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Basiswissen

Vorschlag B

Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag

Thema: Tabus und Tabubrüche
E.T.A. Hoffmann (* 1776 - † 1822): Der Magnetiseur – Eine Familienbegebenheit (1814)
Thomas Mann (* 1875 - † 1955): Mario und der Zauberer (1930)
Aufgabenstellung:
1
Stelle anhand des Auszugs aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Magnetiseur – Eine Familienbegebenheit die Beziehung zwischen Maria und dem Arzt Alban dar und analysiere die sprachlich-formale Gestaltung des Textes sowie epochenspezifische Besonderheiten. (Material)
(35 BE)
2
Vergleiche den Arzt Alban (Material) mit der Figur Cipolla aus Thomas Manns Novelle Mario und der Zauberer hinsichtlich ihres Auftretens und ihrer Wirkung auf andere Figuren.
(35 BE)
3
In ihrem 1967 erschienenen Werk Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens äußern sich die beiden Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich über die Bedeutung von Tabus:
„Von einem Tabu geht ein faktisches Verbot aus: ‚Du sollst nicht ...‘ Aber das Verbot ist darüber hinaus mit einer Denkhemmung verknüpft. Die zentrale Definition eines Tabus lautet: Wo immer man nicht mehr weiter zu fragen wagt oder nicht einmal auf den Gedanken kommt, es zu tun, hat man es mit einem Tabu zu tun. Die Gefühle, mit denen man ihm begegnet, können also gar nicht anders als zwiespältig sein. Seit Adam und Eva lockt es insgeheim die Lust, es zu übertreten, hervor.“
Diskutiere, ausgehend von diesem Zitat, die Rolle von Tabus und Tabubrüchen in literarischen Werken vor dem Hintergrund von Aufgabe 1 und 2 sowie deiner Leseerfahrungen im Deutschunterricht der Qualifikationsphase.
(30 BE)
Hinweis: Die Rechtschreibung entspricht der Textvorlage.
Material
Der Magnetiseur – Eine Familienbegebenheit (1814)
E.T.A. Hoffmann
Maria, die Tochter eines Barons, lernt den Arzt Alban durch ihren Bruder Ottmar kennen, der den von ihm verehrten Freund in die Familie einführt. Nach dem ersten Besuch Albans wird Maria von einer rätselhaften Krankheit heimgesucht, die der Arzt aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten heilen soll. In einem Brief berichtet Maria ihrer Freundin Adelgunde über den Krankheitsverlauf und Albans Heilkunst.
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Nun muß ich Dir aber etwas Besonderes sagen – nämlich, was mein Genesen betrifft,
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das habe ich einem herrlichen Mann zu danken, den Ottmar schon früher ins Haus
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gebracht, und der in der Residenz unter all den großen und geschickten Ärzten der
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einzige sein soll, der das Geheimnis besitzt, eine solche sonderbare Krankheit wie die
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meinige schnell und sicher zu heilen. – Das Besondere ist aber, daß in meinen Träumen
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und Erscheinungen immer ein schöner ernster Mann im Spiele war, der unerachtet sei-
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ner Jugend mir wahrhafte Ehrfurcht einflößte, und der bald auf diese, bald auf jene
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Weise, aber immer in langen Talaren gekleidet, mit einer diamantnen Krone auf dem
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Haupte, mir wie der romantische König in der märchenhaften Geisterwelt erschien und
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allen bösen Zauber löste. Ich mußte ihm lieb und innig verwandt sein, denn er nahm
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sich meiner besonders an, und ich war ihm dafür mit meinem Leben verpflichtet. […]
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Ach, liebe Adelgunde, wie erschrak ich nun, als ich auf den ersten Blick in Alban jenen
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romantischen König aus meinen Träumen erkannte. – Alban ist nämlich eben der sel-
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tene Arzt, den Ottmar schon vor langer Zeit einmal als seinen Herzensfreund aus der
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Residenz mitbrachte; indessen war er mir damals bei dem kurzen Besuch so gleichgül-
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tig geblieben, daß ich mich nachher nicht einmal seines Äußeren zu entsinnen wußte.
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– Alsdann aber, als er wiederkam, zu meiner Heilung berufen, wußte ich mir selbst
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von der innern Empfindung, die mich durchdrang, nicht Rechenschaft zu geben. – So
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wie Alban überhaupt in seiner Bildung, in seinem ganzen Betragen eine gewisse
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Würde, ich möchte sagen, etwas Gebietendes hat, das ihn über seine Umgebung erhebt,
