Thema 3
Erörterung eines literarischen Textes
Thema: Veronika Schuchter (* 1984): Textherrschaft. Zur Konstruktion von Opfer-, Heldinnen- und Täterinnenbildern in Literatur und Film (2013, Auszug)Euripides (* 480 - † 406 v. Chr.): Medea (431 v. Chr.)
Friedrich Dürrenmatt (* 1921- † 1990): Der Besuch der alten Dame (1956) Aufgabenstellung:
- Erörtere die Thesen von Veronika Schuchter zur weiblichen Täterschaft im Hinblick auf die Gestaltung der literarischen Figuren Medea und Claire Zachanassian.
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Frauen, die zu Täterinnen werden, verstoßen per se gegen ihren weiblichen, die Frau zu
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Passivität verdammenden Habitus. Die schockierendste, weil finale Tat, der Mord, begangen
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von einer Frau, ist demnach nicht nur ein Verbrechen im juristischen sowie im moralischen
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Sinn, wie es beim männlichen Täter der Fall ist, sondern der ultimative Bruch naturalistischer
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Geschlechterkonstruktionen, was im medialen und literarischen Diskurs oft das größte
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Vergehen zu sein scheint. [...]
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Auffallend ist, dass weibliche Täterschaft zum einen mehr Unbehagen und Abneigung
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hervorruft, weil sie als widernatürlich gilt, und gleichzeitig oft auch auf mehr Sympathie hoffen
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darf als männliche, was wiederum auf verschiedene Legitimierungsstrategien zurückzuführen
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ist.
Anmerkung zur Autorin:
Veronika Schuchter ist Literaturwissenschaftlerin. Aus: Schuchter, Veronika: Textherrschaft. Zur Konstruktion von Opfer-, Heldinnen- und Täterinnenbildern in Literatur und Film. Würzburg: Verlag Königshausen und Neumann 2013, S. 156 f. Weitere Anmerkungen:
Sprachliche Fehler in der Textvorlage wurden entsprechend der geltenden Norm korrigiert.
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Einleitung
- Autor: Veronika Schuchter
- Titel: Textherrschaft. Zur Konstruktion von Opfer-, Heldinnen- und Täterinnenbildern in Literatur und Film
- Erscheinungsjahr: 2013
- Textsorte: Sachtext
- Quelle: Schuchter, Veronika: Textherrschaft. Zur Konstruktion von Opfer-, Heldinnen- und Täterinnenbildern in Literatur und Film. Würzburg: Verlag Königshausen und Neumann 2013, S. 156 f.
- Inhalt: Veronika Schuchter untersucht in ihrem Werk Textherrschaft. Zur Konstruktion von Opfer-, Heldinnen- und Täterinnenbildern in Literatur und Film die Darstellung weiblicher Täterschaft und betont dabei, dass Frauen, die zu Täterinnen werden, gesellschaftliche Normen und Geschlechterrollen durchbrechen.
- Im Folgenden werden die Figuren Medea und Claire Zachanassian anhand Schuchters Thesen hinsichtlich der Ambivalenz weiblicher Täterschaft und der gesellschaftlichen Reaktionen darauf analysiert und erörtert.
Hauptteil
1. These: Weibliche Täterschaft als Bruch mit dem weiblichen Habitus Pro-Argumente- Medea: In Euripides' Tragödie wird Medea, eine Mutter und Ehefrau, zur Mörderin ihrer eigenen Kinder. Diese Tat widerspricht dem traditionellen Bild der fürsorglichen Mutter und stellt einen radikalen Bruch mit gesellschaftlichen Erwartungen dar. Medea handelt aus tiefem Schmerz und Verrat heraus, was ihre Tat als Akt des Widerstands gegen patriarchalische Unterdrückung interpretiert werden kann.
- Claire Zachanassian: In Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame ist Claire eine reiche und mächtige Frau, die ihre Heimatstadt besucht, um sich an ihrem ehemaligen Liebhaber zu rächen. Ihre Handlung widerspricht dem stereotypen Bild der vergebenden und schwachen Frau. Claire nutzt ihre Macht, um Gerechtigkeit für das erlittene Unrecht zu fordern, was ihre Täterschaft als Ausdruck ihrer Autonomie und Stärke erscheinen lässt.
