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Inhaltsverzeichnis

Abschnitt 3

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Kohlhaas befand sich um diese Zeit gerade in Brandenburg, wo der
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Stadthauptmann, Heinrich von Geusau, unter dessen Regierungsbezirk
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Kohlhaasenbrück gehörte, eben beschäftigt war, aus einem beträchtlichen
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Fonds, der der Stadt zugefallen war, mehrere wohltätige Anstalten, für
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Kranke und Arme, einzurichten. Besonders war er bemüht, einen
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mineralischen Quell, der auf einem Dorf in der Gegend sprang, und von
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dessen Heilkräften man sich mehr, als die Zukunft nachher bewährte,
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versprach, für den Gebrauch der Preßhaften einzurichten; und da Kohlhaas
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ihm, wegen manchen Verkehrs, in dem er, zur Zeit seines Aufenthalts am
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Hofe, mit demselben gestanden hatte, bekannt war, so erlaubte er Hersen,
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dem Großknecht, dem ein Schmerz beim Atemholen über der Brust, seit
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jenem schlimmen Tage auf der Tronkenburg, zurückgeblieben war, die
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Wirkung der kleinen, mit Dach und Einfassung versehenen, Heilquelle zu
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versuchen. Es traf sich, daß der Stadthauptmann eben, am Rande des
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Kessels, in welchen Kohlhaas den Herse gelegt hatte, gegenwärtig war, um
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einige Anordnungen zu treffen, als jener, durch einen Boten, den ihm seine
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Frau nachschickte, den niederschlagenden Brief seines Rechtsgehülfen aus
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Dresden empfing. Der Stadthauptmann, der, während er mit dem Arzte
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sprach, bemerkte, daß Kohlhaas eine Träne auf den Brief, den er bekommen
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und eröffnet hatte, fallen ließ, näherte sich ihm, auf eine freundliche und
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herzliche Weise, und fragte ihn, was für ein Unfall ihn betroffen; und da der
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Roßhändler ihm, ohne ihm zu antworten, den Brief überreichte: so klopfte
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ihm dieser würdige Mann, dem die abscheuliche Ungerechtigkeit, die man
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auf der Tronkenburg an ihm verübt hatte, und an deren Folgen Herse eben,
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vielleicht auf die Lebenszeit, krank danieder lag, bekannt war, auf die
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Schulter, und sagte ihm: er solle nicht mutlos sein; er werde ihm zu seiner
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Genugtuung verhelfen! Am Abend, da sich der Roßkamm, seinem Befehl
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gemäß, zu ihm aufs Schloß begeben hatte, sagte er ihm, daß er nur eine
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Supplik, mit einer kurzen Darstellung des Vorfalls, an den Kurfürsten von
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Brandenburg aufsetzen, den Brief des Advokaten beilegen, und wegen der
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Gewalttätigkeit, die man sich, auf sächsischem Gebiet, gegen ihn erlaubt,
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den landesherrlichen Schutz aufrufen möchte. Er versprach ihm, die
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Bittschrift, unter einem anderen Paket, das schon bereit liege, in die Hände
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des Kurfürsten zu bringen, der seinethalb unfehlbar, wenn es die
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Verhältnisse zuließen, bei dem Kurfürsten von Sachsen einkommen würde;
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und mehr als eines solchen Schrittes bedürfe es nicht, um ihm bei dem
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Tribunal in Dresden, den Künsten des Junkers und seines Anhanges zum
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Trotz, Gerechtigkeit zu verschaffen. Kohlhaas lebhaft erfreut, dankte dem
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Stadthauptmann, für diesen neuen Beweis seiner Gewogenheit, aufs
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herzlichste; sagte, es tue ihm nur leid, daß er nicht, ohne irgend Schritte in
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Dresden zu tun, seine Sache gleich in Berlin anhängig gemacht habe; und
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nachdem er, in der Schreiberei des Stadtgerichts, die Beschwerde, ganz
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den Forderungen gemäß, verfaßt, und dem Stadthauptmann übergeben
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hatte, kehrte er, beruhigter über den Ausgang seiner Geschichte, als je,
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nach Kohlhaasenbrück zurück. Er hatte aber schon, in wenig Wochen, den
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Kummer, durch einen Gerichtsherrn, der in Geschäften des
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Stadthauptmanns nach Potsdam ging, zu erfahren, daß der Kurfürst die
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Supplik seinem Kanzler, dem Grafen Kallheim, übergeben habe, und daß