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so war es mir gleich, als er seinen ernsten durchdringenden Blick auf mich richtete:
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ich müßte alles unbedingt tun, was er gebieten würde, und als ob er meine Genesung
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nur recht lebhaft wollen dürfe, um mich ganz herzustellen. Ottmar sagte: ich solle
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durch den sogenannten Magnetismus geheilt werden, und Alban werde durch gewisse
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Mittel mich in einen exaltierten Zustand setzen, in dem ich schlafend und in diesem
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Schlaf erwachend, selbst meine Krankheit genau einsehen und die Art meiner Kur be-
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stimmen werde. Du glaubst nicht, liebe Adelgunde, welch ein eignes Gefühl von Angst
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– Furcht, ja Grausen und Entsetzen mich durchbebte, wenn ich an den bewußtlosen
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und doch höher lebenden Zustand dachte, und doch war es mir nur zu klar, daß ich
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mich vergebens dagegen sträuben würde, was Alban beschlossen. – Jene Mittel sind
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angewendet worden, und ich habe, meiner Scheu, meiner Furcht zum Trotz, nur wohl-
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tätige Folgen gespürt. – Meine Farbe, meine Munterkeit ist wiedergekehrt, und statt
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der entsetzlichen Spannung, in der mir oft das Gleichgültigste zur Qual wurde, befinde
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ich mich in einem ziemlich ruhigen Zustande. Jene närrischen Traumbilder sind ver-
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schwunden, und der Schlaf erquickt mich, indem selbst das tolle Zeug, was mir oft
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darin vorkommt, statt mich zu quälen, mich belebt und erheiteret. – [...] [Z]uweilen
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muß ich plötzlich an Alban denken, er steht vor mir, und ich versinke nach und nach
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in einen träumerischen Zustand, dessen letzter Gedanke, in dem mein Bewußtsein un-
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tergeht, mir fremde Ideen bringt, welche mit besonderem, ich möchte sagen, golden
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glühendem Leben mich durchstrahlen, und ich weiß, daß Alban diese göttlichen Ideen
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in mir denkt, denn er ist dann selbst in meinem Sein wie der höhere belebende Funke,
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und entfernt er sich, was nur geistig geschehen kann, da die körperliche Entfernung
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gleichgültig ist, so ist alles erstorben. Nur in diesem mit Ihm und in Ihm Sein kann ich
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wahrhaftig leben, und es müßte, wäre es ihm möglich, sich mir geistig ganz zu entzie-
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hen, mein Selbst in toter Öde erstarren; ja, indem ich dieses schreibe, fühle ich nur zu
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sehr, daß nur Er es ist, der mir den Ausdruck gibt, mein Sein in ihm wenigstens anzu-
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deuten. – Ich weiß nicht, Adelgundchen, ob ich Dir nicht fremdartig oder vielleicht als
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eine phantastische Schwärmerin erscheine, ob Du mich überhaupt verstehst, und es
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war mir, als ob eben jetzt leise und wehmütig der Name: Hypolit, über Deine Lippen
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gleite. – Glaube mir, daß Hypolit nie inniger von mir geliebt wurde, ich nenne ihn oft
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im frommen Gebet um sein Heil. – Die heiligen Engel mögen ihn schirmen vor jedem
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feindlichen Streich, der ihm in wilder Feldschlacht droht. Aber, seitdem Alban mein
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Herr und Meister ist, dünkt es mich, nur durch Ihn könne ich meinen Hypolit stärker
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und inniger lieben, und als habe ich die Macht, mich wie sein Schutzgeist zu ihm zu
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schwingen und ihn mit meinem Gebete wie mit einem Seraphsfittich zu umhüllen, so
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daß der Mord ihn vergebens, listig spähend, umschleicht. Alban, der hohe, herrliche
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Mann, führt mich als die durch das höhere Leben geweihte Braut in seine Arme; aber
