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Abschnitt 12

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Der Zustand des Kurfürsten, als er diese Nachricht bekam,
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verschlimmerte sich in dem Grade, daß der Arzt, während drei
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verhängnisvoller Tage, seines Lebens wegen, das zu gleicher Zeit, von so
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vielen Seiten angegriffen ward, in der größesten Besorgnis war. Gleichwohl
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stellte er sich, durch die Kraft seiner natürlichen Gesundheit, nach dem
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Krankenlager einiger peinlich zugebrachten Wochen wieder her; dergestalt
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wenigstens, daß man ihn in einen Wagen bringen, und mit Kissen und
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Decken wohl versehen, nach Dresden zu seinen Regierungsgeschäften
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wieder zurückführen konnte. Sobald er in dieser Stadt angekommen war,
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ließ er den Prinzen Christiern von Meißen rufen, und fragte denselben: wie
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es mit der Abfertigung des Gerichtsrats Eibenmayer stünde, den man, als
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Anwalt in der Sache des Kohlhaas, nach Wien zu schicken gesonnen
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gewesen wäre, um kaiserlicher Majestät daselbst die Beschwerde wegen
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gebrochenen, kaiserlichen Landfriedens, vorzulegen? Der Prinz antwortete
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ihm: daß derselbe, dem, bei seiner Abreise nach Dahme hinterlassenen
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Befehl gemäß, gleich nach Ankunft des Rechtsgelehrten Zäuner, den der
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Kurfürst von Brandenburg als Anwalt nach Dresden geschickt hätte, um die
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Klage desselben, gegen den Junker Wenzel von Tronka, der Rappen
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wegen, vor Gericht zu bringen, nach Wien abgegangen wäre. Der Kurfürst,
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indem er errötend an seinen Arbeitstisch trat, wunderte sich über diese
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Eilfertigkeit, indem er seines Wissens erklärt hätte, die definitive Abreise
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des Eibenmayer, wegen vorher notwendiger Rücksprache mit dem Doktor
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Luther, der dem Kohlhaas die Amnestie ausgewirkt, einem näheren und
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bestimmteren Befehl vorbehalten zu wollen. Dabei warf er einige
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Briefschaften und Akten, die auf dem Tisch lagen, mit dem Ausdruck
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zurückgehaltenen Unwillens, über einander. Der Prinz, nach einer Pause, in
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welcher er ihn mit großen Augen ansah, versetzte, daß es ihm leid täte,
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wenn er seine Zufriedenheit in dieser Sache verfehlt habe; inzwischen
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könne er ihm den Beschluß des Staatsrats vorzeigen, worin ihm die
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Abschickung des Rechtsanwalts, zu dem besagten Zeitpunkt, zur Pflicht
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gemacht worden wäre. Er setzte hinzu, daß im Staatsrat von einer
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Rücksprache mit dem Doktor Luther, auf keine Weise die Rede gewesen
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wäre; daß es früherhin vielleicht zweckmäßig gewesen sein möchte, diesen
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geistlichen Herrn, wegen der Verwendung, die er dem Kohlhaas angedeihen
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lassen, zu berücksichtigen, nicht aber jetzt mehr, nachdem man demselben
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die Amnestie vor den Augen der ganzen Welt gebrochen, ihn arretiert, und
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zur Verurteilung und Hinrichtung an die brandenburgischen Gerichte
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ausgeliefert hätte. Der Kurfürst sagte: das Versehen, den Eibenmayer
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abgeschickt zu haben, wäre auch in der Tat nicht groß; inzwischen
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wünsche er, daß derselbe vorläufig, bis auf weiteren Befehl, in seiner
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Eigenschaft als Ankläger zu Wien nicht aufträte, und bat den Prinzen,
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deshalb das Erforderliche unverzüglich durch einen Expressen, an ihn zu
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erlassen. Der Prinz antwortete: daß dieser Befehl leider um einen Tag zu
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spät käme, indem der Eibenmayer bereits nach einem Berichte, der eben
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heute eingelaufen, in seiner Qualität als Anwalt aufgetreten, und mit
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Einreichung der Klage bei der Wiener Staatskanzlei vorgegangen wäre. Er
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setzte auf die betroffene Frage des Kurfürsten: wie dies überall in so kurzer
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Zeit möglich sei? hinzu: daß bereits, seit der Abreise dieses Mannes drei
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Wochen verstrichen wären, und daß die Instruktion, die er erhalten, ihm
