Vorschlag B
Interpretation eines literarischen Textes mit weiterführendem Vergleich
Thema: Liebeskonzepte Sibylle Berg (* 1962): Und jetzt: die Welt! Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen (2014) Johann Wolfgang von Goethe (* 1749 - † 1832): Faust I (1808) Aufgabenstellung:- Interpretiere den Textauszug aus Sibylle Bergs Drama Und jetzt: die Welt! Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen. (Material)
- Setze die Liebesvorstellungen der Protagonistin aus Sibylle Bergs Dramentext (Material) in Beziehung zu denen von Margarete aus Goethes Drama Faust I.
(60 BE)
(40 BE)
ginn des Stücks.
1
Hart muss ich werden, um zu wissen,
2
was zählt, was wichtig ist,
3
und dann
4
kann ich der Welt die Antwort geben,
5
die ist: Ich muss hier überleben.
6
Muss Sieger sein, mit aller Macht –
7
nicht angerührt, nicht ausgelacht,
8
auch nicht bedrängt und kleingemacht.
9
Ich werde meinen Körper stählen,
10
fickt euch ins Knie und gute Nacht!
11
Ich bin beeindruckt von meiner Fähigkeit zu reimen.
12
Und der, Versprechen einzuhalten. [...]
13
Meine Hoffnung, auch wenn du nicht danach fragst, ist, dass da draußen ein Mensch auf mich wartet.
14
Warten können sie, die Jungen, sie sind fast alle arbeitslos. Oder studieren, um im Anschluss arbeits-
15
los zu sein. Oder sie befinden sich in einem Praktikum. Für zehn Jahre. Problemlos könnte da also je-
16
mand herumlungern und auf mich warten. Eine junge Frau mit grünen Augen und Interesse an Kung-
17
Fu. Vielleicht heißt sie Lina.
18
Mein Mensch befindet sich vielleicht genau jetzt an seinem Fenster, sieht dahin, wo vor dem Dauerre-
19
gen mal Himmel war, und fragt sich, ob in einem Liebeskontext ein anderes Gefühl hergestellt werden
20
kann als Schmerz. Irgendwann tut es doch immer weh. Weil einer will und der andere nicht oder einer
21
nicht mehr will oder beide nicht genug, und dann sitzt man sich gegenüber und wundert sich.
22
Summen.
23
Vor dem Fenster kreisen schon wieder Spionagedrohnen. Das neue Hobby halbwüchsiger junger Män-
24
ner, die sich die Dinger aus 3D-Printern ausdrucken und dann auf die Suche nach Geschlechtspartnern
25
schicken. Demnächst werden sie ihre Penisse an diese Drohnen hängen. Prost. Es gibt Schlimmeres.
26
Jung zu sein und am Abend alleine zu Hause zum Beispiel. Meine selbst zusammengestellte Familie
27
ist auswärts. Gemma beim Shoppen, Minna beim Sport, und ich hänge hier rum und mache ein Video,
28
das außer dir, lieber Paul, keiner zu sehen bekommen wird.
29
Guten Abend, meine Möbel,
30
was habt ihr heute so gemacht?
31
Bin ich daheim, schnappt mich die Stille,
32
das Bett, der alte Hund, der lacht.
33
Es riecht so einsam in der Wohnung,
34
die Lampe hängt so gelb darin.
35
Und ich weiß nicht, was ich lieber,
36
alleine oder Gruppe bin.
37
Liebe gibt’s doch nur in Liedern,
38
im Leben gibt’s doch so was nicht.
39
Wenn dich die Sehnsucht richtig packt,
40
dann ist es Nacht, und du bist nackt.
41
Ich rede noch was zu mir selber,
42
dann lösche ich mit Angst das Licht.
