Freie Enthalpie

Die Freie Enthalpie

Wichtig
Zu Beginn dieses Skripts wollen wir einen Blick darauf werfen, woher die Größe der Freien Enthalpie kommt. Dieses Vorhaben können wir mit dem bisher erarbeiteten Wissen angehen. Dennoch wirst du in diesem Skript insbesondere die Kapitel 2 und 3 für dein Abitur benötigen. Im ersten Kapitel beschäftigen wir uns insbesondere mit Hintergrundinformationen, die für das Bestehen des Abiturs nicht unmittelbar notwendig sind.

In diesem Skript wollen wir uns mit einer dritten Größe beschäftigen, welche uns neben der Enthalpie und der Entropie den Zugang zu weiteren Antworten im Bezug auf die Energetik von Reaktionen geben wird: die Freie Enthalpie oder auch Gibbs‘sche Freie Enthalpie \(G\).
Zunächst wollen wir die bereits besprochenen Konzepte der Enthalpie und der Entropie an dieser Stelle wieder aufgreifen, um anschließend die Freie Enthalpie definieren zu können. Wir betrachten dabei geschlossene Systeme, ein Energieaustausch über die Systemgrenzen ist also möglich, ein Stoffaustausch jedoch nicht.
Wir betrachten ein geschlossenes System, in welchem der Druck konstant sein soll und das Volumen variabel. Rechts siehst du einen Erlenmeyerkolben mit einem Ballon, der die Öffnung verschließt. Der Druck ist konstant, weil sich das Volumen des Ballons vergrößern kann. Gleichzeitig kann kein Stoffaustausch mit der Umgebung stattfinden, da der Ballon dieses verhindert.
  • \(p=\text{const.}\)
  • \(V\neq\text{const.}\)
Diagramm eines Erlenmeyerkolbens mit einem Ballon und Symbolen für elektrische Ladung.
Abb. 1: Geschlossenes System

Wir wollen vor diesem Hintergrund dazu übergehen, zu schauen, woher die Größe der Freien Enthalpie kommt. Hierzu beginnen wir mit folgender Definition der Entropie:
\(\Delta S\geq\dfrac{\Delta Q}{T}\)

\(\Delta S\) ist hierbei die Entropieänderung, \(\Delta Q\) beschreibt die ausgetauschte Wärmeenergie mit der Umgebung und \(T\) ist die Temperatur des Systems in Kelvin. Wichtig ist, dass wir uns noch einmal darüber im klaren sind, welche Randbedingungen bei unseren Überlegungen eine Rolle spielen:
  • geschlossenes System: Energieaustausch über die Systemgrenzen hinweg, jedoch kein Stoffaustausch
  • \(p=\text{const.}\): Der Druck ist konstant, da wir unter Atmosphärendruck experimentieren.
  • \(V\neq \text{const.}\): Das Volumen ist nicht konstant, da sich der Ballon aufblasen kann.

Nun ziehen wir einen Zusammenhang heran, den wir auch im Skript Enthalpie verwenden:
\(\text{Für}\hspace{.4cm}p=\text{const.}\) \(\hspace{.4cm}\text{gilt}\hspace{.4cm}\) \(\Delta Q_{\text{p}}=\Delta H\)

Bei konstantem Druck entspricht die ausgetauschte Wärmeenergie \(\boldsymbol{\Delta Q}\) der Enthalpieänderung \(\boldsymbol{\Delta H}\). Das kleine „p“ im Index des Ausdrucks \(\Delta Q_{\text{p}}\) verdeutlicht, dass der Druck bei der Betrachtung konstant ist. Damit können wir die oben eingeführte Formel für die Entropie, mit \(\Delta Q_{\text{p}}=\Delta H\), auch so schreiben:
\(\Delta S\geq\dfrac{\Delta Q}{T}\) \(\hspace{.3cm}\text{mit}\hspace{.3cm}p=const.\) \(\hspace{.3cm}\text{und}\hspace{.3cm}\)\(\Delta Q=\Delta Q_{p}\hspace{.3cm}\text{folgt}:\) \(\hspace{.3cm}\Delta S\geq\dfrac{\Delta H}{T}\)