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eine ungesäumte Abmachung dieses Geschäfts, gleich nach seiner Ankunft
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in Wien zur Pflicht gemacht hätte. Eine Verzögerung, bemerkte der Prinz,
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würde in diesem Fall um so unschicklicher gewesen sein, da der
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brandenburgische Anwalt Zäuner, gegen den Junker Wenzel von Tronka mit
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dem trotzigsten Nachdruck verfahre, und bereits auf eine vorläufige
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Zurückziehung der Rappen, aus den Händen des Abdeckers, behufs ihrer
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künftigen Wiederherstellung, bei dem Gerichtshof angetragen, und auch
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aller Einwendungen der Gegenpart ungeachtet, durchgesetzt habe. Der
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Kurfürst, indem er die Klingel zog, sagte: »gleichviel! es hätte nichts zu
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bedeuten!« und nachdem er sich mit gleichgültigen Fragen: wie es sonst in
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Dresden stehe? und was in seiner Abwesenheit vorgefallen sei? zu dem
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Prinzen zurückgewandt hatte: grüßte er ihn, unfähig seinen innersten
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Zustand zu verbergen, mit der Hand, und entließ ihn. Er forderte ihm noch
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an demselben Tage schriftlich, unter dem Vorwande, daß er die Sache, ihrer
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politischen Wichtigkeit wegen, selbst bearbeiten wolle, die sämtlichen
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Kohlhaasischen Akten ab; und da ihm der Gedanke, denjenigen zu
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verderben, von dem er allein über die Geheimnisse des Zettels Auskunft
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erhalten konnte, unerträglich war: so verfaßte er einen eigenhändigen Brief
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an den Kaiser, worin er ihn auf herzliche und dringende Weise bat, aus
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wichtigen Gründen, die er ihm vielleicht in kurzer Zeit bestimmter
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auseinander legen würde, die Klage, die der Eibenmayer gegen den
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Kohlhaas eingereicht, vorläufig bis auf einen weitern Beschluß,
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zurücknehmen zu dürfen. Der Kaiser, in einer durch die Staatskanzlei
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ausgefertigten Note, antwortete ihm: »daß der Wechsel, der plötzlich in
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seiner Brust vorgegangen zu sein scheine, ihn aufs äußerste befremde; daß
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der sächsischerseits an ihn erlassene Bericht, die Sache des Kohlhaas zu
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einer Angelegenheit gesamten heiligen römischen Reichs gemacht hätte;
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daß demgemäß er, der Kaiser, als Oberhaupt desselben, sich verpflichtet
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gesehen hätte, als Ankläger in dieser Sache bei dem Hause Brandenburg
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aufzutreten; dergestalt, daß da bereits der Hof-Assessor Franz Müller, in
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der Eigenschaft als Anwalt nach Berlin gegangen wäre, um den Kohlhaas
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daselbst, wegen Verletzung des öffentlichen Landfriedens, zur
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Rechenschaft zu ziehen, die Beschwerde nunmehr auf keine Weise
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zurückgenommen werden könne, und die Sache den Gesetzen gemäß,
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ihren weiteren Fortgang nehmen müsse.« Dieser Brief schlug den
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Kurfürsten völlig nieder; und da, zu seiner äußersten Betrübnis, in einiger
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Zeit Privatschreiben aus Berlin einliefen, in welchen die Einleitung des
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Prozesses bei dem Kammergericht gemeldet, und bemerkt ward, daß der
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Kohlhaas wahrscheinlich, aller Bemühungen des ihm zugeordneten
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Advokaten ungeachtet, auf dem Schafott enden werde: so beschloß dieser
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unglückliche Herr noch einen Versuch zu machen, und bat den Kurfürsten
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von Brandenburg, in einer eigenhändigen Zuschrift, um des Roßhändlers
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Leben. Er schützte vor, daß die Amnestie, die man diesem Manne angelobt,
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die Vollstreckung eines Todesurteils an demselben, füglicher Weise, nicht
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zulasse; versicherte ihn, daß es, trotz der scheinbaren Strenge, mit welcher
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man gegen ihn verfahren, nie seine Absicht gewesen wäre, ihn sterben zu
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lassen; und beschrieb ihm, wie trostlos er sein würde, wenn der Schutz,
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den man vorgegeben hätte, ihm von Berlin aus angedeihen lassen zu
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wollen, zuletzt, in einer unerwarteten Wendung, zu seinem größeren
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Nachteile ausschlage, als wenn er in Dresden geblieben, und seine Sache
