Aufgabe 4
Textgebundene Erörterung
Thema:- Analysiere den Text. Setze dich kritisch mit der Frage auseinander, ob die Wahl der Anrede als Ausdrucksform des Respekts anzusehen ist. (Der Schwerpunkt der Aufgabe liegt auf der Erörterung.)
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Bonn (KNA) – Wir leben in einer Kultur des Duzens: ob in den sozialen Netzwer-
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ken, am Arbeitsplatz oder im Radio. Das „Du“ ist mittlerweile fester Bestandteil
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der Alltagskommunikation. Und sogar dort gang und gäbe, wo es früher nicht
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denkbar gewesen wäre; etwa beim Einkaufen oder in der Werbung. Für Knigge
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Experte und Business-Etikette-Trainer Clemens Graf von Hoyos ist das die Folge
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einer Entwicklung, die bereits vor Jahrzehnten eingesetzt hat. Der Trend könnte
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sich aber auch wieder ändern, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur.
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Dabei ist die Abgrenzung zwischen dem „Du“ und „Sie“ kein Alleinstellungs-
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merkmal der deutschen Sprache. Das hat eine Analyse des World Atlas of Langu-
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age Structures (WALS) ergeben. Demnach wird in mehr als der Hälfte der 207
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untersuchten Sprachen keine Unterscheidung zwischen dem Duzen und Siezen
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getroffen. Zu diesen Sprachen zählt beispielsweise das Englische. 49 Sprachen
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weisen, wie das Deutsche, ein binäres System auf. Mehr als ein Dutzend Sprachen
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haben ein komplexeres Höflichkeitssystem.
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„Vor rund 200 Jahren hat man es noch möglichst vermieden, das Gegenüber
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überhaupt mit einem Pronomen anzusprechen“, sagte Hoyos, der seit knapp zehn
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Jahren Vorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft ist. „Ich hoffe, Ihre
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Hochwohlgeboren haben gut geschlafen“, hieß es damals. Daraus wurde dann „Ich
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hoffe, Sie haben gut geschlafen, Herr Mustermann“ und schließlich „Ich hoffe, du
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hast gut geschlafen“. Drehe man diese Entwicklung weiter, könnte es sein, dass
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irgendwann gar nicht mehr mit Namen und Anrede hantiert werde. Die Frage
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würde dann lauten: „Jo, Diggi, gut geschlafen?“
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Vor dem Hintergrund einer Sprache, die auch nicht binäre Personen mitdenkt –
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also diejenigen, die sich nicht den Kategorien von Mann und Frau zuordnen –,
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könnte sich Hoyos auch vorstellen, dass irgendwann auf entsprechende Zusätze
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verzichtet werde. In Mails könnte das etwa so aussehen: „Guten Tag, Erika Mus-
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termann.“ Es gehe in der Kommunikation vorwiegend darum, sich auf andere Per-
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sonen einzustellen.
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Umgangsformen unterlagen laut Hoyos schon immer Wellenbewegungen. Aus-
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geschlossen sei es jedenfalls nicht, dass das Siezen in den kommenden zwei Jahr-
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zehnten wieder prominenter werde. Hoyos verweist auf den Philosophen Arthur
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Schopenhauer, der 1851 in seiner Parabel der Stachelschweine folgendes Phäno-
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men beschrieb: An kalten Wintertagen drängen sich die Tiere recht nah zusam-
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men, um sich zu wärmen. Sobald sie zusammenrücken, piksen sie sich jedoch und
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gehen wieder auf Distanz. Ähnlich könnte es sich, so Hoyos, mit der Anrede ver-
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halten: Es sei immer ein Ringen um Nähe und Distanz.
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Vor allem in der Unterhaltungsbranche wird das Duzen mit dem Wunsch nach
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Zusammengehörigkeit begründet. Seit Monaten geht etwa der Hörfunksender
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WDR 2 verstärkt dazu über, die Hörerinnen und Hörer zu duzen. Der Gedanke
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dahinter: das Community-Gefühl zu stärken und Menschen enger an den Sender
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zu binden, so eine Sprecherin.
