Teil C
Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Werkvergleich
Thema: Lebensunterlagen Georg Büchner: Woyzeck Claire Goll (* 1890 – † 1977): Arbeiterinnen (1918) Aufgabenstellung:
1
Interpretiere das Gedicht „Arbeiterinnen“ von Claire Goll. (Material)
(45 BE)
2
Vergleiche die Lebenslage der Arbeiterinnen aus Claire Golls gleichnamigem Gedicht (Material) mit der der Figur Marie aus Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“.
(35 BE)
3
Diskutiere, ausgehend von Ihren Ergebnissen aus Aufgabe 2, ob die Figur der Marie aus Büchners „Woyzeck“ als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden werden kann.
Material
Arbeiterinnen (1918)
Claire Goll
(20 BE)
1
Schwestern, um die Frühlingshügel eurer Schultern
2
Hängt ihr des Alltags Pelerinen
3
Und euer Kleid ist morgenrotumsäumt,
4
Wenn ihr euch durch die graue Vorstadt träumt.
5
Von den Lawinen der Fabrikgebirge
6
Ist euer Blumenleib zerdrückt
7
Und euer rotes Herz verbleicht
8
Von keiner Flöte, keinem Traum erreicht.
9
Ihr seht nichts von der Sonne Bachanal,
10
Und Firmamente nicht aus blauem Lenz
11
Nicht Vogelchor um Abende geschürzt;
12
Denn ihr seid in die Hölle abgestürzt.
13
Schwestern, um die schwarzen Hügel eures Elends
14
Häng ich meines Sonntags Feiermantel
15
Sein Scharlachwurf am Horizont zerschellt,
16
Wenn er uns trägt zum Fluge aus der Welt.
Anmerkungen zur Autorin:
Claire Goll, deutsch-französische Schriftstellerin und Journalistin. Aus: Hartmut Vollmer (Hg.): In roten Schuhen tanzt die Sonne sich zu Tod. Lyrik expressionistischer Dichterinnen,
Hamburg 2. Aufl. 2014, S. 70.
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Einleitung
- Golls Stück wurde im Jahr 1918 veröffentlicht und liegt in Hartmut Vollmers In roten Schuhen tanzt die Sonne sich zu Tod im Verlag der Lyrik expressionistischer Dichterinnen in Hamburg in 2. Auflage 2014 vor.
- Das vorliegende Werk besteht aus vier Strophen á jeweils vier Versen, von denen die zwei letzten Verse jeder Strophe dem Reimschema Paarreim folgen. Epochal lässt sich Arbeiterinnen der Neuen Sachlichkeit zuordnen, die als Reaktion auf die vorige Epoche des Expressionismus zu verstehen ist.
Hauptteil
Inhalt- Erste Strophe (V. 1-4): In der Eingangsstrophe spricht Goll die weibliche Mitbevölkerung an, was an der Anrede „Schwestern“ (V. 1) festzumachen ist. Bei letzten Frauen handelt es sich offensichtlich um noch sehr junge Frauen, was aus der Formulierung „Frühlingshügel eurer Schultern“ (V. 1) entnommen werden kann. Der Arbeitsalltag der jungen Arbeiterinnen beginnt bereits früh morgen, ein Verweis darauf bildet die „morgenrotumsäumte[...]“ (V. 3) Kleidung der Damen.
- Die erste Strophe stellt die Arbeiterinnen als Schwestern dar, die den Frühlingshügel ihrer Schultern tragen. Dies kann als Metapher für die Lasten und Verantwortung interpretiert werden, die sie im Alltag tragen müssen. Ihre Kleidung ist mit dem Morgenrot umsäumt, was auf eine gewisse Schönheit und Hoffnung hinweist, die jedoch von der grauen Vorstadt und den Lawinen der Fabrikgebirge erdrückt wird. Dies symbolisiert die harte Arbeit und die Ausbeutung, der die Arbeiterinnen ausgesetzt sind.
- Zweite Strophe (V. 5-8): Von den „Lawinen der Fabrikgebirge“ (V. 5) geht ein beklemmender, kolossaler Charakter aus, der im Gegensatz zur Zartheit der Frauen steht und ihre „Blumenleib[er] zerdrückt“ (V. 6). Die Farbe Rot, die für das Romantische, Junge und Agile der Frauen steht, „verbleicht“ (V. 7), noch bevor die jungen Arbeiterinnen überhaupt ihre Lebensträume erfüllen könnten.
- Dritte Strophe (V. 9-12): Die jungen Arbeiterinnen werden den Vergnügungen des Lebens beraubt, wobei „der Sonne Bachanel“ (V. 9) für die Lust und Freude am Leben und „der blaue Lenz“ (V. 10) für die Sehnsucht steht. Die Autorin geht sogar so weit, dass sie konstatiert, dass das Leben der Arbeiterinnen eigentlich bereits beschlossen und vorbei sei, indem sie davon spricht, die Arbeiterinnen seien „in die Hölle abgestürzt“ (V. 12).
- In der dritten Strophe wird auußerdem deutlich, dass die Arbeiterinnen von der Schönheit der Natur und den Freuden des Lebens abgeschnitten sind. Sie können weder die Sonne noch den blauen Himmel oder den Gesang der Vögel genießen. Stattdessen sind sie in die Hölle abgestürzt, was auf ihre prekäre und ausbeuterische Lebenssituation hinweist.
- Vierte Strophe (V. 13-16): „Die Frühlingshügel“ (V. 1) aus Strophe 1 sind „schwarzen Hügel[n|“ (V. 13) gewichen. In beiden Fällen geht es um die Schulterpartie der Arbeiterinnen. Mit dem Gleichnis wird die Resignation der Frauen, ihrem tristen, harten und monotonen Alltag zu entfliehen, verdeutlicht. Der „am Horizont zerschellt[e] Scharlachwurf“ (V. 15) kann als Sinnbild für den anfänglichen Hoffnungsschimmer, doch noch der Situation zu entkommen, angesehen werden.
