz vor der Hand meiner Feinde.
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Iason: Du Scheusal! Weib, den Göttern, mir und allen Menschen am
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allerverhaßtesten! Du brachtest es über dich, das Schwert in deine Kinder
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zu stoßen, du, die eigene Mutter! Du hast mich kinderlos gemacht,
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vernichtet. Und nach solcher Tat, so furchtbarem Frevel, wagst du noch
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Sonne und Erde anzublicken? Fahr zur Hölle! Jetzt erst erkenn' ich, was ich
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damals nicht erkannt, als ich dich aus barbarischem Haus und Land als
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großes Unheil in ein hellenisches Haus führte. Verräterin am eigenen Vater
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und am Vaterland! Den Fluch, der auf dir ruhte, schickten Götter mir aufs
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Haupt. Denn deinen Bruder hast du noch am väterlichen Herd
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geschlachtet, als du das Schiff Argo mit seinem schönen Bug bestiegst.
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Mit solchen Taten fingst du an, und nachdem du meine Frau wurdest und
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mir Kinder gebarst, hast du sie nun wegen Bett und Lager getötet; es gibt
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keine hellenische Frau, die das je gewagt hätte – und ihnen zog ich die Ehe
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mit dir vor, den Bund voll Haß und Untergang, die du kein Weib bist,
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sondern eine Löwin, wilder noch als die tyrrhenische Skylla. Doch dir kann
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ich selbst mit tausend Schmähungen nicht wehtun, so große Frechheit ist
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dir eingeboren. Fort mir dir, Schandweib, ruchlose Kindermörderin! Mir
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aber bleibt nichts übrig als der Jammer über mein Geschick, kann ich doch
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weder meiner Neuvermählten froh werden noch meine Kinder, die ich
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zeugte und aufzog, je wieder lebend anreden. Es ist vorbei, sie sind dahin.
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Medeia: Ich hielte deinen Reden viel entgegen, wüßte nicht Vater Zeus,
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wieviel ich für dich tat und was dagegen du mir tatest. Du durftest nicht als
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Ehebrecher angenehm leben und mich verlachen, du nicht und nicht die
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Königstochter; auch Kreon, der dir seine Tochter gab, durfte mich nicht
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straflos aus dem Lande stoßen. So nenne mich Löwin, wenn es dir behagt,
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oder Skylla, die im Tyrrhenerlande haust. Ich traf dich doch mitten ins Herz,
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wie es sich gebührt.
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Iason: Doch auch du trauerst, trägst ein Teil des Leids!
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Medeia: Gewiß! Doch tut der Schmerz mir wohl, wenn nur du nicht lachst.
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Iason: O Kinder! Welch schlimmes Weib war eure Mutter!
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Medeia: O Kinder! Welch schlimmer Mann war euer Vater, schuld an eurem
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Tod!
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Iason: Doch war es meine Hand nicht, die sie mordete.
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Medeia: Doch war es deine Willkür und die neue Heirat.
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Iason: Und du maßest dir an, sie aus Eifersucht zu töten? Medeia:
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Glaubst du, das sei ein kleines Leid für eine Frau?
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Iason: Ja, wenn sie klug ist. Doch du bist von Grund auf schlecht.
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Medeia: Die Kinder sind nicht mehr. Das wird dir wehe tun.
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Iason: Sie sind, o weh mir, Rachegeister für dein Haupt.
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Medeia: Die Götter wissen, wer mit Kränkungen begann.
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Iason: Sie wissen sicher, daß dein Sinn abscheulich ist.
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Medeia: Hasse mich nur! Doch hasse ich dein widerliches Geschwätz.
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Iason: Und wahrlich ich das deine. So fällt uns die Trennung leicht.
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Medeia: Was sonst? Was soll ich tun? Auch ich will von dir fort.
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Iason: Laß mir die Leichen, um sie zu bestatten, zu beweinen.
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Medeia: Nein, nie! Ich will sie mit eigener Hand bestatten und in den
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heiligen Hain der Burggöttin Hera bringen, damit kein Feind ihr Grab
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aufwühlen und sie schänden kann. Dem Land des Sisyphos aber will ich
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ein heiliges Fest und Weihen für alle Zeit einrichten, zur Sühne für diesen
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gräßlichen Mord. Ich selbst gehe ins Land des Erechtheus, um bei Aigeus
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zu wohnen, Pandions Sohn. Du aber wirst, wie billig, als Böser auch ein
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böses Ende nehmen; ein Stück der Argo wird dein Haupt zerschmettern,
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nachdem du unsere Ehe bitter scheitern sahst.
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Iason: Und dich sollen der Rachegeist der Knaben und die Mordrächerin
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Dike vernichten!
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Medeia: Welcher Gott oder Geist hört auf dich, der meineidig seine
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Gastfreundin betrog?
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Iason: Weh, wehe! Scheusal und Kindermörderin!
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Medeia: Geh heim und begrabe deine Frau!
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Iason: Ich gehe, beraubt meiner beiden Kinder.
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Medeia: Noch weinst du nicht! Wart' erst das Alter ab!
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Iason: O liebste Kinder!
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Medeia: Lieb der Mutter, doch nicht dir!
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Iason: Und doch erschlugst du sie?
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Medeia: Ja, um dir wehzutun.
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Iason: O weh, ich Armer, sehne mich, den lieben Mund der Kinder zu
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küssen.
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Medeia: Jetzt sprichst du sie an, nun liebst du sie. Doch vorher hast du sie
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verstoßen!
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Iason: Bei den Göttern! Laß mich der Kinder zarte Haut berühren!
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Medeia: Niemals! Dein Wort ist in den Wind gesprochen.
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Iason: Hörst du, Zeus, wie sie mich fortstößt, was ich dulde von dieser
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abscheulichen, kindermordenden Löwin? Soweit ich es aber vermag und
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es kann, beklage ich dieses Unheil, flehe die Götter an und rufe die
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Dämonen zu Zeugen, daß du mir die Kinder gemordet und mir verwehrst,
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ihre Hand zu berühren und die Toten zu bestatten. Hätte ich sie doch nie
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gezeugt und nie von dir ermordet gesehen!
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Chor: Über vieles waltet Zeus im Olymp; vieles vollenden die Götter anders,
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als man erwartet. Was man hoffte, vollendet sich nicht, doch für niemals
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Gedachtes fand Gott einen Weg. So waltet auch diesmal das Schicksal.
[1] Äther: Der Äther ist in der griechischen Mythologie die Personifikation des „oberen Himmels“, der als Sitz des Lichts und der Götter gedacht wurde.
[2] Skylla: Skylla ist ein Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie mit dem Oberkörper einer jungen Frau und einem Unterleib, der aus sechs Hunden besteht.
[3] Hera: Hera ist in der griechischen Mythologie die Gattin und gleichzeitig die Schwester von Zeus und somit die Tochter von Kronos und Rhea.
[4] zur Sühne für diesen grässlichen Mord: Hier spielt Medeia auf einen Kult im Heratempel an. Dieser wird mit ihren beiden getöteten Kindern in Verbindung gebracht.
[5] Land des Erechtheus: Hier ist Athen gemeint, da Erechtheus der König von Athene war.
[6] ein Stück der Argo wird dein Haupt zerschmettern: Es heißt von Iason, dass er von den Trümmern des zusammenbrechenden Argo-Schiffes erschlagen wurde, als er im Schatten seines Schiffes schlief.
[7] Dike: Dike ist die Göttin der Gerechtigkeit.
[8] Dämonen: Dämonen sind Schicksalmächte und Geister der Verstorbenen.