Aufgabe 1
Textgebundene Erörterung
Thema:- Erörtere den Textauszug.
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[...]
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Wir kaufen Lebensmittel, die von Menschen hergestellt werden, die wir nicht
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kennen, an Orten und unter Bedingungen, für die dasselbe gilt. Wir steigen in Ver-
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kehrsmittel, die wir nicht selbst steuern, in denen wir aber sterben können, sobald
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derjenige, der es tut, einen Fehler macht. Wir leben in politischen Systemen, in
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denen wir nicht jede Meinung teilen müssen, doch nach den Meinungen der ande-
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ren sollen wir uns richten, sobald sie von der Mehrheit für gut befunden wurden.
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Wir setzen Technologien ein, die wir, selbst wenn sie aus dem Ruder laufen, nicht
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mehr abschalten können, ohne noch größere Schäden anzurichten.
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Unsere Fähigkeit zu Arbeitsteilung und Koordination hat den Planeten in einem
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Ausmaß und einer Geschwindigkeit verändert, dass wir die Folgen längst nicht
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mehr überblicken. Wir haben unsere Welt größer und schneller gemacht, aber auch
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komolizierter und verletzlicher, dennoch beschleunigen wir sie immer weiter.
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Damit dehnt sich der Raum, den unser Vertrauen abdecken muss, stetig aus.
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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, das war gestern. Heute heißt es: Kontrolle
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ist gut, Vertrauen geht schneller.
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Vertrauen sei „ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität“, schrieb
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der deutsche Soziologe Niklas Luhmann bereits Ende der Sechzigerjahre, als die
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soziale Komplexität noch weit weniger komplex war, als sie es heute ist. „Ohne
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jegliches Vertrauen könnte der Mensch morgens sein Bett nicht verlassen. Unbe-
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stimmte Angst, lähmendes Entsetzen befielen ihn.“
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Aber ist das wirklich so?
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Selbstverständlich nehmen wir an, dass uns über Nacht nicht die Decke auf den
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Kopf fällt. Wir gehen davon aus, dass der Mensch, mit dem wir das Bett teilen,
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auch am nächsten Morgen noch neben uns liegt, zumindest wenn wir ihn nicht erst
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am Abend zuvor kennengelernt haben. Wir vertrauen der Kita, dass unsere Kinder
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dort sicher sind, den Autofahrern, dass sie bei Rot halten, und unserem Chef, dass
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er nicht plötzlich einen Kollegen an unseren Arbeitsplatz setzt, der unseren Job
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übernimmt. Wir sind im Grunde auch der Meinung, dass sich der Klimawandel
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schon irgendwie in den Griff bekommen lässt, während wir gleichzeitig wenig
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unternehmen, um ihn aufzuhalten. Wir haben unsere Erfahrungen damit, worauf
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wir bauen können, und wir würden verrückt werden, wenn wir ständig darüber
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nachdächten, wir kippelig eigentlich alles ist.
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Aber ist das tatsächlich alles Vertrauen? Oder nur ein Sichverlassen? Oder
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Gewohnheit? Oder Zukunftsergebenheit?
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Und falls es da einen Unterschied gibt – ist er von Bedeutung? [...]
Aus: Jauer, Marcus: Wird schon gut gehen, oder? In: Die Zeit. N°23, 28.05.2020, Zeitverlag Hamburg, S. 14.
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- Lies dir zuallererst den Text ein paar Mal durch.
- Unterstreiche Schlüsselwörter sowie Textstellen, die dir besonders wichtig erscheinen.
- Notiere dir erste Gedanken und Auffälligkeiten zum Text.
- Was ist das Hauptthema des Textauszugs?
- Auf welche Beispiele stützt Jauer seine Thesen und wie erläutert er Letztere?
Einleitung
- Ein gesellschaftliches Gefüge ohne automatisierte Vorgänge ist nicht denkbar.
- Tagtäglich legen wir unser Schicksal in die Hände anderer sowie Maschinen.
- Beispielhafte Situationen, in denen Menschen der Technik vertrauen: Flugzeug fliegen, Benutzung eines Aufzugs, mit dem Bus fahren etc.
- Marcus Jauers Artikel Wird schon gut gehen, oder? erscheint am 28. Mai 2020 in der ZEIT.
