Zehnter Auftritt
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Der Tempelherr und bald darauf Daja.
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Tempelherr:
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Schon mehr als g'nug! Des Menschen Hirn faßt so
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Unendlich viel; und ist doch manchmal auch
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So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit
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So plötzlich voll! Taugt nichts, taugt nichts; es sei
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Auch voll wovon es will. Doch nur Geduld!
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Die Seele wirkt den auf gedunsnen Stoff
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Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht
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Und Ordnung kommen wieder. Lieb ich denn
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Zum ersten Male? Oder war, was ich
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Als Liebe kenne, Liebe nicht? Ist Liebe
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Nur was ich itzt empfinde? ...
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Daja (die sich von der Seite herbeigeschlichen):
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Ritter! Ritter!
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Tempelherr:
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Wer ruft? Ha, Daja, Ihr?
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Daja:
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Ich habe mich
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Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch
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Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. Drum kommt
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Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.
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Tempelherr:
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Was gibt's denn? So geheimnisvoll? Was ist's?
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Daja:
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Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was
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Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes.
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Das eine weiß nur ich; das andre wißt
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Nur Ihr. Wie wär' es, wenn wir tauschten?
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Vertraut mir Euers: so vertrau ich Euch
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Das meine.
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Tempelherr:
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Mit Vergnügen. Wenn ich nur
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Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch
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Das wird aus Euerm wohl erhellen. Fangt
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Nur immer an.
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Daja:
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Ei denkt doch! Nein, Herr Ritter.
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Erst Ihr; ich folge. Denn versichert, mein
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Geheimnis kann Euch gar nichts nutzen, wenn
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Ich nicht zuvor das Eure habe. Nur
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Geschwind! Denn frag ich's Euch erst ab: so habt
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Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann
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Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid
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Ihr los. Doch armer Ritter! Daß Ihr Männer
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Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben
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Zu können, auch nur glaubt!
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Tempelherr:
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Das wir zu haben
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Oft selbst nicht wissen.
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Daja:
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Kann wohl sein. Drum muß
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Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt
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Zu machen, schon die Freundschaft haben. Sagt
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Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall
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Euch aus dem Staube machtet? daß Ihr uns
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So sitzenließet? daß Ihr nun mit Nathan
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Nicht wiederkommt? Hat Recha denn so wenig
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Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, so viel?
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So viel! so viel! Lehrt Ihr des armen Vogels,
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Der an der Rute klebt, Geflattre mich
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Doch kennen! Kurz: gesteht es mir nur gleich,
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Daß Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und
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Ich sag Euch was ...
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Tempelherr:
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Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr
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Versteht Euch trefflich drauf.
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Daja:
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Nun gebt mir nur
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Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch
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Erlassen.
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Tempelherr:
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Weil er sich von selbst versteht?
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Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! ...
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Daja:
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Scheint freilich wenig Sinn zu haben. Doch
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Zuweilen ist des Sinns in einer Sache
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Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre
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So unerhört doch nicht, daß uns der Heiland
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Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge
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Von selbst nicht leicht betreten würde.
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Tempelherr:
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Das
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So feierlich? (Und setz ich statt des Heilands
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Die Vorsicht: hat sie denn nicht recht?) Ihr macht
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Mich neubegieriger, als ich wohl sonst
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Zu sein gewohnt bin.
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Daja:
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Oh! das ist das Land
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Der Wunder!
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Tempelherr (Nun! des Wunderbaren. Kann
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Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt
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Drängt sich ja hier zusammen.):
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Liebe Daja,
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Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt:
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Daß ich sie liebe; daß ich nicht begreife,
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Wie ohne sie ich leben werde; daß ...
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Daja:
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Gewiß? gewiß? So schwört mir, Ritter, sie
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Zur Eurigen zu machen; sie zu retten:
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Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.
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Tempelherr:
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Und wie? Wie kann ich? Kann ich schwören, was
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In meiner Macht nicht steht?
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Daja:
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In Eurer Macht
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Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort
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In Eure Macht.
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Tempelherr:
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Daß selbst der Vater nichts
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Dawider hätte?
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Daja:
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Ei, was Vater! Vater!
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Der Vater soll schon müssen.
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Tempelherr:
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Müssen, Daja?
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Noch ist er unter Räuber nicht gefallen.