43
Obwohl ich nicht darauf brenne, nackt zu sein. Und Sehnsucht das falsche Wort ist. Ich sehne mich
44
nur nach Orten und Dingen, die ich kenne. Also zum Beispiel sehne ich mich nicht nach dem Gipfel
45
des Himalaya oder nach einer Darmspiegelung, sondern nach einem Gefühl, das mir aus Filmen be-
46
kannt ist. Ich wurde noch nie von einem Menschen geliebt. Also in diesem gewaltigen, durch die Me-
47
dien und Kunst aufgeladenen Sinn. Jemanden, der, ohne sich an mich gewöhnt zu haben, von mir be-
48
zaubert ist, gibt es nicht. Dabei entspreche ich rein optisch allen Parametern, die ein begehrenswerter
49
Mensch unserer Zeit zu erfüllen hat. Ich habe gute Zähne und bin politisch korrekt.
50
Hör ich dich widersprechend wimmern, Paul?
51
An Abenden wie diesem habe ich eine unklare Angst, dass alles so bleiben könnte, wie es gerade ist:
52
grau. Und dass ich von einem dämmrigen Junge-Mensch-Gefühl direkt in das gerate, was ich bei Älte-
53
ren sehe: die pure Verzweiflung. Als hätte sich irgendein Versprechen nicht erfüllt. Alle, die ich
54
kenne, suchen nach diesem Unbekannten, das sie in Momenten ahnen, in denen der Alkohol genau in
55
der richtigen Menge im Körper steht und genau das richtige Lied läuft. Grenzenlos und unendlich wol-
56
len wir sein. Und sind doch nur wer, der besoffen ist und mit jemandem nach Hause geht, der auch nur
57
mit jemandem nach Hause geht.
58
Ich bin mit Lina nach Hause gegangen, doch leider hat sich bei mir ein Gefühl entwickelt. Das ich
59
aber ignoriere. Im Gefühle-Ignorieren bin ich großartig. Wir sind jetzt sehr gute Freundinnen, sagte
60
sie, und ich bin nicht unglücklich verliebt. Ich mache nur eine Persönlichkeitsentwicklung durch. Ich
61
lerne, keine Ansprüche zu haben, zu nehmen, was ich geschenkt bekomme. Bla.
62
Ich kenne keine, die nicht süchtig nach Liebeskummer wäre. Man nimmt so schön ab dabei, und die
63
tiefen Gedanken sind auch nicht zu verachten. Liebeskummer gibt mir das Gefühl, eine außerordent-
64
lich emotionale Person zu sein.
65
Magst du meine Filme aus dem Leben eines Teenagers? Beißt du in den Teppich vor Wut? Ach, du
66
hast keinen Teppich. Besser. Die Abwesenheit von Deko-Elementen, auch das Nicht-Tragen eines
67
Fascinators fördert die Konzentration auf das Wesentliche. Auf die menschlichen Überreste.
68
Also fokussiere dich,
69
schau, die Sonne geht unter,
70
vielleicht stirbt sie auch gerade aus.
71
Ich war nicht vor der Tür, um das zu überprüfen.
72
Dieses tolle „Draußen“ sagt mir momentan nichts, denn da ist die Welt, und man muss sich zu ihr ver-
73
halten, muss Meinungen haben, und die sollen politisch korrekt sein, ich muss den Fluss meiner Ge-
74
danken pausenlos auf ihre Korrektheit überprüfen. Welche Randgruppe, zum Beispiel Frauen, könnte
75
sich durch welchen heteronormativen Sprachgebrauch missachtet sehen. Heteronormativ ist das Wort
76
der Saison. Letztes Jahr war es authentisch und im Jahr zuvor nachhaltig.
77
Before printing think of the environment.
Anmerkungen zur Autorin:
Sibylle Berg (*1962): deutsch-schweizerische Schriftstellerin Aus: Sibylle Berg: Und jetzt: die Welt! Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen, Reinbek 2014 (Rowohlt-Theater eBook), Abs. 1–16. Die Rechtschreibung entspricht der Textvorlage.
Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!
monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?
