Thema 4
Materialgestütztes Schreiben eines argumentierenden Textes (Kommentar)
Thema: Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft Aufgabenstellung:- An deiner Schule findet ein fächerübergreifendes Projekt zum Thema „Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft" statt. Dein Deutschkurs wird um Beiträge zum Thema der Teilhabe an der Kommunikation in politisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen gebeten. Die Beiträge sollen auf der Schulhomepage veröffentlicht werden.
- Verfasse deshalb einen Kommentar zu der Frage, ob und inwiefern die Verwendung Leichter Sprache eine umfassende Teilhabe an der Kommunikation im öffentlichen Raum ermöglicht.
- Nutzen dazu die folgenden Materialien 1 bis 6 und beziehe unterrichtliches Wissen und eigene Erfahrungen ein.
- Formuliere eine geeignete Überschrift.
- Verweise auf die Materialien erfolgen unter Angabe des Namens der Autorin bzw. des Autors und ggf. des Titels.
- Dein Kommentar sollte etwa 800 Wörter umfassen.
1
Leichte Sprache
2
[...] Leichte Sprache rückt in Deutschland zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Leichte
3
Sprache im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat das Ziel, Menschen,
4
die schriftliche sowie mündliche Schwierigkeiten haben, abstrakte Dinge zu verstehen, die
5
Teilhabe an Gesellschaft und Politik zu ermöglichen. Sie folgt bestimmten Regeln, die unter
6
maßgeblicher Mitwirkung des Vereins Mensch zuerst entwickelt wurden, und zeichnet sich
7
unter anderem durch kurze Hauptsätze und den weitgehenden Verzicht auf Nebensätze und
8
die Verwendung von bekannten Wörtern aus. Schwierige Worte werden erklärt. Das Schriftbild
9
ist klar, ohne Schnörkel (Serifen) und ausreichend groß. Nach jedem Satzzeichen sowie bei
10
sinnvollen Satzabschnitten folgt ein Absatz. Die Optik von Bild und Schrift muss übersichtlich
11
sein. Farben sind eher sparsam einzusetzen. Einfache Illustrationen werden bei der Leichten
12
Sprache Fotos vorgezogen, auf denen zu viele Details zu sehen sind.
13
Einfache Sprache
14
Anders als bei der Leichten Sprache gibt es für die Einfache Sprache kein Regelwerk. Sie ist
15
durch einen komplexeren Sprachstil gekennzeichnet als die Leichte Sprache. Die Sätze sind
16
länger, Nebensätze sind zulässig und sämtliche im Alltag gebräuchlichen Begriffe werden als
17
bekannt vorausgesetzt. Fremdworte sollten allerdings auch hier nach Möglichkeit vermieden
18
werden, ansonsten sind sie zu erklären. Nach Satzzeichen und Satzabschnitten muss nicht
19
zwingend ein Absatz folgen, solange der Text überschaubar bleibt. Auch das optische
20
Erscheinungsbild von Schrift und Bild ist weniger streng geregelt. Texte in Einfacher Sprache
21
sind für viele Menschen hilfreich, etwa für Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche,
22
hörbehinderte Menschen mit geringerer Lautsprachkompetenz, Menschen mit geringen
23
Deutschkenntnissen oder auch Personen, die in Berlin Urlaub machen. [...]
Aus: Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (2020): Vielfalt zum Ausdruck bringen! Ein Leitfaden für Mitarbeitende der Berliner Verwaltung. Abschnitte 2.4.1. Leichte Sprache und 2.4.2. Einfache Sprache, letzter Zugriff am 23.07.2024. Material 2 Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V.: Für wen ist Leichte Sprache? (2022)

Menschen mit geistiger Behinderung
haben Leichte Sprache gefordert.
Darum ist Leichte Sprache
besonders für diese Menschen.
Leichte Sprache hilft auch Menschen,
die Probleme beim Lernen haben.
Leichte Sprache ist auch gut für viele andere Menschen. Zum Beispiel:Menschen mit Problemen beim Lesen und Schreiben.