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nach sächsischen Gesetzen entschieden worden wäre. Der Kurfürst von
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Brandenburg, dem in dieser Angabe mancherlei zweideutig und unklar
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schien, antwortete ihm: »daß der Nachdruck, mit welchem der Anwalt
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kaiserlicher Majestät verführe, platterdings nicht erlaube, dem Wunsch, den
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er ihm geäußert, gemäß, von der strengen Vorschrift der Gesetze
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abzuweichen. Er bemerkte, daß die ihm vorgelegte Besorgnis in der Tat zu
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weit ginge, indem die Beschwerde, wegen der dem Kohlhaas in der
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Amnestie verziehenen Verbrechen ja nicht von ihm, der demselben die
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Amnestie erteilt, sondern von dem Reichsoberhaupt, das daran auf keine
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Weise gebunden sei, bei dem Kammergericht zu Berlin anhängig gemacht
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worden wäre. Dabei stellte er ihm vor, wie notwendig bei den fortdauernden
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Gewalttätigkeiten des Nagelschmidt, die sich sogar schon, mit unerhörter
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Dreistigkeit, bis aufs brandenburgische Gebiet erstreckten, die Statuierung
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eines abschreckenden Beispiels wäre, und bat ihn, falls er dies alles nicht
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berücksichtigen wolle, sich an des Kaisers Majestät selbst zu wenden,
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indem, wenn dem Kohlhaas zu Gunsten ein Machtspruch fallen sollte, dies
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allein auf eine Erklärung von dieser Seite her geschehen könne.« Der
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Kurfürst, aus Gram und Ärger über alle diese mißglückten Versuche, verfiel
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in eine neue Krankheit; und da der Kämmerer ihn an einem Morgen
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besuchte, zeigte er ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas das Leben zu
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fristen, und somit wenigstens Zeit zu gewinnen, des Zettels, den er besäße,
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habhaft zu werden, an den Wiener und Berliner Hof erlassen. Der Kämmerer
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warf sich auf Knieen vor ihm nieder, und bat ihn, um alles was ihm heilig
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und teuer sei, ihm zu sagen, was dieser Zettel enthalte? Der Kurfürst
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sprach, er möchte das Zimmer verriegeln, und sich auf das Bett
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niedersetzen; und nachdem er seine Hand ergriffen, und mit einem Seufzer
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an sein Herz gedrückt hatte, begann er folgendergestalt: »Deine Frau hat
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dir, wie ich höre, schon erzählt, daß der Kurfürst von Brandenburg und ich,
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am dritten Tage der Zusammenkunft, die wir in Jüterbock hielten, auf eine
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Zigeunerin trafen; und da der Kurfürst, aufgeweckt wie er von Natur ist,
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beschloß, den Ruf dieser abenteuerlichen Frau, von deren Kunst, eben bei
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der Tafel, auf ungebührliche Weise die Rede gewesen war, durch einen
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Scherz im Angesicht alles Volks zu nichte zu machen: so trat er mit
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verschränkten Armen vor ihren Tisch, und forderte, der Weissagung
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wegen, die sie ihm machen sollte, ein Zeichen von ihr, das sich noch heute
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erproben ließe, vorschützend, daß er sonst nicht, und wäre sie auch die
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römische Sibylle selbst, an ihre Worte glauben könne. Die Frau, indem sie
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uns flüchtig von Kopf zu Fuß maß, sagte: das Zeichen würde sein, daß uns
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der große, gehörnte Rehbock, den der Sohn des Gärtners im Park erzog,
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auf dem Markt, worauf wir uns befanden, bevor wir ihn noch verlassen,
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entgegenkommen würde. Nun mußt du wissen, daß dieser, für die Dresdner
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Küche bestimmte Rehbock, in einem mit Latten hoch verzäunten
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Verschlage, den die Eichen des Parks beschatteten, hinter Schloß und
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Riegel aufbewahrt ward, dergestalt, daß, da überdies anderen kleineren
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Wildes und Geflügels wegen, der Park überhaupt und obenein der Garten,
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der zu ihm führte, in sorgfältigem Beschluß gehalten ward, schlechterdings
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nicht abzusehen war, wie uns das Tier, diesem sonderbaren Vorgeben
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gemäß, bis auf dem Platz, wo wir standen, entgegenkommen würde;
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gleichwohl schickte der Kurfürst aus Besorgnis vor einer dahinter
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steckenden Schelmerei, nach einer kurzen Abrede mit mir, entschlossen,
