Aufgabe 3
Textbeschreibung Prosa
Thema: Stefanie Dominguez (*1996): Partnerarbeit Aufgabenstellung:- Beschreibe den unten aufgeführten Text und achte besonders auf das Verhalten und die Motive der handelnden Figuren.
- Gehe auf den Konfliktverlauf, die sprachlichen Mittel und deren Wirkung anhand von Textbeispielen ein.
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Tessa Fuchs war die einzige, die nicht mit ihrem Banknachbarn redete – es gab keinen.
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Und sie war die einzige, die nicht über den Witz von Simon Bösenecker lachte, weil der
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Witz wieder einmal auf ihre Kosten ging.
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“Hey, Tessa! Woher hast du denn die Jacke? Aus der Kleidersammlung?”
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Das hatte er sie schon einmal gefragt, damals in der fünften Klasse, aber die anderen
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lachten trotzdem. Wahrscheinlich hatten sie vergessen, dass der Spruch nur eine Wieder-
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holung war. Tessa hatte es nicht vergessen, auch das Lachen nicht. Sie lachten immer.
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Sie zuckte zusammen, als sich der Stuhl neben ihr bewegte und beobachtete aus den
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Augenwinkeln, wie sich jemand darauf niederließ.
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Ein Räuspern, das nach dem verstummten Gelächter so furchtbar laut klang. “Maik ist
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krank, deshalb dachte ich, wir könnten ja heute nebeneinander sitzen?”
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Es kam als Frage heraus. Immer stellten sie ihr Fragen.
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Tessa schielte zu der Person neben ihr herüber. Die moosgrünen Augen konnten nur Ben
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Wolf gehören, dem netten, unscheinbaren Jungen aus ihrer Straße. Nicht dass er zu ihr
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nett war, aber zu den anderen war er es. Zu ihr war niemand nett, die meisten ignorierten
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sie und das war gut so. Besser als die Witze von Simon und seinen Freunden, aber auch
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darüber konnte sie mittlerweile hinwegsehen. Sie hätte nicht gedacht, dass Ben auch einer
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von denen war.
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“Lass mich in Ruhe”, sagte Tessa und wandte sich wieder ihrem Religionsbuch zu.
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“Aber in dem Buch steht, dass wir die Aufgabe mit unserem Partner lösen sollen. Meiner
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ist krank, du hast keinen, also…”
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“Es ist mir egal, was in dem Buch steht. Du schaffst diese dämliche Aufgabe auch alleine.”
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Ben schüttelte den Kopf, sodass ihm eine kommaförmige Strähne ins Gesicht fiel. “Ich
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möchte aber neben dir sitzen.”
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Tessa war versucht, zu schnauben, aber dann hätte man sie nur wieder als Schwein be-
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zeichnet. Und es dauerte doch immer so lange, bis Simon aufhörte, Nachrichten auf ihrem
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Tisch zu hinterlassen, wenn er eine neue Beleidigung gefunden hatte.
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“Tessa”, flüsterte Ben und sie erschrak darüber, wie nah er ihr plötzlich war. “Es tut mir
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leid, wenn ich früher über dich gelacht habe. Lass es mich wiedergutmachen.”
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Entschlossen rückte sie ein Stück von ihm weg und konzentrierte sich darauf, ihm nicht in
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die Augen zu blicken. “Ich will kein Mitleid. Und es stört mich nicht, wenn du lachst. Alle
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lachen.”
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“So war das doch gar nicht gemeint.” Bens Stimme wurde lauter, viel zu laut. Die anderen
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sahen bereits zu ihnen herüber und Tessa versuchte, weiterhin auf ihr Buch zu starren.
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“Geh weg. Bitte. Sonst fangen sie wieder an.” Ben berührte sie leicht am Arm, aber sie
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entzog sich seinem Griff. Trotzdem blieb er sitzen und redete weiter, als hätte sie nichts
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gesagt. “Zeig her, was steht denn da? Hm, okay…Wir müssen also fünf verschiedene Pha-
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sen der Freundschaft festlegen. Das erste ist bestimmt…” “Das findest du lustig, was?”, fuhr
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sie ihn an. Ihre Unbeherrschtheit würde ihr zwar wieder einige Lacher einbringen, aber sie
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konnte sich einfach nicht zurückhalten. “Das findest du lustig, oder? Ausgerechnet mit mir
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über Freundschaft zu reden, wo ich ja so viele Freunde habe!” Tessa stellte sich vor, wie
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sie ihm das letzte Wort vor die Füße spuckte. Das half, wenn auch nur ein bisschen. Ben
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hob die Hände und machte große Augen. “Nein, das…Ich wollte doch nur…Ich dachte, wir
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machen das zusammen, als Fuchs und Wolf sozusagen.”
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Der Witz war so erbärmlich, dass Tessa kichern musste. Es war ein leises Kichern, so als
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wüsste sie nicht, wie Lachen überhaupt funktionierte.
