Studierzimmer II
2
Faust. Mephistopheles.
3
4
Faust:
5
Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?
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7
Mephistopheles:
8
Ich bin's.
9
10
Faust:
11
Herein!
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13
Mephistopheles:
14
Du mußt es dreimal sagen.
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16
Faust:
17
Herein denn!
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19
Mephistopheles:
20
So gefällst du mir. Wir werden, hoff ich, uns vertragen;
21
Denn dir die Grillen zu verjagen,
22
Bin ich als edler Junker hier,
23
In rotem, goldverbrämtem Kleide,
24
Das Mäntelchen von starrer Seide,
25
Die Hahnenfeder auf dem Hut,
26
Mit einem langen, spitzen Degen,
27
Und rate nun dir, kurz und gut,
28
Dergleichen gleichfalls anzulegen;
29
Damit du, losgebunden, frei,
30
Erfahrest, was das Leben sei.
31
32
Faust:
33
In jedem Kleide werd ich wohl die Pein
34
Des engen Erdelebens fühlen.
35
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
36
Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.
37
Was kann die Welt mir wohl gewähren?
38
Entbehren sollst du! sollst entbehren!
39
Das ist der ewige Gesang,
40
Der jedem an die Ohren klingt,
41
Den, unser ganzes Leben lang,
42
Uns heiser jede Stunde singt.
43
Nur mit Entsetzen wach ich morgens auf,
44
Ich möchte bittre Tränen weinen,
45
Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
46
Nicht einen Wunsch erfüllen wird, nicht einen,
47
Der selbst die Ahnung jeder Lust
48
Mit eigensinnigem Krittel mindert,
49
Die Schöpfung meiner regen Brust
50
Mit tausend Lebensfratzen hindert.
51
Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
52
Mich ängstlich auf das Lager strecken;
53
Auch da wird keine Rast geschenkt,
54
Mich werden wilde Träume schrecken.
55
Der Gott, der mir im Busen wohnt,
56
Kann tief mein Innerstes erregen;
57
Der über allen meinen Kräften thront,
58
Er kann nach außen nichts bewegen;
59
Und so ist mir das Dasein eine Last,
60
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
61
62
Mephistopheles:
63
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.
64
65
Faust:
66
O selig der, dem er im Siegesglanze
67
Die blut'gen Lorbeern um die Schläfe windet,
68
Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
69
In eines Mädchens Armen findet!
61
O wär ich vor des hohen Geistes Kraft
62
Entzückt, entseelt dahin gesunken!
63
64
Mephistopheles:
65
Und doch hat jemand einen braunen Saft,
66
In jener Nacht, nicht ausgetrunken.
67
68
Faust:
69
Das Spionieren, scheint's, ist deine Lust.
70
71
Mephistopheles:
72
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.
73
74
Faust:
75
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
76
Ein süß bekannter Ton mich zog,
77
Den Rest von kindlichem Gefühle
78
Mit Anklang froher Zeit betrog,
79
So fluch ich allem, was die Seele
80
Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
81
Und sie in diese Trauerhöhle
82
Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!
83
Verflucht voraus die hohe Meinung
84
Womit der Geist sich selbst umfängt!
85
Verflucht das Blenden der Erscheinung,
86
Die sich an unsre Sinne drängt!
87
Verflucht, was uns in Träumen heuchelt
88
Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
89
Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt,
90
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
91
Verflucht sei Mammon, wenn mit Schätzen
92
Er uns zu kühnen Taten regt,
93
Wenn er zu müßigem Ergetzen
94
Die Polster uns zurechte legt!
95
Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben!
96
Fluch jener höchsten Liebeshuld!
97
Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
98
Und Fluch vor allen der Geduld!
99
100
Geisterchor (unsichtbar):
101
Weh! weh!
102
Du hast sie zerstört
103
Die schöne Welt,
104
Mit mächtiger Faust;
105
Sie stürzt, sie zerfällt!
106
Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
107
Wir tragen
108
Die Trümmern ins Nichts hinüber,
109
Und klagen
110
Über die verlorne Schöne.
111
Mächtiger
112
Der Erdensöhne,
113
Prächtiger
114
Baue sie wieder,
115
In deinem Busen baue sie auf!
116
Neuen Lebenslauf
117
Beginne,
118
Mit hellem Sinne,
119
Und neue Lieder
120
Tönen darauf!
121
122
Mephistopheles:
123
Dies sind die Kleinen
124
Von den Meinen.
