Abschnitt 9
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Dieser Vorfall, so wenig der Roßhändler ihn in der Tat verschuldet hatte,
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erweckte gleichwohl, auch bei den Gemäßigtern und Besseren, eine, dem
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Ausgang seiner Streitsache höchst gefährliche Stimmung im Lande. Man
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fand das Verhältnis desselben zum Staat ganz unerträglich, und in
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Privathäusern und auf öffentlichen Plätzen, erhob sich die Meinung, daß es
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besser sei, ein offenbares Unrecht an ihm zu verüben, und die ganze Sache
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von neuem niederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit, durch Gewalttaten
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ertrotzt, in einer so nichtigen Sache, zur bloßen Befriedigung seines
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rasenden Starrsinns, zukommen zu lassen. Zum völligen Verderben des
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armen Kohlhaas mußte der Großkanzler selbst, aus übergroßer
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Rechtlichkeit, und einem davon herrührenden Haß gegen die Familie von
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Tronka, beitragen, diese Stimmung zu befestigen und zu verbreiten. Es war
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höchst unwahrscheinlich, daß die Pferde, die der Abdecker von Dresden
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jetzt besorgte, jemals wieder in den Stand, wie sie aus dem Stall zu
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Kohlhaasenbrück gekommen waren, hergestellt werden würden; doch
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gesetzt, daß es durch Kunst und anhaltende Pflege möglich gewesen wäre:
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die Schmach, die zufolge der bestehenden Umstände, dadurch auf die
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Familie des Junkers fiel, war so groß, daß bei dem staatsbürgerlichen
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Gewicht, den sie, als eine der ersten und edelsten, im Lande hatte, nichts
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billiger und zweckmäßiger schien, als eine Vergütigung der Pferde in Geld
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einzuleiten. Gleichwohl, auf einen Brief, in welchem der Präsident, Graf
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Kallheim, im Namen des Kämmerers, den seine Krankheit abhielt, dem
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Großkanzler, einige Tage darauf, diesen Vorschlag machte, erließ derselbe
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zwar ein Schreiben an den Kohlhaas, worin er ihn ermahnte, einen solchen
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Antrag, wenn er an ihn ergehen sollte, nicht von der Hand zu weisen; den
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Präsidenten selbst aber bat er, in einer kurzen, wenig verbindlichen
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Antwort, ihn mit Privataufträgen in dieser Sache zu verschonen, und
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forderte den Kämmerer auf, sich an den Roßhändler selbst zu wenden, den
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er ihm als einen sehr billigen und bescheidenen Mann schilderte. Der
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Roßhändler, dessen Wille, durch den Vorfall, der sich auf dem Markt
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zugetragen, in der Tat gebrochen war, wartete auch nur, dem Rat des
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Großkanzlers gemäß, auf eine Eröffnung von Seiten des Junkers, oder
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seiner Angehörigen, um ihnen mit völliger Bereitwilligkeit und Vergebung
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alles Geschehenen, entgegenzukommen; doch eben diese Eröffnung war
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den stolzen Rittern zu tun empfindlich; und schwer erbittert über die
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Antwort, die sie von dem Großkanzler empfangen hatten, zeigten sie
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dieselbe dem Kurfürsten, der, am Morgen des nächstfolgenden Tages, den
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Kämmerer krank, wie er an seinen Wunden daniederlag, in seinem Zimmer
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besucht hatte. Der Kämmerer, mit einer, durch seinen Zustand, schwachen
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und rührenden Stimme, fragte ihn, ob er, nachdem er sein Leben daran
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gesetzt, um diese Sache, seinen Wünschen gemäß, beizulegen, auch noch
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seine Ehre dem Tadel der Welt aussetzen, und mit einer Bitte um Vergleich