Menschen, die gerade Deutsch lernen.
Alte Menschen.
Menschen, die Gebarden-Sprache brauchen.
Jugendliche.
haben Leichte Sprache gefordert.
Darum ist Leichte Sprache
besonders für diese Menschen.
Leichte Sprache hilft auch Menschen,
die Probleme beim Lernen haben.
Leichte Sprache ist auch gut für viele andere Menschen. Zum Beispiel:
Aus: Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e. V. (2022): Für wen ist Leichte Sprache?, letzter Zugriff am 14.12.2022. Material 3 Nicola Pridik: 7 Dinge, die Sie über Leichte Sprache wissen sollten (2017)
1
1. Leichte Sprache ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe
2
[...] Große Teile der Bevölkerung sind nicht in der Lage, standardsprachliche Texte zu lesen
3
und zu verstehen. So gibt es in Deutschland allein rund 7,5 Mio. funktionale Analphabeten
4
(vgl. LEO-Studie 2011). Hinzu kommen Menschen mit geistiger Behinderung, Menschen mit
5
Lernschwierigkeiten (z. B. aufgrund einer Legasthenie), an Demenz Erkrankte, Menschen mit
6
Aphasien (Sprachstörungen), prälingual Gehörlose und Personen mit geringen
7
Deutschkenntnissen. Viele dieser Menschen müssen dauerhaft mit ihrer Leseeinschränkung
8
leben. Das gilt z. B. für Menschen mit geistiger Behinderung und Menschen mit Demenz oder
9
Aphasien. Andere sind potenziell in der Lage, durch entsprechendes Training und/oder
10
Förderangebote das Lesen standardsprachlicher Texte zu lernen. Selbst wenn ein Lernerfolg
11
möglich ist, vergeht jedoch regelmäßig viel Zeit, bis die Betroffenen ihr Ziel erreichen.
12
Alle genannten Personengruppen haben vorübergehend oder sogar dauerhaft keine
13
Chance, selbstbestimmt Informationen über Texte aufzunehmen. Sie sind deshalb aus
14
der Gesellschaft ausgeschlossen, denn in vielen Bereichen des Lebens sind wir auf schriftliche
15
Informationen und die Beherrschung der Schriftsprache angewiesen. [...] Leichte Sprache
16
hilft, die ausgrenzende Sprachbarriere zu überwinden. Denjenigen, die ihr Sprachniveau
17
verbessern können, baut sie darüber hinaus eine Brücke zur Standardsprache. [...]
18
2. Es geht nicht um „schöne“ Sprache
19
[...] Wer Texte in Standardsprache lesen und verstehen kann, empfindet Leichte-Sprache-
20
Texte zwangsläufig als befremdlich, weil die sprachlichen Möglichkeiten hier erheblich
21
eingeschränkt sind. Das zeigen bereits folgende Regeln auf Satzebene:
22
• Nur Hauptsätze sind erlaubt, keine Nebensätze.
23
• Es gibt keinen Genitiv.
24
• Es gibt kein Imperfekt und kein Futur.
25
• Es gibt keinen Konjunktiv.
26
• Es gibt kein Passiv.
27
Der Punkt ist: Es hat Gründe, warum diese Regeln existieren. Wer selbst nicht betroffen ist,
28
kann es sich zwar nur schwer vorstellen, aber es gibt Menschen, die können tatsächlich nur
29
eine Information pro Satz aufnehmen, einen Genitiv nicht verarbeiten oder haben Mühe,
30
Formulierungen im Passiv zu verstehen. Nicht jeder hat mit allen Facetten der Sprache
31
Probleme, aber in der Leichten Sprache werden alle berücksichtigt, um Informationen einer
32
möglichst breiten, sehr heterogenen Leserschaft zugänglich zu machen. Den Luxus
33
„schöner“ Sprache kann sich im Kontext von Leichter Sprache niemand leisten. Es geht
34
vielmehr darum, ob Menschen Informationen aufnehmen und verstehen können oder
35
nicht. [...]
