Lerninhalte in Deutsch
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Inhaltsverzeichnis

Achter Auftritt

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Claudia Galotti. Marinelli.
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Claudia: Dein Herr? – (Erblickt den Marinelli und fährt zurück.) Ha! – Das
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dein Herr? – Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und Sie, Sie
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sollen mich zu ihr führen?
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Marineli: Mit vielem Vergnügen, gnädige Frau.
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Claudia: Halten Sie! – Eben fällt mir es bei – Sie waren es ja – nicht? – der
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den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? mit dem ich
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ihn allein ließ? mit dem er Streit bekam?
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Marineli: Streit? – Was ich nicht wüßte: ein unbedeutender Wortwechsel in
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herrschaftlichen Angelegenheiten –
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Claudia: Und Marinelli heißen Sie?
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Marineli: Marchese Marinelli.
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Claudia: So ist es richtig. – Hören Sie doch, Herr Marchese. – Marinelli war
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– der Name Marinelli war – begleitet mit einer Verwünschung – Nein,
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daß ich den edeln Mann nicht verleumde! – begleitet mit keiner
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Verwünschung – Die Verwünschung denk ich hinzu – Der Name
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Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen.
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Marineli: Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani? – Sie hören, gnädige
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Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffällt. – Des
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sterbenden Grafen? – Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich nicht.
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Claudia (bitter und langsam): Der Name Marinelli war das letzte Wort des
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sterbenden Grafen! – Verstehen Sie nun? – Ich verstand es erst auch
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nicht, obschon mit einem Tone gesprochen – mit einem Tone! – Ich
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höre ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß sie diesen Ton nicht
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sogleich verstanden?
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Marineli: Nun, gnädige Frau? – Ich war von jeher des Grafen Freund; sein
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vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben nannte –
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Claudia: Mit dem Tone? – Ich kann ihn nicht nachmachen; ich kann ihn
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nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles! – Was? Räuber wären es
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gewesen, die uns anfielen? – Mörder waren es; erkaufte Mörder! – Und
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Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! Mit
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einem Tone!
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Marineli: Mit einem Tone? – Ist es erhört, auf einen Ton, in einem
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Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines
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rechtschaffnen Mannes zu gründen?
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Claudia: Ha, könnt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton! – Doch,
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weh mir! Ich vergesse darüber meine Tochter. – Wo ist sie? – Wie?
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auch tot? – Was konnte meine Tochter dafür, daß Appiani dein Feind
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war?
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Marineli: Ich verzeihe der bangen Mutter. – Kommen Sie, gnädige Frau –
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Ihre Tochter ist hier; in einem von den nächsten Zimmern, und hat sich
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hoffentlich von ihrem Schrecken schon völlig erholt. Mit der zärtlichsten
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Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschäftiget –
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Claudia: Wer? – Wer selbst?
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Marineli: Der Prinz.
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Claudia: Der Prinz? – Sagen Sie wirklich der Prinz? – Unser Prinz?
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Marineli: Welcher sonst?
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Claudia: Nun dann! – Ich unglückselige Mutter! – Und ihr Vater! ihr Vater! –
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Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich verfluchen.
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Marineli: Um des Himmels willen, gnädige Frau! Was fällt Ihnen nun ein?
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Claudia: Es ist klar! – Ist es nicht? – Heute im Tempel! vor den Augen der
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Allerreinesten! in der nähern Gegenwart des Ewigen! – begann das
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Bubenstück, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Mörder!
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feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden,
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aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu
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morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche
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Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich! – Denn
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warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem
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einzigen Worte ins Gesicht speien? – Dich! Dich Kuppler!
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Marineli: Sie schwärmen, gute Frau. – Aber mäßigen Sie wenigstens Ihr
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wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind.
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Claudia: Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin? – Was kümmert es die Löwin,
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der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie brüllet?
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Emilia (innerhalb): Ha, meine Mutter! Ich höre meine Mutter!
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Claudia: Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehört, sie hat mich gehört.
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Und ich sollte nicht schreien? – Wo bist du, mein Kind? Ich komme, ich
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komme! (Sie stürzt in das Zimmer und Marinelli ihr nach.)

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