35. Kapitel
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Effi war den ganzen Tag draußen im Park, weil sie das Luftbedürfnis
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hatte; der alte Friesacker Doktor Wiesike war auch einverstanden damit,
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gab ihr aber in diesem Stück doch zu viel Freiheit, zu tun, was sie wolle, so
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daß sie sich während der kalten Tage im Mai heftig erkältete: Sie wurde
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fiebrig, hustete viel, und der Doktor, der sonst jeden dritten Tag
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herüberkam, kam jetzt täglich und war in Verlegenheit, wie er der Sache
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beikommen solle, denn die Schlaf- und Hustenmittel, nach denen Effi
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verlangte, konnten ihr des Fiebers halber nicht gegeben werden.
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»Doktor«, sagte der alte Briest, »was wird aus der Geschichte? Sie
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kennen sie ja von klein auf, haben sie geholt. Mir gefällt das alles nicht; sie
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nimmt sichtlich ab, und die roten Flecke und der Glanz in den Augen, wenn
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sie mich mit einem Male so fragend ansieht. Was meinen Sie? Was wird?
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Muß sie sterben?«
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Wiesike wiegte den Kopf langsam hin und her. »Das will ich nicht sagen,
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Herr von Briest Daß sie so fiebert, gefällt mir nicht. Aber wir werden es
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schon wieder runter kriegen, dann muß sie nach der Schweiz oder nach
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Mentone. Reine Luft und freundliche Eindrücke, die das Alte vergessen
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machen ...«
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»Lethe, Lethe.«
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»Ja, Lethe«, lächelte Wiesike. »Schade, daß uns die alten Schweden, die
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Griechen, bloß das Wort hinterlassen haben und nicht zugleich auch die
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Quelle selbst ...«
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»Oder wenigstens das Rezept dazu; Wässer werden ja jetzt nachgemacht.
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Alle Wetter, Wiesike, das wär ein Geschäft, wenn wir hier so ein Sanatorium
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anlegen könnten: Friesack als Vergessenheitsquelle. Nun, vorläufig wollen
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wir's mit der Riviera versuchen. Mentone ist ja wohl Riviera? Die
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Kornpreise sind zwar in diesem Augenblicke wieder schlecht, aber was
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sein muß, muß sein. Ich werde mit meiner Frau darüber sprechen.«
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Das tat er denn auch und fand sofort seiner Frau Zustimmung, deren in
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letzter Zeit – wohl unter dem Eindruck zurückgezogenen Lebens – stark
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erwachte Lust, auch mal den Süden zu sehen, seinem Vorschlage zu Hilfe
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kam. Aber Effi selbst wollte nichts davon wissen. »Wie gut ihr gegen mich
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seid. Und ich bin egoistisch genug, ich würde das Opfer auch annehmen,
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wenn ich mir etwas davon verspräche. Mir steht es aber fest, daß es mir
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bloß schaden würde.«
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»Das redest du dir ein, Effi.«
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»Nein. Ich bin so reizbar geworden; alles ärgert mich. Nicht hier bei euch.
