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Basiswissen

Teil D

Analyse eines Sachtextes mit weiterführendem Werkvergleich

Thema:
Sprache und Macht
Georg Büchner: Woyzeck
Nils Meyer-Ohlendorf: „Framing-Check“ Klimawandel (2018)
Aufgabenstellung:
1
Beschreibe das Phänomen des sprachlichen Framings, wie es in dem Textauszug von Nils Meyer-Ohlendorf am Beispiel des Begriffs „Klimawandel“ dargestellt wird. (Material)
(30 BE)
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Untersuche, auch unter Rückgriff auf den vorliegenden Text (Material), das Verhältnis von Sprache und Macht in Büchners Dramenfragment „Woyzeck“.
(45 BE)
3
In einem wissenschaftlichen Aufsatz mit dem Titel „Die verborgenen Mechanismen der Macht enthüllen“ schreibt der Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002):
„Tatsächlich üben Worte eine typisch magische Macht aus: sie machen sehen, sie machen glauben, sie machen handeln.“
Diskutiere Bourdieus These im Hinblick auf Sprache und ihre Wirkung in Medien.
(25 BE)
Material
Beitrag in der Reihe „Framing-Check“ in der Süddeutschen Zeitung vom 14.12.2018
Nils Meyer-Ohlendorf
1
Wo Sprache ist, da ist auch Subtext. Vor allem dort, wo Sprache politisch wird. Zur Analyse dieser
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Subtexte hat sich in der Forschung in den vergangenen Jahren das Konzept des Framings etabliert.
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Framing meint einen Assoziations- und damit Deutungsrahmen für Begriffe: Wer zum Beispiel
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„Zitrone“ hört, denkt vermutlich an „sauer“ oder „gelb“. Das lässt sich politisch instrumentalisieren.
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Frames definieren oft ein Problem – und liefern, wenigstens implizit, auch gleich die passende
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Lösung. Bei einem Begriff wie „Flüchtlingsstrom“ sieht man vor dem geistigen Auge vermutlich
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große Menschenmassen heranrauschen – eine Naturgewalt und darin ein Bedrohungsszenario. Was die
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vermeintliche Lösung „Abschottung“ nahelegt. [...]
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„Klimawandel“ ist ein gängiger Begriff in der politischen und gesellschaftlichen Debatte. Er wird wie
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selbstverständlich von allen benutzt – vom Klimaschützer bis zum Klimaskeptiker, vom Politiker bis
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zum Wissenschaftler. Er findet sich im Titel von vielen Regierungsdokumenten. Deutschland und
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Österreich haben zum Beispiel „Strategien zur Anpassung an den Klimawandel“ entwickelt. [...]
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Der Begriff „Klimawandel“ suggeriert einen natürlichen Prozess. Fünf Milliarden Jahre Erdgeschichte
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sind fünf Milliarden Jahre Klimawandel. Warmzeiten kommen und gehen – ebenso die Eiszeiten; auch
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sie kommen und gehen. Das Klima der Erde hat sich schon immer gewandelt. Dies ist ein normaler,
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natürlicher Prozess. Als natürlicher Prozess erscheint Klimawandel unaufhaltsam.
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Der Begriff „Wandel“ bezeichnet zudem für gewöhnlich einen langsamen und linearen Prozess. Man
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spricht vom Wandel der Zeiten und will damit sagen, dass die Dinge sich über lange Zeiträume gleich-
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mäßig ändern. Von einem langsamen Prozess erwartet man jedoch zumeist keine besonders schmerz-
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haften Auswirkungen. [...]
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Der Begriff „Klimawandel“ entpolitisiert, weil er den Blick auf Ursache, Dringlichkeit und den mitun-
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ter auch politischen Charakter des Problems verstellt. Dies geschieht auf dreierlei Weise.
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Weil der Begriff einen natürlichen Prozess suggeriert, wird die Bedeutung des Menschen darin fast
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unsichtbar. Klimawandel suggeriert, dass der Mensch Klimaänderungen nicht verursachen kann. Das
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kann nur die Natur. Aufhalten kann der Mensch den Klimawandel demnach schon gar nicht. Nach
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Einschätzung des Weltklimarates ist der Anteil des Menschen am Temperaturanstieg aber der mit Ab-
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stand wichtigste Faktor. Es wird zudem verschleiert, dass Emissionsreduktionen (von Treibhausgasen)
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die Änderung des Klimas verlangsamen und aufhalten können. Kurz: Es wird überlagert, dass der Kli-
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mawandel auch ein politisches Problem ist.
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Der Begriff „Klimawandel“ lässt an einen linearen Prozess denken. An einen Prozess mit langsamer
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und gleichmäßiger Geschwindigkeit können sich Menschen anpassen. Damit übertüncht der Begriff,
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dass der Temperaturanstieg sich beschleunigt und schneller Auswirkungen zeigen wird als lange ange-
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nommen: Das Auftauen des Permafrostbodens setzt zum Beispiel Methan frei, ein starkes Treibhaus-
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gas, das Klimaänderungen weiter beschleunigt. Die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes ist ein
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weiteres Beispiel: Werden etwa die gewaltigen Mengen an Kohlenstoff, die er speichert, durch Brand-
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rodungen als Kohlendioxid freigesetzt, heizt das das Klima weiter an. Diese sogenannten Kipppunkte
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wirken also wie Brandbeschleuniger, die die Geschwindigkeit von Klimaänderungen plötzlich ex-
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ponentiell steigern können.
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Der Begriff „Klimawandel“ suggeriert schließlich wenige schmerzhafte Änderungen im Klima. Zwei
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oder drei Grad mehr wären vielleicht nicht schlecht, mag man denken, schon gar nicht in Mitteleuropa.
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Doch damit blendet man aus, dass kleine Änderungen in der globalen Durchschnittstemperatur große
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Änderungen in bestimmten Regionen bedeuten. Diese regionalen Änderungen können nicht nur drasti-
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sche Auswirkungen auf diese Gegenden haben, sondern auf die gesamte Erde. Das Abschmelzen des
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Grönlandeises ist ein Beispiel für ein regionales Ereignis mit drastischen globalen Auswirkungen.
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Die weitläufige und selbstverständliche Verwendung des Begriffs „Klimawandel“ ist ein wichtiger
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Framing-Sieg für diejenigen, die kein Interesse an den erforderlichen Emissionsreduktionen haben. Es
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ist kein Wunder, dass mit diesem Framing weder Bürger noch Politik Emissionen in ausreichendem
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Maße senken. [...]
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„Klimakrise“ oder „Überhitzung der Erde“ sind präzisere Begriffe. Sie machen Ursache und Dring-
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lichkeit des Problems deutlicher. In anderen Politikfeldern nehmen wir den Begriff „Krise“ schnell in
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den Mund – Eurokrise oder Flüchtlingskrise –, vermeiden ihn aber, wenn wir über grundlegende Ver-
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werfungen unseres planetarischen Systems sprechen.

Anmerkungen zum Autor:
Nils Meyer-Ohlendorf leitet das International and European Gouvernance Program des Ecologic Instituts, ein gemeinnütziges,
von Europäischer Kommission und Europäischem Parlament mitfinanziertes Institut.
Aus: Nils Meyer-Ohlendorf: Framing-Check: Klimawandel, in: Süddeutsche Zeitung vom 14.12.2018, letzter Zugriff am 03.02.2022.

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