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und Nachgiebigkeit, vor einem Manne erscheinen solle, der alle nur
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erdenkliche Schmach und Schande über ihn und seine Familie gebracht
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habe. Der Kurfürst, nachdem er den Brief gelesen hatte, fragte den Grafen
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Kallheim verlegen: ob das Tribunal nicht befugt sei, ohne weitere
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Rücksprache mit dem Kohlhaas, auf den Umstand, daß die Pferde nicht
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wieder herzustellen wären, zu fußen, und dem gemäß das Urteil, gleich, als
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ob sie tot wären, auf bloße Vergütigung derselben in Geld abzufassen? Der
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Graf antwortete: »gnädigster Herr, sie sind tot: sind in staatsrechtlicher
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Bedeutung tot, weil sie keinen Wert haben, und werden es physisch sein,
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bevor man sie, aus der Abdeckerei, in die Ställe der Ritter gebracht hat«;
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worauf der Kurfürst, indem er den Brief einsteckte, sagte, daß er mit dem
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Großkanzler selbst darüber sprechen wolle, den Kämmerer, der sich halb
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aufrichtete und seine Hand dankbar ergriff, beruhigte, und nachdem er ihm
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noch empfohlen hatte, für seine Gesundheit Sorge zu tragen, mit vieler
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Huld sich von seinem Sessel erhob, und das Zimmer verließ.
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So standen die Sachen in Dresden, als sich über den armen Kohlhaas,
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noch ein anderes, bedeutenderes Gewitter, von Lützen her, zusammenzog,
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dessen Strahl die arglistigen Ritter geschickt genug waren, auf das
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unglückliche Haupt desselben herabzuleiten. Johann Nagelschmidt
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nämlich, einer von den durch den Roßhändler zusammengebrachten, und
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nach Erscheinung der kurfürstlichen Amnestie wieder abgedankten
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Knechten, hatte für gut befunden, wenige Wochen nachher, an der
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böhmischen Grenze, einen Teil dieses zu allen Schandtaten aufgelegten
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Gesindels von neuem zusammenzuraffen, und das Gewerbe, auf dessen
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Spur ihn Kohlhaas geführt hatte, auf seine eigne Hand fortzusetzen. Dieser
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nichtsnutzige Kerl nannte sich, teils um den Häschern von denen er
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verfolgt ward, Furcht einzuflößen, teils um das Landvolk, auf die gewohnte
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Weise, zur Teilnahme an seinen Spitzbübereien zu verleiten, einen
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Statthalter des Kohlhaas; sprengte mit einer seinem Herrn abgelernten
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Klugheit aus, daß die Amnestie an mehreren, in ihre Heimat ruhig
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zurückgekehrten Knechten nicht gehalten, ja der Kohlhaas selbst, mit
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himmelschreiender Wortbrüchigkeit, bei seiner Ankunft in Dresden
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eingesteckt, und einer Wache übergeben worden sei; dergestalt, daß in
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Plakaten, die den Kohlhaasischen ganz ähnlich waren, sein
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Mordbrennerhaufen als ein zur bloßen Ehre Gottes aufgestandener
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Kriegshaufen erschien, bestimmt, über die Befolgung der ihnen von dem
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Kurfürsten angelobten Amnestie zu wachen; alles, wie schon gesagt,
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keineswegs zur Ehre Gottes, noch aus Anhänglichkeit an den Kohlhaas,
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dessen Schicksal ihnen völlig gleichgültig war, sondern um unter dem
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Schutz solcher Vorspiegelungen desto ungestrafter und bequemer zu
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sengen und zu plündern. Die Ritter, sobald die ersten Nachrichten davon
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nach Dresden kamen, konnten ihre Freude über diesen, dem ganzen Handel
