Lerninhalte in Deutsch
Abi-Aufgaben LF
Lektürehilfen
Lektüren
Basiswissen
Inhaltsverzeichnis

17. Kapitel

2
Es schlug zwei Uhr, als man zurück war. Crampas verabschiedete sich
3
und ritt in die Stadt hinein, bis er vor seiner am Marktplatz gelegenen
4
Wohnung hielt. Effi ihrerseits kleidete sich um und versuchte zu schlafen;
5
es wollte aber nicht glücken, denn ihre Verstimmung war noch größer als
6
ihre Müdigkeit. Daß Innstetten sich seinen Spuk parat hielt, um ein nicht
7
ganz gewöhnliches Haus zu bewohnen, das mochte hingehen, das stimmte
8
zu seinem Hange, sich von der großen Menge zu unterscheiden; aber das
9
andere, daß er den Spuk als Erziehungsmittel brauchte, das war doch arg
10
und beinahe beleidigend. Und »Erziehungsmittel«, darüber war sie sich
11
klar, sagte nur die kleinere Hälfte; was Crampas gemeint hatte, war viel, viel
12
mehr, war eine Art Angstapparat aus Kalkül. Es fehlte jede Herzensgüte
13
darin und grenzte schon fast an Grausamkeit. Das Blut stieg ihr zu Kopf,
14
und sie ballte ihre kleine Hand und wollte Pläne schmieden; aber mit einem
15
Male mußte sie wieder lachen. »Ich Kindskopf! Wer bürgt mir denn dafür,
16
daß Crampas recht hat! Crampas ist unterhaltlich, weil er medisant ist, aber
17
er ist unzuverlässig und ein bloßer Haselant, der schließlich Innstetten
18
nicht das Wasser reicht.«
19
In diesem Augenblick fuhr Innstetten vor, der heute früher zurückkam als
20
gewöhnlich. Effi sprang auf, um ihn schon im Flur zu begrüßen, und war
21
um so zärtlicher, je mehr sie das Gefühl hatte, etwas gutmachen zu
22
müssen. Aber ganz konnte sie das, was Crampas gesagt hatte, doch nicht
23
verwinden, und inmitten ihrer Zärtlichkeiten und während sie mit
24
anscheinendem Interesse zuhörte, klang es in ihr immer wieder: »Also
25
Spuk aus Berechnung, Spuk, um dich in Ordnung zu halten.«
26
Zuletzt indessen vergaß sie's und ließ sich unbefangen von ihm erzählen.
27
Inzwischen war Mitte November herangekommen, und der bis zum Sturm
28
sich steigernde Nordwester stand anderthalb Tage lang so hart auf die
29
Molen, daß die mehr und mehr zurückgestaute Kessine das Bollwerk
30
überstieg und in die Straßen trat. Aber nachdem sich's ausgetobt, legte
31
sich das Unwetter, und es kamen noch ein paar sonnige Spätherbsttage.
32
»Wer weiß, wie lange sie dauern«, sagte Effi zu Crampas, und so
33
beschloß man, am nächsten Vormittag noch einmal auszureiten; auch
34
Innstetten, der einen freien Tag hatte, wollte mit. Es sollte zunächst wieder
35
bis an die Mole gehen; da wollte man dann absteigen, ein wenig am Strand
36
promenieren und schließlich im Schutz der Dünen, wo's windstill war, ein
37
Frühstück nehmen.
38
Um die festgesetzte Stunde ritt Crampas vor dem landrätlichen Hause
39
vor; Kruse hielt schon das Pferd der gnädigen Frau, die sich rasch in den
40
Sattel hob und noch im Aufsteigen Innstetten entschuldigte, der nun doch
41
verhindert sei: Letzte Nacht wieder großes Feuer in Morgenitz – das dritte
42
seit drei Wochen, also angelegt –, da habe er hingemußt, sehr zu seinem
43
Leidwesen, denn er habe sich auf diesen Ausritt, der wohl der letzte in
44
diesem Herbst sein werde, wirklich gefreut.
45
Crampas sprach sein Bedauern aus, vielleicht nur, um was zu sagen,
46
vielleicht aber auch aufrichtig, denn so rücksichtslos er im Punkte
47
chevaleresker Liebesabenteuer war, so sehr war er auch wieder guter
48
Kamerad. Natürlich alles ganz oberflächlich. Einem Freunde helfen und fünf
49
Minuten später ihn betrügen, das waren Dinge, die sich mit seinem
50
Ehrbegriff sehr wohl vertrugen. Er tat das eine und das andere mit
51
unglaublicher Bonhomie.