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Er muß nicht müssen.
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Daja:
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Nun, so muß er wollen;
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Muß gern am Ende wollen.
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Tempelherr:
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Muß und gern!
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Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß
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Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen
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Bereits versucht?
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Daja:
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Was? und er fiel nicht ein?
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Tempelherr:
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Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich
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Beleidigte.
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Daja:
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Was sagt Ihr? Wie? Ihr hättet
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Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha
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Ihm blicken lassen: und er wär' vor Freuden
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Nicht aufgesprungen? hätte frostig sich
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Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten
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Gemacht?
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Tempelherr:
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So ungefähr.
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Daja:
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So will ich denn
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Mich länger keinen Augenblick bedenken
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Pause.
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Tempelherr:
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Und Ihr bedenkt Euch doch?
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Daja:
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Der Mann ist sonst
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So gut! Ich selber bin so viel ihm schuldig!
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Daß er doch gar nicht hören will! Gott weiß,
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Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.
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Tempelherr:
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Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut
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Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber
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Noch selber ungewiß; ob, was Ihr vorhabt,
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Gut oder böse, schändlich oder löblich
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Zu nennen: schweigt! Ich will vergessen, daß
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Ihr etwas zu verschweigen habt.
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Daja:
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Das spornt,
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Anstatt zu halten. Nun; so wißt denn: Recha
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Ist keine Jüdin; ist ist eine Christin.
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Tempelherr (kalt):
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So? Wünsch Euch Glück! Hat's schwer gehalten? Laßt
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Euch nicht die Wehen schrecken! Fahret ja
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Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern:
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Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!
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Daja:
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Wie, Ritter?
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Verdienet meine Nachricht diesen Spott?
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Daß Recha eine Christin ist: das freuet
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Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,
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Der Ihr sie liebt, nicht mehr?
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Tempelherr:
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Besonders, da
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Sie eine Christin ist von Eurer Mache.
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Daja:
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Ah! so versteht Ihr's? So mag's gelten! Nein!
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Den will ich sehn, der die bekehren soll!
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Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden
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Verdorben ist.
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Tempelherr:
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Erklärt Euch, oder geht!
185
Daja:
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Sie ist ein Christenkind, von Christeneltern
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Geboren; ist getauft ...
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Tempelherr (hastig):
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Und Nathan?
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Daja:
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Nicht
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Ihr Vater!
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Tempelherr:
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Nathan nicht ihr Vater? Wißt
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Ihr, was Ihr sagt?
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Daja:
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Die Wahrheit, die so oft
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Mich blut'ge Tränen weinen machen. Nein,
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Er ist ihr Vater nicht ...
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Tempelherr:
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Und hätte sie
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Als seine Tochter nur erzogen? hätte
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Das Christenkind als eine Jüdin sich
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Erzogen?
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Daja:
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Ganz gewiß.
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Tempelherr:
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Sie wüßte nicht,
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Was sie geboren sei? Sie hätt' es nie
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Von ihm erfahren, daß sie eine Christin
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Geboren sei, und keine Jüdin?
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Daja:
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Nie!
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Tempelherr:
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Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind
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Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch
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In diesem Wahne?
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Daja:
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Leider!
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Tempelherr:
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Nathan Wie?
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Der weise gute Nathan hätte sich
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Erlaubt, die Stimme der Natur so zu
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Verfälschen? Die Ergießung eines Herzens
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So zu verrenken, die, sich selbst gelassen,
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Ganz andre Wege nehmen würde? Daja,
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Ihr habt mir allerdings etwas vertraut
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Von Wichtigkeit, was Folgen haben kann,
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Was mich verwirrt, worauf ich gleich nicht weiß,
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Was mir zu tun. Drum laßt mir Zeit. Drum geht!
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Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht'
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Uns überfallen. Geht!
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Daja:
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Ich wär' des Todes!
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Tempelherr:
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Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar
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Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt
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Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan
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Schon finden würden.
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Daja:
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Aber laßt Euch ja
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Nichts merken gegen ihn. Das soll nur so
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Den letzten Druck dem Dinge geben; soll
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Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur
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Benehmen! Wenn Ihr aber dann sie nach
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Europa führt: so laßt Ihr doch mich nicht
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Zurück?
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Tempelherr:
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Das wird sich finden. Geht nur, geht!