Aufgabe 3

Sachtextanalyse

Thema:
Anuschka Eberhardt: Endlich Kinderzeit
Aufgabenstellung:
  • Analysiere die argumentative Entfaltung der Autorenposition.
  • Setze dich mit dem Thema Kinder im Spannungsfeld zwischen Bereicherung und Belastung auseinanader.
Material
Endlich Kinderzeit
Anuschka Eberhardt
Laufend ist die Rede davon, Schulkinder zu Hause seien eine Zumutung. Höchste Zeit, mal das
Positive zu sehen
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Wenn man in den vergangenen Wochen die Zeitungen aufschlug, bekam man den Eindruck,
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Kinder seien nicht mehr als eine Zumutung. Corona sei für Familien mit Kindern eine
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“Belastungskrise”, hieß es da, Frauen drohe eine entsetzliche Retraditionalisierung”, und in
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der ZEIT sagte Umweltministerin Svenja Schulze auch noch, sie fände es “besorgniserregend”,
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dass Frauen “den größten Teil der Kinderbetreuung übernähmen”.
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Ich finde es irritierend, dass in der aktuellen Diskussion von Kindern nur noch als einem
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Belastungsfaktor und Karrierekiller für Eltern im Allgemeinen und Mütter im Besonderen
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gesprochen wird, den es endlich wieder wegzuorganisieren gilt. Ich und die Eltern in meinem
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Bekanntenkreis erleben diese Zeit anders.
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Es stimmt, die lange währende Situation mit geschlossenen Kitas und Schulen ist nicht leicht
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zu bewältigen, vor allem natürlich für Familien, die in beengten, vielleicht prekären
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Verhältnissen leben. Auch ich mit Haus und großem Garten komme beim Homeschooling mit
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unseren zwei Grundschulkindern und der Betreuung unseres Sechsjährigen regelmäßig an
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meine nervlichen Grenzen. Aber es ist ja nicht so, als wäre der familiäre Alltag ansonsten
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spannungsfrei.
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Es wird suggeriert, dass es momentan keine größere Belastung gäbe, als sich einige Wochen
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oder Monate ausschließlich persönlich um die eigenen Kinder zu kümmern. Man könnte den Eindruck
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gewinnen, in unserem Gesellschaftssystem sei dies nicht mehr vorgesehen. Wenn Kinder nur noch
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ein Faktor sind, den es gilt, möglichst früh möglichst umfangreich
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fremdbetreuen zu lassen, frage ich mich schon: wozu welche bekommen? All die politischen
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Versprechungen nach dem Motto “Ihr könnt alles haben: erfülltes Familienleben,
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Selbstverwirklichung im Beruf, steile Karriere und Quality-Time für euch selbst” werden
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gerade stark infrage gestellt – für Mütter und für Väter.
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Immer wieder werden Familien in Studien gefragt, was sie verändern möchten. Die Antwort
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bleibt dieselbe: Sie wünschen sich mehr gemeinsame Zeit. Et voilà, da ist sie! Kann die nun
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gewonnene termin- und pendelfreie Zeit nicht auch ein Gewinn sein? So erlebe ich dies in
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unserem Bekanntenkreis durchaus: Familien, die deutlich mehr gemeinsam unternehmen, oder
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Geschwister, die durch gemeinsames Spiel wieder zusammenfinden.
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Schon von einigen Müttern habe ich gehört, dies sei nun eine gute Gelegenheit, sich zu
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überlegen, was man wirklich will, welche Termine man beibehalten möchte und ob man den
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ohnehin ungeliebten Flötenunterricht vielleicht streichen kann.
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Was ebenfalls unterschlagen wird: Kinder brauchen nicht rund um die Uhr Betreuung und
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Bespaßung! In der Regel sind sie in der Lage, sich einige Zeit selbst zu beschäftigen. Auch
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ohne Ruhigstellung durch Tablet, Netflix und Co – die sicher in vielen Haushalten in den
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vergangenen Wochen zum Einsatz kamen. Kinder kommen, wenn man sie nur lässt, mitunter
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auf pfiffige Ideen – zugegebenermaßen nicht immer zur Freude der Eltern. Unser Jüngster
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betreibt nun “Ameisenstudien”, die Tiere schleppt er an und leider oft ins Haus. Die Größte
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setzt das Badezimmer unter Wasser, weil die Barbies gebadet werden müssen. Na und? Gebe
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ich ihnen kleine Freiheiten, gewinne ich auch Zeit für mich.
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Die Süddeutsche Zeitung schrieb in der vergangenen Woche, dass gerade gut situierte Eltern
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die “Erziehungs- und Bildungsverantwortung” abgegeben haben, und fragte: Haben sie “dabei
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die eigene Kompetenz als Eltern verloren?”
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Hoffentlich nicht! Ich möchte keine Lebensentwürfe gegenüberstellen, ich wünsche mir in
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der momentanen Debatte jedoch, dass von Kindern mehr als Bereicherung gesprochen wird –
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auch und gerade angesichts der momentanen Herausforderungen! Wie mögen die Kinder sich fühlen,
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wenn von ihnen nur noch als häuslichem Störfaktor die Rede ist?

Anmerkung zur Autorin:
Anuschka Eberhardt: ZEIT-Wirtschaftsrätin
Eberhardt, Anuschka: Endlich Kinderzeit. In: DIE ZEIT N°24, 4. Juni 2020, S. 20.

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