52
Der Ritt ging wie gewöhnlich durch die Plantage hin. Rollo war wieder
53
vorauf, dann kamen Crampas und Effi, dann Kruse.
54
Knut fehlte.
55
»Wo haben Sie Knut gelassen?«
56
Er hat einen Ziegenpeter.«
57
»Merkwürdig«, lachte Effi. »Eigentlich sah er schon immer so aus.«
58
»Sehr richtig. Aber Sie sollten ihn jetzt sehen! Oder doch lieber nicht.
59
Ziegenpeter ist ansteckend, schon bloß durch Anblick.«
60
»Glaub ich nicht.«
61
»Junge Frauen glauben vieles nicht.«
62
»Und dann glauben sie wieder vieles, was sie besser nicht glaubten. «
63
»An meine Adresse?«
64
Nein.«
65
»Schade.«
66
»Wie dies 'schade' Sie kleidet. Ich glaube wirklich, Major, Sie hielten es für
67
ganz in Ordnung, wenn ich Ihnen eine Liebeserklärung machte. «
68
»So weit will ich nicht gehen. Aber ich möchte den sehen, der sich
69
dergleichen nicht wünschte. Gedanken und Wünsche sind zollfrei.«
70
»Das fragt sich. Und dann ist doch immer noch ein Unterschied zwischen
71
Gedanken und Wünschen. Gedanken sind in der Regel etwas, das noch im
72
Hintergrund liegt, Wünsche aber liegen meist schon auf der Lippe.«
73
»Nur nicht gerade diesen Vergleich.«
74
»Ach, Crampas, Sie sind ... Sie sind ...«
75
»Ein Narr.«
76
»Nein. Auch darin übertreiben Sie wieder. Aber Sie sind etwas anderes. In
77
Hohen-Cremmen sagten wir immer, und ich mit, das Eitelste, was es gäbe,
78
das sei ein Husarenfähnrich von achtzehn ...«
79
»Und jetzt?«
80
»Und jetzt sag ich, das Eitelste, was es gibt, ist ein Landwehrbezirksmajor
81
von zweiundvierzig.«
82
»... wobei die zwei Jahre, die Sie mir gnädigst erlassen, alles
83
wiedergutmachen – küss' die Hand.«
84
»Ja, küss' die Hand. Das ist so recht das Wort, das für Sie paßt. Das ist
85
wienerisch. Und die Wiener, die hab ich kennengelernt in Karlsbad, vor vier
86
Jahren, wo sie mir vierzehnjährigem Dinge den Hof machten. Was ich da
87
alles gehört habe!«
88
»Gewiß nicht mehr, als recht war.«
89
»Wenn das zuträfe, wäre das, was mir schmeicheln soll, ziemlich
90
ungezogen ... Aber sehen Sie da die Bojen, wie die schwimmen und tanzen.
91
Die kleinen roten Fahnen sind eingezogen. Immer wenn ich diesen Sommer
92
die paar Mal, wo ich mich bis an den Strand hinauswagte, die roten Fahnen
93
sah, sagte ich mir: Da liegt Vineta, da muß es liegen, das sind die
94
Turmspitzen ...«
95
»Das macht, weil Sie das Heinesche Gedicht kennen.«
96
Welches?«
97
»Nun, das von Vineta.«
98
»Nein, das kenne ich nicht; ich kenne überhaupt nur wenig. Leider.«
99
»Und haben doch Gieshübler und den Journalzirkel! Übrigens hat Heine
100
dem Gedicht einen anderen Namen gegeben, ich glaube 'Seegespenst' oder
101
so ähnlich. Aber Vineta hat er gemeint. Und er selber – verzeihen Sie, wenn
102
ich Ihnen so ohne weiteres den Inhalt hier wiedergebe –, der Dichter also,
103
während er die Stelle passiert, liegt auf einem Schiffsdeck und sieht
104
hinunter und sieht da schmale, mittelalterliche Straßen und trippelnde
105
Frauen in Kapotthüten, und alle haben ein Gesangbuch in Händen und
106
wollen zur Kirche, und alle Glocken läuten. Und als er das hört, da faßt ihn
107
eine Sehnsucht, auch mit in die Kirche zu gehen, wenn auch bloß um der
108
Kapotthüte willen, und vor Verlangen schreit er auf und will sich