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auf unabänderliche Weise, alles was sie noch vorbringen wurde, des
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Spaßes wegen, zu Schanden zu machen, ins Schloß, und befahl, daß der
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Rehbock augenblicklich getötet, und für die Tafel, an einem der nächsten
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Tage, zubereitet werden solle. Hierauf wandte er sich zu der Frau, vor
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welcher diese Sache laut verhandelt worden war, zurück, und sagte: nun,
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Wohlan! was hast du mir für die Zukunft zu entdecken? Die Frau, indem sie
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in seine Hand sah, sprach: Heil meinem Kurfürsten und Herrn! Deine
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Gnaden wird lange regieren, das Haus, aus dem du stammst, lange
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bestehen, und deine Nachkommen groß und herrlich werden und zu Macht
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gelangen, vor allen Fürsten und Herren der Welt! Der Kurfürst, nach einer
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Pause, in welcher er die Frau gedankenvoll ansah, sagte halblaut, mit
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einem Schritte, den er zu mir tat, daß es ihm jetzo fast leid täte, einen Boten
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abgeschickt zu haben, um die Weissagung zu nichte zu machen; und
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während das Geld aus den Händen der Ritter, die ihm folgten, der Frau
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haufenweise unter vielem Jubel, in den Schoß regnete, fragte er sie, indem
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er selbst in die Tasche griff, und ein Goldstück dazu legte: ob der Gruß, den
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sie mir zu eröffnen hätte, auch von so silbernem Klang wäre, als der
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seinige? Die Frau, nachdem sie einen Kasten, der ihr zur Seite stand,
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aufgemacht, und das Geld, nach Sorte und Menge, weitläufig und
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umständlich darin geordnet, und den Kasten wieder verschlossen hatte,
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schützte ihre Hand vor die Sonne, gleichsam als ob sie ihr lästig wäre, und
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sah mich an; und da ich die Frage an sie wiederholte, und, auf scherzhafte
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Weise, während sie meine Hand prüfte, zum Kurfürsten sagte: mir, scheint
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es, hat sie nichts, das eben angenehm wäre, zu verkündigen: so ergriff sie
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ihre Krücken, hob sich langsam daran vom Schemel empor, und indem sie
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sich, mit geheimnisvoll vorgehaltenen Händen, dicht zu mir heran drängte,
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flüsterte sie mir vernehmlich ins Ohr: nein! – So! sagt ich verwirrt, und trat
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einen Schritt vor der Gestalt zurück, die sich, mit einem Blick, kalt und
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leblos, wie aus marmornen Augen, auf den Schemel, der hinter ihr stand,
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zurücksetzte: von welcher Seite her droht meinem Hause Gefahr? Die Frau,
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indem sie eine Kohle und ein Papier zur Hand nahm und ihre Kniee kreuzte,
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fragte: ob sie es mir aufschreiben solle? und da ich, verlegen in der Tat,
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bloß weil mir, unter den bestehenden Umständen, nichts anders übrig blieb,
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antwortete: ja! das tu! so versetzte sie: ›wohlan! dreierlei schreib ich dir
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auf: den Namen des letzten Regenten deines Hauses, die Jahreszahl, da er
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sein Reich verlieren, und den Namen dessen, der es, durch die Gewalt der
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Waffen, an sich reißen wird.‹ Dies, vor den Augen allen Volks abgemacht,
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erhebt sie sich, verklebt den Zettel mit Lack, den sie in ihrem welken Munde
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befeuchtet, und drückt einen bleiernen, an ihrem Mittelfinger befindlichen
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Siegelring darauf. Und da ich den Zettel, neugierig, wie du leicht begreifst,
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mehr als Worte sagen können, erfassen will, spricht sie: ›mit nichten,
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Hoheit!‹ und wendet sich und hebt ihrer Krücken eine empor: ›von jenem
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Mann dort, der, mit dem Federhut, auf der Bank steht, hinter allem Volk, am
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Kircheneingang, lösest du, wenn es dir beliebt, den Zettel ein!‹ Und damit,
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ehe ich noch recht begriffen, was sie sagt, auf dem Platz, vor Erstaunen
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sprachlos, läßt sie mich stehen; und während sie den Kasten, der hinter ihr
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stand, zusammenschlug, und über den Rücken warf, mischt sie sich, ohne
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daß ich weiter bemerken konnte, was sie tut, unter den Haufen des uns
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umringenden Volks. Nun trat, zu meinem in der Tat herzlichen Trost, in