- Die finale Strophe zeigt eine gewisse Solidarität und Mitgefühl des lyrischen Ichs mit den Arbeiterinnen. Es hängt seinen Sonntagsmantel über die schwarzen Hügel ihres Elends, um ihnen zumindest für einen Moment etwas Farbe und Freude zu schenken. Der Scharlachwurf des Mantels zerschellt am Horizont, was auch auf die Begrenztheit und Vergänglichkeit dieses Trostes hinweist. Dennoch bietet der Mantel eine Möglichkeit, der Welt zu entfliehen und eine gewisse Erleichterung von ihrem Leid zu finden.
- Die Lebenslage der Arbeiterinnen aus Claire Golls Gedicht Arbeiterinnen und der Figur Marie aus Georg Büchners Dramenfragment Woyzeck weisen einige Parallelen auf, obwohl sie in unterschiedlichen literarischen Werken und historischen Kontexten dargestellt werden.
- Sowohl die Arbeiterinnen in Golls Gedicht als auch Marie in Woyzeck sind Frauen, die in einer von Armut und Ausbeutung geprägten Gesellschaft leben. Sie sind Opfer der sozialen und ökonomischen Umstände ihrer Zeit.
- In Golls Gedicht werden die Arbeiterinnen als Schwestern dargestellt, die den Alltag mit seinen Lasten und Entbehrungen tragen. Ihr Blumenleib ist von den Lawinen der Fabrikgebirge zerdrückt, was auf die harte Arbeit und Ausbeutung hinweist. Ihr rotes Herz verbleicht und wird von keiner Flöte, keinem Traum erreicht. Dies zeigt ihre Entfremdung von Freude und Schönheit.
- Marie in Woyzeck ist eine junge Frau, die in ärmlichen Verhältnissen lebt und mit ihrem unehelichen Kind alleine zurechtkommen muss. Sie ist gezwungen, sich mit dem Woyzeck, einem Soldaten und Versuchsobjekt, einzulassen, um finanziell über die Runden zu kommen. Marie wird von der Gesellschaft verachtet und als "Hure" bezeichnet. Sie ist ebenfalls von Ausbeutung und sozialer Ungerechtigkeit betroffen.
- Sowohl die Arbeiterinnen in Golls Gedicht als auch Marie in Woyzeck sind in ihrer Lebenslage gefangen und haben wenig Kontrolle über ihr eigenes Schicksal. Sie sind Opfer der gesellschaftlichen Strukturen und der Machtverhältnisse ihrer Zeit.
- Es ist wichtig anzumerken, dass Golls Gedicht eine allgemeinere Darstellung der Arbeiterinnen in der industriellen Gesellschaft ist, während Marie in Woyzeck eine spezifische individuelle Figur ist. Dennoch teilen sie ähnliche Erfahrungen von Ausbeutung, Armut und Entfremdung.
- Insgesamt zeigen sowohl Golls Gedicht Arbeiterinnen als auch Büchners Dramenfragment Woyzeck die prekäre Lebenslage von Frauen in einer von sozialer Ungerechtigkeit und Ausbeutung geprägten Gesellschaft. Sie thematisieren die Entfremdung, das Leiden und die Ausweglosigkeit, mit denen diese Frauen konfrontiert sind.
- Die Figur der Marie aus Büchners Woyzeck kann definitiv als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden werden. Marie lebt in ärmlichen Verhältnissen und ist gezwungen, sich mit dem Woyzeck einzulassen, um finanziell über die Runden zu kommen.
- Sie wird von der Gesellschaft verachtet und als "Hure" bezeichnet. Ihre prekäre Lebenslage und die Ausbeutung, der sie ausgesetzt ist, sind direkte Folgen der sozialen und ökonomischen Umstände ihrer Zeit.
- Marie besitzt kaum Kontrolle über ihr eigenes Schicksal und ist in gewisser Weise gefangen in den gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen. Sie ist gezwungen, sich den Erwartungen und Bedingungen der Männerwelt zu unterwerfen, um zu überleben. Ihre Handlungen und Entscheidungen werden stark von den äußeren Umständen und den Erwartungen der Gesellschaft beeinflusst.
- Die Tatsache, dass Marie als „Hure“ bezeichnet wird, zeigt auch die Doppelmoral und die Vorurteile, mit denen Frauen in der Gesellschaft konfrontiert sind. Sie wird für ihr Verhalten verurteilt, während die Männer, die sie ausnutzen, oft ungestraft bleiben.
Schluss
- Insgesamt thematisiert das Gedicht Arbeiterinnen die harte Realität und das Leiden der Arbeiterinnen in der industriellen Gesellschaft.
- Es zeigt ihre Entbehrungen, ihre Entfremdung von der Natur und ihre Gefangenschaft in einer trostlosen Umgebung.
- Gleichzeitig drückt das Werk Mitgefühl und Solidarität mit den Arbeiterinnen aus und bietet einen Moment der Hoffnung und Erleichterung.
- Insgesamt kann man sagen, dass Marie in Woyzeck ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Sie leidet unter Armut, Ausbeutung und sozialer Ungerechtigkeit. Ihre Geschichte spiegelt die Realität vieler Frauen wider, die in ähnlichen Verhältnissen leben und von den gesellschaftlichen Strukturen benachteiligt werden.
- Büchner kritisiert mit der Figur der Marie die sozialen Missstände und die Ausbeutung der arbeitenden Klasse in seiner Zeit.