Hier geht's zur Lektüre Faust I
Hier geht's zur Lektürehilfe Faust I
Hier geht's zur Lektürehilfe Faust I
Teilaufgabe 1
Einleitung
- Der vorliegende Textauszug, der Teil des Werks Und jetzt: die Welt! Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen von Sibylle Berg ist, lässt sich der Gegenwartsliteratur zuordnen und reflektiert aktuelle gesellschaftliche, individuelle und kulturelle Themen.
- Die Autorin thematisiert die Herausforderungen auf der Suche nach Liebe, Identität und Sinnhaftigkeit in einer modernen, von gesellschaftlichen Normen, Werten und Unsicherheiten geprägten Welt.
Hauptteil
Formale Analyse- Bei dem Text handelt es sich um die Form eines dramatischen Monologs, d. h. es wird aus der Perspektive der Protagonistin erzählt. Die Ich-Perspektive, aus der die namenlose Protagonistin spricht, ermöglicht der Leserschaft einen intensiven Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt sowie eine persönliche Verbindung zu ihr. Der natürliche und authentische Sprachgestus der Protagonistin passt zur Erzählform des Monologs.
- Die Gedanken, Assoziationen und Bewusstseinsinhalte der Figur werden ohne klare Struktur und Ordnung und mit ständigen Themenwechseln im Textauszug präsentiert, was auch die Ambivalenz der Protagonistin in Bezug auf ihre Liebesvorstellung und ihr generelles Gedankenchaos widerspiegelt. Man spricht in diesem Kontext von dem Literaturgenre „Stream of Consciousness“ (Bewusstseinsstrom).
- Die Aneinanderreihung von kurzen Hauptsätzen im Text stellt die Struktur des Monologs und Selbstgesprächs der Protagonistin dar. Die Hauptfigur verarbeitet ihre Emotionen und Gedanken in kurzen, aufeinanderfolgenden Äußerungen.
- Der scharfe Ton, in dem die Protagonistin spricht, insbesondere die Ironie und der Sarkasmus in ihrer slanghaften Sprache (z. B. „fickt euch ins Knie und gute Nacht!“, Z. 10) deuten auf ihre Frustration und ihren Zynismus hin und verleihen dem Text eine zeitgemäße Note. Indirekt äußert die Protagonistin dadurch auch Kritik an der gesellschaftlichen Realität mit ihren überholten Erwartungen und Klischees.
- Die Autorin verwendet eine bildreiche Sprache (z. B. Z. 23-25), um die Erfahrungen, Konflikte und Sehnsüchte der Protagonistin angemessen zu vermitteln.
- Die Wiederholung des Ausdrucks „Ich muss“ (Z. 1, 5) verdeutlicht den aus der Gesellschaft kommenden Druck, den sie auf sich selbst überträgt.
- Der antithetische Satzbau (z. B. „Liebe gibt’s doch nur in Liedern, / im Leben gibt’s doch so was nicht.“, Z. 37-38) betont die Diskrepanz zwischen der romantischen Vorstellung von Liebe und der tatsächlichen Realität der Protagonistin.
- Die rhetorische Frage (Hör ich dich widersprechend wimmern, Paul? Z. 29 ) drückt eine gewisse Ironie und Skepsis aus.
- Auch die Äußerung („Meine selbst zusammengestellte Familie“, V. 26-27), die metaphorisch für die Freunde der Protagonistin steht, besitzt einen ironischen Unterton und könnte zusätzlich als Hyperbel gesehen werden.
- Die reimlosen Gedichte (z. B. Z. 29-42), die die Protagonistin im vorliegenden Textauszug formuliert, tragen zur Darstellung ihrer inneren Gefühls- und Gedankenwelt bei und vermitteln einen Eindruck von Authentizität und persönlicher Tiefe. Das bewusste Vermeiden von Reimen könnte als Ablehnung poetischer Konventionen interpretiert werden. Dies kann darauf hindeuten, dass die Protagonistin ihren eigenen, individuellen und modernen Weg des Selbstausdrucks wählt.
