Aufgabe 2
Thema:
Mahmood Falaki (* 1951): Geburtstag
Aufgabenstellung
Aus: Mahmood Falaki: Geburtstag. In: Ich bin Ausländer und das ist gut so. Bremen: Sujet Verlag 2013, S. 34 - 36.
- Beschreibe diesen Text.
- Berücksichtige dabei besonders inhaltliche, sprachliche und formale Aspekte.
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Als die U-Bahn anhält und die Tür aufgeht, reißt sie ihre kleine Hand aus meiner Hand und
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springt hinein. Ich weiß, dass sie nun nach einem Fensterplatz sucht. Sie wird ziemlich
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verärgert sein, wenn sie keinen findet. Sie findet einen Platzt und ruft mich glückstrahlend
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zu sich. Heute hat sie Geburtstag. Wir sind gerade auf dem Weg, ihr eine Geburtstagstorte
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und Kerzen zu kaufen. „Papa, wie alt werde ich jetzt?“ Ich will ihr sagen, dass sie diese
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Frage bereits mehrmals gestellt hat. Ich lasse es aber lieber und antworte wieder: „Sieben
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Jahre alt.“ Mir scheint, diese Zahl hat eine magische Wirkung auf sie, sodass sie sie
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ständig hören möchte. Daraufhin richtet sie ihre schwarzen Augen auf die Frau, die steif
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vor ihr sitzt, und lächelt sie an. Sie glaubt wahrscheinlich, dass diese Frau oder die
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anderen unsere Sprache verstehen und nun alle wissen, dass sie heute Geburtstag hat
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und sieben Jahre alt wird.
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Flüchtig wirft ihr die Frau aus ihrem Augenwinkel einen Blick zu, richtet aber sofort wieder
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die Augen nach vorne. Sie zieht ihre Beine an. Sie ist gut fünfzig Jahre alt. Ihre weiße
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Bluse ist so porentief sauber, als wäre noch nie ein Staubkörnchen darauf gewesen. Wie
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akkurat sie doch ihre roten Haare zusammengebunden hat! Mit einer
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Kopfbewegung wirft meine Tochter ihre Haare aus der Stirn und hebt ihre neuen Schuhe
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etwas hoch, um sie der Frau zu zeigen. Als diese nicht darauf reagiert, sagt sie auf
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Persisch, dass sie die Schuhe neulich erst gekauft hat. Dann wiederholt sie den Satz auf
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Deutsch. Die Frau dreht ihren Kopf leicht zu ihr und öffnet die Lippen zu einem Lächeln,
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das nicht mehr als ein flüchtiges Zucken ist. Unter der Last meines Blickes dreht sie mir
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langsam den Kopf zu, schaut aber sofort wieder weg, setzt sich aufrecht hin und starrt
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wieder nach vorn. Die U-Bahn fährt nun langsamer. Sie erreicht die nächste Haltestelle
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und kommt zum Stehen.
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Deutlich hörbar steigt eine junge Frau ein, die einen Hund an der Leine führt. Sie schaut
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sich um und setzt sich mir gegenüber. Der Hund legt sich zu Füßen seiner Besitzerin
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gemütlich auf meine Schuhe. Der Zug fährt los. Die Frau, die vor meiner Tochter sitzt,
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wendet ihren Blick dem Hund zu und streichelt ihm lächelnd über den Rücken. Sie fragt die
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Besitzerin nach Namen und Alter des Hundes. Ihre weichen Hände gleiten sanft über den
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Rücken und Kopf des Hundes. Meine Tochter schaut auf die Hände der Frau, die im
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Fell des Hundes Wellen auslösen. Der Zug verlangsamt seine Geschwindigkeit und kommt
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zum Stehen. Wir müssen aussteigen. Ich nehme die Hand meiner Tochter. Wir gehen los.
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Nach ein paar Schritten dreht sie ihren Kopf zurück. Sie guckt auf die Hände der Frau, die
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immer noch im Fell des Hundes zärtlich Wellen bilden.
Aus: Mahmood Falaki: Geburtstag. In: Ich bin Ausländer und das ist gut so. Bremen: Sujet Verlag 2013, S. 34 - 36.
Einleitung
- Autor: Mahmood Falaki
- Titel: Geburtstag
- Erscheinungsjahr: nicht genannt
- Textsorte: Prosa, Kurzgeschichte
- Quelle: Mahmood Falaki: Geburtstag. In: Ich bin Ausländer und das ist gut so. Bremen: Sujet Verlag 2013, S. 34-36.