- Thematik des Artikels: Das scheinbar unerschütterliche Vertrauen des Menschen in das gesellschaftliche Gefüge und damit einhergehende automatisierte Vorgänge.
Hauptteil
- Einleitend geht Jauer auf das Vertrauen der Menschen in die Lebensmittel- und Automobilbranche sowie in den technischen Fortschritt ein.
- Die Herstellung, Herkunft, Qualität und Herstellungsbedingungen werden laut Autor zu wenig hinterfragt.
- Mit dem regen Wandel der Zeit und Wachstum der Wirtschaft müsse auch unser Vertrauen immer weiter mitwachsen: „Kontrolle ist gut, Vertrauen geht schneller“ (Z. 15 f.).
- Übermäßiges Misstrauen führe jedoch sowohl zu verminderten ökonomischen Leistungen als auch zu sozial-politischen Problemen.
- Ein Mensch könne außerdem durch eigene Lebens- und Lernerfahrungen die allgegenwärtige Ungewissheit wieder wettmachen (vgl. Z. 31 ff.).
- Jauer beendet seinen Artikel, indem er in den Raum stellt, ob es sich beim Vertrauen der Menschen nicht doch um reine Bequemlichkeit handelt.
- Fragestellung: Handelt es sich beim unerschütterlichen Vertrauen von uns Menschen in technischen sowie ökonomischen Fortschritt um blindes Vertrauen? Und inwiefern ist dies als problematisch oder unproblematisch einzustufen?
- Lebensmittelbranche: Unbewusster Umgang mit Lebensmitteln und ein Mangel an Hinterfragen der Produktion sowie den Arbeitsbedingungen dieser Produkte führen zu einem Konsumverhalten, welches etwa Bio-Siegeln blind vertraut.
- Automobilbranche: Erschütterung des Vertrauens der Konsumenten durch Abgasskandal.
- Digitale Endgeräte: Nicht vorhandene Vorsicht im Umgang mit bpsw. Smartphones und damit einhergehendes Risiko des Datenschutzes.
- Mögliche Gründe für mangelndes Interesse und Weiterbildung in den oben genannten Bereichen: Ein „Sichverlassen“ (Z. 34) in die Richtigkeit der Dinge, eine sich in der Gesellschaft etablierte „Gewohnheit […] oder Zukunftsergebenheit“ (Z. 35).
- Lösung: Weder unerschütterliches Vertrauen noch ständiges Misstrauen sind gut. Jauer empfiehlt, dem gesunden Menschenverstand zu folgen und Dinge öfter zu hinterfragen, anstatt sie einfach hin- und anzunehmen.
- Vertrauen ist essenziell für ein funktionales gesellschaftliches Gefüge: Indem man darauf vertraut, dass die Mitmenschen ihr Bestes geben bei dem, was sie tun, kann man sich auch in Ruhe auf sich und seine bestmögliche Eigenleistung konzentrieren und nur so ist eine „Arbeitsteilung“ (Z. 10) überhaupt möglich.
- Auch unser Sozialleben könnte ohne gegenseitiges Vertrauen nicht existieren. Zwischenmenschliche Beziehungen leben vom Vertrauen in das Gegenüber, denn nur so sind tiefere emotionale Bindungen möglich.
- Ein großes Maß an Vertrauen zu besitzen muss kein Zeichen von unreflektierter Resignation sein, sondern erfordert mitunter mehr innere Stärke, als ständig Misstrauen an den Tag zu legen.
- Kritisches Beleuchten und Hinterfragen der vom Autor gewählten Beispiele. Stimmst du den Aussagen Marcus Jauers zu, oder widersprichst du ihnen?
- Begründe deine jeweilige Meinung, indem du exemplarische Argumente aufführst.
Schluss
- Ohne Vertrauen ineinander und automatisierte Prozesse ist eine Gesellschaft nicht überlebensfähig.
- Das Hinterfragen von Dingen und Umständen muss nicht mit übertriebenem Misstrauen einhergehen.
- Zielführend wäre, wenn sich Menschen bspw. bewusster mit ihrem eigenen Konsumverhalten auseinandersetzen und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, anstatt gedankenlos gewisse Zustände und Normen unkritisch hinzunehmen.