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Inhaltsverzeichnis

Nacht. Straße vor Gretchens Tür

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Valentin, Soldat, Gretchens Bruder.
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Valentin:
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Wenn ich so saß bei einem Gelag,
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Wo mancher sich berühmen mag,
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Und die Gesellen mir den Flor
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Der Mägdlein laut gepriesen vor,
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Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,
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Den Ellenbogen aufgestemmt,
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Saß ich in meiner sichern Ruh,
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Hört all dem Schwadronieren zu
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Und streiche lächelnd meinen Bart
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Und kriege das volle Glas zur Hand
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Und sage: "Alles nach seiner Art!
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Aber ist eine im ganzen Land,
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Die meiner trauten Gretel gleicht,
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Die meiner Schwester das Wasser reicht?"
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Topp! Topp! Kling! Klang! das ging herum;
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Die einen schrieen: "Er hat recht,
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Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht."
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Da saßen alle die Lober stumm.
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Und nun!- um's Haar sich auszuraufen
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Und an den Wänden hinaufzulaufen!-
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Mit Stichelreden, Naserümpfen
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Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
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Soll wie ein böser Schuldner sitzen
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Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen!
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Und möcht ich sie zusammenschmeißen
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Könnt ich sie doch nicht Lügner heißen.
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Was kommt heran? Was schleicht herbei?
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Irr ich nicht, es sind ihrer zwei.
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Ist er's, gleich pack ich ihn beim Felle
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Soll nicht lebendig von der Stelle!
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Faust. Mephistopheles.
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Faust:
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Wie von dem Fenster dort der Sakristei
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Aufwärts der Schein des Ew'gen Lämpchens flämmert
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Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
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Und Finsternis drängt ringsum bei!
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So sieht's in meinem Busen nächtig.
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Mephistopheles:
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Und mir ist's wie dem Kätzlein schmächtig,
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Das an den Feuerleitern schleicht,
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Sich leis dann um die Mauern streicht;
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Mir ist's ganz tugendlich dabei,
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Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammelei.
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So spukt mir schon durch alle Glieder
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Die herrliche Walpurgisnacht.
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Die kommt uns übermorgen wieder,
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Da weiß man doch, warum man wacht.
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Faust:
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Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh,
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Den ich dort hinten flimmern seh?
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Mephistopheles:
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Du kannst die Freude bald erleben,
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Das Kesselchen herauszuheben.
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Ich schielte neulich so hinein,
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Sind herrliche Löwentaler drein.
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Faust:
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Nicht ein Geschmeide, nicht ein Ring,
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Meine liebe Buhle damit zu zieren?
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Mephistopheles:
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Ich sah dabei wohl so ein Ding,
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Als wie eine Art von Perlenschnüren.
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Faust:
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So ist es recht! Mir tut es weh,
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Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh.
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Mephistopheles:
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Es sollt Euch eben nicht verdrießen,
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Umsonst auch etwas zu genießen.
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Jetzt, da der Himmel voller Sterne glüht,
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Sollt Ihr ein wahres Kunststück hören:
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Ich sing ihr ein moralisch Lied,
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Um sie gewisser zu betören. (Singt zur Zither.) Was machst du mir
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Vor Liebchens Tür,
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Kathrinchen, hier
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Bei frühem Tagesblicke?
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Laß, laß es sein!
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Er läßt dich ein
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Als Mädchen ein,
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Als Mädchen nicht zurücke.
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Nehmt euch in acht!
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Ist es vollbracht,
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Dann gute Nacht'
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Ihr armen, armen Dinger!
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Habt ihr euch lieb,
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Tut keinem Dieb
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Nur nichts zulieb
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Als mit dem Ring am Finger.
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Valentin(tritt vor):
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Wen lockst du hier? beim Element!
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Vermaledeiter Rattenfänger!
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Zum Teufel erst das Instrument!
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Zum Teufel hinterdrein den Sänger!
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Mephistopheles:
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Die Zither ist entzwei! an der ist nichts zu halten.
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Valentin:
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Nun soll es an ein Schädelspalten!
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Mephistopheles (zu Faust):
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Herr Doktor, nicht gewichen! Frisch!
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Hart an mich an, wie ich Euch führe.
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Heraus mit Eurem Flederwisch!
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Nur zugestoßen! ich pariere.
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Valentin:
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Pariere den!
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Mephistopheles:
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Warum denn nicht?
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Valentin:
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Auch den!
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Mephistopheles:
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Gewiß!
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Valentin:
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Ich glaub, der Teufel ficht! Was ist denn das? Schon wird die Hand mir
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lahm.
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Mephistopheles (zu Faust):
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Stoß zu!
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Valentin (fällt):
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O weh!
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Mephistopheles:
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Nun ist der Lümmel zahm! Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden
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Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei.
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Ich weiß mich trefflich mit der Polizei,
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Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
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Marthe (am Fenster):
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Heraus! Heraus!
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Gretchen (am Fenster):
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Herbei ein Licht!
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Marthe (wie oben):
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Man schilt und rauft, man schreit und ficht.
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Volk:
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Da liegt schon einer tot!
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Marthe (heraustretend):
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Die Mörder, sind sie denn entflohn?
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Gretchen (heraustretend):
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Wer liegt hier?
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Volk:
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Deiner Mutter Sohn.
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Gretchen:
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Allmächtiger! welche Not!
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Valentin:
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Ich sterbe! das ist bald gesagt
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Und balder noch getan.
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Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
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Kommt her und hört mich an!
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(Alle treten um ihn.)
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Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
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Bist gar noch nicht gescheit genung,
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Machst deine Sachen schlecht.
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Ich sag dir's im Vertrauen nur:
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Du bist doch nun einmal eine Hur,
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So sei's auch eben recht!
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Gretchen:
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Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?
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Valentin:
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Laß unsern Herrgott aus dem Spaß!
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Geschehn ist leider nun geschehn
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Und wie es gehn kann, so wird's gehn.
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Du fingst mit einem heimlich an
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Bald kommen ihrer mehre dran,
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Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
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So hat dich auch die ganze Stadt.
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Wenn erst die Schande wird geboren,
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Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
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Und man zieht den Schleier der Nacht
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Ihr über Kopf und Ohren;
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Ja, man möchte sie gern ermorden.
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Wächst sie aber und macht sich groß,
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Dann geht sie auch bei Tage bloß
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Und ist doch nicht schöner geworden.
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Je häßlicher wird ihr Gesicht,
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Je mehr sucht sie des Tages Licht.
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Ich seh wahrhaftig schon die Zeit,
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Daß alle brave Bürgersleut,
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Wie von einer angesteckten Leichen,
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Von dir, du Metze! seitab weichen.
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Dir soll das Herz im Leib verzagen,
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Wenn sie dir in die Augen sehn!
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Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
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In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
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In einem schönen Spitzenkragen
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Dich nicht beim Tanze wohlbehagen!
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In eine finstre Jammerecken
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Unter Bettler und Krüppel dich verstecken,
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Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,
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Auf Erden sein vermaledeit!
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Marthe:
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Befehlt Eure Seele Gott zu Gnaden!
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Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?
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Valentin:
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Könnt ich dir nur an den dürren Leib,
230
Du schändlich kupplerisches Weib!
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Da hofft ich aller meiner Sünden
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Vergebung reiche Maß zu finden.
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234
Gretchen:
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Mein Bruder! Welche Höllenpein!
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Valentin:
238
Ich sage, laß die Tränen sein!
239
Da du dich sprachst der Ehre los,
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Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
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Ich gehe durch den Todesschlaf
242
Zu Gott ein als Soldat und brav.
243
(Stirbt.)

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