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eine andere Gestalt gebenden Vorfall nicht unterdrücken. Sie erinnerten mit
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weisen und mißvergnügten Seitenblicken an den Mißgriff, den man
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begangen, indem man dem Kohlhaas, ihren dringenden und wiederholten
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Warnungen zum Trotz, Amnestie erteilt, gleichsam als hätte man die
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Absicht gehabt Bösewichtern aller Art dadurch, zur Nachfolge auf seinem
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Wege, das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem Vorgeben des
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Nagelschmidt, zur bloßen Aufrechthaltung und Sicherheit seines
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unterdrückten Herrn die Waffen ergriffen zu haben, Glauben zu schenken,
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äußerten sie sogar die bestimmte Meinung, daß die ganze Erscheinung
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desselben nichts, als ein von dem Kohlhaas angezetteltes Unternehmen
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sei, um die Regierung in Furcht zu setzen, und den Fall des Rechtsspruchs,
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Punkt vor Punkt, seinem rasenden Eigensinn gemäß, durchzusetzen und zu
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beschleunigen. Ja, der Mundschenk, Herr Hinz, ging so weit, einigen
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Jagdjunkern und Hofherren, die sich nach der Tafel im Vorzimmer des
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Kurfürsten um ihn versammelt hatten, die Auflösung des Räuberhaufens in
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Lützen als eine verwünschte Spiegelfechterei darzustellen; und indem er
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sich über die Gerechtigkeitsliebe des Großkanzlers sehr lustig machte,
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erwies er aus mehreren witzig zusammengestellten Umständen, daß der
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Haufen, nach wie vor, noch in den Wäldern des Kurfürstentums vorhanden
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sei, und nur auf den Wink des Roßhändlers warte, um daraus von neuem
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mit Feuer und Schwert hervorzubrechen. Der Prinz Christiern von Meißen,
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über diese Wendung der Dinge, die seines Herrn Ruhm auf die
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empfindlichste Weise zu beflecken drohete, sehr mißvergnügt, begab sich
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sogleich zu demselben aufs Schloß; und das Interesse der Ritter, den
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Kohlhaas, wenn es möglich wäre, auf den Grund neuer Vergehungen zu
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stürzen, wohl durchschauend, bat er sich von demselben die Erlaubnis aus,
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unverzüglich ein Verhör über den Roßhändler anstellen zu dürfen. Der
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Roßhändler, nicht ohne Befremden, durch einen Häscher in das Gubernium
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abgeführt, erschien, den Heinrich und Leopold, seine beiden kleinen
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Knaben auf dem Arm; denn Sternbald, der Knecht, war Tags zuvor mit
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seinen fünf Kindern aus dem Mecklenburgischen, wo sie sich aufgehalten
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hatten, bei ihm angekommen, und Gedanken mancherlei Art, die zu
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entwickeln zu weitläufig sind, bestimmten ihn, die Jungen, die ihn bei
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seiner Entfernung unter dem Erguß kindischer Tränen darum baten,
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aufzuheben, und in das Verhör mitzunehmen. Der Prinz, nachdem er die
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Kinder, die Kohlhaas neben sich niedergesetzt hatte, wohlgefällig
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betrachtet und auf eine freundliche Weise nach ihrem Alter und Namen
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gefragt hatte, eröffnete ihm, was der Nagelschmidt, sein ehemaliger
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Knecht, sich in den Tälern des Erzgebirges für Freiheiten herausnehme;
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und indem er ihm die sogenannten Mandate desselben überreichte,
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forderte er ihn auf, dagegen vorzubringen, was er zu seiner Rechtfertigung
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vorzubringen wüßte. Der Roßhändler, so schwer er auch in der Tat über