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dieser nicht unmittelbar, wie es zweckmäßig schien, bei dem Hofe zu
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Dresden, um Untersuchung und Bestrafung der Gewalttat, sondern um
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vorläufige, nähere Information bei dem Junker von Tronka eingekommen
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sei. Der Gerichtsherr, der, vor Kohlhaasens Wohnung, im Wagen haltend,
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den Auftrag zu haben schien, dem Roßhändler diese Eröffnung zu machen,
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konnte ihm auf die betroffene Frage: warum man also verfahren? keine
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befriedigende Auskunft geben. Er fügte nur noch hinzu: der
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Stadthauptmann ließe ihm sagen, er möchte sich in Geduld fassen; schien
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bedrängt, seine Reise fortzusetzen; und erst am Schluß der kurzen
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Unterredung erriet Kohlhaas, aus einigen hingeworfenen Worten, daß der
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Graf Kallheim mit dem Hause derer von Tronka verschwägert sei. –
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Kohlhaas, der keine Freude mehr, weder an seiner Pferdezucht, noch an
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Haus und Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durchharrte, in trüber
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Ahndung der Zukunft, den nächsten Mond; und ganz seiner Erwartung
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gemäß kam, nach Verlauf dieser Zeit, Herse, dem das Bad einige Linderung
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verschafft hatte, von Brandenburg zurück, mit einem, ein größeres Reskript
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begleitenden, Schreiben des Stadthauptmanns, des Inhalts: es tue ihm leid,
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daß er nichts in seiner Sache tun könne; er schicke ihm eine, an ihn
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ergangene, Resolution der Staatskanzlei, und rate ihm, die Pferde, die er in
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der Tronkenburg zurückgelassen, wieder abführen, und die Sache übrigens
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ruhen zu lassen. – Die Resolution lautete: »er sei, nach dem Bericht des
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Tribunals in Dresden, ein unnützer Querulant; der Junker, bei dem er die
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Pferde zurückgelassen, halte ihm dieselben, auf keine Weise, zurück; er
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möchte nach der Burg schicken, und sie holen, oder dem Junker
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wenigstens wissen lassen, wohin er sie ihm senden solle; die Staatskanzlei
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aber, auf jeden Fall, mit solchen Plackereien und Stänkereien verschonen.«
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Kohlhaas, dem es nicht um die Pferde zu tun war – er hätte gleichen
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Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten hätte – Kohlhaas
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schäumte vor Wut, als er diesen Brief empfing. Er sah, so oft sich ein
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Geräusch im Hofe hören ließ, mit der widerwärtigsten Erwartung, die seine
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Brust jemals bewegt hatte, nach dem Torwege, ob die Leute des Jungherren
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erscheinen, und ihm, vielleicht gar mit einer Entschuldigung, die Pferde,
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abgehungert und abgehärmt, wieder zustellen würden; der einzige Fall, in
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welchem seine von der Welt wohlerzogene Seele, auf nichts das ihrem
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Gefühl völlig entsprach gefaßt war. Er hörte aber in kurzer Zeit schon, durch
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einen Bekannten, der die Straße gereiset war, daß die Gaule auf der
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Tronkenburg, nach wie vor, den übrigen Pferden des Landjunkers gleich,
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auf dem Felde gebraucht würden; und mitten durch den Schmerz, die Welt
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in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche
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Zufriedenheit empor, seine eigne Brust nunmehr in Ordnung zu sehen. Er
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lud einen Amtmann, seinen Nachbar, zu sich, der längst mit dem Plan
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umgegangen war, seine Besitzungen durch den Ankauf der, ihre Grenze
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berührenden, Grundstücke zu vergrößern, und fragte ihn, nachdem sich
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derselbe bei ihm niedergelassen, was er für seine Besitzungen, im
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Brandenburgischen und im Sächsischen, Haus und Hof, in Pausch und
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Bogen, es sei nagelfest oder nicht, geben wolle? Lisbeth, sein Weib,
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erblaßte bei diesen Worten. Sie wandte sich, und hob ihr Jüngstes auf, das
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hinter ihr auf dem Boden spielte, Blicke, in welchen sich der Tod malte, bei
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den roten Wangen des Knaben vorbei, der mit ihren Halsbändern spielte,