Diese Gleichung formen wir nun noch um:
\(T\cdot\Delta S\geq\Delta H\)

Um im nächsten Schritt:
\(\Delta H-T\cdot\Delta S\leq0\)

Die Freie Enthalpie \(G\) wird nun definiert, als:
\(G=H-T\cdot S\)

Für Änderungen der beteiligten Größen (symbolisiert durch den großen griechischen Buchstaben Delta \(\Delta\)) ergibt sich die Gibbs-Helmholtz-Gleichung, die uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels beschäftigen wird.
\(\Delta G=\Delta H-T\cdot\Delta S\)

Bevor wir uns intensiver der Gibbs-Helmholtz-Gleichung widmen wollen, schauen wir uns noch einmal an, wie wir vorgegangen sind, um diese Gleichung zu erhalten und warum wir das getan haben. Insbesondere in der Schule kennst du den Umstand, dass viele Formeln vom „Himmel zu fallen scheinen“. Da wir in diesem Abschnitt explizit ein wenig über das Schulwissen hinausgehen, können wir diese Betrachtung wagen.
  1. Die Ungleichung, welche die Entropie definiert, steht am Anfang.
  2. Randbedingungen: \(p=const.\); damit konnten wir die Enthalpie in die Ungleichung einführen.
  3. Umformen der Ungleichung: Definition der Freien Enthalpie G

Das Wichtige an dieser Stelle bezieht sich nicht darauf, dass du diese ganzen Formeln auswendig lernen sollst (das sollte für die Gibbs-Helmholtz-Gleichung reichen), sondern darauf unter welchen Randbedingungen dieser Gleichung überhaupt gilt. Theoretisch müssten wir uns also bei jedem Problem Gedanken darüber machen, welche Randbedingungen vorherrschen. Anschließend sind wir dann in der Lage die richtige Gleichung anzuwenden, um unser Problem zu lösen. Du musst dir deswegen hier aber keine Sorgen machen, da die Randbedingungen sehr geschickt gewählt sind: Im Normalfall wirst du chemische Reaktionen betrachten, die unter Atmosphärendruck ablaufen, den wir prinzipiell als konstant betrachten können. Damit haben wir auch die Randbedingung erfüllt, um die Gibbs-Helmholtz-Gleichung verwenden zu dürfen.
Im nächsten Abschnitt wollen wir uns dann um die Freie Standardreaktionsenthalpie \(\Delta_{\text{R}}G^{0}\) kümmern und welche energetischen Aussagen wir mit ihrer Hilfe über chemische Reaktionen treffen können.

Die Freie Standard-reaktionsenthalpie \(\Delta_{\text{R}}G^{0}\)


Analog zur Standardreaktionsenthalpie \(\Delta_{\text{R}}H^{0}\) und zur Standardreaktionsentropie \(\Delta_{\text{R}}S^{0}\) können wir mithilfe der Gibbs-Helmholtz-Gleichung die Freie Standardreaktionsenthalpie \(\Delta_{\text{R}}G^{0}\) definieren.
\(\Delta_{R}G^{0}\) = \(\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\)

Da wir hier von Standardbedingungen ausgehen, ist die Temperatur \(T\) mit \(T=298\,\text{K}\) konstant. Wenn wir von den Standardbedingungen abweichen, dann wird auch die Temperatur variabel. Wenn wir uns mit der Energetik von Gleichgewichtsreaktionen beschäftigen, dann sehen wir auch welche Vorteile wir daraus ziehen können. Die Gibbs-Helmholtz-Gleichung gilt für konstanten Druck, was uns sehr entgegen kommt, da viele Reaktionen unter Atmosphärendruck ablaufen und dieser kann als konstant betrachtet werden.
Wir wollen uns ab hier näher mit dieser Gleichung beschäftigen und erarbeiten, welche Informationen wir ihr entnehmen können.
Anmerkung: Wir können die Freie Reaktionsenthalpie neben den Standardbedingungen auch auf ein Mol beziehen. Dieses Konzept wird analog zur Reaktionsenthalpie und zur Reaktionsentropie gehandhabt. Damit erhalten wir die molare Freie Standardreaktionsenthalpie \(\boldsymbol{\Delta_{R}G^{0}_{\text{m}}}\).