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Ihr verwöhnt mich und räumt mir alles aus dem Wege. Aber auf einer Reise,
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da geht das nicht, da läßt sich das Unangenehme nicht so beiseite tun; mit
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dem Schaffner fängt es an, und mit dem Kellner hört es auf. Wenn ich mir
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die süffisanten Gesichter bloß vorstelle, so wird mir schon ganz heiß. Nein,
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nein, laßt mich hier. Ich mag nicht mehr weg von Hohen-Cremmen, hier ist
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meine Stelle. Der Heliotrop unten auf dem Rondell, um die Sonnenuhr
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herum, ist mir lieber als Mentone.«
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Nach diesem Gespräch ließ man den Plan wieder fallen, und Wiesike,
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soviel er sich von Italien versprochen hatte, sagte: »Das müssen wir
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respektieren, denn das sind keine Launen; solche Kranken haben ein sehr
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feines Gefühl und wissen mit merkwürdiger Sicherheit, was ihnen hilft und
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was nicht. Und was Frau Effi da gesagt hat von Schaffner und Kellner, das
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ist doch auch eigentlich ganz richtig, und es gibt keine Luft, die so viel
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Heilkraft hätte, den Hotelärger (wenn man sich überhaupt darüber ärgert) zu
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balancieren. Also lassen wir sie hier; wenn es nicht das beste ist, so ist es
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gewiß nicht das schlechteste.«
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Das bestätigte sich denn auch. Effi erholte sich, nahm um ein geringes
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wieder zu (der alte Briest gehörte zu den Wiegefanatikern) und verlor ein
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gut Teil ihrer Reizbarkeit. Dabei war aber ihr Luftbedürfnis in einem
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beständigen Wachsen, und zumal wenn Westwind ging und graues Gewölk
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am Himmel zog, verbrachte sie viele Stunden im Freien. An solchen Tagen
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ging sie wohl auch auf die Felder hinaus und ins Luch, oft eine halbe Meile
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weit, und setzte sich, wenn sie müde geworden, auf einen Hürdenzaun und
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sah, in Träume verloren, auf die Ranunkeln und roten Ampferstauden, die
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sich im Winde bewegten.
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»Du gehst immer so allein«, sagte Frau von Briest. »Unter unseren Leuten
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bist du sicher; aber es schleicht auch so viel fremdes Gesindel umher.«
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Das machte doch einen Eindruck auf Effi, die an Gefahr nie gedacht hatte,
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und als sie mit Roswitha allein war, sagte sie: »Dich kann ich nicht gut
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mitnehmen, Roswitha; du bist zu dick und nicht mehr fest auf den Füßen.«
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»Nu, gnäd'ge Frau, so schlimm ist es doch noch nicht. Ich könnte ja doch
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noch heiraten.«
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»Natürlich«, lachte Effi. »Das kann man immer noch. Aber weißt du,
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Roswitha, wenn ich einen Hund hätte, der mich begleitete. Papas Jagdhund
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hat gar kein Attachement für mich, Jagdhunde sind so dumm, und er rührt
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sich immer erst, wenn der Jäger oder der Gärtner die Flinte vom Riegel
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nimmt. Ich muß jetzt oft an Rollo denken.«
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»Ja«, sagte Roswitha, »so was wie Rollo haben sie hier gar nicht. Aber
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damit will ich nichts gegen 'hier' gesagt haben. Hohen-Cremmen ist sehr
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gut.«
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Es war drei, vier Tage nach diesem Gespräche zwischen Effi und
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Roswitha, daß Innstetten um eine Stunde früher in sein Arbeitszimmer trat
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als gewöhnlich. Die Morgensonne, die sehr hell schien, hatte ihn geweckt,
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und weil er fühlen mochte, daß er nicht wieder einschlafen würde, war er
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aufgestanden, um sich an eine Arbeit zu machen, die schon seit geraumer
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Zeit der Erledigung harrte.
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Nun war es eine Viertelstunde nach acht, und er klingelte. Johanna
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brachte das Frühstückstablett, auf dem neben der Kreuzzeitung und der
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Norddeutschen Allgemeinen auch noch zwei Briefe lagen. Er überflog die
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Adressen und erkannte an der Handschrift, daß der eine vom Minister war.
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Aber der andere? Der Poststempel war nicht deutlich zu lesen, und das »Sr.
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Wohlgeboren Herrn Baron von Innstetten« bezeugte eine glückliche
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Unvertrautheit mit den landesüblichen Titulaturen. Dem entsprachen auch
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die Schriftzüge von sehr primitivem Charakter. Aber die Wohnungsangabe
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war wieder merkwürdig genau: W. Keithstraße I C, zwei Treppen hoch.
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Innstetten war Beamter genug, um den Brief von »Exzellenz« zuerst zu
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erbrechen. »Mein lieber Innstetten! Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu
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können, daß Seine Majestät Ihre Ernennung zu unterzeichnen geruht
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haben, und gratuliere Ihnen aufrichtig dazu.« Innstetten war erfreut über die
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liebenswürdigen Zeilen des Ministers, fast mehr als über die Ernennung
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selbst. Denn was das Höherhinaufklimmen auf der Leiter anging, so war er
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seit dem Morgen in Kessin, wo Crampas mit einem Blick, den er immer vor
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Augen hatte, Abschied von ihm genommen, etwas kritisch gegen derlei
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Dinge geworden. Er maß seitdem mit anderem Maß, sah alles anders an.