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auf den Roßkamm, und ein Papier werfend, das er in der Hand hielt. Der
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Amtmann fragte, indem er ihn befremdet ansah, was ihn plötzlich auf so
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sonderbare Gedanken bringe; worauf jener, mit so viel Heiterkeit, als er
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erzwingen konnte, erwiderte: der Gedanke, seinen Meierhof, an den Ufern
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der Havel, zu verkaufen, sei nicht allzuneu; sie hätten beide schon oft über
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diesen Gegenstand verhandelt; sein Haus in der Vorstadt in Dresden sei, in
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Vergleich damit, ein bloßer Anhang, der nicht in Erwägung komme; und
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kurz, wenn er ihm seinen Willen tun, und beide Grundstücke übernehmen
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wolle, so sei er bereit, den Kontrakt darüber mit ihm abzuschließen. Er
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setzte, mit einem etwas erzwungenen Scherz hinzu, Kohlhaasenbrück sei ja
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nicht die Welt; es könne Zwecke geben, in Vergleich mit welchen, seinem
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Hauswesen, als ein ordentlicher Vater, vorzustehen, untergeordnet und
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nichtswürdig sei; und kurz, seine Seele, müsse er ihm sagen, sei auf große
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Dinge gestellt, von welchen er vielleicht bald hören werde. Der Amtmann,
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durch diese Worte beruhigt, sagte, auf eine lustige Art, zur Frau, die das
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Kind einmal über das andere küßte: er werde doch nicht gleich Bezahlung
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verlangen? legte Hut und Stock, die er zwischen den Knieen gehalten hatte,
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auf den Tisch, und nahm das Blatt, das der Roßkamm in der Hand hielt, um
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es zu durchlesen. Kohlhaas, indem er demselben näher rückte, erklärte ihm,
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daß es ein von ihm aufgesetzter eventueller in vier Wochen verfallener
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Kaufkontrakt sei; zeigte ihm, daß darin nichts fehle, als die Unterschriften,
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und die Einrückung der Summen, sowohl was den Kaufpreis selbst, als
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auch den Reukauf, d. h. die Leistung betreffe, zu der er sich, falls er binnen
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vier Wochen zurückträte, verstehen wolle; und forderte ihn noch einmal
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munter auf, ein Gebot zu tun, indem er ihm versicherte, daß er billig sein,
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und keine großen Umstände machen würde. Die Frau ging in der Stube auf
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und ab; ihre Brust flog, daß das Tuch, an welchem der Knabe gezupft hatte,
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ihr völlig von der Schulter herabzufallen drohte. Der Amtmann sagte, daß er
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ja den Wert der Besitzung in Dresden keineswegs beurteilen könne; worauf
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ihm Kohlhaas, Briefe, die bei ihrem Ankauf gewechselt worden waren,
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hinschiebend, antwortete: daß er sie zu 100 Goldgülden anschlage;
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obschon daraus hervorging, daß sie ihm fast um die Hälfte mehr gekostet
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hatte. Der Amtmann, der den Kaufkontrakt noch einmal überlas, und darin
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auch von seiner Seite, auf eine sonderbare Art, die Freiheit stipuliert fand,
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zurückzutreten, sagte, schon halb entschlossen: daß er ja die Gestütpferde,
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die in seinen Ställen wären, nicht brauchen könne; doch da Kohlhaas
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erwiderte, daß er die Pferde auch gar nicht loszuschlagen willens sei, und
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daß er auch einige Waffen, die in der Rüstkammer hingen, für sich behalten
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wolle, so – zögerte jener noch und zögerte, und wiederholte endlich ein
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Gebot, das er ihm vor kurzem schon einmal, halb im Scherz, halb im Ernst,
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nichtswürdig gegen den Wert der Besitzung, auf einem Spaziergange
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gemacht hatte. Kohlhaas schob ihm Tinte und Feder hin, um zu schreiben;
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und da der Amtmann, der seinen Sinnen nicht traute, ihn noch einmal
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gefragt hatte, ob es sein Ernst sei? und der Roßkamm ihm ein wenig
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empfindlich geantwortet hatte: ob er glaube, daß er bloß seinen Scherz mit
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ihm treibe? so nahm jener zwar, mit einem bedenklichen Gesicht, die Feder,
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und schrieb; dagegen durchstrich er den Punkt, in welchem von der
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Leistung, falls dem Verkäufer der Handel gereuen sollte, die Rede war;