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nicht ohne seinen Meister darf das Kind sich in die Stürme der Welt wagen. – Erst seit
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wenigen Tagen erkenne ich ganz Albans wahrhaftige Größe. – Aber glaubst du wohl,
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liebe Adelgunde, daß, als ich noch kränker und über alle Maßen reizbar war, sich oft
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niedrige Zweifel gegen meinen Herrn und Meister in meiner Brust erhoben? – Da hielt
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ich es denn für gesündigt gegen Liebe und Treue, wenn selbst im Gebet für meinen
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Hypolit Albans Gestalt in meinem Innern aufstieg, zürnend und drohend, daß ich ohne
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ihn mich hinauswagen wolle aus dem Kreise, den er mir beschrieben, wie ein böses
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Kind, das, des Vaters Warnung vergessend, hinauslaufe aus dem friedlichen Garten in
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den Wald, wo feindliche Tiere blutgierig hinter den grünen anmutigen Büschen lauern.
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Ach, Adelgunde! – diese Zweifel quälten mich schrecklich. Lache mich recht aus,
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wenn ich Dir sage, daß ich sogar auf den Gedanken geriet: Alban wolle mich künstlich
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umstricken und unter dem Schein des heiligen Wunders irdische Liebe in meinem In-
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nern entzünden. – Ach, Hypolit! – Neulich saßen wir, der Vater, der Bruder, der alte
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Bickert und ich traulich abends beisammen; Alban war, wie es seine Gewohnheit ist,
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noch auf weitem Spaziergange begriffen. Es war die Rede von Träumen, und der Vater
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sowie Bickert wußten davon allerlei Wunderbares und Ergötzliches zu sagen. Da nahm
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auch Ottmar das Wort und erzählte, wie nach Albans Rat und unter seiner Leitung es
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einem seiner Freunde gelungen sei, eines Mädchens innige Liebe dadurch zu gewin-
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nen, daß er ohne ihr Wissen, wenn sie schlief, in ihrer Nähe war und ihre innersten
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Gedanken durch magnetische Mittel auf sich leitete. Dazu kam, daß der Vater und auch
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mein alter treuer Bickert sich, wie sie noch nie in meiner Gegenwart getan, bestimmt
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und hart gegen den Magnetismus und auch in gewisser Art gegen Alban erklärten –
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alle Zweifel gegen den Meister erwachten mit doppelter Stärke in meiner Seele – wie
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wenn er sich geheimer höllischer Mittel bediente, mich zu seiner Sklavin zu fesseln;
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wie wenn er dann geböte, ich solle, nur ihn in Sinn und Gedanken tragend, Hypolit
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lassen? Ein nie gekanntes Gefühl ergriff mich mit tödender Angst; ich sah Alban in
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seinem Zimmer mit unbekannten Instrumenten und häßlichen Pflanzen und Tieren und
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Steinen und blinkenden Metallen umgeben, wie er in krampfhafter Bewegung seltsame
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Kreise mit den Armen und Händen beschrieb. Sein Gesicht, sonst so ruhig und ernst,
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war zur grausigen Larve verzogen, und aus seinen glutroten Augen schlängelten sich
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in ekelhafter Schnelle blanke, glatte Basiliske, wie ich sie sonst in den Lilienkelchen
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zu erblicken wähnte. Da war es, als gleite ein eiskalter Strom über meinen Rücken hin,
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ich erwachte aus meinem ohnmachtähnlichen Zustande; Alban stand vor mir – aber,
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du heiliger Gott! nicht er war’s, nein! jene entsetzliche Larve, die meine Einbildung
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geschaffen! – Wie habe ich am andern Morgen mich vor mir selbst geschämt!

Aus: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann: Poetische Werke, Bd. 1, Berlin/New York 1993, S. 193 – 197.

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