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Inhaltsverzeichnis

Dritter Auftritt

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Die Gräfin Orsina. Marinelli.
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Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken): Was ist das? – Niemand
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kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir lieber gar den
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Eintritt verweigert hätte? – Ich bin doch zu Dosalo? Zu dem Dosalo, wo
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mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener entgegenstürzte?
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wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten? – Der Ort ist es, aber,
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aber! – Sieh da, Marinelli! – Recht gut, daß der Prinz Sie mitgenommen.
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– Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte, hätte ich nur mit
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ihm auszumachen. – Wo ist er?
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Marinelli: Der Prinz, meine gnädige Gräfin?
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Orsina: Wer sonst?
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Marinelli: Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier? – Er wenigstens ist
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der Gräfin Orsina hier nicht vermutend.
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Orsina: Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten?
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Marinelli: Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, daß er eines Briefes von
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Ihnen erwähnte.
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Orsina: Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine
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Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten? – Es ist wahr, es hat ihm
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nicht beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine
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Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei
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Antworts genug, und ich komme.
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Marinelli: Ein sonderbarer Zufall!
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Orsina: Zufall? – Sie hören ja, daß es verabredet worden. So gut als
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verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat. – Wie er
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dasteht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das
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Gehirnchen? und worüber denn?
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Marinelli: Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals wieder
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vor die Augen zu kommen.
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Orsina: Beßrer Rat kömmt über Nacht. – Wo ist er? wo ist er? – Was gilt's,
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er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische hörte? –
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Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor.
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Marinelli: Meine liebste, beste Gräfin –
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Orsina: Es war ein weibliches Gekreische. Was gilt's, Marinelli? – O sagen
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Sie mir doch, sagen Sie mir – wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin
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bin – Verdammt, über das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen!
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Nun, was liegt daran, ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd
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es ja wohl sehen. (Will gehen.)
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Marinelli (der sie zurückhält): Wohin?
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Orsina: Wo ich längst sein sollte. – Denken Sie, daß es schicklich ist, mit
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Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu
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halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?
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Marinelli: Sie irren sich, gnädige Gräfin. Der Prinz erwartet Sie nicht. Der
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Prinz kann Sie hier nicht sprechen – will Sie nicht sprechen.
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Orsina: Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier?
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Marinelli: Nicht auf Ihren Brief –
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Orsina: Den er ja erhalten, sagen Sie –
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Marinelli: Erhalten, aber nicht gelesen.
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Orsina (heftig): Nicht gelesen? – (Minder heftig.) Nicht gelesen? –
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(Wehmütig und eine Träne aus dem Auge wischend.) Nicht einmal
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gelesen?
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Marinelli: Aus Zerstreuung, weiß ich – Nicht aus Verachtung.
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Orsina (stolz): Verachtung? – Wer denkt daran? – Wem brauchen Sie das
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zu sagen? – Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli! –
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Verachtung! Verachtung! Mich verachtet man auch! mich! – (Gelinder,
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bis zum Tone der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist
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ausgemacht. Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas
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anders. Das ist natürlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es
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braucht ja nur Gleichgültigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli?
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Marinelli: Allerdings, allerdings.
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Orsina (höhnisch): Allerdings? – O des weisen Mannes, den man sagen
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lassen kann, was man will! – Gleichgültigkeit! Gleichgültigkeit an die
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Stelle der Liebe? – Das heißt, nichts an die Stelle von etwas. Denn
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lernen Sie, nachplauderndes Hofmännchen, lernen Sie von einem
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Weibe, daß Gleichgültigkeit ein leeres Wort, ein bloßer Schall ist, dem
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nichts, gar nichts entspricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen das,
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woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das für sie kein Ding ist. Und
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nur gleichgültig für ein Ding, das kein Ding ist – das ist soviel als gar
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nicht gleichgültig. – Ist dir das zu hoch, Mensch?
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Marinelli (vor sich): O weh! wie wahr ist es, was ich fürchtete!
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Orsina: Was murmeln Sie da?
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Marinelli: Lauter Bewunderung! – Und wem ist es nicht bekannt, gnädige
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Gräfin, daß Sie eine Philosophin sind?
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Orsina: Nicht wahr? – Ja, ja, ich bin eine. – Aber habe ich mir es itzt merken
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lassen, daß ich eine bin? – O pfui, wenn ich mir es habe merken lassen,
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und wenn ich mir es öfterer habe merken lassen! Ist es wohl noch
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Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding
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lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das
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denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll es,
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nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schöpfung
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bei guter Laune zu erhalten. – Nun, worüber lach ich denn gleich,
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Marinelli? – Ach, jawohl! Über den Zufall! daß ich dem Prinzen
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schreibe, er soll nach Dosalo kommen; daß der Prinz meinen Brief nicht
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lieset und daß er doch nach Dosalo kömmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein
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sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr närrisch! – Und Sie lachen nicht
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mit, Marinelli? – Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der
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Schöpfung, ob wir arme Geschöpfe gleich nicht mitdenken dürfen. –
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(Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch!
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Marinelli: Gleich, gnädige Gräfin, gleich!
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Orsina: Stock! Und darüber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, lachen
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Sie nur nicht. – Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur
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Rührung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine
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ernsthafte – sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt! – Zufall? Ein
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Zufall wär' es, daß der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu
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sprechen, und mich doch hier sprechen muß? Ein Zufall? – Glauben
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Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der
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Sonne ist Zufall – am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die
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Augen leuchtet. – Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergib mir, daß ich mit
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diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar
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dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist! – (Hastig gegen
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Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so
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einem Frevel!
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Marinelli (vor sich): Das geht weit! – Aber gnädige Gräfin.
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Orsina: Still mit dem Aber! Die Aber kosten Überlegung – und mein Kopf!
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mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.) – Machen Sie,
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Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst bin
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ich es wohl gar nicht imstande. – Sie sehen, wir sollen uns sprechen,
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wir müssen uns sprechen.

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