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Sie dachte daran, wie die Augen der anderen immer aussahen, wenn sie lachten. Wie die
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Kieselsteine, die ihr Bruder manchmal sammelte. So blitzend. Ihre Augen sahen bestimmt
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nicht so aus. Höchstens wie Kieselsteine, die ins Wasser fielen, weil niemand sie mit nach
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Hause nehmen wollte, nicht einmal ihr Bruder.
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“Siehst du, so schlimm bin ich gar nicht”, meinte Ben und schob das Buch in die Mitte. Es
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lag jetzt genau zwischen ihnen. Tessa öffnete den Mund, aber Simon kam ihr zuvor. “Fuchs
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und Wolf? Benny, flirtest du gerade etwa mit unserer Klassenschönheit?”
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Die anderen brachen in Gelächter aus. Es schmerzte in ihren Ohren. Bens Miene war voll-
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kommen ausdruckslos. Er lachte nicht, er zog bloß eine Augenbraue hoch und wandte sich
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an Simon. “Ja, tue ich, was dagegen?”
Aus:
Erschienen in: P.A.U.L.D. Oberstufe, S. 52 © Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH; Schöningh Verlag, Paderborn 2013.
(50 P)
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- Autor: Stefanie Dominguez
- Titel: Partnerarbeit
- Erscheinungsjahr: nicht genannt
- Textsorte: Prosa, Kurzgeschichte
- Thema: Mobbing und was man dagegen selbst unternehmen kann.
- Quelle: P.A.U.L.D. Oberstufe, Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH; Schöningh Verlag, Paderborn 2013.
- Inhalt: Die Kurzgeschichte, die den Titel Partnerarbeit trägt, beschäftigt sich mit dem Thema Mobbing im Klasenzimmer. Tessa wird von ihren Mitschülern gehänselt und dies schon bereits seit Jahren. Als die Klasse eine Partnerarbeit absolvieren muss, macht sie sich darauf gefasst, dass sich niemand dazu bereit erklären wird, diese Aufgabe mit ihr zusammen zu bearbeiten. Allerdings setzt sich ihr Mitschüler Ben, den sie bis zu dem Zeitpunkt kaum mitbekommen hatte, neben sie und nachdem sie sich anfänglich noch gegen die Zusammenarbeit mit ihm sträubt, da sie davon ausgeht, dass er es nicht ernst nimmt, merkt sie, dass er sie wirklich gernzuhaben scheint.
Hauptteil
1. Formale Analyse- Mittellanger Fließtext: 56 Zeilen
- Klassische Gliederung in Einleitung, Haupt- sowie Schlussteil
- 1. Einleitung (Z. 1-7): Einleitend erfahren die Leser*innen, dass Tessa Fuchs, eine Schülerin ist, die von ihren Mitschüler*innen, insbesondere von einem gewissen Simon Bösenecker, u.a. für ihre Kleidung, die nicht mehr dem aktuellen Stil zu entsprechen scheint, im Religionsunterricht gemobbt wird.
- 2. Hauptteil (Z. 8-42): Jemand steht neben Tessa und fragt sie, ob er sich neben sie setzen dürfte. Es ist Ben, ihr eher „unscheinbarer, [aber] netter“ (Z. 14) Klassenkamerad. Zunächst verhält sich Tessa Ben gegenüber skeptisch. Zu gut kennt sie es, wenn man sie auf den Arm nimmt und es sich doch herausstellt, dass anfänglich nette Gesten doch nur am Ende gegen sie verwendet werden. Sie fordert Ben dazu auf, wieder aufzustehen und sie in Ruhe zu lassen, doch Ben bleibt hartnäckig. Er entschuldigt sich bei ihr dafür, dass er „früher über [sie] gelacht [hat]“ (Z. 29) und bittet Tessa, es ihn „wiedergutmachen“ (Z. 29) zu lassen. Dass die Partnerarbeit auch noch das Thema Freundschaft beinhaltet, wirkt sich nicht beruhigend auf die ohnehin schon gekränkte Tessa aus. Am Ende ist es ein missglückter Witz, in dem Ben sich und Tessa als „Fuchs und Wolf“ (Z. 44) bezeichnet, der das Eis bricht.
- 3. Schluss (Z. 43-56): Tessa merkt, dass Ben tatsächliches Interesse an ihr und ihrer Person besitzt und sich nicht nur neben sie gesetzt hat, um sich wie alle anderen über sie lustig zu machen. Als sie dies realisiert, öffnet sie sich etwas, sodass sie sogar über den schlechten Witz ihres Mitschülers lacht. Ben bestärkt das gute Gefühl in ihr noch, indem er die Frage, „ob er mit ihr flirten würde?“ (vgl. Z. 52 f.) bejaht und sich damit ganz klar auf Tessas und eben nicht auf die Seite der Mobber*innen stellt.