Exergone und endergone Reaktionen


Wir wollen nun zwei explizite Situationen betrachten, die nach der Gibbs-Helmholtz-Gleichung für die Freie Standardreaktionsenthalpie eintreten kann. Wichtig: Wir betrachten immer noch geschlossene Systeme; ein Energieaustausch über die Systemgrenzen hinweg ist also möglich!
Wir schauen uns zunächst die beiden Terme an, die in dieser Gleichung vorkommen:
  • \(\Delta_{\text{R}}H^{0}\) ist die Reaktionswärme \(\Delta Q_{p}\) bei konstantem Druck (vgl. Basiswissen ChemieLV-Chemische Energetik: Begriff der Enthalpie).
  • \(T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\) ist das Produkt aus Temperatur und Standardreaktionsentropie

1. Exergone Reaktionen: \(\Delta_{R}G^{0}<0\)
Reaktionen, für deren Freie Standardreaktionsenthalpie nach der Gibbs-Helmholtz-Gleichung gilt

\(\Delta_{R}G^{0}<0\)

werden exergon genannt. Diese Reaktionen laufen unter den gegebenen Umständen freiwillig ab.
Unten siehst du ein Beispiel, wie wir uns vorstellen können, was exergon bedeutet. Die Kugel wird ohne weiteres den Hügel herunterrollen können. Es ist kein weiterer Aufwand nötig. Dies entspricht der Charakteristik einer exergonen Reaktion: Diese Reaktion läuft freiwillig ab.
Diagramm mit einer Kugel, die sich auf einer gekrümmten Bahn bewegt, mit einer chemischen Gleichung.
Abb. 2: Exergone Reaktion

2. Endergone Reaktionen: \(\Delta_{R}G^{0}>0\)
Reaktionen, für deren Freie Standardreaktionsenthalpie nach der Gibbs-Helmholtz-Gleichung gilt

\(\Delta_{R}G^{0}>0\)

werden endergon genannt. Diese Reaktionen laufen unter den gegebenen Umständen nicht freiwillig ab. Es muss Arbeit aufgewendet werden, um diese Reaktion zum Ablaufen zu bringen.
In dieser Graphik versuchen wir uns vorzustellen, was endergon bedeutet. Die Kugel wird in diesem Fall nicht ohne äußeren Aufwand den Hügel überwinden können. Diese Tatsache steht sinnbildlich für die Situation einer endergonen Reaktion: Sie wird ohne den externen Aufwand von Arbeit nicht ohne weitere ablaufen. Erst nachdem wir Energie von außen bereitstellen, kann die Reaktion ablaufen.
Diagramm eines chemischen Prozesses mit einer Kugel und einer Kurve, die ΔRG0 > 0 darstellt.
Abb. 3: Endergone Reaktion

Bevor wir beispielhaft den Entladevorgang des Bleiakkumulators energetisch betrachten, wollen wir davor noch den Blick auf das Zusammenspiel von Reaktionsenthalpie und Reaktionsentropie werfen und wie endotherme Reaktionen freiwillig ablaufen können.

Exotherme und endotherme Reaktionen mit \(\Delta_{R}G<0\)


Hier werden wir nur exergone Prozesse anschauen, also Reaktionen, bei denen die Freie Standardbildungsenthalpie kleiner als null ist: \(\boldsymbol{\Delta_\text{R}G^{0}<0}\). Im Zentrum steht dabei wieder die Gibbs-Helmholtz-Gleichung:
\(\Delta_{R}G^{0}\) = \(\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}<0\)

Wir betrachten die beiden Terme \(\Delta_{\text{R}}H^{0}\) und \(T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\), wobei bei letzterem die Entropieänderung die wichtige Rolle spielt, da \(T=\text{const.}=298\,\text{K}\).

