Lerninhalte in Deutsch
Abi-Aufgaben LF
Lektürehilfen
Lektüren
Basiswissen
Inhaltsverzeichnis

Zweiter Auftritt

2
Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp
3
den einen Kreuzgang heraufkommt, und die Vorigen.
4
Tempelherr:
5
Ich wich' ihm lieber aus. Wär' nicht mein Mann!
6
Ein dicker, roter, freundlicher Prälat!
7
Und welcher Prunk!
8
Klosterbruder:
9
Ihr solltet ihn erst sehn
10
Nach Hofe sich erheben. Itzo kömmt
11
Er nur von einem Kranken.
12
Tempelherr:
13
Wie sich da
14
Nicht Saladin wird schämen müssen!
15
Patriarch (indem er näherkommt, winkt dem Bruder):
16
Hier!
17
Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will
18
Er?
19
Klosterbruder:
20
Weiß nicht.
21
Patriarch (auf ihn zugehend,
22
indem der Bruder und das Gefolge zurücktreten):
23
Nun, Herr Ritter! Sehr erfreut,
24
Den braven jungen Mann zu sehn! Ei, noch
25
So gar jung! Nun, mit Gottes Hilfe, daraus
26
Kann etwas werden.
27
Tempelherr:
28
Mehr, ehrwürd'ger Herr,
29
Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch,
30
Was weniger.
31
Patriarch:
32
Ich wünsche wenigstens,
33
Daß so ein frommer Ritter lange noch
34
Der lieben Christenheit, der Sache Gottes
35
Zu Ehr' und Frommen blühn und grünen möge!
36
Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein
37
Die junge Tapferkeit dem reifen Rate
38
Des Alters folgen will! Womit wär' sonst
39
Dem Herrn zu dienen?
40
Tempelherr:
41
Mit dem nämlichen,
42
Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.
43
Patriarch:
44
Recht gern! Nur ist der Rat auch anzunehmen.
45
Tempelherr:
46
Doch blindlings nicht?
47
Patriarch:
48
Wer sagt denn das? Ei freilich
49
Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,
50
Zu brauchen unterlassen, wo sie hin-
51
Gehört. Gehört sie aber überall
52
Denn hin? O nein! Zum Beispiel: wenn uns Gott
53
Durch einen seiner Engel, ist zu sagen,
54
Durch einen Diener seines Worts, ein Mittel
55
Bekannt zu machen würdiget, das Wohl
56
Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche,
57
Auf irgendeine ganz besondre Weise
58
Zu fördern, zu befestigen: wer darf
59
Sich da noch unterstehn, die Willkür des,
60
Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft
61
Zu untersuchen? und das ewige
62
Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach
63
Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre
64
Zu prüfen? Doch hiervon genug. Was ist
65
Es denn, worüber unsern Rat für itzt
66
Der Herr verlangt?
67
Tempelherr:
68
Gesetzt, ehrwürd'ger Vater,
69
Ein Jude hätt' ein einzig Kind, es sei
70
Ein Mädchen, das er mit der größten Sorgfalt
71
Zu allem Guten auferzogen, das
72
Er liebe mehr als seine Seele, das
73
Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe.
74
Und nun würd' unsereinem hinterbracht,
75
Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht;
76
Er hab' es in der Kindheit aufgelesen,
77
Gekauft, gestohlen, was Ihr wollt; man wisse,
78
Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei
79
Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin
80
Erzogen; lass' es nur als Jüdin und
81
Als seine Tochter so verharren: sagt,
82
Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbei wohl
83
Zu tun?
84
Patriarch:
85
Mich schaudert! Doch zu allererst
86
Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall
87
Ein Faktum oder eine Hypothes'.
88
Das ist zu sagen: ob der Herr sich das
89
Nur bloß so dichtet, oder ob's geschehn,
90
Und fortfährt zu geschehn.
91
Tempelherr:
92
Ich, glaubte, das
93
Sei eins, um Euer Hochehrwürden Meinung
94
Bloß zu vernehmen.
95
Patriarch:
96
Eins? Da seh' der Herr
97
Wie sich die stolze menschliche Vernunft
98
Im Geistlichen doch irren kann. Mitnichten!
99
Denn ist der vorgetragne Fall nur so
100
Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich
101
Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken.
102
Ich will den Herrn damit auf das Theater
103
Verwiesen haben, wo dergleichen pro
104
Et contra sich mit vielem Beifall könnte
105
Behandeln lassen. Hat der Herr mich aber
106
Nicht bloß mit einer theatral'schen Schnurre