- Der erste Abschnitt handelt von der Selbstbehauptung, Stärke und dem Überlebenswillen der lyrischen Sprecherin. Die Priorität der Protagonistin liegt auf ihrem Überlebensdrang und nicht auf Liebesbeziehungen. In einem selbstbewussten Ton drückt sie den Wunsch aus, „hart“ (Z. 1) zu werden und siegreich (Vgl. Z. 6) zu sein, um in der Gesellschaft „überleben“ (Z. 5) zu können. Außerdem möchte sie wissen, was im Leben wirklich wichtig ist (Vgl. Z. 2). Für die Leserschaft scheint es so, als würde sich die Protagonistin gegen alle gesellschaftlichen Einflüsse von außen abschotten (Vgl. Z. 7-8).
- Nachfolgend teilt die Protagonistin ihre Gedanken zum Thema Einsamkeit und beschreibt ihr Verlangen nach Liebe, genauer gesagt ihre Sehnsucht nach einem Menschen, der auf sie wartet (Vgl. Z. 15-16). Die Protagonistin hat eine romantische Vorstellung von „eine[r] junge[n] Frau“ (Z. 16), die „grüne Augen“ (Z. 16) besitzt, ein „Interesse an Kung Fu“ (Z. 16-17) hat und womöglich „Lina“ (Z. 17) heißt.
- Nebenbei erwähnt die Protagonistin, dass junge Menschen häufig arbeitslos sind, weil sie studieren oder lange Praktika machen (Vgl. Z. 14-15). Hier spiegeln sich Themen wie Frustration, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und Herausforderungen wider, mit denen junge Menschen zu kämpfen haben. In Bezug auf ihre berufliche Zukunft und Entscheidungen leiden junge Menschen häufig zusätzlich unter dem Druck der Gesellschaft.
- Weiterhin reflektiert die Protagonistin über die Liebe, ihren Liebeskummer und ihre individuelle Entwicklung. Dabei macht sie deutlich, dass Liebe und Liebesbeziehungen häufig mit „Schmerz“ (Z. 20) verbunden sind. Sie beschreibt die Dynamik von schmerzhaften Liebeserfahrungen, in denen die Liebe einer Person unerwidert bleibt (Vgl. Z. 20-21).
- Außerdem werden „Spionagedrohen“ (Z. 23) erwähnt, die für „die Suche nach Geschlechtspartnern“ (Z. 24) verwendet werden. Dahinter verbirgt sich eine gewisse kritische Auseinandersetzung mit der modernen Technologie und ihren möglichen Auswirkungen auf reale zwischenmenschliche Beziehungen.
- Die Protagonistin beschreibt ihren „einsam[en]“ (Z. 33) Abend, während ihre Freunde ausgehen (Vgl. Z. 26-28) und sie selbst alleine mit einem alten Hund zu Hause ist (Vgl. Z. 29 ff.). Die Selbstgespräche geben Aufschluss über ihre emotionale Verfassung und die Suche nach einer tiefen emotionalen Verbindung. Sie zweifelt an der Existenz wahrer Liebe, indem sie aussagt: „Liebe gibt’s doch nur in Liedern, / im Leben gibt’s doch so was nicht.“ (Z. 37-38) und ist sich unsicher, ob sie lieber alleine oder in der Gruppe ist (Vgl. 35-36). Die Protagonistin sehnt sich nach Vertrautem (Vgl. Z. 43-44) und nach einem spezifischen Gefühl, welches sie aus Filmen kennt (Vgl. Z. 45-46). Außerdem sagt sie, dass sie „noch nie von einem Menschen geliebt“ (Z. 46) wurde, zumindest nicht in dem „durch die Medien und Kunst aufgeladenen Sinn“ (Z. 46-47), nach welcher Art sie sich so sehr sehnt.
- Die Tatsache, dass sie noch nie diese Form von Liebe erfahren durfte, wundert sie, da sie selbstbewusst klarstellt, sie würde alle Kriterien, „die ein begehrenswerter / Mensch unserer Zeit zu erfüllen hat“ (Z. 48-49), erfüllen. Auch an dieser Stelle zeigt sich indirekt eine gewisse Kritik an der Gesellschaft mit ihren Erwartungen an den heutigen Menschen.