- Der Titel Partnerarbeit beschreibt die Tätigkeit der Schüler*innen in der Kurzgeschichte.
- Für eine Partnerarbeit ist es notwendig, dass man zu zweit an einer Aufgabe arbeitet, also ein Team bildet.
- Besonders der Kontext einer Partnerarbeit kann für gemobbte Schüler*innen sehr unangenehm sein, besonders dann, wenn sie keine eigenen Freunde in einer Klasse besitzen.
- Tessa ist inzwischen eine sehr argwöhnische Schülerin geworden, die ihren Mitschülern aufgrund der Mobbingattacken gegen sie misstraut und sich als Folge davon abschottet, isoliert und jeder neuen Person den Zugang zu sich verwehrt.
- Aus der Kurzgeschichte geht hervor, dass Tessa bereits seit einigen Jahren Opfer von Mobbing ist und es tragischerweise gar nicht anders mehr kennt, als dass man sich über sie lustig macht.
- Wenn man den Sprüchen der Mobber*innen Glauben schenkt, kleidet sich Tessa eher unmodisch und trägt nicht die neusten Trends.
- Ihren Mitschüler Ben Wolf mag sie von allen am liebsten, weshalb sie auch seine Augenfarbe kennt. Doch allen anderen gegenüber hat sie die Hoffnung auf ein harmonisches Miteinander aufgegeben.
- Ben wird als „netter, unscheinbarer Junge aus [Tessas] Straße“ (Z. 14) beschrieben.
- Er nähert sich Tessa vorsichtig an, indem er sie zunächst erst einmal fragt, ob er sich neben sie setzen darf. Dann entschuldigt er sich davor, früher über sie gelacht zu haben und „berührt sie leicht am Arm“ (Z. 35), als er zusammen mit ihr über die Partnerarbeit spricht.
- Ben hat sich ebenso wie seine Mitschüler*innen früher gemein gegenüber Tessa verhalten, möchte dies jedoch wiedergutmachen und reflektiert sein Verhalten infolgedessen.
- Trotz seiner sanften Art ist Ben in der Lage, sich gegen den Anführer der Mobber*innen, Simon Bösenecker, durchzusetzen. So steht er zu Tessa, auch als Simon ihn provokant auf sie anspricht (vgl. 52 ff.).
- Bereits in seinem Namen steckt das Wort böse. Simon macht seiner Mitschülerin Tessa bereits seit Jahren das Leben schwer und hänselt sie.
- Simon gehört zu der Sorte Mensch, die selbst so klein innerlich ist, dass sie andere beleidigen und hänseln muss, um sich selbst besser zu fühlen.
- Ironie: Mit der Frage „Benny, flirtest du gerade etwa mit unserer Klassenschönheit?“ macht sich Simon über Tessa lustig und äußert sich damit abfällig über ihr Aussehen.
- Metapher: „[..] wie sie ihm das letzte Wort vor die Füße spuckte“ (Z. 40 f.): Diese Metapher spiegelt einen verächtlichen Gedanken Tessas wider, den sie aufgrund der vermeintlichen Bloßstellung ihres Mitschüler Bens hat.
- Rhetorische Frage: „Woher hast du denn die Jacke? Aus der Kleidersammlung?“ (Z. 4 ). Mit dieser Frage würdigt Simon Tessas Kleidung herab.
- Vergleich: Tessa beschreibt die Augen ihrer Mitschüler*innen: „Wie die Kieselsteine, die ihr Bruder manchmal sammelte“ (Z. 47 f.). Der Vergleich soll aufzeigen, wie klein und schmal die Augen der Schüler*innen vor Häme und Verachtung sind, wenn sie über Tessa lachen.
Schluss
- Mit ihrer Kurzgeschichte, die sie so enden lässt, dass sich Ben gegen den Mobber Simon behauptet, ruft Stefanie Dominguez zur Solidarität gegen aktives und passives Mobbing auf.
- Die Kurzgeschichte verdeutlicht auch, dass man vor Ungerechtigkeit nicht einfach die Augen verschließen sollte, sondern sich mutig behaupten und zusammen dagegen stark machen sollte.
- Auch geht aus dem Text hervor, dass es nie zu spät ist, bereits getane Fehler wieder gut zu machen, indem man sich entschuldigt und damit Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt.
- Die Auswirkungen von Mobbing auf die Geschädigten sind weitaus gravierender, als es die Täter*innen sich jemals ausmalen könnten. Umso wichtiger ist es, dass man, wenn man selbst Opfer oder Zeuge von Mobbing wird, dagegen wehrt und Gehör verschafft.
- Als Menschen besitzen wir etwas, was uns menschlich macht: Empathie. Diese sollte immer größer sein, als die Angst, selbst schlechter dazustehen. Wenn wir uns gegenüber anderen so verhalten, wie wir selbst gerne behandelt werden möchten, gäbe es so etwas wie Mobbing nicht länger.