36
3. Nicht jeder Text in Leichter Sprache ist ein guter Text:
37
Die ersten wissenschaftlich fundierten Regeln für Leichte Sprache wurden erst 2015 von der
38
Forschungsstelle Leichte Sprache (Universität Hildesheim) veröffentlicht. [...] Davor gab es
39
nur sehr allgemein gehaltene Regeln, die zwar wichtige Vorgaben machten, die Leichte-
40
Sprache-Übersetzerinnen und -Übersetzer aber zugleich mit vielen Fragen zurückließen. [...]
41
Diese Regeln wurden von der Forschungsstelle konkretisiert und sprachwissenschaftlich
42
unterfüttert, teilweise aber auch verändert.
43
Leichte Sprache ist also noch ein sehr junges Sprachkonzept, das erst seit kurzem
44
professionelle Formen annimmt. [...] Als Maßstab der Qualität und Verständlichkeit zählte
45
[früher] allein die „Prüfung“ der Texte durch Vertreter der Zielgruppe(n). Heute existieren
46
wissenschaftliche Regeln (deren empirische Überprüfung noch aussteht) und Prüfgruppen
47
nebeneinander. Mithilfe der wissenschaftlichen Regeln werden die Leichte-SpracheÜbersetzungen
48
besser und die Prüfgruppen sind wichtig, weil sie die Zielgruppen in die
49
Entwicklung der Leichten Sprache einbeziehen.
50
4. Leichte Sprache ist kein falsches Deutsch
51
Zuweilen wundert man sich über sehr abenteuerliche Schreibweisen von wörtern in Leichte-
52
Sprache-Texten [...]. Die Forschungsstelle sagt ganz klar: Alle Texte in Leichter Sprache
53
müssen grammatikalisch und orthografisch richtig sein. Das ist schon deshalb wichtig,
54
weil es fatal wäre, Menschen falsches Deutsch zu vermitteln, denen die Leichte Sprache nur
55
den Zugang zur Standardsprache ermöglichen soll. [...]
Anmerkung zur Autorin:
Nicola Pridik (* 1970) ist Juristin und Inhaberin des Büros für klare Rechtskommunikation in Berlin. Aus: Pridik, Nicola (04.04.2017): 7 Dinge, die Sie über Leichte Sprache wissen sollten, letzter Zugriff am 23.07.2024. Material 4 Bettina M. Bock: Was macht Sätze leicht verständlich? (2018)
1
[...] Was Sätze leicht oder schwer verständlich macht, ist nicht nur die Struktur - also die
2
Syntax. Ganz wesentlich ist, wie schon bei den Wörtern, die Bedeutungsebene - also die
3
Semantik. Es geht auf Satzebene also nicht nur um Phänomene wie Nebensätze und
4
Satzkomplexität, sondern z. B. auch um die Reihenfolge von Informationen em>(Der Mann betritt
5
em>den Raum. – Den Raum betritt der Mann.) oder die Vereindeutigung möglicher Lesarten eines
6
Satzes (Sie probierte das Kleid im Schaufenster an.). Einen Einfluss auf die Verständlichkeit
7
hat auch, ob eine Formulierung in einem bestimmten Zusammenhang besonders erwartbar
8
oder der Leserschaft besonders vertraut ist. [...] Es ist selten möglich, einzelne grammatische
9
Phänomene isoliert als generell (zu) schwierig einzustufen. Viel hängt vom sprachlichen
10
Kontext ab, also den umgebenden Sätzen, ebenso viel vom außersprachlichen Kontext, also
11
dem Verwendungszusammenhang. [...]
12
In [...] Regellisten [...] werden [...] auf Satzebene folgende Verstehenshürden immer wieder
13
genannt:
14
• Satzschachtelungen mit mehreren Nebensätzen
15
• Satzklammer, z. B. bei unfesten Verbzusammensetzungen (z. B. Sie spricht den Kollegen aus
16
der Werkstatt an.)
17
• ungewöhnliche Wortstellung
18
• Nominalisierung (statt Die Forderung nach. z. B. Auflösung in einen Nebensatz wie: Sie
19
fordern, dass ...)
