Erster Auftritt
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Die Szene bleibt.
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Der Prinz. Marinelli.
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Der Prinz (als aus dem Zimmer von Emilien kommend): Kommen Sie,
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Marinelli! Ich muß mich erholen – und muß Licht von Ihnen haben.
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Marinelli: O der mütterlichen Wut! Ha! ha! ha!
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Der Prinz: Sie lachen?
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Marinelli: Wenn Sie gesehen hätten, Prinz, wie toll sich hier, hier im Saale,
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die Mutter gebärdete – Sie hörten sie ja wohl schreien! – und wie zahm
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sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen – – Ha! ha! –
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Das weiß ich ja wohl, daß keine Mutter einem Prinzen die Augen
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auskratzt, weil er ihre Tochter schön findet.
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Der Prinz: Sie sind ein schlechter Beobachter! – Die Tochter stürzte der
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Mutter ohnmächtig in die Arme. Darüber vergaß die Mutter ihre Wut,
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nicht über mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich, wenn sie es nicht
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lauter, nicht deutlicher sagte – was ich lieber selbst nicht gehört, nicht
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verstanden haben will.
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Marinelli: Was, gnädiger Herr?
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Der Prinz: Wozu die Verstellung? – Heraus damit. Ist es wahr? oder ist es
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nicht wahr?
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Marinelli: Und wenn es denn wäre!
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Der Prinz: Wenn es denn wäre? – Also ist es? – Er ist tot? tot? – (Drohend.)
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Marinelli! Marinelli!
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Marinelli: Nun?
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Der Prinz: Bei Gott! Bei dem allgerechten Gott! Ich bin unschuldig an
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diesem Blute. – Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, daß es dem Grafen
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das Leben kosten werde – Nein, nein! und wenn es mir selbst das
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Leben gekostet hätte! –
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Marinelli: Wenn ich Ihnen vorher gesagt hätte? – Als ob sein Tod in
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meinem Plane gewesen wäre! Ich hatte es dem Angelo auf die Seele
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gebunden, zu verhüten, daß niemanden Leides geschähe. Es würde
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auch ohne die geringste Gewalttätigkeit abgelaufen sein, wenn sich der
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Graf nicht die erste erlaubt hätte. Er schoß Knall und Fall den einen
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nieder.
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Der Prinz: Wahrlich, er hätte sollen Spaß verstehen!
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Marinelli: Daß Angelo sodann in Wut kam und den Tod seines Gefährten
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rächte –
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Der Prinz: Freilich, das ist sehr natürlich!
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Marinelli: Ich hab es ihm genug verwiesen.
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Der Prinz: Verwiesen? Wie freundschaftlich! – Warnen Sie ihn, daß er sich
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in meinem Gebiete nicht betreten läßt. Mein Verweis möchte so
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freundschaftlich nicht sein.
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Marinelli: Recht wohl! – Ich und Angelo, Vorsatz und Zufall: alles ist eins. –
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Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, daß
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keiner der Unglücksfälle, die sich dabei ereignen könnten, mir
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zuschulden kommen solle –
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Der Prinz: Die sich dabei ereignen – könnten, sagen Sie? oder sollten?
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Marinelli: Immer besser! – Doch, gnädiger Herr – ehe Sie mir es mit dem
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trocknen Worte sagen, wofür Sie mich halten – eine einzige Vorstellung!
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Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger als gleichgültig. Ich hatte ihn
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ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig, er ist ohne diese aus der
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Welt gegangen, und meine Ehre bleibt beleidiget. Gesetzt, ich verdiente
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unter jeden andern Umständen den Verdacht, den Sie gegen mich
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hegen, aber auch unter diesen? – (Mit einer angenommenen Hitze.)
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Wer das von mir denken kann! –
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Der Prinz (nachgebend): Nun gut, nun gut –
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Marinelli: Daß er noch lebtet . O daß er noch lebte! Alles, alles in der Welt
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wollte ich darum geben – (bitter) selbst die Gnade meines Prinzen –
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diese unschätzbare, nie zu verscherzende Gnade – wollt' ich drum
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geben!
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Der Prinz: Ich verstehe. – Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, bloßer
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Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es. – Aber wer mehr? Auch
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die Mutter? Auch Emilia? – Auch die Welt?
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Marinelli (kalt): Schwerlich.
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Der Prinz: Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn glauben? –
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Sie zucken die Achsel? – Ihren Angelo wird man für das Werkzeug und
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mich für den Täter halten –
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Marinelli (noch kälter): Wahrscheinlich genug.
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Der Prinz: Mich! mich selbst! – Oder ich muß von Stund' an alle Absicht auf
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Emilien aufgeben –
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Marinelli (höchst gleichgültig): Was Sie auch gemußt hätten – wenn der
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Graf noch lebte. –
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Der Prinz (heftig, aber sich gleich wieder fassend): Marinelli! – Doch Sie
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sollen mich nicht wild machen. – Es sei so – Es ist so! Und das wollen
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Sie doch nur sagen: der Tod des Grafen ist für mich ein Glück – das
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größte Glück, was mir begegnen konnte – das einzige Glück, was
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meiner Liebe zustatten kommen konnte. Und als dieses – mag er doch
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geschehen sein, wie er will! – Ein Graf mehr in der Welt oder weniger!
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Denke ich Ihnen so recht? – Topp! auch ich erschrecke vor einem
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kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter Freund, muß es ein kleines
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Verbrechen, ein kleines stilles, heilsames Verbrechen sein. Und sehen
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Sie, unseres da, wäre nun gerade weder stille noch heilsam. Es hätte
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den Weg zwar gereiniget, aber zugleich gesperrt. Jedermann würde es
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uns auf den Kopf zusagen – und leider hätten wir es gar nicht einmal
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begangen! – Das liegt doch wohl nur bloß an Ihren weisen,
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wunderbaren Anstalten?
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Marinelli: Wenn Sie so befehlen
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Der Prinz: Woran sonst? – Ich will Rede!
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Marinelli: Es kömmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehört.
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Der Prinz: Rede will ich!
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Marinelli: Nun dann! Was läge an meinen Anstalten? daß den Prinzen bei
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diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft? – An dem
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Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit
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einzumengen die Gnade hatte.
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Der Prinz: Ich?
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Marinelli: Er erlaube mir, ihm zu sagen, daß der Schritt, den er heute
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morgen in der Kirche getan – mit so vielem Anstande er ihn auch getan
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– so unvermeidlich er ihn auch tun mußte –, daß dieser Schritt dennoch
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nicht in den Tanz gehörte.
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Der Prinz: Was verdarb er denn auch?
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Marinelli: Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt.
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Der Prinz: Hm! Versteh ich Sie?
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Marinelli: Also, kurz und einfältig. Da ich die Sache übernahm, nicht wahr,
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da wußte Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? Emiliens
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Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? und der
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Prinz indes den Grund meines Gebäudes untergrub?
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Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend): Verwünscht!
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Marinelli: Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde führe?
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Der Prinz: Verdammter Einfall!
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Marinelli: Und wenn er es nicht selbst verraten hätte? – Traun! Ich möchte
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doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter den
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geringsten Argwohn gegen ihn schöpfen könnte?
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Der Prinz: Daß Sie recht haben!
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Marinelli: Daran tu ich freilich sehr unrecht – Sie werden verzeihen,
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gnädiger Herr –