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Auszeichnung, was war es am Ende? Mehr als einmal hatte er während der
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ihm immer freudloser dahinfließenden Tage einer halbvergessenen
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Ministerialanekdote aus den Zeiten des älteren Ladenberg her gedenken
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müssen, der, als er nach langem Warten den Roten Adlerorden empfing, ihn
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wütend und mit dem Ausruf beiseite warf: »Da liege, bis du schwarz wirst.«
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Wahrscheinlich war er dann hinterher auch »schwarz« geworden, aber um
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viele Tage zu spät und sicherlich ohne rechte Befriedigung für den
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Empfänger.
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Alles, was uns Freude machen soll, ist an Zeit und Umstände gebunden,
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und was uns heute noch beglückt, ist morgen wertlos. Innstetten empfand
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das tief, und so gewiß ihm an Ehren und Gunstbezeugungen von oberster
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Stelle her lag, wenigstens gelegen hatte, so gewiß stand ihm jetzt fest, es
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käme bei dem glänzenden Schein der Dinge nicht viel heraus, und das, was
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man »das Glück« nenne, wenn's überhaupt existiere, sei was anderes als
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dieser Schein. »Das Glück, wenn mir recht ist, liegt in zweierlei: darin, daß
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man ganz da steht, wo man hingehört (aber welcher Beamte kann das von
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sich sagen), und zum zweiten und besten in einem behaglichen Abwickeln
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des ganz Alltäglichen, also darin, daß man ausgeschlafen hat und daß die
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neuen Stiefel nicht drücken. Wenn einem die 720 Minuten eines
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zwölfstündigen Tages ohne besonderen Ärger vergehen, so läßt sich von
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einem glücklichen Tage sprechen.« In einer Stimmung, die derlei
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schmerzlichen Betrachtungen nachhing, war Innstetten auch heute wieder.
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Er nahm nun den zweiten Brief. Als er ihn gelesen, fuhr er über seine Stirn
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und empfand schmerzlich, daß es ein Glück gebe, daß er es gehabt, aber
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daß er es nicht mehr habe und nicht mehr haben könne.
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Johanna trat ein und meldete: »Geheimrat Wüllersdorf.« Dieser stand
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schon auf der Türschwelle. »Gratuliere, Innstetten.«
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»Ihnen glaub ich's; die anderen werden sich ärgern. Im übrigen ...«
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»Im übrigen. Sie werden doch in diesem Augenblick nicht kritteln wollen.«
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»Nein. Die Gnade Seiner Majestät beschämt mich, und die wohlwollende
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Gesinnung des Ministers, dem ich das alles verdanke, fast noch mehr.«
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»Aber ...«
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»Aber ich habe mich zu freuen verlernt. Wenn ich es einem anderen als
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Ihnen sagte, so würde solche Rede für redensartlich gelten. Sie aber, Sie
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finden sich darin zurecht. Sehen Sie sich hier um; wie leer und öde ist das
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alles. Wenn die Johanna eintritt, ein sogenanntes Juwel, so wird mir angst
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und bange. Dieses Sich-in-Szene-Setzen (und Innstetten ahmte Johannas
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Haltung nach), diese halb komische Büstenplastik, die wie mit einem
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Spezialanspruch auftritt, ich weiß nicht, ob an die Menschheit oder an mich
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– ich finde das alles so trist und elend, und es wäre zum Totschießen, wenn
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es nicht so lächerlich wäre.«
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»Lieber Innstetten, in dieser Stimmung wollen Sie Ministerialdirektor
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werden?«
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»Ah, bah. Kann es anders sein? Lesen Sie, diese Zeilen habe ich eben
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bekommen.«
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Wüllersdorf nahm den zweiten Brief mit dem unleserlichen Poststempel,
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amüsierte sich über das »Wohlgeboren« und trat dann ans Fenster, um
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bequemer lesen zu können.