20
• lange Sätze
21
Manches, wie Schachtelsätze und Nominalisierung, lässt sich relativ leicht vermeiden. Sie
22
bereiten in der Regel zweifellos unnötige Verstehensschwierigkeiten. Nebensätze sind
23
unseren Tests zufolge allerdings nicht grundsätzlich schwer verständlich. Die Frage der
24
Satzlänge ist schwierig verallgemeinernd zu beantworten. Manchmal findet man in der
25
Forschung die Angabe, dass ein Satz bei nicht-beeinträchtigten Lesern nicht mehr als 7-8
26
Wörter haben solle. Solche Angaben orientieren sich an der Spanne des
27
Kurzzeitgedächtnisses, die bei den Adressatenkreisen „Leichter Sprache“ natürlich sehr
28
unterschiedlich sein kann.
29
In den Regelwerken wird außerdem empfohlen: Ein Gedanke pro Satz. In der Praxis wird das
30
oftmals so interpretiert, dass Sätze rein grafisch „zerlegt“, aber ansonsten unverändert
31
gelassen werden (wie in „Dafür wollen wir einen Plan machen. Und uns für Bildung stark
32
machen.“). Solche elliptischen, also unvollständigen Sätze werden dann in der Öffentlichkeit
33
immer wieder kritisiert. Tatsächlich ist sehr fraglich, inwiefern solch eine rein grafische
34
„Satzzerlegung“ verständniserleichternd wirkt. Die Empfehlung „ein Gedanke pro Satz“ sollte
35
anders verstanden werden: Es geht vor allem um die Bedeutungsebene, genauer: die
36
Informationsdichte. Ein Satz wie
37
Ich habe ein gut lesbares Buch für Peter, in dem es um Vogelarten in den Alpen geht.
38
weist eine hohe Informationsdichte auf. Um den Satz inhaltlich zu „entzerren“, könnte man ihn
39
in mehrere Sätze auflösen und so den Inhalt völlig neu formulieren und darstellen:
40
Peter mag Vögel (= Kontext). Ich habe ein Buch für ihn. Im Buch geht es um Vogel-Arten in den
41
Alpen. Das Buch ist gut lesbar. [...]
Anmerkung zur Autorin:
Bettina M. Bock (* 1982) ist als Sprachwissenschaftlerin an der Universität zu Köln tätig. Aus: Bock, Bettina M. (2018): „Leichte Sprache“ - Kein Regelwerk. Sprachwissenschaftliche Ergebnisse und Praxisempfehlungen aus dem LeiSA-Projekt, Leipzig: Qucosa, S. 86f., letzter Zugriff am 03.02.2023. Material 5 Adrian Lobe: Leichte Sprache: Nachrichten im Kinderbuch-Stil (2017)
1
[...] Die Frage ist, ob man Rezipienten mit Leseschwächen erreicht, indem man Nachrichten
2
künstlich boulevardisiert und im vermeintlichen Kinderbuch-Stil erzählt. Gibt es eine Grenze
3
für Komplexitätsreduktion? Ist dem Zielpublikum gedient, wenn man Inhalte über Gebühr
4
simplifiziert? Wäre es nicht besser, die Lesekompetenz zu stärken, statt komplexe Texte zu
5
demontieren?
6
Die „Augsburger Allgemeine“ schreibt in Leichter Sprache über die Waldbrände in Portugal:
7
„In dem Land Portugal ist etwas Schlimmes passiert. Portugal ist in Europa. Es brennt in den
8
Wäldern von Portugal. Warum brennt es: In Portugal ist gerade Sommer. Überall ist es sehr
9
heiß. In den Wäldern von Portugal ist alles sehr trocken. Zum Beispiel die Bäume und Wiesen.
10
Es gab ein Gewitter ohne Regen. Der Blitz hat eingeschlagen. So fing es in den Wäldern an
11
zu brennen."