- Thema: Unvermögen zur Empathie Erwachsener gegenüber Kindern, Aufmerksamkeit für Tiere größer als für Menschen, Suche und Bedürfnis nach Anerkennung und Aufmerksamkeit seitens der Kinder
- Inhalt: Ein Vater ist mit seiner Tochter unterwegs, um ihr eine Geburtstagstorte zu kaufen. In der U-Bahn sucht das kleine Mädchen erst auf Persisch, dann auf Deutsch Kontakt zu seiner Sitznachbarin. Die Dame aber ignoriert sie und zeigt eine Station weiter plötzlich großes Interesse für den Hund einer zugestiegenen Frau. Das Mädchen blickt beim Aussteigen nochmal gebannt auf die Frau.
Hauptteil
Formale Analyse- Kurzer Text: 34 Zeilen
- 3 ähnlich lange Absätze
- Unmittelbarer Einstieg in die Handlung; keine Einleitung, die an das Geschehen rund um Vater und Tochter heranführt
- Der Erzähler und seine Tochter bleiben namenlos, werden nur als „ich“ (Z. 4) und „sie“ (Z. 1) betitelt.
- Es wird eine Alltagssituation dargestellt.
- Das Leben als Ausländer und die erlebte Ausgrenzung ist ein zentraler Konflikt der Kurzgeschichte; außerdem wird thematisiert, dass viele Menschen auf Kinder abweisend reagieren, während Tieren sofort Aufmerksamkeit geschenkt wird.
- Es kommt zu einem Wendepunkt, als die zuvor strenge und in sich gekehrte Frau gegenüber der Frau mit Hund plötzlich offen und zärtlich auftritt.
- Das Ende bleibt offen, da der Leser nicht erfährt, was das Mädchen nach dem Aussteigen zum Vater sagt bzw. wie er ihr die Situation erklärt.
- Typisch für die Gattung Kurzgeschichte sind die Kürze der Erzählung, überschaubare Handlung, wenige Figuren und auch sparsame Personenbeschreibungen, abrupter Einstieg und Ende
- 1. Absatz (Z. 1-11): Ein Vater und seine Tochter betreten die U-Bahn; das Mädchen sucht einen Fensterplatz und fragt den Vater auf Persisch über seinen Geburtstag aus; es lächelt stolz die Sitznachbarin an, weil es offenbar denkt, auch sie hätte das Gespräch mit dem Vater verstanden und wüsste, dass sie heute Geburtstag hat
- 2. Absatz (13-24): Die schicke Frau mittleren Alters schaut das Mädchen nur kurz an, zieht die Beine an und blickt stur weg. Das Mädchen sucht weiter den Kontakt und führt seine neuen Schuhe vor. Weil die Frau nicht reagiert, wiederholt sie ihre Worte auf Deutsch. Daraufhin bekommt es von der Frau lediglich ein verkrampftes Lächeln. Trotz strengen Blickes des Vaters starrt die Frau bis zur nächsten Haltestelle weg.
- 3. Absatz (25-34): Als eine junge Frau mit Hund einsteigt und sich zu Vater und Tochter setzt, legt sich das Tier auf seine Füße. Die andere Frau blickt den Hund sofort an, streichelt ihn und fragt die junge Besitzerin aus. Das Mädchen schaut auf die Hand der Frau, die das Tier krault. Selbst beim Aussteigen wirft sie noch einmal einen Blick zurück.
- Erzähler: Mann aus Asien; fürsorglicher Vater: hält die Hand der Tochter (Vgl. Z. 1, 29), weiß, dass sie unbedingt einen Fensterplatz will (Vgl. Z 2 f.) und geht liebevoll und geduldig auf sie ein („Ich will ihr sagen, dass sie diese Frage bereits mehrmals gestellt hat. Ich lasse es aber lieber und antworte wieder“, Z. 4 f.); verständnisvoll: er weiß, dass seine Tochter glaubt, auch die anderen Fahrgäste könnten Persisch verstehen (Vgl. Z. 8 f.); guter Beobachter: er beschreibt die Sitznachbarin detailliert (Vgl. Z. 12 ff.); ruhig, aber bestimmt: anstatt sich über die Reaktion der Frau aufzuregen oder etwas zu sagen, blickt er sie nur fordernd an („Last meines Blickes“, Z. 19)
- Tochter: siebenjähriges, persisches Mädchen mit schwarzen Augen; aufgewecktes, junges Kind: „springt“ /Z. 2) in die U-Bahn und sucht selbst einen Platz (Vgl. Z. 2), lächelt die Sitznachbarin an und will ein Gespräch mit ihr beginnen (Vgl. Z. 8, 15 ff.); freut sich über ihren Geburtstag und ist stolz auf ihre neuen Schuhe; intelligent: weil die Frau auf ihre Ansprache auf Persisch nicht reagiert, wiederholt sie den Satz auf Deutsch (Vgl. Z. 16 f.); gebannt davon, wie die Frau ihr gegenüber so abweisend war und dann plötzlich so liebevoll zu einem Hund ist (Vgl. Z. 27 ff.)