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eben diesem Augenblick der Ritter auf, den der Kurfürst ins Schloß
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geschickt hatte, und meldete ihm, mit lachendem Munde, daß der Rehbock
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getötet, und durch zwei Jäger, vor seinen Augen, in die Küche geschleppt
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worden sei. Der Kurfürst, indem er seinen Arm munter in den meinigen
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legte, in der Absicht, mich von dem Platz hinwegzuführen, sagte: nun,
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wohlan! so war die Prophezeiung eine alltägliche Gaunerei, und Zeit und
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Gold, die sie uns gekostet nicht wert! Aber wie groß war unser Erstaunen,
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da sich, noch während dieser Worte, ein Geschrei rings auf dem Platze
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erhob, und aller Augen sich einem großen, vom Schloßhof herantrabenden
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Schlächterhund zuwandten, der in der Küche den Rehbock als gute Beute
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beim Nacken erfaßt, und das Tier drei Schritte von uns, verfolgt von
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Knechten und Mägden, auf den Boden fallen ließ: dergestalt, daß in der Tat
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die Prophezeiung des Weibes, zum Unterpfand alles dessen, was sie
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vorgebracht, erfüllt, und der Rehbock uns bis auf den Markt, obschon
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allerdings tot, entgegen gekommen war. Der Blitz, der an einem Wintertag
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vom Himmel fällt, kann nicht vernichtender treffen, als mich dieser Anblick,
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und meine erste Bemühung, sobald ich der Gesellschaft in der ich mich
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befand, überhoben, war gleich, den Mann mit dem Federhut, den mir das
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Weib bezeichnet hatte, auszumitteln; doch keiner meiner Leute,
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unausgesetzt während drei Tage auf Kundschaft geschickt, war im Stande
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mir auch nur auf die entfernteste Weise Nachricht davon zu geben: und
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jetzt, Freund Kunz, vor wenig Wochen, in der Meierei zu Dahme, habe ich
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den Mann mit meinem eigenen Augen gesehn.« – Und damit ließ er die
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Hand des Kämmerers fahren; und während er sich den Schweiß
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abtrocknete, sank er wieder auf das Lager zurück. Der Kämmerer, der es für
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vergebliche Mühe hielt, mit seiner Ansicht von diesem Vorfall die Ansicht,
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die der Kurfürst davon hatte, zu durchkreuzen und zu berichtigen, bat ihn,
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doch irgend ein Mittel zu versuchen, des Zettels habhaft zu werden, und
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den Kerl nachher seinem Schicksal zu überlassen; doch der Kurfürst
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antwortete, daß er platterdings kein Mittel dazu sähe, obschon der
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Gedanke, ihn entbehren zu müssen, oder wohl gar die Wissenschaft davon
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mit diesem Menschen untergehen zu sehen, ihn dem Jammer und der
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Verzweiflung nahe brächte. Auf die Frage des Freundes: ob er denn
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Versuche gemacht, die Person der Zigeunerin selbst auszuforschen?
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erwiderte der Kurfürst, daß das Gubernium, auf einen Befehl, den er unter
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einem falschen Vorwand an dasselbe erlassen, diesem Weibe vergebens,
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bis auf den heutigen Tag, in allen Plätzen des Kurfürstentums nachspüre:
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wobei er, aus Gründen, die er jedoch näher zu entwickeln sich weigerte,
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überhaupt zweifelte, daß sie in Sachsen auszumitteln sei. Nun traf es sich,
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daß der Kämmerer, mehrerer beträchtlichen Güter wegen, die seiner Frau
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aus der Hinterlassenschaft des abgesetzten und bald darauf verstorbenen
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Erzkanzlers, Grafen Kallheim, in der Neumark zugefallen waren, nach Berlin
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reisen wollte; dergestalt, daß, da er den Kurfürsten in der Tat liebte, er ihn
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nach einer kurzen Überlegung fragte: ob er ihm in dieser Sache freie Hand
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lassen wolle? und da dieser, indem er seine Hand herzlich an seine Brust
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drückte, antwortete: »denke, du seist ich, und schaff mir den Zettel!« so
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beschleunigte der Kämmerer, nachdem er seine Geschäfte abgegeben, um
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einige Tage seine Abreise, und fuhr, mit Zurücklassung seiner Frau, bloß
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von einigen Bedienten begleitet, nach Berlin ab.

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