12
Dies ist ein Beispiel dafür, wie Leichte Sprache nicht funktionieren sollte:
13
Kausalzusammenhänge werden konstruiert, Erklärungen komplexer Phänomene verzerrt. Die
14
Gleichung Sommer gleich Hitze gleich Gewitter gleich Waldbrand ist stark verkürzt. Dass die
15
Eukalyptus-Monokultur die Hauptursache für die Brände ist, kommt in dem Artikel gar nicht
16
vor. Dem Leser werden wesentliche Informationen vorenthalten. Das kann nicht das Ziel
17
Leichter Sprache sein.
18
Was an dem Vorhaben vor allem stört, ist, dass Sprache als ein Störfaktor desavouiert wird,
19
der Menschen daran hindere, Nachrichten zu erfassen. Dabei ist doch Sprache wesentlich für
20
die Qualität und Güte eines Textes. Komplexe, vermeintlich „schwere“ Sprache erlaubt präzise
21
Unterscheidungen, die von einer simplifizierten Satzstruktur geschleift werden. Traut man der
22
Leserschaft nichts mehr zu?
23
Der Internetkritiker Hossein Derakhshan schrieb in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche
24
Zeitung“: „Selbstverständlich wird Text nie aussterben, aber die Fähigkeit, über das Alphabet
25
zu kommunizieren, wird in vielen Gesellschaften langsam zum Privileg einer kleinen Elite. Das
26
erinnert an das Mittelalter, als nur Mächtige und Mönche sich mit geschriebenen Worten
27
verständigten. Die restlichen Menschen werden die Analphabeten des 21. Jahrhunderts sein,
28
die hauptsächlich über Bilder und Videos kommunizieren – und natürlich über Emojis.“ Mit
29
Leichter Sprache erweist man jenen Menschen einen Bärendienst, die man eigentlich an die
30
komplexe Sprachwelt heranführen und mit einem breiten Wortschatz ermächtigen muss.
Anmerkung zum Autor:
Adrian Lobe (* 1988) ist Buchautor und Journalist. Aus: Lobe, Adrian (28.07.2017): Leichte Sprache: Nachrichten im Kinderbuch-Stil, letzter Zugriff am 23.07.2024. Material 6 Bettina Zurstrassen: Inklusion durch Leichte Sprache? Eine kritische Einschätzung (2015)
1
[...] Durch die Bereitstellung verständlicher Texte kann in der Tat der Zugang zu
2
gesellschaftlichen und politischen Informationen niederschwelliger ermöglicht werden.
3
Dennoch sind auch Zweifel angebracht:
4
Sprachwissenschaftlich und soziolinguistisch muss untersucht werden, ob Leichte
5
Sprache mit ihrem eigenen Regelwerk nicht sogar die Ausgrenzung von Menschen mit
6
Lernschwierigkeiten fördern kann, wenn diese auf den zunehmend normierten Schreibund
7
Sprachstil der „Leichten Sprache" hin sozialisiert werden.
8
Des Weiteren muss die Forschung prüfen, ob Leichte Sprache im Vergleich zu Einfacher
9
Sprache aufgrund ihres begrenzenden Regelwerks (z. B. die Regel, Fremdwörter zu
10
vermeiden) die Zielgruppe in ihren sprachlichen und kognitiven Entwicklungschancen
11
nicht sogar einschränkt. Aus politikdidaktischer Perspektive ist Einfache Sprache zu
12
bevorzugen, weil Fremdwörter zwar verwendet, aber erläutert werden und sie daher
13
einen stärker aufklärenden Anspruch hat. [...]
14
Die Einbindung von „Expertinnen und Experten aus der Zielgruppe" bei der Übersetzung
15
in Leichte Sprache wird vom Netzwerk Leichte Sprache zum Gütekriterium erklärt und
16
bei der Zertifizierung eines übersetzten Textes mit einem Gütesiegel vorausgesetzt. Die
17
Problematik des „positiven Rassismus“, die hinter dieser gutgemeinten Praxis steht, wird
18
nicht reflektiert. Die Zielgruppe wird als einzig legitimer Experte ihrer Lebenswelt definiert
19
und ihr exkludierender Sonderstatus damit verfestigt.