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diese schändlichen und verräterischen Papiere erschrak, hatte gleichwohl,
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einem so rechtschaffenen Manne, als der Prinz war, gegenüber, wenig
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Mühe, die Grundlosigkeit der gegen ihn auf die Bahn gebrachten
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Beschuldigungen, befriedigend auseinander zu legen. Nicht nur, daß
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zufolge seiner Bemerkung er, so wie die Sachen standen, überhaupt noch
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zur Entscheidung seines, im besten Fortgang begriffenen Rechtsstreits,
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keiner Hülfe von Seiten eines Dritten bedürfte: aus einigen Briefschaften,
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die er bei sich trug, und die er dem Prinzen vorzeigte, ging sogar eine
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Unwahrscheinlichkeit ganz eigner Art hervor, daß das Herz des
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Nagelschmidts gestimmt sein sollte, ihm dergleichen Hülfe zu leisten,
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indem er den Kerl, wegen auf dem platten Lande verübter Notzucht und
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anderer Schelmereien, kurz vor Auflösung des Haufens in Lützen hatte
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hängen lassen wollen; dergestalt, daß nur die Erscheinung der
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kurfürstlichen Amnestie, indem sie das ganze Verhältnis aufhob, ihn
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gerettet hatte, und beide Tags darauf, als Todfeinde auseinander gegangen
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waren. Kohlhaas, auf seinen von dem Prinzen angenommenen Vorschlag,
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setzte sich nieder, und erließ ein Sendschreiben an den Nagelschmidt,
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worin er das Vorgeben desselben zur Aufrechthaltung der an ihm und
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seinen Haufen gebrochenen Amnestie aufgestanden zu sein, für eine
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schändliche und ruchlose Erfindung erklärte; ihm sagte, daß er bei seiner
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Ankunft in Dresden weder eingesteckt, noch einer Wache übergeben, auch
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seine Rechtssache ganz so, wie er es wünsche, im Fortgang sei; und ihn
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wegen der, nach Publikation der Amnestie im Erzgebirge ausgeübten
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Mordbrennereien, zur Warnung des um ihn versammelten Gesindels, der
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ganzen Rache der Gesetze preis gab. Dabei wurden einige Fragmente der
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Kriminalverhandlung, die der Roßhändler auf dem Schlosse zu Lützen, in
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Bezug auf die oben erwähnten Schändlichkeiten, über ihn hatte anstellen
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lassen, zur Belehrung des Volks über diesen nichtsnutzigen, schon damals
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dem Galgen bestimmten, und, wie schon erwähnt, nur durch das Patent das
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der Kurfürst erließ, geretteten Kerl, angehängt. Dem gemäß beruhigte der
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Prinz den Kohlhaas über den Verdacht, den man ihm, durch die Umstände
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notgedrungen, in diesem Verhör habe äußern müssen; versicherte ihn, daß
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so lange er in Dresden wäre, die ihm erteilte Amnestie auf keine Weise
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gebrochen werden solle; reichte den Knaben noch einmal, indem er sie mit
162
Obst, das auf seinem Tische stand, beschenkte, die Hand, grüßte den
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Kohlhaas und entließ ihn. Der Großkanzler, der gleichwohl die Gefahr, die
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über den Roßhändler schwebte, erkannte, tat sein Äußerstes, um die Sache
165
desselben, bevor sie durch neue Ereignisse verwickelt und verworren
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würde, zu Ende zu bringen; das aber wünschten und bezweckten die
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staatsklugen Ritter eben, und statt, wie zuvor, mit stillschweigendem
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Eingeständnis der Schuld, ihren Widerstand auf ein bloß gemildertes
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Rechtserkenntnis einzuschränken, fingen sie jetzt an, in Wendungen
170
arglistiger und rabulistischer Art, diese Schuld selbst gänzlich zu leugnen.