1. exotherme Reaktionen: \(\Delta_{\text{R}}H^{0}<0\)

\(-\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}<0\) \(\hspace{.3cm}\text{also}\hspace{.3cm}\) \(-\Delta_{\text{R}}H^{0}\) < \(T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\)

Dieser Fall ist immer dann gegeben, wenn die Entropieänderung positiv ist, also wenn \(\Delta_{\text{R}}S^{0}>0\). Dann ändert sich nämlich das Vorzeichen vor dem zweiten Term nicht, da minus mal plus gleich minus ist. Solange die Entropie während einer exothermen Reaktion zunimmt, ist diese exergon und läuft freiwillig ab.

Beispiel: Verbrennung von Glucose

\(\text{C}_{6}\text{H}_{12}\text{O}_{6\,(\text{s})}+6\,\text{O}_{2\,(\text{g})}\) \(\longrightarrow\) \(6\,\text{CO}_{2\,(\text{g})}+6\,\text{H}_{2}\text{O}_{(\text{g})}\)

Bei dieser exothermen Reaktion nimmt die Entropie zu und somit ist die Freie Enthalpie positiv.

2. endotherme Reaktionen: \(\Delta_{\text{R}}H^{0}>0\)

\(\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}<0\) \(\hspace{.3cm}\text{also}\hspace{.3cm}\) \(\Delta_{\text{R}}H^{0}\) < \(T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\)

Hierbei müssen wir zwei Aspekte beachten: Zunächst muss die Entropieänderung wieder positiv sein, also \(\Delta_{\text{R}}S^{0}>0\). Dann bleibt das negativ Vorzeichen des zweiten Terms erhalten. Der zweite Aspekt wird durch die rechte Ungleichung oben verdeutlicht. Die Entropieänderung muss so positiv sein, dass gilt: \(\Delta_{\text{R}}H^{0}< T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\). Das heißt, dass es im Falle einer zu geringen Entropieänderung nicht dazu kommen würde, dass \(\Delta_{R}G<0\) und somit wäre die Reaktion nicht exergon. Beispiel: Lösung von Ammoniumchlorid in Wasser
\(\text{NH}_{4}\text{Cl}_{(\text{s})}\) \(\longrightarrow\) \(\text{NH}^{+}_{4\,(\text{aq})}+\text{Cl}^{-}_{(\text{aq})}\)

Der Lösungsprozess führt in diesem Fall dazu, dass die Entropie zunimmt. Obwohl diese Reaktion endotherm ist (das Wasser wird durch den Lösungsprozess kälter), sorgt der Entropiegewinn dafür, dass sie bei Standardbedingungen dennoch freiwillig abläuft.

Exotherme und endotherme Reaktionen mit \(\Delta_{R}G>0\)


Nun betrachten wir endergone Reaktionen, also solche, die unter gegebenen Umständen nicht freiwillig ablaufen würden. Wiederum ziehen wir die Gibbs-Helmholtz-Gleichung bei Standardbedingungen heran:
\(\Delta_{R}G^{0}\) = \(\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}>0\)

1. exotherme Reaktionen: \(\Delta_{\text{R}}H^{0}<0\)

\(-\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\) > \(0\) \(\hspace{.3cm}\text{also}\hspace{.3cm}\) \(-\Delta_{\text{R}}H^{0}\) > \(T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\)

Ein exothermer Prozess wird nur dann nicht freiwillig ablaufen, wenn die Entropie währenddessen stark abnimmt. In diesem Fall würde die Gibbs-Helmholtz-Gleichung so aussehen: \(-\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot(-\Delta_{\text{R}}S^{0})\). Da aus minus mal minus plus wird, kompensiert der zweite Term die negative Enthalpieänderung. Dieser Fall kann aber nur dann eintreten, wenn ein Wärmeaustausch mit der Umgebung möglich ist und dadurch die Entropie der Umgebung zunimmt.
Das „problematische” an dieser Situation ist die Tatsache, dass eine exotherme Reaktion dazu führt, dass sich die Entropie in Umgebung des Systems erhöhen wird. Kann diese die Entropieänderung des Systems kompensieren, dann wäre die Reaktion nicht mehr endogen!

