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Basiswissen
Inhaltsverzeichnis

Studierzimmer I

2
Faust mit dem Pudel hereintretend.
3
4
Faust:
5
Verlassen hab ich Feld und Auen,
6
Die eine tiefe Nacht bedeckt,
7
Mit ahnungsvollem, heil'gem Grauen
8
In uns die beßre Seele weckt.
9
Entschlafen sind nun wilde Triebe
10
Mit jedem ungestümen Tun;
11
Es reget sich die Menschenliebe,
12
Die Liebe Gottes regt sich nun. Sei ruhig, Pudel! renne nicht hin und
13
wider!
14
An der Schwelle was schnoperst du hier?
15
Lege dich hinter den Ofen nieder,
16
Mein bestes Kissen geb ich dir.
17
Wie du draußen auf dem bergigen Wege
18
Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,
19
So nimm nun auch von mir die Pflege,
20
Als ein willkommner stiller Gast. Ach wenn in unsrer engen Zelle
21
Die Lampe freundlich wieder brennt,
22
Dann wird's in unserm Busen helle,
23
Im Herzen, das sich selber kennt.
24
Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
25
Und Hoffnung wieder an zu blühn,
26
Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
27
Ach! nach des Lebens Quelle hin. Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen
28
Tönen,
29
Die jetzt meine ganze Seel umfassen,
30
Will der tierische Laut nicht passen.
31
Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen,
32
Was sie nicht verstehn,
33
Daß sie vor dem Guten und Schönen,
34
Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
35
Will es der Hund, wie sie, beknurren?
36
37
Aber ach! schon fühl ich, bei dem besten Willen,
38
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
39
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
40
Und wir wieder im Durste liegen?
41
Davon hab ich so viel Erfahrung.
42
Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
43
Wir lernen das Überirdische schätzen,
44
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
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Die nirgends würd'ger und schöner brennt
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Als in dem Neuen Testament.
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Mich drängt's, den Grundtext aufzuschlagen,
48
Mit redlichem Gefühl einmal
49
Das heilige Original
50
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen,
51
(Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.)
52
53
Geschrieben steht: "Im Anfang war das Wort!"
54
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
55
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
56
Ich muß es anders übersetzen,
57
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
58
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
59
Bedenke wohl die erste Zeile,
60
Daß deine Feder sich nicht übereile!
61
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
62
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
63
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
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Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
65
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
66
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!
67
68
Soll ich mit dir das Zimmer teilen,
69
Pudel, so laß das Heulen,
70
So laß das Bellen!
71
Solch einen störenden Gesellen
72
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
73
Einer von uns beiden
74
Muß die Zelle meiden.
75
Ungern heb ich das Gastrecht auf,
76
Die Tür ist offen, hast freien Lauf.
77
Aber was muß ich sehen!
78
Kann das natürlich geschehen?
79
Ist es Schatten? ist's Wirklichkeit?
80
Wie wird mein Pudel lang und breit!
81
Er hebt sich mit Gewalt,
82
Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
83
Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus!
84
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
85
Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
86
Oh! du bist mir gewiß!
87
Für solche halbe Höllenbrut
88
Ist Salomonis Schlüssel gut.
89
90
Geister (auf dem Gange):
91
Drinnen gefangen ist einer!
92
Bleibet haußen, folg ihm keiner!
93
Wie im Eisen der Fuchs,
94
Zagt ein alter Höllenluchs.
95
Aber gebt acht!
96
Schwebet hin, schwebet wider,
97
Auf und nieder,
98
Und er hat sich losgemacht.
99
Könnt ihr ihm nützen,
100
Laßt ihn nicht sitzen!
101
Denn er tat uns allen
102
Schon viel zu Gefallen.
103
104
Faust:
105
Erst zu begegnen dem Tiere,
106
Brauch ich den Spruch der Viere: Salamander soll glühen,
107
Undene sich winden,
108
Sylphe verschwinden,
109
Kobold sich mühen. Wer sie nicht kennte
110
Die Elemente,
111
Ihre Kraft
112
Und Eigenschaft,
113
Wäre kein Meister
114
Über die Geister. Verschwind in Flammen,
115
Salamander!
116
Rauschend fließe zusammen,
117
Undene!
118
Leucht in Meteoren-Schöne,
119
Sylphe!
120
Bring häusliche Hülfe,
121
Incubus! Incubus!
122
Tritt hervor und mache den Schluß! Keines der Viere
123
Steckt in dem Tiere.
124
Es liegt ganz ruhig und grinst mich an;
125
Ich hab ihm noch nicht weh getan.
126
Du sollst mich hören
127
Stärker beschwören. Bist du, Geselle
128
Ein Flüchtling der Hölle?
