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Inhaltsverzeichnis

Vierter Auftritt

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Der Prinz. Conti mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen einen
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Stuhl lehnet.
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Conti (indem er das andere zurechtstellet): Ich bitte, Prinz, daß Sie die
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Schranken unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem
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Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Grenzen derselben.
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– Treten Sie so! –
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Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung): Vortrefflich, Conti – ganz
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vortrefflich! – Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem Pinsel. – Aber geschmeichelt,
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Conti; ganz unendlich geschmeichelt!
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Conti: Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es in der
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Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß. Die
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Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur – wenn es eine gibt –
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das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff
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unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit dagegen
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ankämpfet.
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Der Prinz: Der denkende Künstler ist noch eins soviel wert. – Aber das
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Original, sagen Sie, fand demungeachtet –
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Conti: Verzeihen Sie, Prinz. Das Original ist eine Person, die meine
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Ehrerbietung fodert. Ich habe nichts Nachteiliges von ihr äußern wollen.
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Der Prinz: Soviel als Ihnen beliebt! – Und was sagte das Original?
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Conti: Ich bin zufrieden, sagte die Gräfin, wenn ich nicht häßlicher aussehe.
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Der Prinz: Nicht häßlicher? – O das wahre Original!
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Conti: Und mit einer Miene sagte sie das – von der freilich dieses ihr Bild
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keine Spur, keinen Verdacht zeiget.
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Der Prinz: Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die unendliche
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Schmeichelei finde. – Oh! ich kenne sie, jene stolze, höhnische Miene,
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die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde! – Ich leugne nicht,
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daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch verziehet, nicht
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selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt, ein wenig: die
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Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei dieser Gräfin.
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Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die Aufsicht führen –
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Augen, wie sie die gute Gräfin nun gerade gar nicht hat. Auch nicht
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einmal hier im Bilde hat.
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Conti: Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen –
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Der Prinz: Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen,
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hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfin Gutes
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machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht. – Redlich,
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sag ich? – Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst,
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Conti, läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person
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schließen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in
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Lächeln, Ansatz zu trübsinniger Schwärmerei in sanfte Schwermut
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verwandelt.
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Conti (etwas ärgerlich): Ah, mein Prinz – wir Maler rechnen darauf, daß das
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fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm er es
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bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe müßten
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uns auch nur beurteilen.
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Der Prinz: Je nun, Conti – warum kamen Sie nicht einen Monat früher
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damit? – Setzen Sie weg. – Was ist das andere Stück?
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Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand hält): Auch ein
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weibliches Porträt.
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Der Prinz: So möcht' ich es bald – lieber gar nicht sehen. Denn dem Ideal
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hier (mit dem Finger auf die Stirne) – oder vielmehr hier (mit dem Finger
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auf das Herz) kömmt es doch nicht bei. – Ich wünschte, Conti, Ihre
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Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern.
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Conti: Eine bewundernswürdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen
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bewundernswürdigern Gegenstand als diesen.
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Der Prinz: So wett ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebieterin ist. –
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(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk, Conti?
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oder das Werk meiner Phantasie? – Emilia Galotti!
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Conti: Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?
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Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem
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Bilde zu verwenden): So halb! – um sie eben wiederzukennen. – Es ist
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einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. –
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Nachher ist sie mir nur an heiligen Stätten wieder vorgekommen – wo
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das Angaffen sich weniger ziemet. – Auch kenn ich ihren Vater. Er ist
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mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf
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Sabionetta am meisten widersetzte. – Ein alter Degen, stolz und rauh,
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sonst bieder und gut! –
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Conti: Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter.
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Der Prinz: Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die
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Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß
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man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein
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Lob vergißt.
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Conti: Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir gelassen.
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– Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit
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mit mir selbst. – Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf
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dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wieviel
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geht da verloren! – Aber, wie ich sage, daß ich es weiß, was hier
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verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es
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verlorengehen müssen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich
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auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem
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erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler bin,
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daß es aber meine Hand nur nicht immer ist. – Oder meinen Sie, Prinz,
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daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er
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unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden? Meinen Sie,
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Prinz?
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Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt): Was sagen Sie,
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Conti? Was wollen Sie wissen?
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Conti: O nichts, nichts! – Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz in Ihren
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Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen.
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Der Prinz (mit einer erzwungenen Kälte): Also, Conti, rechnen Sie doch
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wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten unserer
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Stadt?
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Conti: Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten
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unserer Stadt? – Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze
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Zeit ebensowenig, als Sie hörten.
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Der Prinz: Lieber Conti – (die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) wie darf
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unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur allein ein
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Maler von der Schönheit zu urteilen.
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Conti: Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines
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Malers warten? – Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was
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schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz:
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eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß
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Emilia Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne,
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diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese
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Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein
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einziges Studium der weiblichen Schönheit. – Die Schilderei selbst,
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wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese
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Kopie –
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Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret): Nun, Conti? ist doch nicht
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schon versagt?
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Conti: Ist für Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden.
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Der Prinz: Geschmack! – (Lächelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen
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Schönheit, Conti, wie könnt' ich besser tun, als es auch zu dem
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meinigen zu machen? – Dort, jenes Porträt nehmen Sie nur wieder mit
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– einen Rahmen darum zu bestellen.
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Conti: Wohl!
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Der Prinz: So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. Es
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soll in der Galerie aufgestellet werden. – Aber dieses bleibt hier. Mit
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einem Studio macht man soviel Umstände nicht: auch läßt man das
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nicht aufhängen, sondern hat es gern bei der Hand. – Ich danke Ihnen,
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Conti; ich danke Ihnen recht sehr. – Und wie gesagt: in meinem Gebiete
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soll die Kunst nicht nach Brot gehen – bis ich selbst keines habe. –
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Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf Ihre
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Quittung, für beide Porträte sich bezahlen – was Sie wollen. Soviel Sie
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wollen, Conti.
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Conti: Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so noch etwas
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anders belohnen wollen als die Kunst.
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Der Prinz: O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch! – Hören Sie, Conti;
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soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)

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