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Für Hoyos ist das eine nachvollziehbare Überlegung. Bindung hänge maßgeb-
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lich davon ab, was Menschen zusammen erlebt und durchlebt hätten. Da Radio-
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hören eher ein passiver Vorgang sei, könne er den Schritt zum sprachlichen
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Zusammenrücken nachvollziehen; zwangsweise notwendig sei er aber nicht.
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Für den einen ist das Duzen dem Experten zufolge eine vertrauensvolle Kom-
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munikation auf Augenhöhe, für den anderen eine Grenzüberschreitung. Dafür
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brauche es immer auch Feingefühl, mahnt der Experte. In jedem Fall gelte: einmal
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Du, immer Du. Er selbst sei deshalb kein Fan von sogenannten Golfplatz- oder
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Workshop-Dus. Dass viele Möbelhäuser oder Konzerne ihre Kundinnen und Kun-
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den duzten, bei Mahnungen hingegen wieder zum „Sie“ wechselten, sei „gegen
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jede Etikette und einfach nur schlechter Stil“.
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Besonders am Arbeitsplatz dürfe man sich von einer Kultur des Duzens nicht
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täuschen lassen, betont Hoyos. Oft werde dadurch suggeriert, dass in einem Unter-
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nehmen besonders flache Hierarchien herrschten, obwohl das nicht der Fall sei.
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„Kultur fängt im Kopf an und ist keine Frage des Duzens oder des Krawatte-
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tragens.“
Aus: Laurenti, Beate (KNA): „Du“ verdrängt „Sie“. 11. 05. 2023, Aalener Nachrichten.
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Einleitung
- Die Wahl der Anrede, ob „Du“ oder „Sie“, ist ein wichtiges Thema in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie spiegelt gesellschaftliche Normen wider und prägt den Umgang miteinander.
- In ihrem Artikel „Du“ verdrängt „Sie“, veröffentlicht am 11. Mai 2023 in der Schwäbischen Zeitung, analysiert Beate Laurenti den Trend des zunehmenden Duzens in verschiedenen Bereichen des Alltags.
- Laurenti zeigt auf, wie das „Du“ immer mehr an Bedeutung gewinnt, wo früher das förmlichere „Sie“ gebräuchlich war. Mit Bezug auf den Knigge-Experten Clemens Graf von Hoyos beleuchtet sie sowohl historische als auch gegenwärtige Entwicklungen der Anredeformen und fragt, wie sich die Kultur des Duzens weiterentwickeln könnte.
Hauptteil
Inhaltliche Analyse- Im ersten Abschnitt stellt Laurenti fest, dass wir in einer „Kultur des Duzens“ (Z. 1) leben, was sowohl in sozialen Netzwerken als auch im Arbeitsleben und im öffentlichen Raum zunehmend verbreitet ist (Vgl. Z. 1–7). Diese Beobachtung wird durch die Expertise des Knigge-Experten Clemens Graf von Hoyos gestützt, der erklärt, dass diese Entwicklung vor Jahrzehnten begann, sich aber möglicherweise wieder in Richtung „Sie“ bewegen könnte (Vgl. Z. 5–7). Laurenti verwendet hier die Formulierung „wir“ (Z. 1), um die allgemeine Gültigkeit dieses Trends zu betonen, und zeigt auf, dass diese Entwicklung alle betrifft.
- Im zweiten Abschnitt erweitert Laurenti die Diskussion auf eine internationale Ebene (Vgl. Z. 8–14). Sie verweist auf eine Studie des World Atlas of Language Structures (WALS), die zeigt, dass ‚mehr als die Hälfte der 207 untersuchten Sprachen keine Unterscheidung zwischen dem Duzen und Siezen kennt‘ (Z. 11). Interessanterweise zeigt Laurenti, dass nur 49 Sprachen, wie das Deutsche, ein „binäres System“ (Z. 13) verwenden, während einige Sprachen ein noch „komplexere[s] Höflichkeitssystem“ (Z. 14) besitzen (Vgl. Z. 13–14). Dies gibt dem Leser eine breite Perspektive auf die kulturellen Unterschiede in der Sprachverwendung.