109
hinunterstürzen. Aber im selben Augenblick packt ihn der Kapitän am Bein
110
und ruft ihm zu: 'Doktor, sind Sie des Teufels?«
111
»Das ist ja allerliebst. Das möcht ich lesen. Ist es lang?«
112
»Nein, es ist eigentlich kurz, etwas länger als 'Du hast Diamanten und
113
Perlen' oder 'Deine weichen Lilienfinger' ...«,
114
und er berührte leise ihre Hand. »Aber lang oder kurz, welche
115
Schilderungskraft, welche Anschaulichkeit! Er ist mein Lieblingsdichter,
116
und ich kann ihn auswendig, sowenig ich mir sonst, trotz gelegentlich
117
eigener Versündigungen, aus der Dichterei mache. Bei Heine liegt es aber
118
anders: Alles ist Leben, und vor allem versteht er sich auf die Liebe, die
119
doch die Hauptsache bleibt. Er ist übrigens nicht einseitig darin ...«
120
»Wie meinen Sie das?«
121
»Ich meine, er ist nicht bloß für die Liebe ...«
122
»Nun, wenn er diese Einseitigkeit auch hätte, das wäre am Ende noch
123
nicht das schlimmste. Wofür ist er denn sonst noch?«
124
»Er ist auch sehr für das Romantische, was freilich gleich nach der Liebe
125
kommt und nach Meinung einiger sogar damit zusammenfällt. Was ich aber
126
nicht glaube. Denn in seinen späteren Gedichten, die man denn auch die
127
romantischen' genannt hat, oder eigentlich hat er es selber getan, in
128
diesen romantischen Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings
129
vielfach aus Liebe. Aber doch meist aus anderen gröberen Motiven, wohin
130
ich in erster Reihe die Politik. die fast immer gröblich ist, rechne. Karl
131
Stuart zum Beispiel trägt in einer dieser Romanzen seinen Kopf unterm
132
Arm, und noch fataler ist die Geschichte vom Vitzliputzli ...«
133
»Von wem?«
134
»Vom Vitzliputzli. Vitzliputzli ist nämlich ein mexikanischer Gott, und als
135
die Mexikaner zwanzig oder dreißig Spanier gefangengenommen hatten,
136
mußten diese zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli geopfert werden. Das
137
war da nicht anders, Landessitte, Kultus, und ging auch alles im
138
Handumdrehen, Bauch auf, Herz raus ...«
139
»Nein, Crampas, so dürfen Sie nicht weitersprechen. Das ist indezent und
140
degoutant zugleich. Und das alles so ziemlich in demselben Augenblick, wo
141
wir frühstücken wollen.«
142
»Ich für meine Person sehe mich dadurch unbeeinflußt und stelle meinen
143
Appetit überhaupt nur in Abhängigkeit vom Menü.«
144
Während dieser Worte waren sie, ganz wie's das Programm wollte, vom
145
Strand her bis an eine schon halb im Schutz der Dünen aufgeschlagene
146
Bank, mit einem äußerst primitiven Tisch davor, gekommen, zwei Pfosten
147
mit einem Brett darüber. Kruse, der voraufgeritten, hatte hier bereits
148
serviert; Teebrötchen und Aufschnitt von kaltem Braten, dazu Rotwein und
149
neben der Flasche zwei hübsche, zierliche Trinkgläser, klein und mit
150
Goldrand, wie man sie in Badeorten kauft oder von Glashütten als
151
Erinnerung mitbringt.
152
Und nun stieg man ab. Kruse, der die Zügel seines eigenen Pferdes um
153
eine Krüppelkiefer geschlungen hatte, ging mit den beiden anderen Pferden
154
auf und ab, während sich Crampas und Effi, die durch eine schmale
155
Dünenöffnung einen freien Blick auf Strand und Mole hatten, vor dem
156
gedeckten Tisch niederließen.