125
Höre, wie zu Lust und Taten
126
Altklug sie raten!
127
In die Welt weit,
128
Aus der Einsamkeit
129
Wo Sinnen und Säfte stocken,
130
Wollen sie dich locken. Hör auf, mit deinem Gram zu spielen,
131
Der, wie ein Geier, dir am Leben frißt;
132
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen,
133
Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
134
Doch so ist's nicht gemeint
135
Dich unter das Pack zu stoßen.
136
Ich bin keiner von den Großen;
137
Doch willst du, mit mir vereint,
138
Deine Schritte durchs Leben nehmen,
139
So will ich mich gern bequemen,
140
Dein zu sein, auf der Stelle.
141
Ich bin dein Geselle,
142
Und mach ich dir's recht,
143
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
144
145
Faust:
146
Und was soll ich dagegen dir erfüllen?
147
148
Mephistopheles:
149
Dazu hast du noch eine lange Frist.
150
151
Faust:
152
Nein, nein! der Teufel ist ein Egoist
153
Und tut nicht leicht um Gottes willen,
154
Was einem andern nützlich ist.
155
Sprich die Bedingung deutlich aus;
156
Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.
157
158
Mephistopheles:
159
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
160
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
161
Wenn wir uns drüben wiederfinden,
162
So sollst du mir das gleiche tun.
163
164
Faust:
165
Das Drüben kann mich wenig kümmern;
166
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
167
Die andre mag darnach entstehn.
168
Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
169
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
170
Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
171
Dann mag, was will und kann, geschehn.
172
Davon will ich nichts weiter hören,
173
Ob man auch künftig haßt und liebt,
174
Und ob es auch in jenen Sphären
175
Ein Oben oder Unten gibt.
176
177
Mephistopheles:
178
In diesem Sinne kannst du's wagen.
179
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
180
Mit Freuden meine Künste sehn,
181
Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn.
182
183
Faust:
184
Was willst du armer Teufel geben?
185
Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
186
Von deinesgleichen je gefaßt?
187
Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast
188
Du rotes Gold, das ohne Rast,
189
Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
190
Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt,
191
Ein Mädchen, das an meiner Brust
192
Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
193
Der Ehre schöne Götterlust,
194
Die, wie ein Meteor, verschwindet?
195
Zeig mir die Frucht, die fault, eh man sie bricht,
196
Und Bäume, die sich täglich neu begrünen!
197
198
Mephistopheles:
199
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
200
Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
201
Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran,
202
Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen.
203
204
Faust:
205
Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
206
So sei es gleich um mich getan!
207
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
208
Daß ich mir selbst gefallen mag,
209
Kannst du mich mit Genuß betrügen-
210
Das sei für mich der letzte Tag!
211
Die Wette biet ich!
212
213
Mephistopheles:
214
Topp!
215
216
Faust:
217
Und Schlag auf Schlag! Werd ich zum Augenblicke sagen:
218
Verweile doch! du bist so schön!
219
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
220
Dann will ich gern zugrunde gehn!
221
Dann mag die Totenglocke schallen,
222
Dann bist du deines Dienstes frei,
223
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
224
Es sei die Zeit für mich vorbei!
225
226
Mephistopheles:
227
Bedenk es wohl, wir werden's nicht vergessen.
228
229
Faust:
230
Dazu hast du ein volles Recht;
231
Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
232
Wie ich beharre, bin ich Knecht,
233
Ob dein, was frag ich, oder wessen.
234
235
Mephistopheles:
236
Ich werde heute gleich, beim Doktorschmaus,
237
Als Diener meine Pflicht erfüllen.
238
Nur eins!- Um Lebens oder Sterbens willen
239
Bitt ich mir ein paar Zeilen aus.
240
241
Faust:
242
Auch was Geschriebnes forderst du Pedant?
243
Hast du noch keinen Mann, nicht Manneswort gekannt?
244
Ist's nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
245
Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
246
Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
247
Und mich soll ein Versprechen halten?
248
Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
249
Wer mag sich gern davon befreien?
250
Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt,
251
Kein Opfer wird ihn je gereuen!
252
Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
253
Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen.
254
Das Wort erstirbt schon in der Feder,
255
Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
256
Was willst du böser Geist von mir?
257
Erz, Marmor, Pergament, Papier?
258
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
259
Ich gebe jede Wahl dir frei.
260
261
Mephistopheles:
262
Wie magst du deine Rednerei
263
Nur gleich so hitzig übertreiben?
