Lerninhalte in Deutsch
Prüfungsaufgaben (Realschulabschluss)

Aufgabe 3

Textbeschreibung Prosa

Thema:
Marion Miller: Das Glück
Aufgabenstellung:
Beschreibe den unten aufgeführten Prosatext und beschreibe dabei folgende Punkte:
  • den Titel und die sprachlichen Mittel im Bezug auf den Inhalt
  • die Merkmale der Kurzgeschichte belegt an Textbeispielen
  • die Erkenntnis der Hauptfigur
Material
Das Glück
Marion Miller
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Sie fasst es nicht, kann es nicht begreifen: 60.000 Mark, sechzig große Schei-
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ne. Fünf Richtige und Zusatz: Sie hat richtig getippt. Fünfzehn Jahre lang
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jeden Freitag Zahlen angekreuzt. Geburtstage, Hochzeitstage, Sterbetage:
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fünfzehn Jahre lang geträumt, fünfzehn Jahre gehofft. Sie hält den Brief in
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gichtigen Händen - ihr Name, der Geldbetrag und dürfen wir Sie zu Ihrem
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Gewinn herzlich beglückwünschen!" Kein Zweifel, sie ist gemeint. Sie hält
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den Brief ganz fest, spürt Kälte ins Gesicht steigen, legt die Hände vor die
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Augen, weint. Gestern Rentnerin, gestern arm, gestern gespart, gestern sich
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nichts geleistet, gestern an vollen Schaufenstern vorbeigehuscht. Nie hatte
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sie Geld. Und nun dieser Augenblick. Sie zieht das Sonntags-Dunkelblaue
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an, fährt in die Stadt, will das Glück auf die Probe stellen, Freude kaufen,
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Sehnsüchte bar bezahlen. Brechende Schaufenster, das Fest der Augen, die
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Flöte des Rattenfängers: kaufen, dazugehören, Geld ausgeben, glücklich
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sein. Die Verkäuferin warnt, dies sei ein teures Kleid, Material, Verarbei-
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tung. Lächeln, sie möchte anprobieren, sie hat Geld. Bitte, gnädige Frau.
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Das Wort dröhnt in ihren Ohren: gnädige Frau! Zum ersten Mal in ihrem
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Leben.
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Sie kauft das Kleid nicht, der Spiegel hat sie ausgelacht. Sie kauft auch kei-
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nen Pelz, der schwarze Wollmantel hält warm, tut es noch ein paar Jahre.
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Keinen Farbfernseher: ihre Augen sind müde, chronische Bindehautentzün-
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dung, tränig von dem, was sie sahen, durch siebzig Jahre. Kein Haus: sie
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ist allein. Keine Reisen in ferne Märchenländer: sie glaubt nicht mehr an
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Märchen. Fünf Richtige und Zusatz: was soll das Geld. Fünfzig Jahre früher
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hätte sie es gebraucht. Ein Haus für die Familie, die Kur für den Mann, den
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teuren Arzt für das Kind, den warmen Pelz, das schicke Kleid. Nie hat das
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Geld gereicht. Nun braucht sie keins mehr. Der Schalterbeamte holt den
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Direktor. Der redet auf sie ein, ob sie sich das auch gut überlegt hat: Geld
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legt man an, damit es sich vermehrt. Niemand verschenkt Geld, auch nicht
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an die Kirche. Sie bleibt dabei, sie will das Geld nicht. Schreibt den Scheck,
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malt mit zittrigen Händen die Riesenzahl, ihren Namen: Zahlen Sie aus mei-
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nem Guthaben.

Aus: Marion Miller: Das Glück. Aus: Margarete Knödler-Weber: Glück und Sinn (Lesehefte Ethik - Werte und Normen - Philosophie). Stuttgart: Klett 1987.
(50 BE)

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