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Bald gaben sie vor, daß die Rappen des Kohlhaas, in Folge eines bloß
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eigenmächtigen Verfahrens des Schloßvogts und Verwalters, von welchem
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der Junker nichts oder nur Unvollständiges gewußt, auf der Tronkenburg
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zurückgehalten worden seien; bald versicherten sie, daß die Tiere schon,
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bei ihrer Ankunft daselbst, an einem heftigen und gefährlichen Husten
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krank gewesen wären, und beriefen sich deshalb auf Zeugen, die sie
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herbeizuschaffen sich anheischig machten; und als sie mit diesen
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Argumenten, nach weitläufigen Untersuchungen und
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Auseinandersetzungen, aus dem Felde geschlagen waren, brachten sie gar
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ein kurfürstliches Edikt bei, worin, vor einem Zeitraum von zwölf Jahren,
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einer Viehseuche wegen, die Einführung der Pferde aus dem
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Brandenburgischen ins Sächsische, in der Tat verboten worden war: zum
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sonnenklaren Beleg nicht nur der Befugnis, sondern sogar der
184
Verpflichtung des Junkers, die von dem Kohlhaas über die Grenze
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gebrachten Pferde anzuhalten. – Kohlhaas, der inzwischen von dem
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wackern Amtmann zu Kohlhaasenbrück seine Meierei, gegen eine geringe
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Vergütigung des dabei gehabten Schadens, käuflich wieder erlangt hatte,
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wünschte, wie es scheint wegen gerichtlicher Abmachung dieses
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Geschäfts, Dresden auf einige Tage zu verlassen, und in diese seine Heimat
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zu reisen; ein Entschluß, an welchem gleichwohl, wie wir nicht zweifeln,
191
weniger das besagte Geschäft, so dringend es auch in der Tat, wegen
192
Bestellung der Wintersaat, sein mochte, als die Absicht unter so
193
sonderbaren und bedenklichen Umständen seine Lage zu prüfen, Anteil
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hatte: zu welchem vielleicht auch noch Gründe anderer Art mitwirkten, die
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wir jedem, der in seiner Brust Bescheid weiß, zu erraten überlassen wollen.
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Demnach verfügte er sich, mit Zurücklassung der Wache, die ihm
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zugeordnet war, zum Großkanzler, und eröffnete ihm, die Briefe des
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Amtmanns in der Hand: daß er willens sei, falls man seiner, wie es den
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Anschein habe, bei dem Gericht nicht notwendig bedürfe, die Stadt zu
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verlassen, und auf einen Zeitraum von acht oder zwölf Tagen, binnen
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welcher Zeit er wieder zurück zu sein versprach, nach dem
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Brandenburgischen zu reisen. Der Großkanzler, indem er mit einem
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mißvergnügten und bedenklichen Gesichte zur Erde sah, versetzte: er
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müsse gestehen, daß seine Anwesenheit grade jetzt notwendiger sei als
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jemals, indem das Gericht wegen arglistiger und winkelziehender
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Einwendungen der Gegenpart, seiner Aussagen und Erörterungen, in
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tausenderlei nicht vorherzusehenden Fällen, bedürfe; doch da Kohlhaas
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ihn auf seinen, von dem Rechtsfall wohl unterrichteten Advokaten verwies,
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und mit bescheidener Zudringlichkeit, indem er sich auf acht Tage
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einzuschränken versprach, auf seine Bitte beharrte, so sagte der
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Großkanzler nach einer Pause kurz, indem er ihn entließ: »er hoffe, daß er
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sich deshalb Pässe, bei dem Prinzen Christiern von Meißen, ausbitten
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würde.« – – Kohlhaas, der sich auf das Gesicht des Großkanzlers gar wohl
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verstand, setzte sich, in seinem Entschluß nur bestärkt, auf der Stelle
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nieder, und bat, ohne irgend einen Grund anzugeben, den Prinzen von
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Meißen, als Chef des Guberniums, um Pässe auf acht Tage nach
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Kohlhaasenbrück, und zurück. Auf dieses Schreiben erhielt er eine, von
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dem Schloßhauptmann, Freiherrn Siegfried von Wenk, unterzeichnete