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verpflichtete sich zu einem Darlehn von 100 Goldgülden, auf die Hypothek
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des Dresdenschen Grundstücks, das er auf keine Weise käuflich an sich
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bringen wollte; und ließ ihm, binnen zwei Monaten völlige Freiheit, von dem
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Handel wieder zurückzutreten. Der Roßkamm, von diesem Verfahren
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gerührt, schüttelte ihm mit vieler Herzlichkeit die Hand; und nachdem sie
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noch, welches eine Hauptbedingung war, übereingekommen waren, daß des
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Kaufpreises vierter Teil unfehlbar gleich bar, und der Rest, in drei Monaten,
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in der Hamburger Bank, gezahlt werden sollte, rief jener nach Wein, um sich
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eines so glücklich abgemachten Geschäfts zu erfreuen. Er sagte einer
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Magd, die mit den Flaschen hereintrat, Sternbald, der Knecht, solle ihm den
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Fuchs satteln; er müsse, gab er an, nach der Hauptstadt reiten, wo er
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Verrichtungen habe; und gab zu verstehen, daß er in kurzem, wenn er
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zurückkehre, sich offenherziger über das, was er jetzt noch für sich
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behalten müsse, auslassen würde. Hierauf, indem er die Gläser
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einschenkte, fragte er nach dem Polen und Türken, die gerade damals mit
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einander im Streit lagen; verwickelte den Amtmann in mancherlei politische
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Konjekturen darüber; trank ihm schlüßlich hierauf noch einmal das
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Gedeihen ihres Geschäfts zu, und entließ ihn. – Als der Amtmann das
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Zimmer verlassen hatte, fiel Lisbeth auf Knieen vor ihm nieder. Wenn du
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mich irgend, rief sie, mich und die Kinder, die ich dir geboren habe, in
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deinem Herzen trägst; wenn wir nicht im voraus schon, um welcher Ursach
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willen, weiß ich nicht, verstoßen sind: so sage mir, was diese entsetzlichen
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Anstalten zu bedeuten haben! Kohlhaas sagte: liebstes Weib, nichts, das
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dich noch, so wie die Sachen stehn, beunruhigen dürfte. Ich habe eine
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Resolution erhalten, in welcher man mir sagt, daß meine Klage gegen den
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Junker Wenzel von Tronka eine nichtsnutzige Stänkerei sei. Und weil hier
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ein Mißverständnis obwalten muß: so habe ich mich entschlossen, meine
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Klage noch einmal, persönlich bei dem Landesherrn selbst, einzureichen. –
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Warum willst du dein Haus verkaufen? rief sie, indem sie mit einer
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verstörten Gebärde, aufstand. Der Roßkamm, indem er sie sanft an seine
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Brust drückte, erwiderte: weil ich in einem Lande, liebste Lisbeth, in
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welchem man mich, in meinen Rechten, nicht schützen will, nicht bleiben
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mag. Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein
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Mensch! Ich bin gewiß, daß meine Frau hierin so denkt, als ich. – Woher
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weißt du, fragte jene wild, daß man dich in deinen Rechten nicht schützen
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wird? Wenn du dem Herrn bescheiden, wie es dir zukommt, mit deiner
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Bittschrift nahst: woher weißt du, daß sie beiseite geworfen, oder mit
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Verweigerung, dich zu hören, beantwortet werden wird? – Wohlan,
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antwortete Kohlhaas, wenn meine Furcht hierin ungegründet ist, so ist auch
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mein Haus noch nicht verkauft. Der Herr selbst, weiß ich, ist gerecht; und
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wenn es mir nur gelingt, durch die, die ihn umringen, bis an seine Person zu
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kommen, so zweifle ich nicht, ich verschaffe mir Recht, und kehre fröhlich,
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noch ehe die Woche verstreicht, zu dir und meinen alten Geschäften zurück.
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Möcht ich alsdann noch, setzt' er hinzu, indem er sie küßte, bis an das Ende
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meines Lebens bei dir verharren! – Doch ratsam ist es, fuhr er fort, daß ich
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mich auf jeden Fall gefaßt mache; und daher wünschte ich, daß du dich, auf
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einige Zeit, wenn es sein kann, entferntest, und mit den Kindern zu deiner
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Muhme nach Schwerin gingst, die du überdies längst hast besuchen wollen.