- Im nächsten Abschnitt (Vgl. Z. 15–36) beleuchtet Laurenti die historische Entwicklung der Anredeformen. Laurenti beschreibt mit Hoyos’ Worten, dass vor rund 200 Jahren Pronomen vermieden wurden, wie in ‚Ich hoffe, Ihre Hochwohlgeboren haben gut geschlafen‘ (Z. 18), was die damalige formelle Anrede verdeutlicht. Hier wird klar, wie sich die Sprache in ihrer Form und Funktion verändert hat. Hoyos macht darauf aufmerksam, dass in der Zukunft möglicherweise auf Anredepronomen komplett verzichtet wird, insbesondere im Kontext einer inklusiveren Sprache für nicht-binäre Personen (Vgl. Z. 23–27). Diese Prognose zeigt, dass die Sprache einer ständigen Veränderung unterliegt sich den gesellschaftlichen Anforderungen anpasst.
- Im vierten Abschnitt geht Laurenti auf die Unterhaltungsbranche ein, die das Duzen verwendet, um ein Gefühl der Gemeinschaft zu erzeugen (Vgl. Z. 37–45). Ein Beispiel dafür ist der Radiosender WDR 2, der seine Hörer zunehmend duzt, um eine Bindung zu schaffen (Vgl. Z. 40 f.). Hoyos betrachtet dies als verständliche, aber nicht zwingend notwendige Entwicklung (Z. 43–45). Hier zeigt sich, dass die Wahl der Anrede strategisch genutzt wird, um Nähe und Vertrautheit zu simulieren.
- Am Ende thematisiert Laurenti die Ambivalenz des Duzens (Vgl. Z. 46–57). Für einige Menschen mag das Duzen eine vertrauensvolle Kommunikation auf Augenhöhe darstellen, für andere kann es als Grenzüberschreitung wahrgenommen werden (Vgl. Z. 46–47). Laurenti zitiert Hoyos mit der prägnanten Aussage „einmal Du, immer Du“ (Z. 49), was verdeutlicht, dass eine Rückkehr zum „Sie“ nach einmaligem Duzen schwierig ist. Die Autorin weist auch darauf hin, dass das Duzen in manchen Unternehmen flache Hierarchien vorgaukeln könnte, die in Wirklichkeit nicht existieren (Vgl. Z. 54 f.).
Fazit
- Beate Laurenti zeigt in ihrem Artikel auf, dass die Wahl der Anrede ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen ist. Die zunehmende Verwendung des „Du“ mag in vielen Bereichen als Zeichen von Vertrautheit und Modernität gelten, ist aber nicht unumstritten.
- Durch die Einbeziehung von Expertenmeinungen und historischen Beispielen wird deutlich, dass der Sprachwandel in Bezug auf die Anredeform sowohl Chancen als auch Herausforderungen birgt.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- Die Frage, ob die Wahl der Anredeform „Du“ oder „Sie“ Ausdruck von Respekt ist, wird in der heutigen Gesellschaft kontrovers diskutiert.
- Beate Laurenti greift in ihrem Artikel einige Aspekte dieser Debatte auf, ohne jedoch eine klare Position zu beziehen.
- Im Folgenden soll daher eine Erörterung darüber stattfinden, ob die Anredeform tatsächlich als Ausdruck von Respekt gewertet werden kann.
Hauptteil
Pro-Argumente- Die sprachliche Konvention, zwischen ‚Du‘ und ‚Sie‘ zu unterscheiden, gilt im Deutschen als Ausdruck von Respekt, da das ‚Sie‘ eine respektvolle Distanz schafft (Vgl. Z. 36). Im Deutschen ist es üblich, dass das „Sie“ als förmlicher gilt und vor allem in offiziellen oder formellen Kontexten verwendet wird. Beispielsweise wäre es unhöflich, einen Lehrer ohne Erlaubnis zu duzen, da das Siezen in dieser Beziehung eine Form des Respekts signalisiert. Auch in der Arbeitswelt wird das Siezen oft als Zeichen von professionellem Umgang betrachtet.
