Erster Auftritt
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Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen.
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Der Prinz. Marinelli.
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Marinelli: Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der größten
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Verachtung aus.
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Der Prinz: Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird Emilia noch
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heute die Seinige?
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Marinelli: Allem Ansehen nach.
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Der Prinz: Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel! – Wer weiß, wie
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albern Sie sich dabei genommen. – Wenn der Rat eines Toren einmal
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gut ist, so muß ihn ein gescheiter Mann ausführen. Das hätt' ich
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bedenken sollen.
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Marinelli: Da find ich mich schön belohnt!
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Der Prinz: Und wofür belohnt?
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Marinelli: Daß ich noch mein Leben darüber in die Schanze schlagen
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wollte. – Als ich sahe, daß weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen
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konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in
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Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, über die er sich vergaß. Er
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stieß Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung –
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und forderte sie gleich auf der Stelle. – Ich dachte so: entweder er mich
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oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun,
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wenn auch; so muß er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit.
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Der Prinz: Das hätten Sie getan, Marinelli?
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Marinelli: Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so töricht bereit ist,
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sich für die Großen aufzuopfern – man sollt' es voraus wissen, wie
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erkenntlich sie sein würden –
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Der Prinz: Und der Graf? – Er stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht
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zweimal sagen zu lassen.
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Marinelli: Nachdem es fällt, ohne Zweifel. – Wer kann es ihm verdenken? –
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Er versetzte, daß er auf heute doch noch etwas Wichtigers zu tun habe,
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als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er mich auf die
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ersten acht Tage nach der Hochzeit.
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Der Prinz: Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend! – Darauf
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ließen Sie es gut sein und gingen – und kommen und prahlen, daß Sie
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Ihr Leben für mich in die Schanze geschlagen, sich mir aufgeopfert –
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Marinelli: Was wollen Sie aber, gnädiger Herr, das ich weiter hätte tun
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sollen?
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Der Prinz: Weiter tun? – Als ob er etwas getan hätte!
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Marinelli: Und lassen Sie doch hören, gnädiger Herr, was Sie für sich selbst
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getan haben. – Sie waren so glücklich, sie noch in der Kirche zu
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sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet?
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Der Prinz (höhnisch): Neugierde zur Genüge! – Die ich nur befriedigen
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muß. – Oh, es ging alles nach Wunsch. – Sie brauchen sich nicht weiter
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zu bemühen, mein allzu dienstfertiger Freund! – Sie kam meinem
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Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich hätte sie nur gleich
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mitnehmen dürfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie
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wissen wollen – und können gehn!
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Marinelli: Und können gehn! – Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und
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würd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmögliche versuchen.
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– Das Unmögliche sag ich? – So unmöglich wär' es nun wohl nicht;
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aber kühn! – Wenn wir die Braut in unserer Gewalt hätten, so stünd' ich
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dafür, daß aus der Hochzeit nichts werden sollte.
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Der Prinz: Ei! wofür der Mann nicht alles stehen will! Nun dürft' ich ihm nur
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noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte sich an
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der Landstraße damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger einen
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Wagen an, und riss' ein Mädchen heraus, das er im Triumphe mir
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zubrächte.
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Marinelli: Es ist eher ein Mädchen mit Gewalt entführt worden, ohne daß es
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einer gewaltsamen Entführung ähnlich gesehen.
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Der Prinz: Wenn Sie das zu machen wüßten, so würden Sie nicht erst lange
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davon schwatzen.
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Marinelli: Aber für den Ausgang müßte man nicht stehen sollen. – Es
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könnten sich Unglücksfälle dabei ereignen –
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Der Prinz: Und es ist meine Art, daß ich Leute Dinge verantworten lasse,
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wofür sie nicht können!
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Marinelli: Also, gnädiger Herr – (Man hört von weitem einen Schuß.) Ha!
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was war das? – Hört' ich recht? – Hörten Sie nicht auch, gnädiger Herr,
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einen Schuß fallen? – Und da noch einen!
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Der Prinz: Was ist das? was gibt's?
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Marinelli: Was meinen Sie wohl? – Wie, wann ich tätiger wäre, als Sie
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glauben?
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Der Prinz: Tätiger? – So sagen Sie doch –
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Marinelli: Kurz: wovon ich gesprochen, geschieht.
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Der Prinz: Ist es möglich?
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Marinelli: Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben versichert.
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– Ich habe nochmals Ihr Wort – –
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Der Prinz: Aber die Anstalten sind doch so –
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Marinelli: Als sie nur immer sein können! – Die Ausführung ist Leuten
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anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann. Der Weg geht hart an der
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Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein Teil den Wagen angefallen
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haben; gleichsam, um ihn zu plündern. Und ein anderer Teil, wobei
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einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem Tiergarten gestürzt sein;
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den Angefallenen gleichsam zur Hülfe. Während des Handgemenges,
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in das beide Teile zum Schein geraten, soll mein Bedienter Emilien
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ergreifen, als ob er sie retten wolle, und durch den Tiergarten in das
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Schloß bringen. – So ist die Abrede. – Was sagen Sie nun, Prinz?
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Der Prinz: Sie überraschen mich auf eine sonderbare Art. – Und eine
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Bangigkeit überfällt mich – (Marinelli geht an das Fenster.) Wornach
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sehen Sie?
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Marinelli: Dahinaus muß es sein! – Recht! – und eine Maske kömmt bereits
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um die Planke gesprengt – ohne Zweifel, mir den Erfolg zu berichten. –
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Entfernen Sie sich, gnädiger Herr.
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Der Prinz: Ah, Marinelli –
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Marinelli: Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu viel getan, und vorhin zu wenig?
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Der Prinz: Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab – –
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Marinelli: Absehn? – Lieber alles mit eins! – Geschwind, entfernen Sie sich.
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– Die Maske muß Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.)