157
Über das von den Sturmtagen her noch bewegte Meer goß die schon halb
158
winterliche Novembersonne ihr fahles Licht aus, und die Brandung ging
159
hoch. Dann und wann kam ein Windzug und trieb den Schaum bis dicht an
160
sie heran. Strandhafer stand umher, und das helle Gelb der Immortellen
161
hob sich, trotz der Farbenverwandtschaft, von dem gelben Sand, darauf sie
162
wuchsen, scharf ab. Effi machte die Wirtin. »Es tut mir leid, Major, Ihnen
163
diese Brötchen in einem Korbdeckel präsentieren zu müssen ...«
164
»Ein Korbdeckel ist kein Korb ...«
165
» ... indessen Kruse hat es so gewollt. Da bist du ja auch, Rollo. Auf dich
166
ist unser Vorrat aber nicht eingerichtet. Was machen wir mit Rollo?«
167
»Ich denke, wir geben ihm alles; ich meinerseits schon aus Dankbarkeit.
168
Denn sehen Sie, teuerste Effi ...«
169
Effi sah ihn an.
170
Denn sehen Sie, gnädigste Frau, Rollo erinnert mich wieder an das, was
171
ich Ihnen noch als Fortsetzung oder Seitenstück zum Vitzliputzli erzählen
172
wollte – nur viel pikanter, weil Liebesgeschichte. Haben Sie mal von einem
173
gewissen Pedro dem Grausamen gehört?«
174
»So dunkel.«
175
»Eine Art Blaubartskönig.«
176
»Das ist gut. Von so einem hört man immer am liebsten, und ich weiß
177
noch, daß wir von meiner Freundin Hulda Niemeyer, deren Namen Sie ja
178
kennen, immer behaupteten, sie wisse nichts von Geschichte, mit
179
Ausnahme der sechs Frauen von Heinrich dem Achten, diesem englischen
180
Blaubart, wenn das Wort für ihn reicht. Und wirklich, diese sechs kannte sie
181
auswendig. Und dabei hätten Sie hören sollen, wie sie die Namen
182
aussprach, namentlich den von der Mutter der Elisabeth – so schrecklich
183
verlegen, als wäre sie nun an der Reihe ... Aber nun bitte, die Geschichte
184
von Don Pedro ...«
185
»Nun also, an Don Pedros Hofe war ein schöner, schwarzer spanischer
186
Ritter, der das Kreuz von Kalatrava – was ungefähr soviel bedeutet wie
187
Schwarzer Adler und Pour-le-mérite zusammengenommen – auf seiner
188
Brust trug. Dies Kreuz gehörte mit dazu, das mußten sie immer tragen, und
189
dieser Kalatravaritter, den die Königin natürlich heimlich liebte ...«
190
»Warum natürlich?«
191
»Weil wir in Spanien sind.«
192
Ach so.«
193
»Und dieser Kalatravaritter, sag ich, hatte einen wunderschönen Hund,
194
einen Neufundländer, wiewohl es die noch gar nicht gab, denn es war grade
195
hundert Jahre vor der Entdeckung von Amerika. Einen wunderschönen
196
Hund also, sagen wir wie Rollo ...«
197
Rollo schlug an, als er seinen Namen hörte, und wedelte mit dem Schweif.
198
»Das ging so machen Tag. Aber das mit der heimlichen Liebe, die wohl
199
nicht ganz heimlich blieb, das wurde dem König doch zuviel, und weil er
200
den schönen Kalatravaritter überhaupt nicht recht leiden mochte – denn er
201
war nicht bloß grausam, er war auch ein Neidhammel, oder wenn das Wort
202
für einen König und noch mehr für meine liebenswürdige Zuhörerin, Frau
203
Effi, nicht recht passen sollte, wenigstens ein Neidling –, so beschloß er,
204
den Kalatravaritter für die heimliche Liebe heimlich hinrichten zu lassen.«
205
»Kann ich ihm nicht verdenken.«
206
»Ich weiß doch nicht, meine Gnädigste. Hören Sie nur weiter. Etwas geht
207
schon, aber es war zuviel; der König, find ich, ging um ein Erkleckliches zu
208
weit. Er heuchelte nämlich, daß er dem Ritter wegen seiner Kriegs- und
209
Heldentaten ein Fest veranstalten wolle, und da gab es denn eine lange,
210
lange Tafel, und alle Granden des Reichs saßen an dieser Tafel, und in der
211
Mitte saß der König, und ihm gegenüber war der Platz für den, dem dies
212
alles galt, also für den Kalatravaritter, für den an diesem Tage zu Feiernden.