264
Ist doch ein jedes Blättchen gut.
265
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
266
267
Faust:
268
Wenn dies dir völlig Gnüge tut,
269
So mag es bei der Fratze bleiben.
270
271
Mephistopheles:
272
Blut ist ein ganz besondrer Saft.
273
274
Faust:
275
Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche!
276
Das Streben meiner ganzen Kraft
277
Ist grade das, was ich verspreche.
278
Ich habe mich zu hoch gebläht,
279
In deinen Rang gehör ich nur.
280
Der große Geist hat mich verschmäht,
281
Vor mir verschließt sich die Natur
282
Des Denkens Faden ist zerrissen
283
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
284
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
285
Uns glühende Leidenschaften stillen!
286
In undurchdrungnen Zauberhüllen
287
Sei jedes Wunder gleich bereit!
288
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit,
289
Ins Rollen der Begebenheit!
290
Da mag denn Schmerz und Genuß,
291
Gelingen und Verdruß
292
Miteinander wechseln, wie es kann;
293
Nur rastlos betätigt sich der Mann.
294
295
Mephistopheles:
296
Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
297
Beliebt's Euch, überall zu naschen,
298
Im Fliehen etwas zu erhaschen,
299
Bekomm Euch wohl, was Euch ergetzt.
300
Nur greift mir zu und seid nicht blöde!
301
302
Faust:
303
Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede.
304
Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
305
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
306
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
307
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
308
Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
309
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
310
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
311
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
312
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
313
Und, wie sie selbst, am End auch ich zerscheitern.
314
315
Mephistopheles:
316
O glaube mir, der manche tausend Jahre
317
An dieser harten Speise kaut
318
Daß von der Wiege bis zur Bahre
319
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
320
Glaub unsereinem, dieses Ganze
321
Ist nur für einen Gott gemacht!
322
Er findet sich in einem ew'gen Glanze
323
Uns hat er in die Finsternis gebracht,
324
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
325
326
Faust:
327
Allein ich will!
328
329
Mephistopheles:
330
Das läßt sich hören! Doch nur vor einem ist mir bang:
331
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
332
Ich dächt, ihr ließet Euch belehren.
333
Assoziiert Euch mit einem Poeten,
334
Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
335
Und alle edlen Qualitäten
336
Auf Euren Ehrenscheitel häufen,
337
Des Löwen Mut,
338
Des Hirsches Schnelligkeit,
339
Des Italieners feurig Blut,
340
Des Nordens Dau'rbarkeit.
341
Laßt ihn Euch das Geheimnis finden,
342
Großmut und Arglist zu verbinden,
343
Und Euch, mit warmen Jugendtrieben,
344
Nach einem Plane zu verlieben.
345
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
346
Würd ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
347
348
Faust:
349
Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist,
350
Der Menschheit Krone zu erringen,
351
Nach der sich alle Sinne dringen?
352
353
Mephistopheles:
354
Du bist am Ende- was du bist.
355
Setz dir Perücken auf von Millionen Locken,
356
Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
357
Du bleibst doch immer, was du bist.
358
359
Faust:
360
Ich fühl's, vergebens hab ich alle Schätze
361
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
362
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
363
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
364
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
365
Bin dem Unendlichen nicht näher.
366
367
Mephistopheles:
368
Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen,
369
Wie man die Sachen eben sieht;
370
Wir müssen das gescheiter machen,
371
Eh uns des Lebens Freude flieht.
372
Was Henker! freilich Händ und Füße
373
Und Kopf und Hintern, die sind dein;
374
Doch alles, was ich frisch genieße,
375
Ist das drum weniger mein?
376
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
377
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
378
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
379
Als hätt ich vierundzwanzig Beine.
380
Drum frisch! Laß alles Sinnen sein,
381
Und grad mit in die Welt hinein!
382
Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert,
383
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
384
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
385
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
386
387
Faust:
388
Wie fangen wir das an?
389
390
Mephistopheles:
391
Wir gehen eben fort. Was ist das für ein Marterort?
392
Was heißt das für ein Leben führen,
393
Sich und die Jungens ennuyieren?
394
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
395
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
396
Das Beste, was du wissen kannst,
397
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
398
Gleich hör ich einen auf dem Gange!
399
400
Faust:
401
Mir ist's nicht möglich, ihn zu sehn.
402
403
Mephistopheles:
404
Der arme Knabe wartet lange,
405
Der darf nicht ungetröstet gehn.