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»Gnäd'ger Herr! Sie werden sich wohl am Ende wundern, daß ich Ihnen
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schreibe, aber es ist wegen Rollo. Anniechen hat uns schon voriges Jahr
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gesagt: Rollo wäre jetzt so faul; aber das tut hier nichts, er kann hier so faul
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sein, wie er will, je fauler, je besser. Und die gnäd'ge Frau möchte es doch
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so gern. Sie sagt immer, wenn sie ins Luch oder über Feld geht: 'Ich fürchte
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mich eigentlich, Roswitha, weil ich da so allein bin; aber wer soll mich
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begleiten? Rollo, ja, das ginge; der ist mir auch nicht gram. Das ist der
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Vorteil, daß sich die Tiere nicht so drum kümmern.' Das sind die Worte der
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gnäd'gen Frau, und weiter will ich nichts sagen und den gnäd'gen Herrn
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bloß noch bitten, mein Anniechen zu grüßen. Und auch die Johanna. Von
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Ihrer treu ergebenen Dienerin
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Roswitha Gellenhagen«
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»Ja«, sagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zusammenfaltete, »die
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ist uns über.«
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»Finde ich auch.«
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»Und das ist auch der Grund, daß Ihnen alles andere so fraglich
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erscheint.«
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»Sie treffen's. Es geht mir schon lange durch den Kopf, und diese
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schlichten Worte mit ihrer gewollten oder vielleicht auch nicht gewollten
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Anklage haben mich wieder vollends aus dem Häuschen gebracht. Es quält
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mich seit Jahr und Tag schon, und ich möchte aus dieser ganzen
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Geschichte heraus; nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich auszeichnet,
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je mehr fühle ich, daß dies alles nichts ist. Mein Leben ist verpfuscht, und
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so hab ich mir im stillen ausgedacht, ich müßte mit all den Strebungen und
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Eitelkeiten überhaupt nichts mehr zu tun haben und mein Schulmeistertum,
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was ja wohl mein Eigentliches ist, als ein höherer Sittendirektor verwenden
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können. Es hat ja dergleichen gegeben. Ich müßte also, wenn's ginge,
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solche schrecklich berühmte Figur werden, wie beispielsweise der Doktor
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Wichern im Rauhen Hause zu Hamburg gewesen ist, dieser Mirakelmensch,
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der alle Verbrecher mit seinem Blick und seiner Frömmigkeit bändigte ...«
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»Hm, dagegen ist nichts zu sagen; das würde gehen.«
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»Nein, es geht auch nicht. Auch das nicht mal. Mir ist eben alles
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verschlossen. Wie soll ich einen Totschläger an seiner Seele packen? Dazu
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muß man selber intakt sein. Und wenn man's nicht mehr ist und selber so
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was an den Fingerspitzen hat, dann muß man wenigstens vor seinen zu
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bekehrenden Confratres den wahnsinnigen Büßer spielen und eine
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Riesenzerknirschung zum besten geben können.«
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Wüllersdorf nickte.
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Nun, sehen Sie, Sie nicken. Aber das alles kann ich nicht mehr. Den Mann
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im Büßerhemd bring ich nicht mehr heraus und den Derwisch oder Fakir,
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der unter Selbstanklagen sich zu Tode tanzt, erst recht nicht. Und da hab
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ich mir denn, weil das alles nicht geht, als ein Bestes herausgeklügelt: weg
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von hier, weg und hin unter lauter pechschwarze Kerle, die von Kultur und
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Ehre nichts wissen. Diese Glücklichen! Denn gerade das, dieser ganze
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Krimskrams ist doch an allem schuld. Aus Passion, was am Ende gehen
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möchte, tut man dergleichen nicht. Also bloßen Vorstellungen zuliebe ...
