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Basiswissen
Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel

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Sie sprachen noch eine Weile so weiter, wobei sie sich ihrer
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gemeinschaftlichen Schulstunden und einer ganzen Reihe Holzapfelscher
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Unpassendheiten mit Empörung und Behagen erinnerten. Ja, man konnte
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sich nicht genug tun damit, bis Hulda mit einem Male sagte: »Nun aber ist
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es höchste Zeit, Effi; du siehst ja aus, ja, wie sag ich nur, du siehst ja aus,
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wie wenn du vom Kirschenpflücken kämst, alles zerknittert und
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zerknautscht; das Leinenzeug macht immer so viele Falten, und der große
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weiße Klappkragen ... ja, wahrhaftig, jetzt hab ich es, du siehst aus wie ein
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Schiffsjunge.«
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»Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ich doch von meinem Adel
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haben. Übrigens, Midshipman oder Schiffsjunge, Papa hat mir erst neulich
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wieder einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit
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Rahen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den
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Wimpel oben selbst anzumachen, das ließ' ich mir nicht nehmen. Und du,
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Hulda, du kämst dann von der anderen Seite her herauf, und oben in der
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Luft wollten wir hurra rufen und uns einen Kuß geben. Alle Wetter, das
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sollte schmecken.«
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Alle Wetter . . .', wie das nun wieder klingt ... Du sprichst wirklich wie ein
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Midshipman. Ich werde mich aber hüten, dir nachzuklettern, ich bin
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nicht so waghalsig. Jahnke hat ganz recht, wenn er immer sagt, du hättest
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zuviel von dem Bellingschen in dir, von deiner Mama her. Ich bin bloß ein
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Pastorskind.«
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»Ach, geh mir. Stille Wasser sind tief. Weißt du noch, wie du damals, als
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Vetter Briest als Kadett hier war, aber doch schon groß genug, wie du
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damals auf dem Scheunendach entlangrutschtest. Und warum? Nun, ich
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will es nicht verraten. Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf jeder
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Seite zwei; reißen wird es ja wohl nicht, oder wenn ihr nicht Lust habt, denn
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ihr macht wieder lange Gesichter, dann wollen wir Anschlag spielen. Eine
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Viertelstunde hab ich noch. Ich mag noch nicht hineingehen, und alles bloß,
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um einem Landrat guten Tag zu sagen, noch dazu einem Landrat aus
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Hinterpommern. Altlich ist er auch, er könnte ja beinah mein Vater sein, und
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wenn er wirklich in einer Seestadt wohnt, Kessin soll ja so was sein,
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nun, da muß ich ihm in diesem Matrosenkostüm eigentlich am besten
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gefallen und muß ihm beinah wie eine große Aufmerksamkeit vorkommen.
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Fürsten, wenn sie wen empfangen, soviel weiß ich von meinem Papa her,
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legen auch immer die Uniform aus der Gegend des anderen an. Also nun
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nicht ängstlich ... rasch, rasch, ich fliege aus, und neben der Bank hier ist
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frei.«
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Hulda wollte noch ein paar Einschränkungen machen, aber Effi war schon
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den nächsten Kiesweg hinauf, links hin, rechts hin, bis sie mit einem Male
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verschwunden war.
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»Effi, das gilt nicht; wo bist du? Wir spielen nicht Versteck, wir spielen
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Anschlag«, und unter diesen und ähnlichen Vorwürfen eilten die
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Freundinnen ihr nach, weit über das Rondell und die beiden seitwärts
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stehenden Platanen hinaus, bis die Verschwundene mit einem Male aus
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ihrem Versteck hervorbrach und mühelos,
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weil sie schon im Rücken ihrer
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Verfolger war, mit »eins, zwei, drei« den Freiplatz neben der Bank erreichte.
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»Wo warst du?«
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»Hinter den Rhabarberstauden; die haben so große Blätter, noch größer als
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ein Feigenblatt ...«
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»Pfui ...«
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»Nein, pfui für euch, weil ihr verspielt habt. Hulda, mit ihren großen Augen,
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sah wieder nichts, immer ungeschickt.« Und dabei flog Effi von neuem
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über das Rondell hin, auf den Teich zu, vielleicht weil sie vorhatte, sich erst
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hinter einer dort aufwachsenden dichten Haselnußhecke zu
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verstecken, um dann, von dieser aus, mit einem weiten Umweg um Kirchhof
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und Fronthaus, wieder bis an den Seitenflügel und seinen Freiplatz zu
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kommen. Alles war gut berechnet; aber freilich, ehe sie noch halb um den
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Teich herum war, hörte sie schon vom Hause her ihren Namen rufen und
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sah, während sie sich umwandte, die Mama,
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die, von der Steintreppe her, mit
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ihrem Taschentuch winkte. Noch einen Augenblick, und Effi stand vor ihr.
