Aufgabe 2
Interpretation eines Dramenauszugs
Thema:- Interpretiere den Dramenauszug.
Die Szene: ein Kabinett des Prinzen
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Erster Auftritt
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Der Prinz,
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an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere,
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deren einige er durchläuft
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DER PRINZ: Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! – Die traurigen
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Geschäfte; und man beneidet uns noch! – Das glaub ich: wenn wir allen helfen könnten,
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dann wären wir zu beneiden. – Emilia? Indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt
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und nach dem unterschriebenen Namen sieht. Eine Emilia? – Aber eine Emilia Bruneschi –
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nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti! – Was will sie, diese Emilia Bruneschi? Er lieset. Viel
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gefordert, sehr viel. – Doch sie heißt Emilia. Gewährt! Er unterschreibt und klingelt; worauf
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ein Kammerdiener hereintritt. Es ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer?
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DER KAMMERDIENER: Nein.
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DER PRINZ: Ich habe zu früh Tag gemacht. – Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren.
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Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn rufen. Der Kammerdiener geht ab. – Ich
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kann doch nicht mehr arbeiten. – Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig - Auf einmal
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muß eine arme Bruneschi Emilia heißen – weg ist meine Ruhe und alles! –
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DER KAMMERDIENER welcher wieder hereintritt: Nach dem Marchese ist geschickt. Und
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hier ein Brief von der Gräfin Orsina.
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DER PRINZ: Der Orsina? Legt ihn hin.
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DER KAMMERDIENER: Ihr Läufer wartet.
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DER PRINZ: Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf. – Wo ist sie? In der Stadt?
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oder auf ihrer Villa?
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DER KAMMERDIENER: Sie ist gestern in die Stadt gekommen.
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DER PRINZ: Desto schlimmer – besser, wollt ich sagen. So braucht der Läufer um so weniger
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zu warten. Der Kammerdiener geht ab. Meine teure Gräfin! Bitter, indem er den Brief in die
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Hand nimmt. So gut als gelesen! Und ihn wieder wegwirft. – Nun ja; ich habe sie zu lieben
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geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber –
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ich habe!
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DER KAMMERDIENER der nochmals hereintritt: Der Maler Conti will die Gnade haben – –
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DER PRINZ: Conti? Recht wohl; laßt ihn hereinkommen. – Das wird mir andere Gedanken in
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den Kopf bringen. – Steht auf.
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Zweiter Auftritt
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Conti, der Prinz
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DER PRINZ: Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?
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CONTI: Prinz, die Kunst geht nach Brot.
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DER PRINZ: Das muß sie nicht; das soll sie nicht – in meinem kleinen Gebiete gewiß nicht. –
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Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen.
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CONTI: Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur, zu viel arbeiten müssen kann ihn um den Namen
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Künstler bringen.
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DER PRINZ: Ich meine nicht vieles; sondern viel - ein weniges; aber mit Fleiß. – Sie kommen
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doch nicht leer, Conti?
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CONTI: Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben, gnädiger Herr. Und bringe
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noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es gesehen zu werden verdient -
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DER PRINZ: Jenes ist? – Kann ich mich doch kaum erinnern –
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CONTI: Die Gräfin Orsina.
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DER PRINZ: Wahr! – Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.
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CONTI: Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die Gräfin hat seit drei
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Monaten gerade einmal sich entschließen können, zu sitzen.
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DER PRINZ: Wo sind die Stücke?
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CONTI: In dem Vorzimmer, ich hole sie.
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Dritter Auftritt
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Der Prinz
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DER PRINZ: Ihr Bild! – mag! – Ihr Bild ist sie doch nicht selber. – Und vielleicht find ich in
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dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht mehr erblicke. – Ich will es aber nicht
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wiederfinden. – Der beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen. – Wär es
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auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit anderen Farben auf einen anderen Grund gemalet ist
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– in meinem Herzen wieder Platz machen will – Wahrlich, ich glaube, ich wär es zufrieden.
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Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen. – Nun bin ich von
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allem das Gegenteil. – Doch nein; nein, nein! Behäglicher oder nicht behäglicher, ich bin so
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besser.
Anmerkung zum Autor:
Gotthold Ephraim Lessing (* 1729 - † 1781): deutscher Dichter Aus: Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. In:
Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (Hrsg.):
Lessings Werk in fünf Bänden, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1988, S. 229-231.