- Sitznachbarin: Frau um die 50, saubere, schicke Kleidung und akkurate, rothaarige Frisur (Vgl. Z. 12 ff.); wirkt steif und starr (Vgl. Z. 8, 22); gegenüber des Mädchens abweisend: schenkt der Tochter lediglich ein zögerliches Lächeln („Lächeln, das nicht mehr als ein flüchtiges Zucken ist“, Z. 18 f.) und spricht nicht mit ihr; offen und interessiert gegenüber der Hundebesitzerin: Sie streichelt den Hund liebevoll und fragt die Frau über ihn aus (Vgl. Z. 25 ff.).
- Hundebesitzerin: junge Frau mit Hund; offenbar auffällige Person („deutlich hörbar“, Z. 22); offen und kontaktfreudig: setzt sich gegenüber des Vaters, blickt sich offensiv um (Vgl. Z. 22 f.); unbekümmert oder gar rücksichtslos: lässt den Hund, der den Erzähler offenbar mag, auf dessen Füße liegen (Vgl. Z. 23 f.); kommunikativ: sie geht auf die Nachfragen der anderen Frau ein (Vgl. Z. 26)
- Ort: In der U-Bahn einer nicht näher beschriebenen Stadt in Deutschland; die U-Bahn als Ort der Anonymität und Flüchtigkeit von Begegnungen
- Zeit: Am Morgen oder Vormittag des siebten Geburtstags der Tochter; ein genaues Datum ist nicht genannt; die Handlung erstreckt sich über die Fahrt zwischen drei Stationen
- Zeitform: Präsens (z. B. „anhält“, Z. 1); es wird eine abgeschlossene Handlung erzählt, an der der Leser durch die Gegenwartsform quasi teilhaben kann
- Personalpronomen: Anstelle von Namen werden nur Personalpronomen für die Figuren verwendet; die Person wird damit aufs Wesentliche reduziert und allgemeingültiger
- Erzählperspektive: Personaler Erzähler; es wird aus der Innensicht des Vaters berichtet (z.B. „Ich weiß, dass sie nun nach einem Fensterplatz sucht“, Z. 2)
- Sprache: Einfach und knapp („Sie zieht ihre Beine an.“ Z. 12) und Alltagssprache („reißt sie ihre kleine Hand aus meiner“, Z. 1)
- Syntax: Kurze Sätze und unkomplizierter Satzbau; lediglich einfache Nebensätze („Ich will ihr sagen, dass sie diese Frage bereits mehrmals gestellt hat“, Z. 4 - 5)
- Geburtstag, ein Freudentag, an dem vor allem Kinder erwarten, im Mittelpunkt aller zu stehen; diese positive Erwartung des Mädchens wird bitter enttäuscht, weil sie außer vom Vater keine Aufmerksamkeit geschenkt bekommt
- Der Text beginnt unvermittelt damit, dass ein Vater mit seiner siebenjährigen Tochter die U-Bahn betritt. Die U-Bahn steht als Sinnbild für Anonymität in Großstädten. Die Tochter aber scheint ohne jedes Vorurteil zu handeln, setzt sich offensiv zu einer Frau an einen Fensterplatz und sucht lächelnd den Kontakt zu ihr
- Vater und Tochter scheinen eine innige Beziehung zu haben, sie halten sich an der Hand (Vgl. Z. 1), verstehen sich blind und sprechen trotzdem miteinander; auffallend ist dabei, dass lediglich zwischen Vater und Tochter echte Kommunikation stattfindet, die in wörtlicher Rede wiedergegeben wird (Vgl. Z. 4 u. Z. 5 - 6)
- Die Tochter ist aufgeregt und fröhlich, weil sie heute ihren siebten Geburtstag feiert; diese Freude wird betont, indem die Zahl als „magisch“ (Z. 6) beschrieben wird; außerdem spiegelt die Alliteration „sodass sie sie ständig“ (Z. 6) wider, dass das Mädchen immer wieder über seinen Geburtstag sprechen will
- Mit den Worten „unsere Sprache“ (Z. 8 - 9) macht der Erzähler deutlich, dass er und die Tochter eine andere Sprache, nämlich Persisch, sprechen als die Mitmenschen; im weiteren Verlauf stellt sich aber heraus, dass nicht die Sprache das größte Problem bei der Kontaktaufnahme des Mädchens darstellt, sondern die Unfähigkeit der Frau, auf sie einzugehen