- Die darauffolgende rhetorische Frage „Hör ich dich widersprechend wimmern, Paul?“ (Z. 50) könnte auf eine gewisse Unsicherheit und den Wunsch nach Anerkennung hinweisen.
- Weiterhin äußert sie ein Gefühl der Unsicherheit und Verzweiflung, da sie Angst hat, „dass alles so bleiben könnte, wie es gerade ist“ (Z. 51). Sie würde gerne, so wie es sich alle Jugendlichen wünschen, „grenzenlos und unendlich“ (Z. 55) sein. Stattdessen treibt die Angst vor der Zukunft, der Stagnation und dem Ungewissen sie umher.
- Auch über ihre eigenen vergangenen Beziehungen, insbesondere mit einer Lina, reflektiert sie sowie über ihre Fähigkeit, Gefühle zu ignorieren (Vgl. 58 ff.). Dahinter verstecken sich jedoch die Ironie und der Humor der Figur. Den Liebeskummer sieht sie als eine Art Quelle individueller Entwicklung und Reife (Vgl. Z. 60 ff.). Sie sagt aus, dass sie niemanden kenne, der nicht an Liebeskummer leide und beschriebt sich selbst als „eine außerordentlich emotionale Person“ (Z. 63-64).
- Hinter der Äußerung, dass bspw. „das Nicht-Tragen eines / Fascinators“ (Z. 66-67) zur Konzentration auf das Wesentliche beiträgt, könnte sich ein Hinweis auf einen minimalistischen Lebensstil verstecken, welchen die Gesellschaft als positiv erachtet.
- Die Reflexion über gesellschaftliche Erwartungen, z. B. „politisch korrekt“ (Z. 73) zu sein und sich umweltbewusst zu verhalten (Vgl. Z. 76-77), zeigt eine kritische Haltung gegenüber der Außenwelt. Die Protagonistin distanziert sich von der realen Welt, dem „tolle[n] ‚Draußen‘“ (Z. 72), wie sie die Außenwelt ironischerweise nennt. Ihre Abwehrhaltung und Selbstbehauptung gegenüber äußeren Erwartungshaltungen wird an Stellen wie diesen deutlich.
- Insgesamt zeigt die Protagonistin eine ambivalente Haltung in Bezug auf ihren sehnsüchtigen Wunsch nach Liebe und das Gefühl, sich von gesellschaftlichen Konventionen zu lösen. Sie äußert Kritik an der Gesellschaft und ihren konventionellen Vorstellungen, Sichtweisen, Erwartungen und sozialen Normen. Zahlreiche Elemente der Gesellschaftskritik ziehen sich, wenn auch durch ironische Äußerungen versteckt, durch den gesamten Text.
Fazit
- Die Selbstreflexionen im Textauszug des Werks Und jetzt: die Welt! Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen von der Autorin Sibylle Berg geben einen tiefen Einblick in die Gefühle, Ängste und Sehnsüchte der Protagonistin. Die ambivalenten Äußerungen, Ängste und Unsicherheiten lassen einen vielschichtigen Charakter erkennen.
- Die Protagonistin distanziert sich von den romantischen Konventionen. Die Tatsache, dass die Liebesvorstellungen in Filmen häufig klischeehaft sind und gängige Stereotypen sowie erwartete Handlungsverläufe bedienen, trägt dazu bei, dass sich viele junge Menschen von den falschen Darstellungen von Liebe stark beeinflussen lassen.
- Ebenfalls lassen sich typische Herausforderungen und Gedanken des Erwachsenwerdens erkennen. Auf ironische und humorvolle Weise gelingt es der Autorin, die Kritik an der Gesellschaft und ihren überholten Erwartungen darzustellen.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- Liebeskonzepte in der Literatur haben sich im Laufe der Zeit vielfach gewandelt. Sie wurden mitunter von historischen, kulturellen und sozialen Veränderungen beeinflusst.
