14. Kapitel
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Keine Viertelstunde, so war die Wohnung erreicht. Als beide hier in den
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kühlen Flur traten, war Roswitha beim Anblick all des Sonderbaren, das da
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herumhing, wie befangen; Effi aber ließ sie nicht zu weiteren Betrachtungen
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kommen und sagte: »Roswitha, nun gehen Sie da hinein. Das ist das
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Zimmer, wo wir schlafen. Ich will erst zu meinem Mann nach dem
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Landratsamt hinüber – das große Haus da neben dem kleinen, in dem Sie
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gewohnt haben – und will ihm sagen, daß ich Sie zur Pflege haben möchte
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bei dem Kinde. Er wird wohl mit allem einverstanden sein, aber ich muß
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doch erst seine Zustimmung haben. Und wenn ich die habe, dann müssen
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wir ihn ausquartieren, und Sie schlafen mit mir in dem Alkoven. Ich denke,
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wir werden uns schon vertragen.«
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Innstetten, als er erfuhr, um was sich's handle, sagte rasch und in guter
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Laune: »Das hast du recht gemacht, Effi, und wenn ihr Gesindebuch nicht
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zu schlimme Sachen sagt, so nehmen wir sie auf ihr gutes Gesicht hin. Es
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ist doch, Gott sei Dank, selten, daß einen das täuscht.«
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Effi war sehr glücklich, so wenig Schwierigkeiten zu begegnen, und
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sagte: »Nun wird es gehen. Ich fürchte mich jetzt nicht mehr.«
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»Um was, Effi?«
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»Ach, du weißt ja ... Aber Einbildungen sind das schlimmste, mitunter
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schlimmer als alles.«
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Roswitha zog in selbiger Stunde noch mit ihren paar Habseligkeiten in
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das landrätliche Haus hinüber und richtete sich in dem kleinen Alkoven ein.
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Als der Tag um war, ging sie früh zu Bett und schlief, ermüdet wie sie war,
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gleich ein. Am andern Morgen erkundigte sich Effi – die seit einiger Zeit
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(denn es war gerade Vollmond) wieder in Ängsten lebte –, wie Roswitha
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geschlafen und ob sie nichts gehört habe.
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»Was?« fragte diese.
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»Oh, nichts. Ich meine nur so; so was, wie wenn ein Besen fegt oder wie
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wenn einer über die Diele schlittert.«
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Roswitha lachte, was auf ihre junge Herrin einen besonders guten
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Eindruck machte. Effi war fest protestantisch erzogen und würde sehr
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erschrocken gewesen sein, wenn man an und in ihr was Katholisches
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entdeckt hätte; trotzdem glaubte sie, daß der Katholizismus uns gegen
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solche Dinge »wie da oben« besser schütze; ja, diese Betrachtung hatte bei
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dem Plan, Roswitha ins Haus zu nehmen, ganz erheblich mitgewirkt.
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Man lebte sich schnell ein, denn Effi hatte ganz den liebenswürdigen Zug
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der meisten märkischen Landfräulein, sich gern allerlei kleine Geschichten
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erzählen zu lassen, und die verstorbene Frau Registratorin und ihr Geiz und
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ihre Neffen und ihre Frauen boten einen unerschöpflichen Stoff. Auch
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Johanna hörte dabei gerne zu.
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Diese, wenn Effi bei den drastischen Stellen oft laut lachte, lächelte
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freilich und verwunderte sich im stillen, daß die gnädige Frau an all dem
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dummen Zeug soviel Gefallen finde; diese Verwunderung aber, die mit
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einem starken Überlegenheitsgefühl Hand in Hand ging, war doch auch
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wieder ein Glück und sorgte dafür, daß keine Rangstreitigkeiten
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aufkommen konnten. Roswitha war einfach die komische Figur, und Neid
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gegen sie zu hegen wäre für Johanna nichts anderes gewesen, wie wenn
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sie Rollo um seine Freundschaftsstellung beneidet hätte.
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So verging eine Woche, plauderhaft und beinahe gemütlich, weil Effi dem,
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was ihr persönlich bevorstand, ungeängstigter als früher entgegensah.
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Auch glaubte sie nicht, daß es so nahe sei. Den neunten Tag aber war es
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mit dem Plaudern und den Gemütlichkeiten vorbei; da gab es ein Laufen
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und Rennen, Innstetten selbst kam ganz aus seiner gewohnten Reserve
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heraus, und am Morgen des 3. Juli stand neben Effis Bett eine Wiege.