- Die Frau in der U-Bahn bleibt wie Vater und Tochter namenlos, wird allerdings vom Vater und Erzähler detailliert beschrieben. Ihre „porentief saubere“ Kleidung (Z. 13) spiegelt wider, wie steril und unnahbar sie auch als Person wirkt. Das akkurate und verschlossene Auftreten überrascht den Erzähler scheinbar, wie ein Ausrufezeichen (Z. 14) nahelegt
- Der Gegensatz zwischen den Persönlichkeiten der Tochter und der Frau wird aufgezeigt, indem die Frau verschüchtert „die Beine anzieht“ (Z. 12) und stur wegschaut, während die Tochter offensiv ihre Haare „wirft“ (Z. 15), ihre Schuhe „hebt“ (Z. 15) und stolz erzählt, dass diese neu sind
- Die Frau reagiert kaum auf das Kind, auch nicht, als diese die Worte auf Deutsch wiederholt. Als der Vater sie daraufhin streng oder gar vorwurfsvoll anblickt, fühlt die Frau sich sichtlich unwohl und meidet den Augenkontakt. Dies legt die Metapher „Last meines Blickes“ (Z. 19) nahe
- Das langsame und zögerliche Zuwenden und sofortige Wegschauen der Frau (Vgl. Z. 19 f,) sprechen für eine Vermeidungsstrategie. Das zähe Dahinfließen der Zeit in dieser unangenehmen Situation wird betont, indem die U-Bahn „langsamer“ fährt (Steigerung; Vgl. Z. 21)
- An der nächsten Station ändert sich die Situation grundlegend, nachdem eine Frau mit Hund zugestiegen ist. Die junge Frau ist auffällig, was durch die Worte „deutlich hörbar“ (Z. 22) betont wird
- Im Gegensatz zur etwa 50-jährigen Frau schaut sich die junge offensiv um und setzt sich zu Vater, Tochter und Frau; die Aktivität dieser Handlung wird sprachlich durch die Alliteration „sie schaut sich um und setzt sich“ (Z. 22 f.) versinnbildlicht
- Auch das Tier zeigt keinerlei Scheu; der Hund legt sich auf die Füße des Vaters und scheint diesen ohne jedes Vorurteil zu mögen; das Wohl des Hundes ist der jungen Frau dabei offenbar wichtiger als die Tatsache, ob der Mann sich daran stört; sie fragt jedenfalls nicht nach, was nicht an mangelnder Kommunikationsfreude liegen kann
- Die ältere Frau taut plötzlich auf; war sie zuvor abweisend und unnahbar, streichelt sie ohne Angst den Hund, schaut ihn „lächelnd“ (Z. 25) an und fragt die Besitzerin über ihn aus. Noch extremer wirkt die Verwandlung durch ihre Tierliebe im Kontrast der Worte akkurat vs. „sanft“ (Z. 26) und „zärtlich“ (Z. 31)
- Die Metapher „im Fell des Hundes Wellen auslösen“ (Z. 28) wird in Zeile 31 noch einmal aufgegriffen und betont, welche Wellen an Emotionen bei diesem Anblick über das Mädchen hereinbrechen. Der Hund bekommt genau die Zuwendung, nach der sie sich so gesehnt hat
- Das Symbol der Hand vom Anfang taucht erneut auf: Symbolisiert das Händehalten zu Beginn die Nähe zwischen Vater und Tochter, spiegeln die weichen Hände, die den Hund streicheln wider, wie die Frau sich mit ihrer Aufmerksamkeit lieber dem Tier anstatt dem Mädchen zugewandt hat
- Die Tochter scheint irritiert, enttäuscht und gebannt von dem Anblick zu sein; sie „dreht ihren Kopf zurück“ (Z. 30) als sie mit dem Vater aus der U-Bahn aussteigt
Schluss
- Erkenntnis, dass nicht nur Ausländer Ausgrenzung und Distanziertheit erleben, sondern vor allem auch Kinder
- Erwachsene haben verlernt, so ungezwungen und offen zu sein wie Kinder; können nur schwer mit Kindern in Kontakt treten
- Kinder können den unsensiblen Umgang nicht verstehen und leiden oftmals still
- Erschreckend, wie selbstverständlich Erwachsene im Gegenzug auf Tiere reagieren; Tierliebe fast größer als die Beachtung des Kindeswohls