Aufgabe 2
Textbeschreibung Lyrik
Thema: Bertolt Brecht (* 1898 - † 1956): Fahrend in einem bequemen Wagen (1937) Aufgabenstellung:- Untersuche den unten aufgeführten Text nach Ort, Zeit und Atmosphäre.
- Gehe auf das Verhalten und das Motiv des lyrischen Ichs ein.
- Beschreibe die Gegenüberstellung von Arm und Reich anhand sprachlicher Mittel.
1
Auf einer regnerischen Landstraße
2
Sahen wir einen zerlumpten Menschen bei Nachtanbruch
3
Der uns winkte, ihn mitzunehmen, sich tief verbeugend.
4
Wir hatten ein Dach und wir hatten Platz und wir fuhren vorüber
5
Und wir hörten mich sagen, mit einer grämlichen Stimme: nein
6
Wir können niemand mitnehmen.
7
Wir waren schon weit voraus, einen Tagesmarsch vielleicht
8
Als ich plötzlich erschrak über diese meine Stimme
9
Dies mein Verhalten und diese
10
Ganze Welt.
Aus:
Brecht, Bertolt: Die Gedichte, Suhrkamp 2000, S. 871.
(50 P)
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- Autor: Bertolt Brecht
- Titel: Fahrend in einem bequemen Wagen
- Erscheinungsjahr: 1937
- Textsorte: politische Erlebnislyrik
- Epoche: Moderne/Expressionismus
- Quelle: Bertold Brecht (1898-1956) Fahrend in einem bequemen Wagen, Die Gedichte, Suhrkamp 2000
- Thema: Egoistisch motiviertes Verhalten und die Inkompotenz, anderen Hilfestellungen zu leisten. Anschließend wird dieses problematische Handlungsmuster vom lyrischen ich analysiert.
- Inhalt: Eingangs befindet sich das lyrische Ich in einer Kutsche, die sich nachts ihren Weg über eine einsame Landstraße bahnt, während der Regen auf das Dach prasselt. Die Fahrt wird unterbrochen, als ein „zerlumpte[r] Mensch[...]“ (Z. 2) das lyrische Ich darum bittet, dass man ihn mitnähme. Doch ungeachtet des offensichtlich verwahrlosten Zustandes der bittstellenden Person, entscheidet sich das lyrische Ich dazu, weiterzufahren und die bettelnde Figur ihrem Schicksal zu überlassen. Nach wenigen Minuten der Weiterfahrt jedoch beginnt das lyrische Ich, sein von Egoismus geleitetes Verhalten gegenüber dem „zerlumpten Menschen“ (Z. 2) infrage zu stellen und ihm wird klar, wie unmenschlich seine Reaktion auf die Bitte zur Mitnahme gewesen ist.
Hauptteil
1. Formale Analyse- Verse: 10 Verse
- Strophen: Eine Strophe mit 10 Versen
- Die Titelgebung Fahrend in einem bequemen Wagen im Gedicht deutet auf die Lokalität des Geschehens hin, die sich allein im Inneren einer fahrenden Kutsche abspielt.
- Das adjektivische Attribut „bequem“ deutet einmal mehr auf die Sicherheit und Geborgenheit des Wagens hin und unterstreicht die Kutsche als Schutzraum vor dem draußen tobenden Regenwetter und der nächtlichen Gefahr.
- Ort: das großzügig gehaltene und gemütliche Innere eines Kutscherwagens auf einer verregneten Landstraße
- Zeit: Abenddämmerung, unmittelbar bevorstehender Einbruch der Nacht
- Atmosphäre: abweisende, bedrückende, gereizte und etwas bedrohliche Atmosphäre
- Analyse: anfänglich abweisendes Verhalten gegenüber der bittstellenden Person, lyrisches Ich nimmt sich heraus, sich selbst über alle Anwesenden im Wagen zu stellen. Auffällig ist, dass das lyrische Ich die um Hilfe suchende Person abweist, obwohl sich diese „tief verbeug[t]“ (Z. 3), als sie darum fleht, ein Stück mitfahren zu dürfen.
Schluss
- Thema: Mit seinem Gedicht nimmt Bertold Brecht die Überflussmentalität der Gesellschaft kritisch unter die Lupe und tadelt damit auf subtile Art und Weise, wie egostisch und träge eine unreflektierte Lebensweise im Rahmen einer Wohlstandgesellschaft einen werden lassen kann.
- Interpretation: Das offensichtlich gut betuchte lyrische Ich, dass sich in einer geräumigen Kutsche fahren lässt trifft auf einen heruntergekommenen, „zerlumpten Menschen“ (Z. 2); zwei soziale Klassen, die gehobene Mittelschicht/Oberschicht und die Unterschicht treffen aufeinander. Die Erkenntnis des lyrischen Ichs, falsch und selbstsüchtig gehandelt zu haben, kann als Appell des Autors interpretiert werden, dass allein man selbst sein Verhalten zwar nicht dementieren, jedoch ändern kann.
- Fazit: Bezieht man die Situation im Gedicht auf die aktuelle Situation, in der zahlreiche Bevölkerungen aufgrund von Kriegen und Naturkatastrophen als Flüchtlinge und demzufolge obdachlos unterwegs sind, so wird klar, wie wichtig die Zwischenmenschlichkeit, die gegenseitige Hilfestellung und Unterstützung besonders in Zeiten, in denen jemand in Not ist, sind. Dass wir füreinander da und aufeinander angewiesen sind, wird sich nie ändern und macht den Menschen im Kern menschlich. Es gibt nichts Natürlicheres. Die Kunst ist es, die intuitiven Impulse, sich gegenseitig helfen zu wollen nicht von Angst und Ego verdrängt werden. In dem Sinne trägt jeder Mensch selbst die Verantwortung und die Konsequenzen für sein Handeln und sein Nicht-Handeln.