406
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
407
Die Maske muß mir köstlich stehn.
408
(Er kleidet sich um.)
409
Nun überlaß es meinem Witze!
410
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
411
Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
412
(Faust ab.)
413
414
Mephistopheles (in Fausts langem Kleide.):
415
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
416
Des Menschen allerhöchste Kraft,
417
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
418
Dich von dem Lügengeist bestärken,
419
So hab ich dich schon unbedingt-
420
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
421
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
422
Und dessen übereiltes Streben
423
Der Erde Freuden überspringt.
424
Den schlepp ich durch das wilde Leben,
425
Durch flache Unbedeutenheit,
426
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
427
Und seiner Unersättlichkeit
428
Soll Speis und Trank vor gier'gen Lippen schweben;
429
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
430
Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
431
Er müßte doch zugrunde gehn!
432
433
(Ein Schüler tritt auf.)
434
Schüler:
435
Ich bin allhier erst kurze Zeit,
436
Und komme voll Ergebenheit,
437
Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
438
Den alle mir mit Ehrfucht nennen.
439
440
Mephistopheles:
441
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
442
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
443
Habt Ihr Euch sonst schon umgetan?
444
445
Schüler:
446
Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an!
447
Ich komme mit allem guten Mut,
448
Leidlichem Geld und frischem Blut;
449
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
450
Möchte gern was Rechts hieraußen lernen.
451
452
Mephistopheles:
453
Da seid Ihr eben recht am Ort.
454
455
Schüler:
456
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
457
In diesen Mauern, diesen Hallen
458
Will es mir keineswegs gefallen.
459
Es ist ein gar beschränkter Raum,
460
Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
461
Und in den Sälen, auf den Bänken,
462
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
463
464
Mephistopheles:
465
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
466
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
467
Nicht gleich im Anfang willig an,
468
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
469
So wird's Euch an der Weisheit Brüsten
470
Mit jedem Tage mehr gelüsten.
471
472
Schüler:
473
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
474
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
475
476
Mephistopheles:
477
Erklärt Euch, eh Ihr weiter geht,
478
Was wählt Ihr für eine Fakultät?
479
480
Schüler:
481
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
482
Und möchte gern, was auf der Erden
483
Und in dem Himmel ist, erfassen,
484
Die Wissenschaft und die Natur.
485
486
Mephistopheles:
487
Da seid Ihr auf der rechten Spur;
488
Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen.
489
490
Schüler:
491
Ich bin dabei mit Seel und Leib;
492
Doch freilich würde mir behagen
493
Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
494
An schönen Sommerfeiertagen.
495
496
Mephistopheles:
497
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
498
Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen.
499
Mein teurer Freund, ich rat Euch drum
500
Zuerst Collegium Logicum.
501
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
502
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
503
Daß er bedächtiger so fortan
504
Hinschleiche die Gedankenbahn,
505
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
506
Irrlichteliere hin und her.
507
Dann lehret man Euch manchen Tag,
508
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
509
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
510
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.
511
Zwar ist's mit der Gedankenfabrik
512
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
513
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
514
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
515
Die Fäden ungesehen fließen,
516
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.
517
Der Philosoph, der tritt herein
518
Und beweist Euch, es müßt so sein:
519
Das Erst wär so, das Zweite so,
520
Und drum das Dritt und Vierte so;
521
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
522
Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
523
Das preisen die Schüler allerorten,
524
Sind aber keine Weber geworden.
525
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
526
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
527
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
528
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
529
Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
530
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
531
532
Schüler:
533
Kann Euch nicht eben ganz verstehen.
534
535
Mephistopheles:
536
Das wird nächstens schon besser gehen,
537
Wenn Ihr lernt alles reduzieren
538
Und gehörig klassifizieren.
539
540
Schüler:
541
Mir wird von alledem so dumm,
542
Als ging, mir ein Mühlrad im Kopf herum.
543
544
Mephistopheles:
545
Nachher, vor allen andern Sachen,
546
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
547
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
548
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
549
Für was drein geht und nicht drein geht,
550
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
551
Doch vorerst dieses halbe Jahr
552
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
553
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
554
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
555
Habt Euch vorher wohl präpariert,
556
Paragraphos wohl einstudiert,
557
Damit Ihr nachher besser seht,
558
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
559
Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
560
Als diktiert, Euch der Heilig Geist!
561
562
Schüler:
563
Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen!