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»Nun bist du doch noch in deinem Kittel, und der Besuch ist da. Nie hältst
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du Zeit.«
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»Ich halte schon Zeit, aber der Besuch hat nicht Zeit gehalten. Es ist noch
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nicht eins; noch lange nicht«, und sich nach den Zwillingen hin
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umwendend (Hulda war noch weiter zurück), rief sie diesen zu: »Spielt nur
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weiter; ich bin gleich wieder da.«
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Schon im nächsten Augenblick trat Effi mit der Mama in den großen
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Gartensaal, der fast den ganzen Raum des Seitenflügels füllte.
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»Mama, du darfst mich nicht schelten. Es ist wirklich erst halb. Warum
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kommt er so früh? Kavaliere kommen nicht zu spät, aber noch weniger zu
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früh.«
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Frau von Briest war in sichtlicher Verlegenheit; Effi aber schmiegte sich
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liebkosend an sie und sagte: »Verzeih, ich will mich nun eilen; du weißt,
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ich kann auch rasch sein, und in fünf Minuten ist Aschenputtel in eine
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Prinzessin verwandelt. So lange kann er warten oder mit dem Papa
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plaudern.«
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Und der Mama zunickend, wollte sie leichten Fußes eine kleine eiserne
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Stiege hinauf, die aus dem Saal in den Oberstock hinaufführte. Frau von
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Briest aber, die unter Umständen auch unkonventionell sein konnte, hielt
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plötzlich die schon forteilende Effi zurück, warf einen Blick auf das
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jugendlich reizende Geschöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des
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Spiels, wie ein Bild frischesten Lebens vor ihr stand, und sagte beinahe
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vertraulich: »Es ist am Ende das beste, du bleibst, wie du bist. Ja, bleibe so.
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Du siehst gerade sehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, du
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siehst so unvorbereitet aus, so gar nicht zurechtgemacht, und darauf
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kommt es in diesem Augenblick an. Ich muß dir nämlich sagen, meine süße
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Effi ...«, und sie nahm ihres Kindes beide Hände, »... ich muß dir nämlich
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sagen ...«
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»Aber Mama, was hast du nur? Mir wird ja ganz angst und bange. «
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»... Ich muß dir nämlich sagen, Effi, daß Baron Innstetten eben um deine
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Hand angehalten hat.«
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»Um meine Hand angehalten? Und im Ernst?«
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»Es ist keine Sache, um einen Scherz daraus zu machen. Du hast ihn
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vorgestern gesehen, und ich glaube, er hat dir auch gut gefallen. Er ist
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freilich älter als du, was alles in allem ein Glück ist, dazu ein Mann von
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Charakter, von Stellung und guten Sitten, und wenn du nicht nein sagst,
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was ich mir von meiner klugen Effi kaum denken kann, so stehst du mit
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zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen. Du wirst deine Mama weit
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überholen.«
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Effi schwieg und suchte nach einer Antwort. Aber ehe sie diese finden
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konnte, hörte sie schon des Vaters Stimme von dem angrenzenden, noch im
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Fronthause gelegenen Hinterzimmer her, und gleich danach überschritt
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Ritterschaftsrat von Briest, ein wohlkonservierter Fünfziger von
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ausgesprochener Bonhomie, die Gartensalonschwelle – mit ihm Baron
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Innstetten, schlank, brünett und von militärischer Haltung.
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Effi, als sie seiner ansichtig wurde, kam in ein nervöses Zittern; aber nicht
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auf lange, denn im selben Augenblick fast, wo sich Innstetten unter
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freundlicher Verneigung ihr näherte, wurden an dem mittleren der weit
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offenstehenden und von wildem Wein halb überwachsenen Fenster die
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rotblonden Köpfe der Zwillinge sichtbar,
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und Hertha, die Ausgelassenste, rief in den
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Saal hinein: »Effi, komm.«
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Dann duckte sie sich, und beide Schwestern sprangen von der Banklehne,
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darauf sie gestanden, wieder in den Garten hinab, und man hörte nur noch
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ihr leises Kichern und Lachen.

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