Aufgabe 1

Textgebundene Erörterung

Thema:
Babette Müller: Eine Beziehung voller Missverständnisse
Aufgabenstellung:
  • Erörtere auf der Grundlage der Argumentation im Text und deiner Erfahrung die These aus der Überschrift.
Material
Eine Beziehung voller Missverständnisse
Babette Müller
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Die Jugend von heute interessiert sich für nichts, beschäftigt sich sowieso nur mit
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dem Handy und der Playstation und lässt jegliches Interesse an den großen Fragen
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unserer Zeit vermissen. So lauten die Vorwürfe und Vorurteile der älte-
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ren Generation.
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Umso interessanter waren daher die Ergebnisse der Shell-Jugendstudie aus dem
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Jahr 2015. Diese erhebt regelmäßig die Sichtweisen, Stimmungen und Erwartun-
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gen der Jugendlichen in Deutschland und ermittelte, dass sich 41 Prozent der befragten
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Jugendlichen als politisch interessiert bezeichnen. Laut den Autoren
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der Studie steht dieses Ergebnis für eine signifikante Trendwende, zeichneten sich
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doch die Vorgänger, die Jugendlichen der “Generation Y”, vor allem durch poli-
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tisches Desinteresse und fehlendes Engagement aus. Schnell wurden Hoffnun-
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gen auf eine neue, engagierte Generation geweckt, quasi die Wiedergeburt der
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politischen, gar rebellischen Jugend prophezeit.
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Auf den zweiten Blick zeichnen die Ergebnisse der Shell-Studie jedoch ein
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weniger rosiges Bild vom Verhältnis der deutschen Jugend zur Politik. Sie boy-
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kottieren zwar Konsumgüter aufgrund politischer Konflikte, demonstrieren für
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soziale Gerechtigkeit und unterzeichnen Petitionen im Netz, die Politikverdros-
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senheit bleibt aber vor allem mit Blick auf die etablierten politischen Parteien und
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das politische System hoch.
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Unterstützt wird dieser Befund durch Zahlen, die im Rahmen einer Untersu-
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chung der Friedrich-Ebert-Stiftung erhoben wurden. In Anlehnung an die Ergeb-
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nisse der Shell-Studie beschäftigte sich die Stiftung mit der Frage, ob sich das
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gestiegene politische Interesse auch in Form von politischem Engagement wieder-
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findet und welche Formen dabei von den Jugendlichen bevorzugt werden. In der
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repräsentativen Befragung von Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren spiegelt
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sich jedoch besonders die Verdrossenheit in Hinblick auf das etablierte politische
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System: Nur 3 Prozent der befragten Jugendlichen gaben an, Mitglied in einer Par-
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tei zu sein. Gründe für diesen geringen Wert sind ein zunehmendes Vertrauens-
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defizit gegenüber Parteien und deren fehlende Attraktivität auf jugendliche Ziel-
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gruppen. Zudem wird Politik, so wie sie durch die Arbeit der politischen Parteien
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geprägt wird, als starr, intransparent und ohne wirkliche Chance zur Beteiligung
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wahrgenommen. Besonders großen Zuspruch durch Jugendliche erhalten jedoch
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Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen, die Jugendlichen glaubhaft
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die Chance auf Mitbestimmung und politischem Einfluss vermitteln können und
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den etablierten Parteien so zunehmend den Rang ablaufen.
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Generell ist das politische Engagement abseits der Mitgliedschaft in einer Partei
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jedoch geringer, als man erwarten würde: Obwohl sich 45 Prozent der Befragten
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eine Beteiligung an politischen Projekten vorstellen könnten, setzen dies nur
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27 Prozent der Jugendlichen in die Tat um. Die Gründe dafür sind sind vielfältig:
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Neben Faktoren wie dem Alter, dem Geschlecht und dem Bildungsgrad spielen
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auch die Unwissenheit der Jugendlichen über den politischen Prozess, Unlust und
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das beständig schwindende Vertrauen in die politischen Parteien und in das poli-
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tische System eine große Rolle für die geringe politische Beteiligung. Mit der
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Wahrnehmung fehlender Mitwirkungsmöglichkeiten verlieren Parteien und das
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politische System als Ganzes zunehmend an Relevanz für Jugendliche und politi-
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sches Engagement verlagert sich auf andere Akteure und Räume.
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Die Jugend interessiert sich zwar, hat aber nur wenig Antrieb, sich auch poli-
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tisch zu engagieren und Entscheidungen selbst in die Hand zu nehmen. Bleibt also
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doch alles beim Alten? Nicht ganz. Die Jugend interessiert sich wieder mehr für
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Politik. Das lässt sich klar aus den Ergebnissen der Studien ableiten. Dieses neue
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Interesse entfaltet ein politisches Potenzial, das nun genutzt werden muss. Das
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Verständnis von politischer Teilhabe und die Formen des Engagements haben sich
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jedoch verändert: Politische Aktivitäten finden individueller statt, im Privaten und
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im Netz und Nichtregierungsorganisationen werden den Parteien vorgezogen. Es
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liegt daher vor allem an den Parteien selbst, der Jugend glaubhaft zu vermitteln,
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dass sich das Engagement in etablierten Parteien lohnt und somit das neu
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gewonnene Potenzial zu nutzen. Vielleicht kann aus der “Generation Z” dann
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wirklich eine neue politische Generation werden.

Aus: Müller, Babette: Jugend und Politik: Eine Beziehung voller Missverständnisse. In: Onlinezugriff,
letzter Zugriff am 06.06.2019.