Siebenter Auftritt
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Emilia. Odoardo.
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Emilia: Wie? Sie hier, mein Vater? – Und nur Sie? – Und meine Mutter?
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nicht hier? – Und der Graf? nicht hier? – Und Sie so unruhig, mein
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Vater?
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Odoardo: Und du so ruhig, meine Tochter? –
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Emilia: Warum nicht, mein Vater? – Entweder ist nichts verloren: oder alles.
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Ruhig sein können und ruhig sein müssen: kömmt es nicht auf eines?
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Odoardo: Aber, was meinest du, daß der Fall ist?
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Emilia: Daß alles verloren ist – und daß wir wohl ruhig sein müssen, mein
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Vater.
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Odoardo: Und du wärest ruhig, weil du ruhig sein mußt? – Wer bist du? Ein
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Mädchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich
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wohl vor dir schämen? – Aber laß doch hören. was nennest du, alles
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verloren? – Daß der Graf tot ist?
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Emilia: Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein Vater? So ist
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sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in dem nassen und
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wilden Auge meiner Mutter las? – Wo ist meine Mutter? Wo ist sie hin,
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mein Vater?
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Odoardo: Voraus – wenn wir anders ihr nachkommen.
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Emilia: Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er darum tot ist
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– darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns fliehen, mein
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Vater!
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Odoardo: Fliehen? – Was hätt' es dann für Not? – Du bist, du bleibst in den
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Händen deines Räubers.
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Emilia: Ich bleibe in seinen Händen?
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Odoardo: Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich.
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Emilia: Ich allein in seinen Händen? – Nimmermehr, mein Vater. – Oder Sie
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sind nicht mein Vater. – Ich allein in seinen Händen? – Gut, lassen Sie
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mich nur, lassen Sie mich nur. – Ich will doch sehn, wer mich hält – wer
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mich zwingt – wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen kann.
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Odoardo: Ich meine, du bist ruhig, mein Kind.
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Emilia: Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Hände in den
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Schoß legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht
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dürfte?
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Odoardo: Ha! wenn du so denkest! – Laß dich umarmen, meine Tochter! –
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Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem
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Meisterstücke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu
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fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns. – Ha, wenn das deine
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Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Laß dich umarmen,
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meine Tochter! – Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen
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Untersuchung – o des höllischen Gaukelspieles! – reißt er dich aus
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unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi.
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Emilia: Reißt mich? bringt mich? – Will mich reißen, will mich bringen: will!
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will! – Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater!
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Odoardo: Ich ward auch so wütend, daß ich schon nach diesem Dolche griff
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(ihn herausziehend) , um einem von beiden – beiden! – das Herz zu
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durchstoßen.
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Emilia: Um des Himmels willen nicht, mein Vater! –
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Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben. – Mir, mein Vater,
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mir geben Sie diesen Dolch.
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Odoardo: Kind, es ist keine Haarnadel.
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Emilia: So werde die Haarnadel zum Dolche! – Gleichviel.
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Odoardo: Was? Dahin wäre es gekommen? Nicht doch; nicht doch!
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Besinne dich. – Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.
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Emilia: Und nur eine Unschuld!
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Odoardo: Die über alle Gewalt erhaben ist. –
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Emilia: Aber nicht über alle Verführung. – Gewalt! Gewalt! wer kann der
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Gewalt nicht trotzen? Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die
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wahre Gewalt. – Ich habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes
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Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin
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für nichts gut. Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der
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Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter – und es erhob
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sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen
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der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten! – Der Religion! Und
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welcher Religion? – Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen
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Tausende in die Fluten und sind Heilige! – Geben Sie mir, mein Vater,
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geben Sie mir diesen Dolch.
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Odoardo: Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch! –
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Emilia: Wenn ich ihn auch nicht kenne! – Ein unbekannter Freund ist auch
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ein Freund. – Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn.
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Odoardo: Wenn ich dir ihn nun gebe – da! (Gibt ihr ihn.)
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Emilia: Und da! (Im Begriffe, sich damit zu durchstoßen, reißt der Vater ihr
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ihn wieder aus der Hand.)
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Odoardo: Sieh, wie rasch! – Nein, das ist nicht für deine Hand.
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Emilia: Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich – (Sie fährt mit der Hand
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nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.)
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Du noch hier? – Herunter mit dir! Du gehörest nicht in das Haar einer –
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wie mein Vater will, daß ich werden soll!
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Odoardo: Oh, meine Tochter! –
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Emilia: Oh, mein Vater, wenn ich Sie erriete! – Doch nein, das wollen Sie
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auch nicht. Warum zauderten Sie sonst? – (In einem bittern Tone,
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während daß sie die Rose zerpflückt.) Ehedem wohl gab es einen
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Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten, den
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besten Stahl in das Herz senkte – ihr zum zweiten Male das Leben gab.
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Aber alle solche Taten sind von ehedem! Solcher Väter gibt es keinen
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mehr!
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Odoardo: Doch, meine Tochter, doch! (Indem er sie durchsticht.) – Gott,
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was hab ich getan! (Sie will sinken, und er faßt sie in seine Arme.)
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Emilia: Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. – Lassen Sie
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mich sie küssen, diese väterliche Hand.