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Basiswissen
Inhaltsverzeichnis

Vierter Auftritt

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Der Tempelherr und Saladin.
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Tempelherr:
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Ich, dein Gefangner, Sultan ...
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Saladin:
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Mein Gefangner?
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Wem ich das Leben schenke, werd ich dem
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Nicht auch die Freiheit schenken?
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Tempelherr:
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Was dir ziemt
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Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht
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Vorauszusetzen. Aber, Sultan, Dank,
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Besondern Dank dir für mein Leben zu
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Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem
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Charakter nicht. Es steht in allen Fällen
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Zu deinen Diensten wieder.
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Saladin:
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Brauch es nur
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Nicht wider mich! Zwar ein paar Hände mehr,
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Die gönnt' ich meinem Feinde gern. Allein
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Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt
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Mir schwer. Ich habe mich mit dir in nichts
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Betrogen, braver junger Mann! Du bist
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Mit Seel' und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte
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Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit
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Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?
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In welchem Ginnistan, von welcher guten
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Div diese Blume fort und fort so frisch
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Erhalten worden? Sich! ich könnte dich
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Erinnern wollen, was wir dort und dort
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Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit
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Dir zanken, daß du ein Geheimnis doch
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Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir
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Doch unterschlagen: Ja das könnt' ich; wenn
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Ich dich nur säh', und nicht auch mich. Nun, mag's!
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Von dieser süßen Träumerei ist immer
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Doch so viel wahr, daß mir in meinem Herbst
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Ein Assad wieder blühen soll. Du bist
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Es doch zufrieden, Ritter?
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Tempelherr:
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Alles, was
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Von dir mir kömmt, sei was es will das lag
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Als Wunsch in meiner Seele.
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Saladin:
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Laß uns das
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Sogleich versuchen. Bliebst du wohl bei mir?
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Um mir? Als Christ, als Muselmann: gleichviel!
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Im weißen Mantel, oder Jamerlonk;
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Im Tulban, oder deinem Filze: wie
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Du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt,
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Daß allen Bäumen eine Rinde wachse.
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Tempelherr:
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Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist:
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Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.
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Saladin:
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Nun dann; wenn du nicht schlechter von mir denkst:
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So wären wir ja halb schon richtig?
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Tempelherr:
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Ganz!
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Saladin (ihm die Hand bietend):
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Ein Wort?
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Tempelherr (einschlagend):
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Ein Mann! Hiermit empfange mehr
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Als du mir nehmen konntest. Ganz der Deine!
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Saladin:
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Zuviel Gewinn für einen Tag! zuviel!
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Kam er nicht mit?
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Tempelherr:
69
Wer?
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Saladin:
71
Nathan.
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Tempelherr (frostig):
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Nein. Ich kam
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Allein.
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Saladin:
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Welch eine Tat von dir! Und welch
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Ein weises Glück, daß eine solche Tat
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Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.
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Tempelherr:
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Ja, ja!
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Saladin:
82
So kalt? Nein, junger Mann! wenn Gott
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Was Gutes durch uns tut, muß man so kalt
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Nicht sein! selbst aus Bescheidenheit so kalt
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Nicht scheinen wollen!
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Tempelherr:
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Daß doch in der Welt
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Ein jedes Ding so manche Seiten hat!
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Von denen oft sich gar nicht denken läßt,
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Wie sie zusammenpassen!
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Saladin:
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Halte dich
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Nur immer an die best', und preise Gott!
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Der weiß, wie sie zusammenpassen. Aber,
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Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann:
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So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut
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Mich mit dir halten müssen? Leider bin
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Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die
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Oft nicht so recht zu passen scheinen mögen.
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Tempelherr:
101
Das schmerzt! Denn Argwohn ist so wenig sonst
102
Mein Fehler
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Saladin:
104
Nun, so sage doch, mit wem
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Du's hast? Es schien ja gar, mit Nathan. Wie?
106
Auf Nathan Argwohn? du? Erklär dich! sprich!
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Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.
108
Tempelherr:
109
Ich habe wider Nathan nichts. Ich zürn
110
Allein mit mir
111
Saladin:
112
Und über was?
113
Tempelherr:
114
Daß mir
115
Geträumt, ein Jude könn' auch wohl ein Jude
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Zu sein verlernen; daß mir wachend so
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Geträumt.
118
Saladin:
119
Heraus mit diesem wachen Traume!
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Tempelherr:
121
Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was
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Ich für sie tat, das tat ich, weil ich's tat.
123
Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn
124
Nicht säete, verschmäht' ich Tag für Tag,
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Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater
126
War fern; er kömmt; er hört; er sucht mich auf;
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Er dankt; er wünscht, daß seine Tochter mir
128
Gefallen möge; spricht von Aussicht, spricht
129
Von heitern Fernen. Nun, ich lasse mich
130
Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich
131
Ein Mädchen ... Ah, ich muß mich schämen, Sultan!
132
Saladin:
133
Dich schämen? daß ein Judenmädchen auf
134
Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?
135
Tempelherr:
136
Daß diesem Eindruck, auf das liebliche
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Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz
138
So wenig Widerstand entgegensetzte!
139
Ich Tropf! ich sprang zum zweitenmal ins Feuer.
140
Denn nun warb ich, und nun ward ich verschmäht.
141
Saladin:
142
Verschmäht?
143
Tempelherr:
144
Der weise Vater schlägt nun wohl
145
Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater
146
Muß aber doch sich erst erkunden, erst
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Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das
148
Nicht auch? Erkundete, besann ich denn
149
Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie?
150
Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes,
151
So weise, so bedächtig sein!
152
Saladin:
153
Nun, nun!
154
So sieh doch einem Alten etwas nach!
155
Wie lange können seine Weigerungen
156
Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen,
157
Daß du erst Jude werden sollst?
158
Tempelherr:
159
Wer weiß!
160
Saladin:
161
Wer weiß? der diesen Nathan besser kennt.
162
Tempelherr:
163
Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen,
164
Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum
165
Doch seine Macht nicht über uns. Es sind
166
Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.
167
Saladin:
168
Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan ...
169
Tempelherr:
170
Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen
171
Für den erträglichern zu halten ...
172
Saladin:
173
Mag
174
Wohl sein! Doch Nathan...,
175
Tempelherr:
176
Dem allein
177
Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis
178
Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem
179
Allein ...
180
Saladin:
181
Gut! Aber Nathan! Nathans Los
182
Ist diese Schwachheit nicht.
183
Tempelherr:
184
So dacht' ich auch! ...
185
Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen
186
So ein gemeiner Jude wäre, daß
187
Er Christenkinder zu bekommen suche,
188
Um sie als Juden aufzuziehn: wie dann?
189
Saladin:
190
Wer sagt ihm so was nach?
191
Tempelherr:
192
Das Mädchen selbst,
193
Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung
194
Er gern mir zu bezahlen schiene, was
195
Ich nicht umsonst für sie getan soll haben:
196
Dies Mädchen selbst ist seine Tochter nicht;
197
Ist ein verzettelt Christenkind.
198
Saladin:
199
Das er
200
Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?
201
Tempelherr (heftig):
202
Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt.
203
Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!
204
Ich werde hinter diesen jüd'schen Wolf
205
Im philosoph'schen Schafpelz Hunde schon
206
Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!
207
Saladin (ernst):
208
Sei ruhig, Christ!
209
Tempelherr:
210
Was? ruhig Christ? Wenn Jud'
211
Und Muselmann, auf Jud', auf Muselmann
212
Bestehen: soll allein der Christ den Christen
213
Nicht machen dürfen?
214
Saladin (noch ernster):
215
Ruhig, Christ!
216
Tempelherr (gelassen):
217
Ich fühle
218
Des Vorwurfs ganze Last, die Saladin
219
In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte,
220
Wie Assad, Assad sich an meiner Stelle
221
Hierbei genommen hätte!
222
Saladin:
223
Nicht viel besser!
224
Vermutlich ganz so brausend! Doch, wer hat
225
Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er
226
Mit einem Worte zu bestechen? Freilich
227
Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:
228
Kann ich mich selber kaum in Nathan finden.
229
Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde
230
Muß keiner mit dem andern hadern. Laß
231
Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht
232
Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!
233
Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm
234
Zu rächen, mir so nahe legen würde!
235
Sei keinem Juden, keinem Muselmanne
236
Zum Trotz ein Christ!
237
Tempelherr:
238
Bald wär's damit zu spät!
239
Doch dank der Blutbegier des Patriarchen,
240
Des Werkzeug mir zu werden graute!
241
Saladin:
242
Wie?
243
Du kamst zum Patriarchen eher, als
244
Zu mir?
245
Tempelherr:
246
Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel
247
Der Unentschlossenheit! Verzeih! Du wirst
248
Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun
249
Nichts mehr in mir erkennen wollen.
250
Saladin:
251
Wär'
252
Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß,
253
Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.
254
Pfleg diese ferner nur, und jene sollen
255
Bei mir dir wenig schaden. Aber geh!
256
Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;
257
Und bring ihn her. Ich muß euch doch zusammen
258
Verständigen. Wär' um das Mädchen dir
259
Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!
260
Auch soll es Nathan schon empfinden, daß
261
Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind
262
Erziehen dürfen! Geh!
263
Der Tempelherr geht ab, und Sittah verläßt den Sofa.

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