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– Wie? rief die Hausfrau. Ich soll nach Schwerin gehen? über die Grenze mit
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den Kindern, zu meiner Muhme nach Schwerin? Und das Entsetzen
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erstickte ihr die Sprache. – Allerdings, antwortete Kohlhaas, und das, wenn
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es sein kann, gleich, damit ich in den Schritten, die ich für meine Sache tun
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will, durch keine Rücksichten gestört werde. – »O! ich verstehe dich!« rief
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sie. »Du brauchst jetzt nichts mehr, als Waffen und Pferde; alles andere
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kann nehmen, wer will!« Und damit wandte sie sich, warf sich auf einen
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Sessel nieder, und weinte. Kohlhaas sagte betroffen: liebste Lisbeth, was
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machst du? Gott hat mich mit Weib und Kindern und Gütern gesegnet; soll
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ich heute zum erstenmal wünschen, daß es anders wäre? – – – Er setzte
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sich zu ihr, die ihm, bei diesen Worten, errötend um den Hals gefallen war,
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freundlich nieder. – Sag mir an, sprach er, indem er ihr die Locken von der
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Stirne strich: was soll ich tun? Soll ich meine Sache aufgeben? Soll ich
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nach der Tronkenburg gehen, und den Ritter bitten, daß er mir die Pferde
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wieder gebe, mich aufschwingen, und sie dir herreiten? – Lisbeth wagte
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nicht: ja! ja! ja! zu sagen – sie schüttelte weinend mit dem Kopf, sie drückte
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ihn heftig an sich, und überdeckte mit heißen Küssen seine Brust. »Nun
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also!« rief Kohlhaas. »Wenn du fühlst, daß mir, falls ich mein Gewerbe
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forttreiben soll, Recht werden muß: so gönne mir auch die Freiheit, die mir
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nötig ist, es mir zu verschaffen!« Und damit stand er auf, und sagte dem
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Knecht, der ihm meldete, daß der Fuchs gesattelt stünde: morgen müßten
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auch die Braunen eingeschirrt werden, um seine Frau nach Schwerin zu
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führen. Lisbeth sagte: sie habe einen Einfall! Sie erhob sich, wischte sich
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die Tränen aus den Augen, und fragte ihn, der sich an einem Pult
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niedergesetzt hatte: ob er ihr die Bittschrift geben, und sie, statt seiner,
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nach Berlin gehen lassen wolle, um sie dem Landesherrn zu überreichen.
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Kohlhaas, von dieser Wendung, um mehr als einer Ursach willen, gerührt,
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zog sie auf seinen Schoß nieder, und sprach: liebste Frau, das ist nicht wohl
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möglich! Der Landesherr ist vielfach umringt, mancherlei Verdrießlichkeiten
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ist der ausgesetzt, der ihm naht. Lisbeth versetzte, daß es in tausend Fällen
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einer Frau leichter sei, als einem Mann, ihm zu nahen. Gib mir die
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Bittschrift, wiederholte sie; und wenn du weiter nichts willst, als sie in
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seinen Händen wissen, so verbürge ich mich dafür: er soll sie bekommen!
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Kohlhaas, der von ihrem Mut sowohl, als ihrer Klugheit, mancherlei Proben
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hatte, fragte, wie sie es denn anzustellen denke; worauf sie, indem sie
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verschämt vor sich niedersah, erwiderte: daß der Kastellan des
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kurfürstlichen Schlosses, in früheren Zeiten, da er zu Schwerin in Diensten
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gestanden, um sie geworben habe; daß derselbe zwar jetzt verheiratet sei,
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und mehrere Kinder habe; daß sie aber immer noch nicht ganz vergessen
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wäre; – und kurz, daß er es ihr nur überlassen möchte, aus diesem und
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manchem andern Umstand, der zu beschreiben zu weitläufig wäre, Vorteil
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zu ziehen. Kohlhaas küßte sie mit vieler Freude, sagte, daß er ihren
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Vorschlag annähme, belehrte sie, daß es weiter nichts bedürfe, als einer
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Wohnung bei der Frau desselben, um den Landesherrn, im Schlosse selbst,
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anzutreten, gab ihr die Bittschrift, ließ die Braunen anspannen, und schickte
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sie mit Sternbald, seinem treuen Knecht, wohleingepackt ab.

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