129
So sieh dies Zeichen
130
Dem sie sich beugen,
131
Die schwarzen Scharen! Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
132
Verworfnes Wesen!
133
Kannst du ihn lesen?
134
Den nie Entsproßnen,
135
Unausgesprochnen,
136
Durch alle Himmel Gegoßnen,
137
Freventlich Durchstochnen? Hinter den Ofen gebannt,
138
Schwillt es wie ein Elefant
139
Den ganzen Raum füllt es an,
140
Es will zum Nebel zerfließen.
141
Steige nicht zur Decke hinan!
142
Lege dich zu des Meisters Füßen!
143
Du siehst, daß ich nicht vergebens drohe.
144
Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
145
Erwarte nicht
146
Das dreimal glühende Licht!
147
Erwarte nicht
148
Die stärkste von meinen Künsten!
149
150
(Mephistopheles tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein
151
fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor.)
152
153
Mephistopheles:
154
Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?
155
156
Faust:
157
Das also war des Pudels Kern!
158
Ein fahrender Skolast? Der Kasus macht mich lachen.
159
Mephistopheles:
160
Ich salutiere den gelehrten Herrn!
161
Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.
162
163
Faust:
164
Wie nennst du dich?
165
166
Mephistopheles:
167
Die Frage scheint mir klein Für einen, der das Wort so sehr verachtet,
168
Der, weit entfernt von allem Schein,
169
Nur in der Wesen Tiefe trachtet.
170
171
Faust:
172
Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
173
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
174
Wo es sich allzu deutlich weist,
175
Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
176
Nun gut, wer bist du denn?
177
178
Mephistopheles:
179
Ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute
180
schafft.
181
182
Faust:
183
Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?
184
185
Mephistopheles:
186
Ich bin der Geist, der stets verneint!
187
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
188
Ist wert, daß es zugrunde geht;
189
Drum besser wär's, daß nichts entstünde.
190
So ist denn alles, was ihr Sünde,
191
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
192
Mein eigentliches Element.
193
194
Faust:
195
Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?
196
197
Mephistopheles:
198
Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.
199
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt
200
Gewöhnlich für ein Ganzes hält-
201
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war
202
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar
203
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
204
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
205
Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
206
Verhaftet an den Körpern klebt.
207
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
208
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange;
209
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
210
Und mit den Körpern wird's zugrunde gehn.
211
212
Faust:
213
Nun kenn ich deine würd'gen Pflichten!
214
Du kannst im Großen nichts vernichten
215
Und fängst es nun im Kleinen an.
216
217
Mephistopheles:
218
Und freilich ist nicht viel damit getan.
219
Was sich dem Nichts entgegenstellt,
220
Das Etwas, diese plumpe Welt
221
So viel als ich schon unternommen
222
Ich wußte nicht ihr beizukommen
223
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand-
224
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
225
Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut,
226
Dem ist nun gar nichts anzuhaben:
227
Wie viele hab ich schon begraben!
228
Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut.
229
So geht es fort, man möchte rasend werden!
230
Der Luft, dem Wasser wie der Erden
231
Entwinden tausend Keime sich,
232
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
233
Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten,
234
Ich hätte nichts Aparts für mich.
235
236
Faust:
237
So setzest du der ewig regen,
238
Der heilsam schaffenden Gewalt
239
Die kalte Teufelsfaust entgegen,
240
Die sich vergebens tückisch ballt!
241
Was anders suche zu beginnen
242
Des Chaos wunderlicher Sohn!
243
244
Mephistopheles:
245
Wir wollen wirklich uns besinnen,
246
Die nächsten Male mehr davon!
247
Dürft ich wohl diesmal mich entfernen?
248
249
Faust:
250
Ich sehe nicht, warum du fragst.
251
Ich habe jetzt dich kennen lernen
252
Besuche nun mich, wie du magst.
253
Hier ist das Fenster, hier die Türe,
254
Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.
255
256
Mephistopheles:
257
Gesteh ich's nur! daß ich hinausspaziere,
258
Verbietet mir ein kleines Hindernis,
259
Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle-
260
261
Faust:
262
Das Pentagramma macht dir Pein?
263
Ei sage mir, du Sohn der Hölle,
264
Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
265
Wie ward ein solcher Geist betrogen?
266
267
Mephistopheles:
268
Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen:
269
Der eine Winkel, der nach außen zu,
270
Ist, wie du siehst, ein wenig offen.
271
272
Faust:
273
Das hat der Zufall gut getroffen!
274
Und mein Gefangner wärst denn du?
275
Das ist von ungefähr gelungen!