- Johann Wolfgang von Goethes Drama Faust I wurde bereits 1808 veröffentlicht und gehört zu den bedeutendsten Werken in der Literaturgeschichte.
- Im Folgenden sollen die Liebesvorstellungen der Protagonistin aus Sibylle Bergs Dramentext in Beziehung zu denen von Margarete aus Goethes Drama Faust I gesetzt werden und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden.
Hauptteil
Gemeinsamkeiten- Beide Protagonistinnen verbindet eine intensive Sehnsucht nach Liebe. Die Protagonistin in Sybille Bergs Werk wünscht sich, dass eine Person, die sie liebt, draußen auf sie wartet. Beide sehnen sich nach einem tieferen Gefühl und gehen davon aus, dieses in der Liebe zu finden. Ebenfalls zeichnen sie sich dadurch aus, dass ihre Sehnsucht nach Liebe bisher noch unerfüllt ist. Gretchen befindet sich im Laufe von Faust I zwar in einer Beziehung zu Faust, die sie jedoch zutiefst unglücklich macht und keineswegs ihrer Wunschvorstellung entspricht. Bei Gretchen steht das Verlangen nach Zuneigung und hingebungsvoller und bedingungsloser Liebe im Vordergrund. Außerdem empfinden beide Figuren Momente gesellschaftlicher Einsamkeit und Isolation, die ihr Verlangen nach der Erfahrung von Liebe verstärken. Die Protagonistin in Bergs Werk äußert ihr Gefühl von Einsamkeit am Abend alleine zuhause (Vgl. Z. 29-42). Gretchen leidet insbesondere in der Kerkerszene am Ende von Faust I unter ihrer gesellschaftlichen Vereinsamung.
- In beiden Werken wird die Liebe ambivalent dargestellt. Es wird deutlich, dass Liebe nicht nur positive, sondern auch schmerzhafte Seiten haben kann. Bei Gretchen wandelt sich die anfängliche Verliebtheit in Unsicherheit und Verzweiflung. Auch die Protagonistin im Werk Und jetzt: die Welt! Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen leidet unter ihrem Liebeskummer und der Einsamkeit. Beide Frauen erfahren Liebe stellenweise schmerzvoll oder sogar qualvoll, wie es bei Gretchen der Fall ist, die in Faust I zu einer äußerst tragischen Figur wird.
- Ebenfalls reflektieren die beiden Figuren über ihre Liebeserfahrung und die gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf Liebe und Liebesbeziehungen. Die Figuren vereint die Hoffnung auf einen wartenden Menschen und sowohl Gretchen als auch die namenlose Protagonistin gehen unkonventionelle Wege und distanzieren sich Stück für Stück von den romantischen Konventionen der Gesellschaft, in der sie leben. Gesellschaftliche Normen spielen im Leben der beiden Protagonistinnen eine determinierende Rolle und führen zu Verzweiflung. Dieser Aspekt kommt trotz der unterschiedlichen Entstehungszeit deutlich zum Tragen.
- Die Leserschaft wird bei Sibylle Berg mit einer modernen, distanzierten und selbstbewussten Sichtweise auf Liebe und Liebeserfahrungen konfrontiert. Stellenweise beinhaltet der Text von Berg Hinweise auf eine mögliche gleichgeschlechtliche Liebe der Protagonistin zu einer Person namens Lina. Gretchen hingegen hat die konventionellen Norm- und Wertvorstellungen der christlich geprägten Gesellschaft zu ihrer Zeit stark verinnerlicht und möchte ihr Leben und Handeln zunächst strikt danach ausrichten. In Goethes Werk wird sie als sittsam, fromm, kirchengläubig und tadellos beschrieben. Auch als Gretchen durch Faust in Versuchung gerät, probiert sie zunächst, ihre moralische Reinheit zu bewahren. Gretchen ist zu Beginn des Werks ein klares Beispiel für den Inbegriff bürgerlicher Moral. Die Liebesgeschichte zwischen Gretchen und Faust ist in einen traditionell-religiös und moralischen Kontext eingebettet und entstand rund 200 Jahre vor Bergs Drama, welches der Gegenwartsliteratur zuzuordnen ist. Die religiösen Konnotationen in Faust I in Bezug auf die Konzeption von Liebe sind zahlreich. Faust I gehört zur Epoche der Weimarer Klassik.