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Einleitung
- Das offen geschriebene Werk Emilia Galotti stammt aus der Feder Gotthold Ephraim Lessings und wurde im Jahr 1772 als bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen veröffentlicht. Im Zentrum der Handlung steht die junge Protagonistin Emilia Galotti.
- Das Stück lässt sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich der Epoche der Aufklärung zuordnen und konstatiert demnach typische Themen dieser Literaturepoche wie die soziale Ungerechtigkeit zwischen Adel und Bürgertum. Außerdem stehen die Vernunft und Menschlichkeit des Einzelnen im Vordergrund der Erzählung.
Hauptteil
Formale Analyse
- Die einfache, realistische und lebhafte Sprache zeichnet sich durch zahlreiche Dialoge und Monologe aus. Auch die Verwendung von rhetorischen Mitteln mit Gedankenstrichen wie einer Ellipse, eines Anakoluth und einer Aposiopese sind typische Kennzeichen der Sprache in Lessings Werken. Das bürgerliche Trauerspiel sollte nicht nur auf inhaltlicher Ebene ein Identifikationsmodell für den einfachen Bürger darstellen, sondern auch sprachlich leicht verständlich sein.
- Ausrufe und Interjektionen (z. B. „Nicht Emilia Galotti!“, Z. 9; „Wahr!“, Z. 47) verstärken die kommunikative Wirkung des Textes und drücken die Empfindungen des Prinzen aus.
- Ellipsen (z. B. „weg ist meine Ruhe und alles!“, Z. 16) verdeutlichen den alltäglichen und einfachen Sprachgebrauch. Sie sorgen für die Hektik und Dynamik in den Monologen und Dialoganteilen des Prinzen. Mithilfe dieses rhetorischen Mittels wird auch seine emotionale Befindlichkeit (in diesem Fall seine innere Unruhe) deutlich gemacht.
- Die verwendeten Imperative (z. B. „Laßt ihn rufen.“, Z. 14) fungieren als Aufforderungs- bzw. Befehlsform, die der Prinz nutzt, um seinen Kammerdiener zu Handlungen aufzufordern. Zusätzlich unterstreichen sie den adeligen und seriösen Charakter der Auftritte.
- Durch die Verwendung rhetorischer Fragen (z. B. „Der Orsina?“, Z. 19; „Was glaubt man nicht alles?“, Z. 27) wird eine verstärkende Wirkung der Aussagen erzeugt. Außerdem erhoffen sich die Figuren die Zustimmung ihres Gegenübers. Auch dieses Stilmittel unterstreicht die alltägliche Sprache innerhalb des Textauszugs.
- Durch das Stilmittel der Correctio (z. B. „Nun bin ich von allem das Gegenteil. – Doch nein; nein, nein! Behäglicher oder nicht behäglicher (...)“, Z. 59 f.) berichtigt der Prinz seine Aussagen. Es unterstreicht seine emotionale Sprunghaftigkeit, auch in Bezug auf die wechselhafte Einstellung gegenüber seiner ehemaligen Liebesbeziehung mit Gräfin Orsina.
Inhaltliche Analyse
- Das Kabinett des Prinzen Hettore Gonzaga bildet den Schauplatz der Auftritte 1-3 im ersten Aufzug des Werks. Zunächst tritt der Prinz gemeinsam mit seinem Kammerdiener auf. Es finden kurze, dialogartige Passagen zwischen den beiden Figuren statt. Die Redebeiträge des Prinzen überwiegen jedoch deutlich. Der Prinz befindet sich an seinem Schreibtisch und liest sich die Bittschriften durch, die ihn erreicht haben. Dabei fällt ihm die ausgesprochen hohe Bittstellung einer „Emilia Bruneschi“ (Z. 8) aus Zufall in die Hände. Ungeprüft unterzeichnet er ihren Antrag, da der Name der Antragstellerin in an Emilia Galotti erinnert. Das bringt den Prinzen so sehr in Aufruhr (Vgl. 15 f.), dass er seine Arbeit vorerst unterbrechen muss und seinen Marchesen Marinelli rufen lässt, um mit ihm gemeinsam auszufahren (Vgl. Z. 13 f.) und dabei auf „andere Gedanken“ (Z. 30) zu kommen.