2. endotherme Reaktionen: \(\Delta_{\text{R}}H^{0}>0\)

\(\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\) > \(0\) \(\hspace{.3cm}\text{also}\hspace{.3cm}\) \(\Delta_{\text{R}}H^{0}\) > \(T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\)

Endotherme Prozesse werden dann nicht ablaufen, wenn die Zunahme der Entropie bei dieser Reaktion zu gering ausfällt. Diese Tatsache wird durch die rechte Ungleichung veranschaulicht: Solange \(\Delta_{\text{R}}H^{0}>T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\) mit \(\Delta_{\text{R}}S^{0}>0\) ist auch \(\Delta_{\text{R}}G^{0}>0\).
Beispiel: Photosynthese
\(6\,\text{CO}_{2\,(\text{g})}+6\,\text{H}_{2}\text{O}_{(\text{g})}\) \(\longrightarrow\) \(\text{C}_{6}\text{H}_{12}\text{O}_{6\,(\text{s})}+6\,\text{O}_{2\,(\text{g})}\)

Bei der Photosynthese tritt der Fall ein, dass die stark positive Standardreaktionsenthalpie die Entropieabnahme im System übersteigt. Somit ist diese Reaktion endogen. Dass sie dennoch so wichtig ist, liegt daran, dass die benötigte Energie in Form von Licht vorliegt und die Reaktion möglich macht.

Beispiel: Energetische Betrachtung des Bleiakkumulators


Wir wollen uns in diesem Abschnitt einer praktischen Betrachtung zuwenden. Dazu schauen wir uns den Bleiakkumulator unter energetischen Gesichtspunkten an und überprüfen, ob der Entladevorgang bei Raumtemperatur (\(T=298\,\text{K}\)) exergonisch ist.
Die Reaktionsgleichung für den Entladevorgang des Bleiakkumulators lautet:
\(\text{Pb}_{(\text{s})}+\text{PbO}_{2\,(\text{s})}+2\,\text{H}_{2}\text{SO}_{4\,(\text{aq})}\) \(\longrightarrow\) \(2\,\text{PbSO}_{4\,(\text{s})}+2\,\text{H}_{2}\text{O}_{(\ell)}\)

Es handelt sich hierbei um eine Redoxreaktion. Nun ziehen wir die Gibbs-Helmholtz-Gleichung zu Rate.
\(\Delta_{R}G^{0}\) = \(\Delta_{\text{R}}H^{0}-T\cdot\Delta_{\text{R}}S^{0}\) \(\hspace{.3cm}\) \(\text{mit}\hspace{.3cm}\) \(T=298\,\text{K}\)

Bevor wir die Freie Standardreaktionenthalpie berechnen können, benötigen wir noch die beiden Größen der Standardreaktionsenthalpie \(\Delta_{\text{R}}H^{0}\) sowie der Standardreaktionsentropie \(\Delta_{\text{R}}S^{0}\). Diese beiden Größen können wir aus den jeweiligen Standardbildungsenthalpien bzw. molaren Standardentropie berechnen, wie wir in früheren Kapiteln erarbeitet haben. Diese sind wie bereits bekannt in entsprechenden Tabellenwerken zu finden.
Für die Standardreaktionsenthalpie \(\Delta_{\text{R}}H^{0}\) ergibt sich hier:

Für die Standardreaktionsentropie \(\Delta_{\text{R}}S^{0}\) erhalten wir:

Nun können wir die berechneten Größen in die Gibbs-Helmholtz-Gleichung einsetzen und die Freie Standardreaktionsenthalpie berechnen.

Die Freie Standardbildungsenthalpie für den Entladevorgang eines Bleiakkumulators beträgt \(-501\,\frac{\text{kJ}}{\text{mol}}\) und ist somit kleiner als null. Der Entladevorgang ist exergonisch und läuft folglich freiwillig ab. Das entspricht dem was wir aus dem Alltag kennen: Der Entladevorgang des Akkumulators verschafft uns den Zugang zu elektrischer Energie.