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Gubernial-Resolution, des Inhalts: »sein Gesuch um Pässe nach
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Kohlhaasenbrück werde des Kurfürsten Durchlaucht vorgelegt werden, auf
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dessen höchster Bewilligung, sobald sie eingingen ihm die Pässe
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zugeschickt werden würden.« Auf die Erkundigung Kohlhaasens bei
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seinem Advokaten, wie es zuginge, daß die Gubernial-Resolution von
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einem Freiherrn Siegfried von Wenk, und nicht von dem Prinzen Christiern
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von Meißen, an den er sich gewendet, unterschrieben sei, erhielt er zur
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Antwort: daß der Prinz vor drei Tagen auf seine Güter gereist, und die
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Gubernialgeschäfte während seiner Abwesenheit dem Schloßhauptmann
228
Freiherrn Siegfried von Wenk, einem Vetter des oben erwähnten Herren
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gleiches Namens, übergeben worden wären. – Kohlhaas, dem das Herz
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unter allen diesen Umständen unruhig zu klopfen anfing, harrte durch
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mehrere Tage auf die Entscheidung seiner, der Person des Landesherrn mit
232
befremdender Weitläufigkeit vorgelegten Bitte; doch es verging eine
233
Woche, und es verging mehr, ohne daß weder diese Entscheidung einlief,
234
noch auch das Rechtserkenntnis, so bestimmt man es ihm auch verkündigt
235
hatte, bei dem Tribunal gefällt ward: dergestalt, daß er am zwölften Tage,
236
fest entschlossen, die Gesinnung der Regierung gegen ihn, sie möge sein,
237
welche man wolle, zur Sprache zu bringen, sich niedersetzte, und das
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Gubernium von neuem in einer dringenden Vorstellung um die erforderten
239
Pässe bat. Aber wie betreten war er, als er am Abend des folgenden,
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gleichfalls ohne die erwartete Antwort verstrichenen Tages, mit einem
241
Schritt, den er gedankenvoll, in Erwägung seiner Lage, und besonders der
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ihm von dem Doktor Luther ausgewirkten Amnestie, an das Fenster seines
243
Hinterstübchens tat, in dem kleinen, auf dem Hofe befindlichen
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Nebengebäude, das er ihr zum Aufenthalte angewiesen hatte, die Wache
245
nicht erblickte, die ihm bei seiner Ankunft der Prinz von Meißen eingesetzt
246
hatte. Thomas, der alte Hausmann, den er herbeirief und fragte: was dies zu
247
bedeuten habe? antwortete ihm seufzend: Herr! es ist nicht alles wie es
248
sein soll; die Landsknechte, deren heute mehr sind wie gewöhnlich, haben
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sich bei Einbruch der Nacht um das ganze Haus verteilt; zwei stehen, mit
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Schild und Spieß, an der vordern Tür auf der Straße; zwei an der hintern im
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Garten: und noch zwei andere liegen im Vorsaal auf ein Bund Stroh, und
252
sagen, daß sie daselbst schlafen würden. Kohlhaas, der seine Farbe verlor,
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wandte sich und versetzte: »es wäre gleichviel, wenn sie nur da wären; und
254
er möchte den Landsknechten, sobald er auf den Flur käme, Licht
255
hinsetzen, damit sie sehen könnten.« Nachdem er noch, unter dem
256
Vorwande, ein Geschirr auszugießen, den vordern Fensterladen eröffnet,
257
und sich von der Wahrheit des Umstands, den ihm der Alte entdeckt,
258
überzeugt hatte: denn eben ward sogar in geräuschloser Ablösung die
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Wache erneuert, an welche Maßregel bisher, so lange die Einrichtung
260
bestand, noch niemand gedacht hatte: so legte er sich, wenig schlaflustig
261
allerdings, zu Bette, und sein Entschluß war für den kommenden Tag
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sogleich gefaßt. Denn nichts mißgönnte er der Regierung, mit der er zu tun
263
hatte, mehr, als den Schein der Gerechtigkeit, während sie in der Tat die
264
Amnestie, die sie ihm angelobt hatte, an ihm brach; und falls er wirklich ein
265
Gefangener sein sollte, wie es keinem Zweifel mehr unterworfen war, wollte
266
er derselben auch die bestimmte und unumwundene Erklärung, daß es so
267
sei, abnötigen. Demnach ließ er, sobald der Morgen des nächsten Tages
268
anbrach, durch Sternbald, seinen Knecht, den Wagen anspannen und
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vorführen, um wie er vorgab, zu dem Verwalter nach Lockewitz zu fahren,
270
der ihn, als ein alter Bekannter, einige Tage zuvor in Dresden gesprochen
271
und eingeladen hatte, ihn einmal mit seinen Kindern zu besuchen. Die
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Landsknechte, welche mit zusammengesteckten Köpfen, die dadurch
273
veranlaßten Bewegungen im Hause wahrnahmen, schickten einen aus ihrer
274
Mitte heimlich in die Stadt, worauf binnen wenigen Minuten ein
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Gubernial-Offiziant an der Spitze mehrerer Häscher erschien, und sich, als
276
ob er daselbst ein Geschäft hätte, in das gegenüberliegende Haus begab.