- Zudem kann die Anredeform auch Respekt ausdrücken, wenn sie auf die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern abgestimmt ist. So wird das „Sie“ häufig verwendet, wenn zwei Menschen sich noch nicht gut kennen, während das „Du“ erst nach einer gewissen Zeit der Vertrautheit angeboten wird. In solchen Fällen zeigt die Einhaltung dieser Etikette, dass man die Grenzen der persönlichen Nähe respektiert. Wie Laurenti schreibt, kann die Wahl der Anredeform ein „Ringen um Nähe und Distanz“ (Z. 36) sein, das je nach Kontext respektvoll oder unangemessen wirken kann.
- Schließlich zeigt sich auch im Kontext der geschlechtlichen Identität, dass die Wahl der Anredeform Respekt ausdrücken kann. Gerade in der modernen Gesellschaft, die sich zunehmend um Inklusivität bemüht, spielt die korrekte Ansprache von nicht-binären Personen eine wichtige Rolle. Wie Hoyos in dem Artikel anführt, könnte sich der Verzicht auf geschlechtsspezifische Anreden als respektvolle Geste gegenüber Menschen, die sich keiner binären Geschlechterkategorie zuordnen, etablieren (Vgl. Z. 23–27). Sprache und Anredeformen können genutzt werden, um Menschen in ihrer Individualität zu respektieren.
- Auf der anderen Seite kann die Wahl der Anredeform auch als weniger bedeutsam betrachtet werden, wenn man den Fokus auf die gesamte Art der Kommunikation legt. Wie Laurenti zeigt, wird das „Du“ in der Werbebranche und in den Medien oft verwendet, um eine künstliche Nähe zu schaffen (Vgl. Z. 37–45). Diese Form des Duzens dient weniger dem Ausdruck von Respekt, sondern ist vielmehr eine Marketingstrategie, um ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Das „Du“ wird in solchen Fällen nicht als persönliche Geste des Respekts genutzt, sondern als Mittel zur Manipulation der Kundenbindung.
- Auch im beruflichen Kontext ist das „Du“ nicht immer ein Zeichen von Respekt. Wie Hoyos betont, kann das „Du“ in manchen Unternehmen flache Hierarchien vortäuschen, die in Wirklichkeit nicht existieren (Vgl. Z. 54–55). Hier zeigt sich, dass die Anredeform keine verlässliche Aussage über den Respekt im Arbeitsverhältnis trifft. Viel wichtiger als die Anrede ist die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren. Ein respektloser Umgang kann auch mit dem „Sie“ erfolgen, während ein freundliches und respektvolles Verhalten oft wichtiger ist als die gewählte Anredeform.
- Letztlich ist zu beachten, dass Respekt in der Kommunikation nicht ausschließlich durch die Wahl der Anredeform ausgedrückt wird. Die Gesprächsführung, die Mimik und Gestik sowie die Tonalität spielen eine entscheidendere Rolle. Wie Laurenti verdeutlicht, kann das „Du“ für einige Menschen als vertrauensvolle Kommunikation empfunden werden, während andere es als Grenzüberschreitung wahrnehmen (Vgl. Z. 46 f.). Entscheidend ist daher das Feingefühl im Umgang miteinander und die Fähigkeit, sich auf die jeweilige Person und Situation einzustellen.
Schluss
- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wahl der Anredeform durchaus Ausdruck von Respekt sein kann, aber nicht zwangsläufig die wichtigste Komponente einer respektvollen Kommunikation ist.
- Während das „Sie“ in vielen formellen Kontexten als respektvoller gilt, kann das „Du“ je nach Beziehung und Kontext ebenfalls angemessen und respektvoll sein.
- Viel entscheidender ist jedoch, wie Menschen insgesamt miteinander umgehen und ob die Anredeform im Einklang mit der Gesamthaltung steht.