276
277
Mephistopheles:
278
Der Pudel merkte nichts, als er hereingesprungen,
279
Die Sache sieht jetzt anders aus:
280
Der Teufel kann nicht aus dem Haus.
281
282
Faust:
283
Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?
284
285
Mephistopheles:
286
s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
287
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
288
Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.
289
290
Faust:
291
Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
292
Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt,
293
Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?
294
295
Mephistopheles:
296
Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
297
Dir wird davon nichts abgezwackt.
298
Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
299
Und wir besprechen das zunächst
300
Doch jetzo bitt ich, hoch und höchst,
301
Für dieses Mal mich zu entlassen.
302
303
Faust:
304
So bleibe doch noch einen Augenblick,
305
Um mir erst gute Mär zu sagen.
306
307
Mephistopheles:
308
Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück;
309
Dann magst du nach Belieben fragen.
310
Faust:
311
Ich habe dir nicht nachgestellt,
312
Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
313
Den Teufel halte, wer ihn hält!
314
Er wird ihn nicht so bald zum zweiten Male fangen.
315
316
Mephistopheles:
317
Wenn dir's beliebt, so bin ich auch bereit,
318
Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
319
Doch mit Bedingnis, dir die Zeit
320
Durch meine Künste würdig zu vertreiben.
321
322
Faust:
323
Ich seh es gern, das steht dir frei;
324
Nur daß die Kunst gefällig sei!
325
326
Mephistopheles:
327
Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen
328
In dieser Stunde mehr gewinnen
329
Als in des Jahres Einerlei.
330
Was dir die zarten Geister singen,
331
Die schönen Bilder, die sie bringen,
332
Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
333
Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
334
Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
335
Und dann entzückt sich dein Gefühl.
336
Bereitung braucht es nicht voran,
337
Beisammen sind wir, fanget an!
338
339
Geister:
340
Schwindet, ihr dunkeln
341
Wölbungen droben!
342
Reizender schaue
343
Freundlich der blaue
344
Äther herein!
345
Wären die dunkeln
346
Wolken zerronnen!
347
Sternelein funkeln,
348
Mildere Sonnen
349
Scheinen darein.
350
Himmlischer Söhne
351
Geistige Schöne,
352
Schwankende Beugung
353
Schwebet vorüber.
354
Sehnende Neigung
355
Folget hinüber;
356
Und der Gewänder
357
Flatternde Bänder
358
Decken die Länder,
359
Decken die Laube,
360
Wo sich fürs Leben,
361
Tief in Gedanken,
362
Liebende geben.
363
Laube bei Laube!
364
Sprossende Ranken!
365
Lastende Traube
366
Stürzt ins Behälter
367
Drängender Kelter,
368
Stürzen in Bächen
369
Schäumende Weine,
370
Rieseln durch reine,
371
Edle Gesteine,
372
Lassen die Höhen
373
Hinter sich liegen,
374
Breiten zu Seen
375
Sich ums Genüge
376
Grünender Hügel.
377
Und das Geflügel
378
Schlürfet sich Wonne,
379
Flieget der Sonne,
380
Flieget den hellen
381
Inseln entgegen,
382
Die sich auf Wellen
383
Gauklend bewegen;
384
Wo wir in Chören
385
Jauchzende hören,
386
Über den Auen
387
Tanzende schauen,
388
Die sich im Freien
389
Alle zerstreuen.
390
Einige klimmen
391
Über die Höhen,
392
Andere schwimmen
393
Über die Seen,
394
Andere schweben;
395
Alle zum Leben,
396
Alle zur Ferne
397
Liebender Sterne,
398
Seliger Huld.
399
400
Mephistopheles:
401
Er schläft! So recht, ihr luft'gen zarten Jungen!
402
Ihr habt ihn treulich eingesungen!
403
Für dies Konzert bin ich in eurer Schuld.
404
Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten!
405
Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
406
Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
407
Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten,
408
Bedarf ich eines Rattenzahns.
409
Nicht lange brauch ich zu beschwören,
410
Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.
411
412
Der Herr der Ratten und der Mäuse,
413
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse
414
Befiehlt dir, dich hervor zu wagen
415
Und diese Schwelle zu benagen,
416
So wie er sie mit Öl betupft-
417
Da kommst du schon hervorgehupft!
418
Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte,
419
Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
420
Noch einen Biß, so ist's geschehn.-
421
Nun, Fauste, träume fort, bis wir uns wiedersehn.
422
423
Faust (erwachend) :
424
Bin ich denn abermals betrogen?
425
Verschwindet so der geisterreiche Drang
426
Daß mir ein Traum den Teufel vorgelogen,
427
Und daß ein Pudel mir entsprang?

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