277
Kohlhaas der mit der Ankleidung seiner Knaben beschäftigt, diese
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Bewegungen gleichfalls bemerkte, und den Wagen absichtlich länger, als
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eben nötig gewesen wäre, vor dem Hause halten ließ, trat, sobald er die
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Anstalten der Polizei vollendet sah, mit seinen Kindern, ohne darauf
281
Rücksicht zu nehmen, vor das Haus hinaus; und während er dem Troß der
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Landsknechte, die unter der Tür standen, im Vorübergehen sagte, daß sie
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nicht nötig hätten, ihm zu folgen, hob er die Jungen in den Wagen und
284
küßte und tröstete die kleinen weinenden Mädchen, die, seiner Anordnung
285
gemäß, bei der Tochter des alten Hausmanns zurückbleiben sollten. Kaum
286
hatte er selbst den Wagen bestiegen, als der Gubernial-Offiziant mit seinem
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Gefolge von Häschern, aus dem gegenüberliegenden Hause, zu ihm
288
herantrat, und ihn fragte: wohin er wolle? Auf die Antwort Kohlhaasens:
289
»daß er zu seinem Freund, dem Amtmann nach Lockewitz fahren wolle, der
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ihn vor einigen Tagen mit seinen beiden Knaben zu sich aufs Land
291
geladen«, antwortete der Gubernial-Offiziant: daß er in diesem Fall einige
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Augenblicke warten müsse, indem einige berittene Landsknechte, dem
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Befehl des Prinzen von Meißen gemäß, ihn begleiten würden. Kohlhaas
294
fragte lächelnd von dem Wagen herab: »ob er glaube, daß seine Person in
295
dem Hause eines Freundes, der sich erboten, ihn auf einen Tag an seiner
296
Tafel zu bewirten, nicht sicher sei?« Der Offiziant erwiderte auf eine heitere
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und angenehme Art: daß die Gefahr allerdings nicht groß sei; wobei er
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hinzusetzte: daß ihm die Knechte auch auf keine Weise zur Last fallen
299
sollten. Kohlhaas versetzte ernsthaft: »daß ihm der Prinz von Meißen, bei
300
seiner Ankunft in Dresden, freigestellt, ob er sich der Wache bedienen
301
wolle oder nicht«; und da der Offiziant sich über diesen Umstand wunderte,
302
und sich mit vorsichtigen Wendungen auf den Gebrauch, während der
303
ganzen Zeit seiner Anwesenheit, berief: so erzählte der Roßhändler ihm den
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Vorfall, der die Einsetzung der Wache in seinem Hause veranlaßt hatte. Der
305
Offiziant versicherte ihn, daß die Befehle des Schloßhauptmanns, Freiherrn
306
von Wenk, der in diesem Augenblick Chef der Polizei sei, ihm die
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unausgesetzte Beschützung seiner Person zur Pflicht mache; und bat ihn,
308
falls er sich die Begleitung nicht gefallen lassen wolle, selbst auf das
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Gubernium zu gehen, um den Irrtum, der dabei obwalten müsse, zu
310
berichtigen. Kohlhaas, mit einem sprechenden Blick, den er auf den
311
Offizianten warf, sagte, entschlossen die Sache zu beugen oder zu
312
brechen: »daß er dies tun wolle«; stieg mit klopfendem Herzen von dem
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Wagen, ließ die Kinder durch den Hausmann in den Flur tragen, und
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verfügte sich, während der Knecht mit dem Fuhrwerk vor dem Hause halten
315
blieb, mit dem Offizianten und seiner Wache in das Gubernium. Es traf sich,
316
daß der Schloßhauptmann, Freiherr Wenk eben mit der Besichtigung einer
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Bande, am Abend zuvor eingebrachter Nagelschmidtscher Knechte, die