564
Ich denke mir, wie viel es nützt
565
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
566
Kann man getrost nach Hause tragen.
567
568
Mephistopheles:
569
Doch wählt mir eine Fakultät!
570
571
Faust:
572
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
573
574
Mephistopheles:
575
Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen,
576
Ich weiß, wie es um diese Lehre steht.
577
Es erben sich Gesetz' und Rechte
578
Wie eine ew'ge Krankheit fort;
579
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
580
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
581
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
582
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
583
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
584
Von dem ist, leider! nie die Frage.
585
586
Schüler:
587
Mein Abscheu wird durch Euch vermehrt.
588
O glücklich der, den Ihr belehrt!
589
Fast möcht ich nun Theologie studieren.
590
591
Mephistopheles:
592
Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen.
593
Was diese Wissenschaft betrifft,
594
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
595
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
596
Und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden.
597
Am besten ist's auch hier, wenn Ihr nur einen hört,
598
Und auf des Meisters Worte schwört.
599
Im ganzen- haltet Euch an Worte!
600
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
601
Zum Tempel der Gewißheit ein.
602
603
Schüler:
604
Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.
8. Abschnitt
605
Mephistopheles:
606
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen
607
Denn eben wo Begriffe fehlen,
608
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
609
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
610
Mit Worten ein System bereiten,
611
An Worte läßt sich trefflich glauben,
612
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
613
614
Schüler:
615
Verzeiht, ich halt Euch auf mit vielen Fragen,
616
Allem ich muß Euch noch bemühn.
617
Wollt Ihr mir von der Medizin
618
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
619
Drei Jahr ist eine kurze Zeit,
620
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
621
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
622
Läßt sich's schon eher weiter fühlen.
623
624
Mephistopheles (für sich):
625
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
626
Muß wieder recht den Teufel spielen.
627
(Laut.) Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
628
Ihr durchstudiert die groß, und kleine Welt,
629
Um es am Ende gehn zu lassen,
630
Wie's Gott gefällt.
631
Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
632
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;
633
Doch der den Augenblick ergreift,
634
Das ist der rechte Mann.
635
Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut,
636
An Kühnheit wird's Euch auch nicht fehlen,
637
Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
638
Vertrauen Euch die andern Seelen.
639
Besonders lernt die Weiber führen;
640
Es ist ihr ewig Weh und Ach
641
So tausendfach
642
Aus einem Punkte zu kurieren,
643
Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut,
644
Dann habt Ihr sie all unterm Hut.
645
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
646
Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt;
647
Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen Siebensachen,
648
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
649
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
650
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
651
Wohl um die schlanke Hüfte frei,
652
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.
653
654
Schüler:
655
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch, wo und wie.
656
657
Mephistopheles:
658
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
659
Und grün des Lebens goldner Baum.
660
661
Schüler:
662
Ich schwör Euch zu, mir ist's als wie ein Traum.
663
Dürft ich Euch wohl ein andermal beschweren,
664
Von Eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
665
666
Mephistopheles:
667
Was ich vermag, soll gern geschehn.
668
669
Schüler:
670
Ich kann unmöglich wieder gehn,
671
Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen,
672
Gönn Eure Gunst mir dieses Zeichen!
673
674
Mephistopheles:
675
Sehr wohl.
676
(Er schreib und gibt's.)
677
678
Schüler (liest):
679
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.
680
(Macht's ehrerbietig zu und empfiehlt sich.)
681
682
Mephistopheles:
683
Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
684
Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!
685
(Faust tritt auf.)
686
687
Faust:
688
Wohin soll es nun gehn?
689
690
Mephistopheles:
691
Wohin es dir gefällt.
692
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
693
Mit welcher Freude, welchem Nutzen
694
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
695
696
Faust:
697
Allein bei meinem langen Bart
698
Fehlt mir die leichte Lebensart.
699
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
700
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken.
701
Vor andern fühl ich mich so klein;
702
Ich werde stets verlegen sein.
703
704
Mephistopheles:
705
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
706
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
707
708
Faust:
709
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
710
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?
711
712
Mephistopheles:
713
Wir breiten nur den Mantel aus,
714
Der soll uns durch die Lüfte tragen.
715
Du nimmst bei diesem kühnen Schritt
716
Nur keinen großen Bündel mit.
717
Ein bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
718
Hebt uns behend von dieser Erde.
719
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
720
Ich gratuliere dir zum neuen Lebenslauf!