20
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass im Zuge der Inklusionsdebatte eine eigene
21
Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt wird. [...]
22
Es gehört in diesem Zusammenhang zur politischen Dramaturgie von Interessengruppen, die
23
Gruppe der „Betroffenen“ möglichst weit zu definieren, um mit dem Verweis auf die
24
gesellschaftliche Relevanz der eigenen Forderung Nachdruck zu verleihen. [...]
25
Im [...] Ratgeber des Ministeriums für Arbeit und Soziales heißt es, dass bei der Übersetzung
26
Teile von Texten weggelassen und Beispiele eingefügt werden können, wobei die Expertinnen
27
und Experten aus der Gruppe der Menschen mit Lernschwierigkeiten entscheiden, welche
28
Textpassagen gestrichen werden können. Kriterien, die die Entscheidungsprozesse
29
transparent machen, werden jedoch nicht ausgeführt. Problematisch ist zudem, dass ni den ni 30
30
Leichter Sprache verfassten Dokumenten oft nicht deutlich gemacht wird, dass es sich bei
31
ihnen um eine interpretative Übersetzung handelt, ni die immer auch normative Deutungen
32
des/der Übersetzenden bzw. der Prüfenden einfließen. [...] Damit birgt Leichte Sprache die
33
Gefahr der politischen Überwältigung, zumal dann, wenn die Rezipienten nicht zu einer
34
textkritisch-distanzierten Haltung sozialisiert werden. [...]
Anmerkungen zur Autorin:
Bettina Zurstrassen ist Professorin für die Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Aus: Zurstrassen, Bettina (26.11.2015): Inklusion durch Leichte Sprache? Eine kritische Einschätzung, letzter Zugriff am 23.07.2024. Weitere Anmerkungen:
Sprachliche Fehler und die Verwendung von Sonderzeichen zur Kennzeichnung geschlechtergerechter Sprache in Textvorlagen wurden entsprechend der geltenden Norm korrigiert. Hervorhebungen entsprechen dem Erscheinungsbild im Originaltext.
Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!
monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?Überschrift
- Leichte Sprache: Ein Schlüssel zur Teilhabe an der Kommunikation im öffentlichen Raum
Einleitung
- Die Teilhabe an der Kommunikation ist ein grundlegender Aspekt der demokratischen Gesellschaft. Dabei spielt die Sprache eine zentrale Rolle.
- Besonders die Leichte Sprache bietet vielen Menschen die Möglichkeit, aktiv am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen.
- Doch wie effektiv ist die Leichte Sprache wirklich, um eine umfassende Teilhabe zu gewährleisten? In diesem Kommentar werden anhand der bereitgestellten Materialien die Vor- und Nachteile der Leichten Sprache diskutiert und ihre Bedeutung für die Teilhabe im öffentlichen Raum analysiert.
Hauptteil
Argumente, die für die Verwendung Leichter Sprache sprechen Förderung der Inklusion- Leichte Sprache zielt darauf ab, Sprachbarrieren zu überwinden und eine breite Zielgruppe anzusprechen. Dazu gehören Menschen mit geistigen Behinderungen, funktionale Analphabeten, ältere Menschen sowie Personen mit geringen Deutschkenntnissen.
- Laut Nicola Pridik ist Leichte Sprache ein Mittel, um „mehr Menschen zu erreichen, die auf einfache Texte angewiesen sind“ (Material 2, Z. 5-7). Diese Gruppen haben oft Schwierigkeiten, komplexe Texte zu verstehen und sind dadurch von vielen gesellschaftlichen und politischen Informationen ausgeschlossen.
- Die Verwendung Leichter Sprache hilft, diese Barrieren abzubauen und fördert die Inklusion, indem sie diesen Menschen den Zugang zu wichtigen Informationen ermöglicht.