107
Zum besten; ist der Fall ein Faktum; hätt'
108
Er sich wohl gar in unsrer Diözes',
109
In unsrer lieben Stadt Jerusalem
110
Ereignet: ja alsdann
111
Tempelherr:
112
Und was alsdann?
113
Patriarch:
114
Dann wäre an dem Juden fördersamst
115
Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches
116
Und kaiserliches Recht so einem Frevel,
117
So einer Lastertat bestimmen.
118
Tempelherr:
119
So?
120
Patriarch:
121
Und zwar bestimmen obbesagte Rechte
122
Dem Juden, welcher einen Christen zur
123
Apostasie verführt, den Scheiterhaufen,
124
Den Holzstoß
125
Tempelherr:
126
So?
127
Patriarch:
128
Und wieviel mehr dem Juden,
129
Der mit Gewalt ein armes Christenkind
130
Dem Bunde seiner Tauf' entreißt! Denn ist
131
Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt?
132
Zu sagen: ausgenommen, was die Kirch'
133
An Kindern tut.
134
Tempelherr:
135
Wenn aber nun das Kind,
136
Erbarmte seiner sich der Jude nicht,
137
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?
138
Patriarch:
139
Tut nichts! der Jude wird verbrannt! Denn besser,
140
Es wäre hier im Elend umgekommen,
141
Als daß zu seinem ewigen Verderben
142
Es so gerettet ward. Zudem, was hat
143
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott
144
Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten.
145
Tempelherr:
146
Auch trotz ihm, sollt' ich meinen, selig machen.
147
Patriarch:
148
Tut nichts! der Jude wird verbrannt.
149
Tempelherr:
150
Das geht
151
Mir nah'! Besonders, da man sagt, er habe
152
Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als
153
Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,
154
Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger
155
Gelehrt, als der Vernunft genügt.
156
Patriarch:
157
Tut nichts!
158
Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär' allein
159
Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt
160
Zu werden! Was? ein Kind ohn' allen Glauben
161
Erwachsen lassen? Wie? die große Pflicht,
162
Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren?
163
Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter,
164
Euch selbst ...
165
Tempelherr:
166
Ehrwürd'ger Herr, das übrige,
167
Wenn Gott will, in der Beichte. (Will gehn.)
168
Patriarch:
169
Was? mir nun
170
Nicht einmal Rede stehn? Den Bösewicht,
171
Den Juden mir nicht nennen? mir ihn nicht
172
Zur Stelle schaffen? O da weiß ich Rat!
173
Ich geh sogleich zum Sultan. Saladin,
174
Vermöge der Kapitulation,
175
Die er beschworen, muß uns, muß uns schützen;
176
Bei allen Rechten, allen Lehren schützen,
177
Die wir zu unsrer Allerheiligsten
178
Religion nur immer rechnen dürfen!
179
Gottlob! wir haben das Original.
180
Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir!
181
Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie
182
Gefährlich selber für den Staat es ist,
183
Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande
184
Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn
185
Der Mensch nichts glauben darf. Hinweg! hinweg
186
Mit solchem Frevel! ...
187
Tempelherr:
188
Schade, daß ich nicht
189
Den trefflichen Sermon mit beßrer Muße
190
Genießen kann! Ich bin zum Saladin
191
Gerufen.
192
Patriarch:
193
Ja? Nun so Nun freilich Dann
194
Tempelherr:
195
Ich will den Sultan vorbereiten, wenn
196
Es Eurer Hochehrwürden so gefällt.
197
Patriarch:
198
Oh, oh! Ich weiß, der Herr hat Gnade funden
199
Vor Saladin! Ich bitte meiner nur
200
Im Besten bei ihm eingedenk zu sein.
201
Mich treibt der Eifer Gottes lediglich.
202
Was ich zuviel tu, tu ich ihm. Das wolle
203
Doch ja der Herr erwägen! Und nicht wahr,
204
Herr Ritter? das vorhin Erwähnte von
205
Dem Juden, war nur ein Problema? ist
206
Zu sagen
207
Tempelherr:
208
Ein Problema. (Geht ab.)
209
Patriarch (Dem ich tiefer
210
Doch auf den Grund zu kommen suchen muß.
211
Das wär' so wiederum ein Auftrag für
212
Den Bruder Bonafides.):
213
Hier, mein Sohn!
214
Er spricht im Abgehn mit dem Klosterbruder.

Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!

monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?