Zweiter Auftritt
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Recha. Daja und der Tempelherr,
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dem jemand von außen die Türe öffnet, mit den Worten:
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Nur hier herein!
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Recha (fährt zusammen, faßt sich und will ihm zu Füßen fallen):
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Er ist's! Mein Retter, ah!
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Tempelherr:
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Dies zu vermeiden
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Erschien ich bloß so spät: und doch
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Recha:
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Ich will
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Ja zu den Füßen dieses stolzen Mannes
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Nur Gott noch einmal danken; nicht dem Manne.
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Der Mann will keinen Dank; will ihn so wenig
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Als ihn der Wassereimer will, der bei
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Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen.
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Der ließ sich füllen, ließ sich leeren, mir
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Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der
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Ward nur so in die Glut hineingestoßen;
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Da fiel ich ungefähr ihm in den Arm;
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Da blieb ich ungefähr, so wie ein Funken
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Auf seinem Mantel, ihm in seinen Armen;
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Bis wiederum, ich weiß nicht was, uns beide
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Herausschmiß aus der Glut. Was gibt es da
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Zu danken? In Europa treibt der Wein
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Zu noch weit andern Taten. Tempelherren,
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Die müssen einmal nun so handeln; müssen
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Wie etwas besser zugelernte Hunde,
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Sowohl aus Feuer, als aus Wasser holen.
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Tempelherr (der sie mit Erstaunen und Unruhe die Zeit über betrachtet):
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O Daja, Daja! Wenn in Augenblicken
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Des Kummers und der Galle, meine Laune
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Dich übel anließ, warum jede Torheit,
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Die meiner Zung' entfuhr, ihr hinterbringen?
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Das hieß sich zu empfindlich rächen, Daja!
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Doch wenn du nur von nun an besser mich
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Bei ihr vertreten willst.
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Daja:
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Ich denke, Ritter
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Ich denke nicht, daß diese kleinen Stacheln,
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Ihr an das Herz geworfen, Euch da sehr
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Geschadet haben.
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Recha:
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Wie? Ihr hattet Kummer?
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Und wart mit Euerm Kummer geiziger
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Als Euerm Leben?
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Tempelherr:
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Gutes, holdes Kind!
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Wie ist doch meine Seele zwischen Auge
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Und Ohr geteilt! Das war das Mädchen nicht,
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Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer
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Ich holte. Denn wer hätte die gekannt,
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Und aus dem Feuer nicht geholt? Wer hätte
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Auf mich gewartet? Zwar verstellt der Schreck.
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(Pause, unter der er, in Anschauung ihrer, sich wie verliert.)
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Recha:
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Ich aber find Euch noch den nämlichen.
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(Dergleichen; bis sie fortfährt, um ihn in seinem Anstaunen zu unterbrechen.)
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Nun, Ritter, sagt uns doch, wo Ihr so lange
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Gewesen? Fast dürft' ich auch fragen: wo
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Ihr itzo seid?
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Tempelherr:
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Ich bin, wo ich vielleicht
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Nicht sollte sein.
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Recha:
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Wo Ihr gewesen? Auch
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Wo Ihr vielleicht nicht solltet sein gewesen?
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Das ist nicht gut.
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Tempelherr:
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Auf - auf - wie heißt der Berg?
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Auf Sinai.
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Recha:
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Auf Sinai? Ah schön!
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Nun kann ich zuverlässig doch einmal
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Erfahren, ob es wahr ...
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Tempelherr:
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Was? was? Ob's wahr,
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Daß noch daselbst der Ort zu sehn, wo Moses
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Vor Gott gestanden, als ...
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Recha:
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Nun das wohl nicht.
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Denn wo er, stand, stand er vor Gott. Und davon
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Ist mir zur Gnüge schon bekannt. Ob's wahr,
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Möcht' ich nur gern von Euch erfahren, daß
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Daß es bei weitem nicht so mühsam sei,
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Auf diesen Berg hinaufzusteigen, als
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Herab? Denn seht; soviel ich Berge noch
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Gestiegen bin, war's just das Gegenteil.
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Nun, Ritter? Was? Ihr kehrt Euch von mir ab?
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Wollt mich nicht sehn?
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Tempelherr:
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Weil ich Euch hören will.
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Recha:
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Weil Ihr mich nicht wollt merken lassen, daß
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Ihr meiner Einfalt lächelt; daß Ihr lächelt,
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Wie ich Euch doch so gar nichts Wichtigers
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Von diesem heiligen Berg' aller Berge
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Zu fragen weiß? Nicht wahr?
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Tempelherr:
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So muß
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Ich doch Euch wieder in die Augen sehn.
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Was? Nun schlagt Ihr sie nieder? nun verbeißt
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Das Lächeln Ihr? wie ich noch erst in Mienen,
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In zweifelhaften Mienen lesen will,
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Was ich so deutlich hör, Ihr so vernehmlich
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Mir sagt verschweigt? Ah Recha! Recha! Wie
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Hat er so wahr gesagt: »Kennt sie nur erst!«
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Recha:
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Wer hat? von wem? Euch das gesagt?
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Tempelherr:
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»Kennt sie
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Nur erst!« hat Euer Vater mir gesagt;
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Von Euch gesagt.
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Daja:
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Und ich nicht etwa auch?
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Ich denn nicht auch?
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Tempelherr:
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Allein wo ist er denn?
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Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch
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Beim Sultan?
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Recha:
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Ohne Zweifel.
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Tempelherr:
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Noch, noch da?
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O mich Vergeßlichen! Nein, nein; da ist
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Er schwerlich mehr. Er wird dort unten bei
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Dem Kloster meiner warten; ganz gewiß.
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So red'ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt!
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Ich geh, ich hol ihn ...
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Daja:
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Das ist meine Sache.
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Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzüglich.
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Tempelherr:
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Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen;
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Nicht Euch. Dazu, er könnte leicht ... wer weiß? ...
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Er könnte bei dem Sultan leicht,... Ihr kennt
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Den Sultan nicht! ... leicht in Verlegenheit
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Gekommen sein. Glaubt mir; es hat Gefahr,
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Wenn ich nicht geh.
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Recha:
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Gefahr? was für Gefahr?
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Tempelherr:
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Gefahr für mich, für Euch, für ihn: wenn ich
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Nicht schleunig, schleunig geh. (Ab.)