\(\Delta_{\text{R}}G\) und das chemische Gleichgewicht

Minimum der Freien Enthalpie G


Im letzten Kapitel dieses Skripts wollen wir uns die energetische Situation des chemischen Gleichgewichts anschauen. Im Skript Das chemische Gleichgewicht habe wir gesehen, dass eine Gleichgewichtsreaktion einen Zustand anstrebt, den wir das chemische Gleichgewicht genannt haben. In diesem Zustand hatten wir folgende Situation vorliegen:
  • Die Reaktionsgeschwindigkeiten der Hin- und Rückreaktion waren gleich: \(v_{\text{Hin}}=v_{\text{Rück}}\); die Konzentrationen der Reaktanden war demnach konstant.
  • Das Verhältnis der Produkt- und Eduktkonzentrationen war nach dem MWG konstant: Die Konstante war die Gleichgewichtskonstante \(K\)
  • Die Gleichgewichtskonstante \(K\) gibt uns Auskunft über die Lage des Gleichgewichts.

Wir wollen unser Augenmerk nun auf die Energetik eines chemischen Gleichgewichts legen. Die einzige Situation, die wir bzgl. der Freie Reaktionsenthalpie noch nicht betrachtet haben ist, wenn \(\Delta_{\text{R}}G=0\). Wir wollen bereits an dieser Stelle voraus greifen und sagen, dass genau diese Situation für das chemische Gleichgewicht gilt.
Beispielhaft ziehen wir hier das Gleichgewicht zwischen Stickstoffdioxid \(\text{NO}_{2\,(\text{g})}\) und Distickstofftetraoxid \(\text{N}_{2}\text{O}_{4\,(\text{g})}\) heran. Der Druck und die Temperatur sind beide konstant. Beachte, dass wir hier nicht von Standardbedingungen reden, sondern von den Bedingungen, die herrschen müssen, damit sich diese Reaktion im chemischen Gleichgewicht befindet. Das heißt zwar, dass \(T=\text{const.}\), gleichzeitig aber auch, dass die Temperatur nicht zwangsläufig \(T=298\,\text{K}\) beträgt.
\(2\,\text{NO}_{2\,(\text{g})}\) \(\rightleftharpoons\) \(\text{N}_{2}\text{O}_{4\,(\text{g})}\) \(\hspace{.3cm}\text{mit}\hspace{.3cm}p,\,T=const.\)

Wir wollen uns diese Gleichgewichtsreaktion nun zu zwei verschiedenen Zeitpunkten \(t\) anschauen: Zu Beginn der Reaktion (\(t=t_{0}\)) und wenn sich das Gleichgewicht eingestellt hat (\(t=t_{\text{GGW}}\)) (vgl. das Skript Das chemische Gleichgewicht. Diese Situationen unterscheiden sich folgendermaßen:
  1. Für \(t=t_{0}\) liegt ein irreversibler Prozess vor: Die Edukte reagieren ab und die Reaktion strebt dem Gleichgewichtszustand entgegen.
  2. Für \(t=t_{\text{GGW}}\) liegt hingegen ein reversibler Prozess vor: Die Edukt- und Produkkonzentrationen sind konstant und die Raten der Hin- und Rückreaktion ebenfalls.

Irreversible Prozesse haben wir bereits bei der Entropie kennen gelernt. Für diese gilt, dass die Gesamtentropieänderung \(\Delta S_{\text{gesamt}}\) immer positiv sein muss \(\Delta S_{\text{gesamt}}>0\), damit ein solcher Prozess freiwillig abläuft. Für \(t=t_{0}\) haben wir genau diesen Fall vorliegen. Reversible Prozesse sind hingegen nicht mit einer Entropieänderung verbunden. Für diese gilt \(\Delta S_{\text{gesamt}}=0\). Im chemischen Gleichgewicht ändert sich die Entropie eines Systems also nicht mehr.
Wir wollen nun den Blick auf die beiden bereits erarbeiteten Fälle für \(\Delta_{R}G\) werfen:
  • \(\Delta_{R}G<0\): exergon
  • \(\Delta_{R}G>0\): endergon