213
Und weil der, trotzdem man schon eine ganze Weile seiner gewartet hatte,
214
noch immer nicht kommen wollte, so mußte schließlich die Festlichkeit
215
ohne ihn begonnen werden, und es blieb ein leerer Platz – ein leerer Platz
216
gerade gegenüber dem König.«
217
Und nun?«
218
»Und nun denken Sie, meine gnädigste Frau, wie der König, dieser Pedro,
219
sich eben erheben will, um gleisnerisch sein Bedauern auszusprechen, daß
220
sein 'lieber Gast' noch immer fehle, da hört man auf der Treppe draußen
221
einen Aufschrei der entsetzten Dienerschaften, und ehe noch irgendwer
222
weiß, was geschehen ist, jagt etwas an der langen Festtafel entlang, und
223
nun springt es auf den Stuhl und setzt ein abgeschlagenes Haupt auf den
224
leergebliebenen Platz, und über ebendieses Haupt hinweg starrt Rollo auf
225
sein Gegenüber, den König. Rollo hatte seinen Herrn auf seinem letzten
226
Gang begleitet, und im selben Augenblick, wo das Beil fiel, hatte das treue
227
Tier das fallende Haupt gepackt, und da war er nun, unser Freund Rollo, an
228
der langen Festtafel und verklagte den königlichen Mörder.«
229
Effi war ganz still geworden. Endlich sagte sie: »Crampas, das ist in
230
seiner Art sehr schön, und weil es sehr schön ist, will ich es Ihnen
231
verzeihen. Aber Sie könnten doch Besseres und zugleich mir Lieberes tun,
232
wenn Sie mir andere Geschichten erzählten. Auch von Heine. Heine wird
233
doch nicht bloß von Vitzliputzli und Don Pedro und Ihrem Rollo – denn
234
meiner hätte so was nicht getan – gedichtet haben. Komm, Rollo! Armes
235
Tier, ich kann dich gar nicht mehr ansehen, ohne an den Kalatravaritter zu
236
denken, den die Königin heimlich liebte ... Rufen Sie, bitte, Kruse, daß er
237
die Sachen hier wieder in die Halfter steckt, und wenn wir zurückreiten,
238
müssen Sie mir was anderes erzählen, ganz was anderes. «
239
Kruse kam. Als er aber die Gläser nehmen wollte, sagte Crampas: »Kruse,
240
das eine Glas, das da, das lassen Sie stehen. Das werde ich selber
241
nehmen.«
242
»Zu Befehl, Herr Major.«
243
Effi, die dies mit angehört hatte, schüttelte den Kopf. Dann lachte sie.
244
»Crampas, was fällt Ihnen nur eigentlich ein? Kruse ist dumm genug, über
245
die Sache nicht weiter nachzudenken, und wenn er darüber nachdenkt, so
246
findet er glücklicherweise nichts. Aber das berechtigt Sie doch nicht, dies
247
Glas, dies Dreißigpfennigglas aus der Josefinenhütte ...«
248
»Daß Sie so spöttisch den Preis nennen, läßt mich seinen Wert um so
249
tiefer empfinden.«
250
»Immer derselbe. Sie haben so viel von einem Humoristen, aber doch von
251
ganz sonderbarer Art. Wenn ich Sie recht verstehe, so haben Sie vor – es
252
ist zum Lachen, und ich geniere mich fast, es auszusprechen –, so haben
253
Sie vor, sich vor der Zeit auf den König von Thule hin auszuspielen.«
254
Er nickte mit einem Anflug von Schelmerei.
255
»Nun denn, meinetwegen. Jeder trägt seine Kappe; Sie wissen, welche.
256
Nur das muß ich Ihnen doch sagen dürfen, die Rolle, die Sie mir dabei
257
zudiktieren, ist mir zu wenig schmeichelhaft. Ich mag nicht als Reimwort
258
auf Ihren König von Thule herumlaufen. Behalten Sie das Glas, aber bitte,
259
ziehen Sie nicht Schlüsse daraus, die mich kompromittieren. Ich werde
260
Innstetten davon erzählen.«
261
»Das werden Sie nicht tun, meine gnädigste Frau.«
262
Warum nicht?«
263
»Innstetten ist nicht der Mann, solche Dinge so zu sehen, wie sie gesehen
264
sein wollen.«
265
Sie sah ihn einen Augenblick scharf an. Dann aber schlug sie verwirrt und
266
fast verlegen die Augen nieder.

Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!

monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?