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man in der Gegend von Leipzig aufgefangen hatte, beschäftigt war, und die
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Kerle über manche Dinge, die man gern von ihnen gehört hätte, von den
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Rittern, die bei ihm waren, befragt wurden, als der Roßhändler mit seiner
321
Begleitung zu ihm in den Saal trat. Der Freiherr, sobald er den Roßhändler
322
erblickte, ging, während die Ritter plötzlich still wurden, und mit dem
323
Verhör der Knechte einhielten, auf ihn zu, und fragte ihn: was er wolle? und
324
da der Roßkamm ihm auf ehrerbietige Weise sein Vorhaben, bei dem
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Verwalter in Lockewitz zu Mittag zu speisen, und den Wunsch, die
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Landsknechte deren er dabei nicht bedürfe zurücklassen zu dürfen,
327
vorgetragen hatte, antwortete der Freiherr, die Farbe im Gesicht wechselnd,
328
indem er eine andere Rede zu verschlucken schien: »er würde wohl tun,
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wenn er sich still in seinem Hause hielte, und den Schmaus bei dem
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Lockewitzer Amtmann vor der Hand noch aussetzte.« – Dabei wandte er
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sich, das ganze Gespräch zerschneidend, dem Offizianten zu, und sagte
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ihm: »daß es mit dem Befehl, den er ihm, in Bezug auf den Mann gegeben,
333
sein Bewenden hätte, und daß derselbe anders nicht, als in Begleitung
334
sechs berittener Landsknechte die Stadt verlassen dürfe.« – Kohlhaas
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fragte: ob er ein Gefangener wäre, und ob er glauben solle, daß die ihm
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feierlich, vor den Augen der ganzen Welt angelobte Amnestie gebrochen
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sei? worauf der Freiherr sich plötzlich glutrot im Gesichte zu ihm wandte,
338
und, indem er dicht vor ihn trat, und ihm in das Auge sah, antwortete: ja! ja!
339
ja! – ihm den Rücken zukehrte, ihn stehen ließ, und wieder zu den
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Nagelschmidtschen Knechten ging. Hierauf verließ Kohlhaas den Saal, und
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ob er schon einsah, daß er sich das einzige Rettungsmittel, das ihm übrig
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blieb, die Flucht, durch die Schritte die er getan, sehr erschwert hatte, so
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lobte er sein Verfahren gleichwohl, weil er sich nunmehr auch seinerseits
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von der Verbindlichkeit den Artikeln der Amnestie nachzukommen, befreit
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sah. Er ließ, da er zu Hause kam, die Pferde ausspannen, und begab sich, in
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Begleitung des Gubernial-Offizianten, sehr traurig und erschüttert in sein
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Zimmer; und während dieser Mann auf eine dem Roßhändler Ekel
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erregende Weise, versicherte, daß alles nur auf einem Mißverständnis
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beruhen müsse, das sich in Kurzem lösen würde, verriegelten die Häscher,
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auf seinen Wink, alle Ausgänge der Wohnung die auf den Hof führten;
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wobei der Offiziant ihm versicherte, daß ihm der vordere Haupteingang
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nach wie vor, zu seinem beliebigen Gebrauch offen stehe.