- Sein Kammerdiener, der den Bitten seines Vorgesetzten eifrig nachkommt, legt ihm daraufhin noch einen Brief der Gräfin Orsina vor. Trotz einer ehemals geführten Liebesbeziehung mit der Gräfin weigert sich der Prinz, den Brief zu öffnen und sich den Bitten seiner einst Geliebten anzunehmen (Vgl. Z. 26 ff.). Für einen kurzen Moment reflektiert er das Liebesverhältnis zu ihr und gibt zu, dass er sie „wirklich geliebt“ (Z. 27) hat, dies jedoch der Vergangenheit angehört („Aber – ich habe!“, Z. 27 f.). Seine Aktion unterstreicht schon an dieser frühen Stelle im Werk die Nachlässigkeit und unsensible, arrogante Art des Prinzen, die sich im Laufe des Stücks zu menschenverachtendem Verhalten intensivieren wird. Die Ignoranz gegenüber den Briefen der Gräfin stellt nur ein Exempel für seine Gleichgültigkeit und Unaufrichtigkeit in Bezug auf die Gräfin dar.
- Auffällig ist ebenfalls, dass in den adeligen Räumen einerseits eine gewissenhafte Bürokratie und Ernsthaftigkeit herrscht (z. B. das „Vorzimmer“, Z. 11), andererseits geht der Prinz mit den Bittschriften äußerst wahllos um. An dieser Stelle kommt die Willkür und Wechselhaftigkeit des Prinzen zum Vorschein.
- Im zweiten Auftritt stößt der Maler Conti zum Geschehen hinzu. Auch in diesem Auftritt findet ein Dialog zwischen den beiden Figuren statt. Der Prinz erkundigt sich nach dem Gemütszustand seines Vertrauten und fragt, wie es um sein künstlerisches Wirken steht (Vgl. Z. 35). Daraufhin unterhalten sie sich über die Tätigkeit eines Künstlers und der Prinz erklärt Conti, wie er als Maler zu arbeiten hat (Vgl. Z. 36-42). Trotz aller Freundlichkeit verstärkt dies den Eindruck, dass der Prinz eine überhebliche, launische und gönnerhafte Figur ist. Conti hat zwei Gemälde für den Prinzen mitgebracht. Eines davon zeigt die Auftragsarbeit, ein Porträt der Gräfin Orsina. Der Maler wird dadurch als treuer und aufrichtiger Mensch dargestellt, der zuverlässig arbeitet. Allerdings scheint er unzufrieden mit der Rolle als Künstler zu sein.
- Daraufhin betrachtet der Prinz im dritten Auftritt des ersten Aufzugs das Bild seiner ehemals Geliebten, der Gräfin Orsina. Er schwelgt in Gedanken über die vergangene Beziehung und spricht in monologhafter Form davon, dass er den Entschluss der Trennung als eine gute Entscheidung sieht, es jedoch trotzdem bedauert, die Gräfin nicht mehr lieben zu können (Vgl. 58-61). Seine Einstellung gegenüber der Gräfin und der vergangenen Liebesbeziehung mit ihr zeigt auch an dieser Stelle auf exemplarische Weise die Sprunghaftigkeit und emotionale Wankelmütigkeit des Prinzen. Durch den Monolog erhält der Leser einen unmittelbaren Zugang zur Gedanken- und Gefühlswelt der Figur.
Schluss
- Bereits zu Beginn des Werks Emilia Galotti werden die negativen Eigenschaften des Prinzen wie Willkür, Arroganz und Boshaftigkeit deutlich. Diese repräsentiert er stellvertretend für die adeligen Kreise im Werk. Lessings Tragödie zeichnet sich durch einen bewusst intendierten gesellschaftskritischen Bezug aus.
- Die im Werk dargestellte Gesellschaftskritik umfasst auch das elitäre Bewusstsein der adeligen Kreise, welches Unterwerfung, mangelnde Handlungsfähigkeit und geringe Freiheit des einfachen Bürgers miteinschließt. Der moralische Konflikt und die sozialen Ungerechtigkeiten innerhalb der Bevölkerung finden bereits im ersten Aufzug ihren Anfang.
- Typisch für Lessing als Vertreter der Aufklärung ist es, den Leser zur Reflexion der Ungerechtigkeiten sowie zur Selbstreflexion eigener Handlungen anzuregen und ihn zu desillusionieren. Dafür lässt der Autor realistische Figuren in einfacher Sprache zu Wort kommen, wie bereits der erste Auftritt deutlich zeigt.