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Vorstellungen! ... Und da klappt denn einer zusammen, und man klappt
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selber nach. Bloß noch schlimmer.«
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»Ach was, Innstetten, das sind Launen, Einfälle. Quer durch Afrika, was
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soll das heißen? Das ist für 'nen Leutnant, der Schulden hat. Aber ein Mann
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wie Sie! Wollen Sie mit einem roten Fes einem Palaver präsidieren oder mit
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einem Schwiegersohn von König Mtesa Blutfreundschaft schließen? Oder
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wollen Sie sich in einem Tropenhelm, mit sechs Löchern oben, am Kongo
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entlangtasten, bis Sie bei Kamerun oder da herum wieder herauskommen?
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Unmöglich!«
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»Unmöglich? Warum? Und wenn unmöglich, was dann?«
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Einfach hierbleiben und Resignation üben. Wer ist denn unbedrückt? Wer
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sagte nicht jeden Tag: 'Eigentlich eine sehr fragwürdige Geschichte.' Sie
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wissen, ich habe auch mein Päckchen zu tragen, nicht gerade das Ihrige,
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aber nicht viel leichter. Es ist Torheit mit dem Im-Urwald-Umherkriechen
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oder In-einem-Termitenhügel-Nächtigen; wer's mag, der mag es, aber für
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unserem ist es nichts. In der Bresche stehen und aushalten, bis man fällt,
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das ist das beste. Vorher aber im kleinen und kleinsten so viel
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herausschlagen wie möglich und ein Auge dafür haben, wenn die Veilchen
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blühen oder das Luisendenkmal in Blumen steht oder die kleinen Mädchen
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mit hohen Schnürstiefeln über die Korde springen. Oder auch wohl nach
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Potsdam fahren und in die Friedenskirche gehen, wo Kaiser Friedrich liegt
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und wo sie jetzt eben anfangen, ihm ein Grabhaus zu bauen. Und wenn Sie
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da stehen, dann überlegen Sie sich das Leben von dem, und wenn Sie dann
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nicht beruhigt sind, dann ist Ihnen freilich nicht zu helfen.«
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»Gut, gut. Aber das Jahr ist lang, und jeder einzelne Tag ... und dann der
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Abend.«
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»Mit dem ist immer noch am ehesten fertig zu werden. Da haben wir
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Sardanapal' oder 'Coppelia' mit der del Era, und wenn es damit aus ist,
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dann haben wir Siechen. Nicht zu verachten. Drei Seidel beruhigen
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jedesmal. Es gibt immer noch viele, sehr viele, die zu der ganzen Sache
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nicht anders stehen wie wir, und einer, dem auch viel verquer gegangen
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war, sagte mir mal: 'Glauben Sie mir, Wüllersdorf, es geht überhaupt nicht
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ohne 'Hilfskonstruktionen'.' Der das sagte, war ein Baumeister und mußte
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es also wissen. Und er hatte recht mit seinem Satz. Es vergeht kein Tag, der
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mich nicht an die 'Hilfskonstruktionen' gemahnte.«
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Wüllersdorf, als er sich so expektoriert, nahm Hut und Stock. Innstetten
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aber, der sich bei diesen Worten seines Freundes seiner eigenen
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voraufgegangenen Betrachtungen über das »kleine Glück« erinnert haben
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mochte, nickte halb zustimmend und lächelte vor sich hin.
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»Und wohin gehen Sie nun, Wüllersdorf? Es ist noch zu früh für das
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Ministerium.«
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»Ich schenk es mir heute ganz. Erst noch eine Stunde Spaziergang am
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Kanal hin bis an die Charlottenburger Schleuse und dann wieder zurück.
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Und dann ein kleines Vorsprechen bei Huth, Potsdamer Straße, die kleine
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Holztreppe vorsichtig hinauf. Unten ist ein Blumenladen.«
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»Und das freut Sie? Das genügt Ihnen?«
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»Das will ich nicht gerade sagen. Aber es hilft ein bißchen. Ich finde da
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verschiedene Stammgäste, Frühschoppler, deren Namen ich klüglich
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verschweige. Der eine erzählt dann vom Herzog von Ratibor, der andere
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vom Fürstbischof Kopp und der dritte wohl gar von Bismarck. Ein bißchen
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fällt immer ab. Dreiviertel stimmt nicht, aber wenn es nur witzig ist, krittelt
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man nicht lange dran herum und hört dankbar zu.« Und damit ging er.