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Doktor Hannemann patschelte der jungen Frau die Hand und sagte: »Wir
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haben heute den Tag von Königgrätz; schade, daß es ein Mädchen ist. Aber
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das andere kann ja nachkommen, und die Preußen haben viele
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Siegestage.« Roswitha mochte wohl Ähnliches denken, freute sich
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indessen vorläufig ganz uneingeschränkt über das, was da war, und nannte
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das Kind ohne weiteres »Lütt-Annie«, was der jungen Mutter als ein
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Zeichen galt. Es müsse doch wohl eine Eingebung gewesen sein, daß
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Roswitha gerade auf diesen Namen gekommen sei. Selbst Innstetten wußte
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nichts dagegen zu sagen, und so wurde von Klein Annie gesprochen, lange
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bevor der Tauftag da war. Effi, die von Mitte August an bei den Eltern in
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Hohen-Cremmen sein wollte, hätte die Taufe gern bis dahin verschoben.
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Aber es ließ sich nichts tun; Innstetten konnte nicht Urlaub nehmen, und so
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wurde denn der 15. August, trotzdem es der Napoleonstag war (was denn
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auch von seiten einiger Familien beanstandet wurde), für diesen Taufakt
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festgesetzt, natürlich in der Kirche. Das sich anschließende Festmahl, weil
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das landrätliche Haus keinen Saal hatte, fand in dem großen
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Ressourcen-Hotel am Bollwerk statt, und der gesamte Nachbaradel war
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geladen und auch erschienen. Pastor Lindequist ließ Mutter und Kind in
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einem liebenswürdigen und allseitig bewunderten Toaste leben, bei welcher
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Gelegenheit Sidonie von Grasenabb zu ihrem Nachbar, einem adligen
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Assessor von der strengen Richtung, bemerkte: »Ja, seine Kasualreden,
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das geht. Aber seine Predigten kann er vor Gott und Menschen nicht
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verantworten; er ist ein Halber, einer von denen, die verworfen sind, weil sie
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lau sind. Ich mag das Bibelwort hier nicht wörtlich zitieren.« Gleich danach
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nahm auch der alte Herr von Borcke das Wort, um Innstetten leben zu
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lassen. »Meine Herrschaften, es sind schwere Zeiten, in denen wir leben,
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Auflehnung, Trotz, Indisziplin wohin wir blicken. Aber solange wir noch
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Männer haben, und ich darf hinzusetzen, Frauen und Mütter (und hier
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verbeugte er sich mit einer eleganten Handbewegung gegen Effi) ... solange
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wir noch Männer haben wie Baron Innstetten, den ich stolz bin, meinen
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Freund nennen zu dürfen, so lange geht es noch, so lange hält unser altes
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Preußen noch. Ja, meine Freunde, Pommern und Brandenburg, damit
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zwingen wir's und zertreten dem Drachen der Revolution das giftige Haupt.
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Fest und treu, so siegen wir. Die Katholiken, unsere Brüder, die wir, auch
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wenn wir sie bekämpfen, achten müssen, haben den 'Felsen Petri', wir aber
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haben den 'Rocher de bronce'. Baron Innstetten, er lebe hoch!« Innstetten
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dankte ganz kurz. Effi sagte zu dem neben ihr sitzenden Major von
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Crampas, das mit dem »Felsen Petri« sei wahrscheinlich eine Huldigung
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gegen Roswitha gewesen; sie werde nachher an den alten Justizrat
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Gadebusch herantreten und ihn fragen, ob er nicht Ihrer Meinung sei.
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Crampas nahm diese Bemerkung unerklärlicherweise für Ernst und riet von
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einer Anfrage bei dem Justizrat ab, was Effi ungemein erheiterte. »Ich habe
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Sie doch für einen besseren Seelenleser gehalten.«
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Ach, meine Gnädigste, bei schönen jungen Frauen, die noch nicht
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achtzehn sind, scheitert alle Lesekunst.«
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»Sie verderben sich vollends, Major. Sie können mich eine Großmutter
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nennen, aber Anspielungen darauf, daß ich noch nicht achtzehn bin, das
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kann Ihnen nie verziehen werden.«
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Als man von Tisch aufgestanden war, kam der Spätnachmittagsdampfer
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die Kessine herunter und legte an der Landungsbrücke, gegenüber dem
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Hotel, an. Effi saß mit Crampas und Gieshübler beim Kaffee, alle Fenster
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auf, und sah dem Schauspiel drüben zu. »Morgen früh um neun führt mich
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dasselbe Schiff den Fluß hinauf, und zu Mittag bin ich in Berlin, und am
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Abend bin ich in Hohen-Cremmen, und Roswitha geht neben mir und hält
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das Kind auf dem Arm. Hoffentlich schreit es nicht. Ach, wie mir schon
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heute zumute ist! Lieber Gieshübler, sind Sie auch mal so froh gewesen, Ihr
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elterliches Haus wiederzusehen?«
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»Ja, ich kenne das auch, gnädigste Frau. Nur bloß, ich brachte kein
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Anniechen mit, weil ich keins hatte.«
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»Kommt noch«, sagte Crampas. »Stoßen Sie an, Gieshübler; Sie sind der
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einzige vernünftige Mensch hier.«
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»Aber, Herr Major, wir haben ja bloß noch den Kognak.«
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»Desto besser.«