Exergone Reaktionen sind solche, welche freiwillig in eine bestimmte Reaktionsrichtung ablaufen. Das haben wir im letzten Kapitel gesehen. Endergone Reaktionen sind solche, die von alleine nicht freiwillig ablaufen werden, sondern bei denen Arbeit aufgewendet werden muss. Wenn wir uns nun die Bedingung für das chemische Gleichgewicht anschauen, dann könnten wir argumentieren, dass diese genau zwischen diesen beiden oben genannten angesiedelt ist. Verstehen können wir das ganze so: eine chemische Reaktion wird von einer gewissen Triebkraft in eine bestimmte Richtung getrieben. Diese ist die Freie Enthalpie. Wir schauen uns nun noch einmal die drei Fälle an und den Zusammenhang zu dieser Triebkraft:
  1. \(\Delta_{R}G<0\): Die Reaktion wird in Richtung der Produkte ablaufen und strebt ihren Gleichgewichtszustand an. Es handelt sich um eine exergone Reaktion und einen irreversiblen Prozess.
  2. \(\Delta_{R}G>0\): Die Reaktion wird nicht freiwillig ablaufen, ohne dass von außen Energie zugeführt wird. Es handelt sich um eine endergone Reaktion. Ihren Gleichgewichtszustand wird sie auch nur dann erreichen, wenn sie energetisch dazu in die Lage versetzt wird.
  3. \(\Delta_{R}G=0\): Es gibt keine bevorzugt Reaktionsrichtung. Im chemischen Gleichgewicht laufen Hin- und Rückreaktion gleich schnell ab. Die Triebkraft für beide Reaktionsrichtungen ist gleich groß. Es handelt sich um einen reversiblen Prozess.

Wir konnten hier sehen, dass chemische Reaktionen, die dem Gleichgewichtszustand freiwillig entgegenstreben, irreversible Prozesse sind, die durch die Freie Enthalpie in diese bevorzugte Reaktionsrichtung „getrieben“ werden. Damit erhöht sich auch die Entropie im System. Im chemischen Gleichgewicht sind die Triebkräfte der Hin- und Rückreaktion dann ausgeglichen.

Anmerkung: \(\Delta_{R}G\) bezeichnet die Änderungsrate der Größe G, also der Freien Enthalpie. An dem Punkt, an dem diese Änderungsrate gerade null ist, hat die zugehörige Funktion (also in diesem Fall die Freie Enthalpie G) ein Minimum. Für unser Gleichgewicht bedeutet das, dass die Freie Enthalpie im Gleichgewicht ihr Minimum erreicht. Die Triebkraft, die eine chemische Reaktion demnach ihr Gleichgewicht erreichen lässt, beruht darauf, dass dieses energetisch gesehen die günstigste Situation darstellt.

Berechnung der Gleichgewichtstemperatur


Durch das Wissen um das Minimum der Freien Enthalpie im Gleichgewicht, können wir die Gleichgewichtstemperatur der betrachteten Reaktion berechnen. Dazu nehmen wir die Gibbs-Helmholtz-Gleichung und beachten folgende Randbedingung: \(\Delta_{R}G=0\).
\(\Delta_{R}G\) = \(\Delta_{\text{R}}H-T\cdot\Delta_{\text{R}}S\)

Da wir die Änderungen der Reaktionsenthalpie und der Reaktionsentropie nicht mehr bei Standardbedingungen betrachten, sprechen wir hier auch nicht mehr von der Freien Standardreaktionsenthalpie. Wir suchen in diesem Kapitel die Temperatur, für welche diese gleich null ist. Mit der oben genannten Randbedingung für das chemische Gleichgewicht erhalten wir
\(\Delta_{\text{R}}H-T\cdot\Delta_{\text{R}}S=0\)

und können dann nach \(T\) auflösen:
\(T=\dfrac{\Delta_{\text{R}}H}{\Delta_{\text{R}}S}\)

So können wir die Temperatur berechnen, bei der sich eine betrachtete Reaktion im chemischen Gleichgewicht befindet.
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