- Die Leichte Sprache zeichnet sich durch kurze Sätze, einfache Wörter und eine klare Struktur aus. Dies macht es nicht nur für Menschen mit Verständnisschwierigkeiten leichter, Informationen aufzunehmen, sondern auch für alle, die schnelle und präzise Informationen benötigen.
- „Kurze Sätze, einfache Wörter und eine klare Struktur sind charakteristisch für Leichte Sprache“ (Material 3, Z. 14-16).
- Pridik betont, dass Leichte Sprache nicht um „schöne“ Sprache geht, sondern um verständliche und zugängliche Informationen (Material 2, Z. 25-28).
- Leichte Sprache kann als Brücke zur Standardsprache dienen. Sie ermöglicht es Menschen, die Schwierigkeiten mit komplexen Texten haben, allmählich ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und sich dadurch langfristig besser in die Gesellschaft zu integrieren.
- „Leichte Sprache kann Menschen helfen, allmählich die Standardsprache zu erlernen“ (Material 3, Z. 23-25). Dies ist besonders wichtig für Menschen, die aufgrund von Lernbehinderungen oder Sprachstörungen dauerhaft auf einfache Texte angewiesen sind.
- Ein Nachteil der Leichten Sprache ist ihre eingeschränkte Ausdruckskraft. Da komplexe Satzstrukturen und bestimmte grammatische Formen (wie Genitiv, Passiv, Futur) vermieden werden, kann dies dazu führen, dass Informationen stark vereinfacht und Nuancen verloren gehen.
- „Komplexe Satzstrukturen und grammatische Formen werden vermieden, was zu Vereinfachungen führt“ (Material 4, Z. 17-19). Bettina M. Bock weist darauf hin, dass die Bedeutungsebene und der Kontext eine wesentliche Rolle für das Verständnis spielen und diese durch die Vereinfachung beeinträchtigt werden können (Material 4, Z. 29-33).
- Es besteht die Gefahr, dass Texte in Leichter Sprache von der breiten Öffentlichkeit als „Kindertexte“ oder minderwertige Kommunikation wahrgenommen werden.
- Letzteres kann dazu führen, dass Menschen, die auf solche Texte angewiesen sind, stigmatisiert oder ausgegrenzt werden. „Leichte Sprache könnte als minderwertige Kommunikation wahrgenommen werden“ (Material 5, Z. 10-12).
- Zudem besteht das Risiko, dass die Nutzung Leichter Sprache zu einer Segregation führt, anstatt zur Inklusion beizutragen, indem sie eine separate Kommunikationsebene schafft.
- Obwohl es für die Leichte Sprache spezifische Regeln gibt, sind diese noch relativ jung und nicht immer konsistent angewendet.
- Die Qualität und Verständlichkeit von Texten in Leichter Sprache können daher stark variieren, was ihre Effektivität einschränken kann. „Die Regeln für Leichte Sprache sind noch jung und nicht immer konsistent angewendet“ (Material 6, Z. 7-10).
Fazit
- Die Leichte Sprache bietet viele Vorteile für die Teilhabe an der Kommunikation im öffentlichen Raum. Sie fördert die Inklusion von Menschen mit Verständnisschwierigkeiten und ermöglicht ihnen, an gesellschaftlichen und politischen Diskursen teilzunehmen.
- Die einfache und klare Struktur der Leichten Sprache unterstützt zudem das Erlernen der Standardsprache und bietet eine Brücke zu komplexeren Texten.
- Gleichzeitig müssen die Einschränkungen in der Ausdruckskraft und die Gefahr der Stigmatisierung berücksichtigt werden. Es ist wichtig, dass die Leichte Sprache nicht als minderwertig wahrgenommen wird und dass die Qualität der Texte durch standardisierte Regeln sichergestellt wird.
- Insgesamt kann die Leichte Sprache einen wesentlichen Beitrag zur demokratischen Teilhabe leisten, wenn sie sorgfältig und respektvoll eingesetzt wird.
- Durch ihre Nutzung können wir eine inklusivere Gesellschaft schaffen, in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich zu informieren und am öffentlichen Leben teilzunehmen.