- Medea: Einige Kritiker könnten argumentieren, dass Medeas Tat weniger als emanzipatorischer Akt, sondern vielmehr als Ausdruck von Wahnsinn und Verzweiflung gesehen werden kann. Die extreme Gewalt ihrer Tat könnte ihre Rolle als Täterin stärker negativ konnotieren.
- Claire Zachanassian: Claires Handlungen könnten auch als rein rachsüchtig und unmoralisch betrachtet werden, unabhängig von ihrem Geschlecht. Ihre Macht und Ressourcen setzen sie in einer Weise ein, die eine grausame und unbarmherzige Seite zeigt, was sie nicht unbedingt als brechende Geschlechterrollen, sondern als bösartige Persönlichkeit erscheinen lässt.
- Medea: Medeas Mord an ihren Kindern wird oft als besonders schockierend und abstoßend empfunden, da er gegen die tief verwurzelte Erwartung verstößt, dass eine Mutter ihre Kinder beschützt. Diese Reaktion verdeutlicht das Unbehagen, das weibliche Täterschaft auslösen kann.
- Claire Zachanassian: Claires Plan, ihren ehemaligen Liebhaber töten zu lassen, wird von den Bürgern der Stadt zunächst mit Abscheu und moralischer Empörung aufgenommen. Ihre kaltblütige Rache wirkt widernatürlich und verstärkt die Abneigung gegenüber ihrer Figur.
- Medea: Trotz des Unbehagens gibt es auch eine gewisse Faszination und Sympathie für Medea, da sie eine komplexe und vielschichtige Figur ist. Ihr Leid und ihre Motive werden von manchen als verständlich und nachvollziehbar betrachtet.
- Claire Zachanassian: Claire erfährt auch Sympathie, da ihr Rachemotiv auf einem schweren Unrecht beruht, das ihr angetan wurde. Diese menschliche Dimension ihres Handelns mindert das Unbehagen und kann zu einer differenzierteren Betrachtung ihrer Figur führen.
- Medea: Medeas Handlungen werden teilweise durch das Verständnis ihrer extremen emotionalen Qualen legitimiert. Ihr Verrat durch Jason und ihre folgende Isolation bieten eine Erklärung für ihre drastischen Maßnahmen und schaffen Mitgefühl.
- Claire Zachanassian: Claires Rache erscheint als eine gerechte Vergeltung für das Unrecht, das ihr in ihrer Jugend widerfahren ist. Die Stadtbewohner, die sich schließlich auf ihre Seite schlagen, symbolisieren die gesellschaftliche Akzeptanz und Legitimation ihrer Taten als Akt der Gerechtigkeit.
- Medea: Trotz des Mitgefühls bleibt die moralische Verurteilung ihrer Tat bestehen. Der Kindsmord ist ein so extremes Verbrechen, dass es schwerfällt, vollständige Sympathie zu entwickeln.
- Claire Zachanassian: Auch wenn Claires Motivation nachvollziehbar ist, bleibt ihre Tat moralisch fragwürdig. Die Instrumentalisierung der Stadtbewohner und die manipulative Art und Weise, wie sie ihre Rache durchsetzt, werfen ethische Fragen auf und können die Sympathie mindern.
Schlussfolgerung
- Veronika Schuchters Thesen zur weiblichen Täterschaft lassen sich anhand der Figuren Medea und Claire Zachanassian gut nachvollziehen. Beide Figuren brechen mit traditionellen Geschlechterrollen und rufen sowohl Unbehagen als auch Sympathie hervor.
- Während ihre Taten als Ausdruck von Autonomie und Widerstand gegen patriarchale Strukturen interpretiert werden können, bleibt die moralische Bewertung ihrer Handlungen ambivalent.
- Die Erörterung zeigt, dass weibliche Täterschaft komplex und vielschichtig ist und sowohl Pro- als auch Contra-Argumente verdient.
- Schuchters Analyse fordert dazu auf, diese Figuren jenseits einfacher moralischer Kategorien zu betrachten und die tiefere gesellschaftliche und psychologische Dimension ihrer Handlungen zu erkennen.