- Im Textauszug aus Bergs Drama stehen die Selbstbehauptung und Stärke deutlich im Vordergrund. Die Protagonistin spricht von Sieg, Macht (Vgl. Z. 6) sowie der Stählung ihres Körpers (Vgl. Z. 9). Im Gegensatz dazu tritt Gretchen, auch wenn sie von äußeren Umständen stark getrieben ist, deutlich passiver auf.
- In Bergs Textauszug sind selbstreflexive Ansätze deutlich erkennbar. So erkennt die Protagonistin in Bergs Text von sich aus, dass Liebesbeziehungen bei einer Nicht-Erwiderung von Gefühlen mit schmerzhaftem Liebeskummer verbunden sind. Bei Gretchen kommen das Eingestehen der Schuld und die Reflexion ihrer Taten erst in der Kerkerszene am Ende des Werks und damit erst viel zu spät zum Ausdruck. Innerhalb ihrer Beziehung zu Faust zeigt sie sich stattdessen unschuldig, naiv und kindlich.
- Der Liebeskummer, den die Liebe nach sich zieht, wird im ersten Text mit Gewichtsverlust und tiefen Gedanken in Verbindung gebracht (Vgl. Z. 62-63). Der von Gretchen erlebte Liebeskummer zieht hingegen ernsthafte und irreversible Konsequenzen mit sich, die zum tragischen Höhepunkt des Werks führen und zu der damaligen Entstehungszeit passen. Gretchens Liebe zu Faust endet mit tragischen Ereignissen und einem inneren moralischen Konflikt. Sie geht ein außereheliches Verhältnis mit Faust ein, opfert ihre Keuschheit und weiß, dass ihre Liebe gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Ihr Ruf und ihre Identität werden durch ihre außereheliche Liebe komplett zerstört. Gretchen verliert ihre Mutter und ihren Bruder. Später bringt sie aus Verzweiflung und Angst vor der weiteren sozialen Ächtung im Wahnsinn ihr eigenes Kind um. Es handelt sich um eine Liebesgeschichte des Scheiterns. Sogar ihre eigene Hinrichtung steht ihr kurz bevor. Das Drama macht deutlich, welche tragischen Konsequenzen folgen können, sobald man entgegen den strengen Moralvorstellungen der Gesellschaft handelt. Gretchen plagen enorme Schuldgefühle und Gewissensbisse. Es scheint unmöglich für sie, ein normales Leben führen zu können.
Schluss
- Der Vergleich zeigt, wie sich Liebeskonzepte und die Darstellung von weiblichen Figuren je nach unterschiedlichem kulturellen und zeitgenössischen Kontext verändert haben. Es wird die enorme Vielfalt literarischer Vorstellung von Liebe und Liebesbeziehungen deutlich, die auch wiederum die verschiedenen menschlichen Erfahrungen in Bezug auf Liebe abbildet.
- Neben Gemeinsamkeiten wie der Suche nach Liebe, dem Gefühl der Vereinsamung sowie der Ambivalenz von Liebe, ergeben sich hauptsächlich Unterschiede, für die auch der kontrastierende zeitliche Kontext und die verschiedenen gesellschaftlichen Bezüge sorgen.
- In Faust I kommen weitaus traditionellere, klassische, jedoch auch zutiefst tragische Aspekte und Themen im Kontext von Liebe zum Ausdruck. Bergs Drama Und jetzt: die Welt! Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen beinhaltet eine zeitgemäße und deutlich individualistischere Perspektive auf Liebeskonzepte.