HT 3 – Ökologie, Evolution
Thema: Parasitische Blütenpflanzen
Material A: Parasitismus bei Blütenpflanzen
Die Pflanzenfamilie Rafflesiaceae kommt ausschließlich in den Tropen Asiens vor. Alle Vertreter der Rafflesiaceae, wie zum Beispiel die Art Sapria himalayana, leben als Endoparasiten. Diese bilden keine Pflanzenkörper mit Stängeln, Blättern oder Wurzeln. Stattdessen durchziehen sie als dünne, manchmal mehr als zehn Meter lange, fadenförmige Zellstränge das Gewebe ihrer Wirtspflanzen. In diesem Zustand ist der Parasit von außen nicht zu erkennen. Erst zur Fortpflanzungszeit bildet Sapria himalayana, wie auch andere Vertreter der Rafflesiaceae, eine riesige rote Blüte, die direkt aus dem Stamm oder der Wurzel der Wirtspflanze herauswächst.
Auch Striga asiatica aus der Familie Orobanchaceae lebt parasitisch. Sie besitzt einen Pflanzenkörper mit Sprossachse, grünen Blättern, Blüten und einem Wurzelsystem, das stark reduziert ist. Zudem bildet die Pflanze unterirdische Saugwurzeln aus, mit denen sie in die Wurzeln ihrer Wirtspflanzen eindringt. So erhält sie das von der Wirtspflanze bereits aus dem Boden aufgenommene Wasser mit den darin gelösten Mineralsalzen.
Material B: Untersuchungen zur Genomvollständigkeit bei Pflanzen
Bei der Erforschung pflanzlicher Genome wurde festgestellt, dass sich im Genom vieler Pflanzen Übereinstimmungen in Bezug auf die vorkommenden Gene finden lassen. Die Gene, die bei den meisten Pflanzen vorkommen, stellen gewissermaßen die genetische Grundausstattung einer jeden Pflanze dar. Sie werden in ihrer Gesamtheit als Pflanzen-Genset bezeichnet. Hierzu gehören auch Gene, die für Lebensvorgänge wie etwa Fotosynthese oder Wachstum und Entwicklung der Pflanze essenziell sind.
In Untersuchungen wurde bei verschiedenen Pflanzengattungen bestimmt, welcher Anteil der Gene aus dem gesamten Pflanzen-Genset vorhanden ist. Der Prozentwert gibt den Anteil der Gene des Pflanzen-Gensets an, der im Genom der jeweiligen Gattung vorliegt. Dieses Merkmal wird als Genomvollständigkeit bezeichnet. Eine Genomvollständigkeit von 70 Prozent bedeutet demnach, dass die untersuchte Pflanzengattung 70 Prozent der Gene des gesamten Pflanzen-Gensets besitzt.Es wurden neben parasitisch lebenden Pflanzengattungen wie Striga, Phtheirospermum, Cuscuta und Sapria auch Gattungen untersucht, die eine nicht-parasitische Lebensweise haben. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse dieser Analysen zusammen mit einem phylogenetischen Stammbaum der untersuchten Pflanzengattungen.

Material C: Untersuchungen zur Anzahl von Genen
In weiteren Untersuchungen wurden die in den unterschiedlichen pflanzlichen Genomen vorhandenen Gene drei funktionellen Kategorien zugeordnet, die verschiedene Lebensvorgänge repräsentieren. Hierzu zählen Gene, die das Wachstum und die Entwicklung der Pflanze steuern, Gene für die Fotosynthese und Gene für die Reaktion auf abiotische und biotische Stressfaktoren, wie zum Beispiel die Abwehr von Fressfeinden. Anschließend wurde die Anzahl der Gene in den verschiedenen funktionellen Kategorien bei Striga asiatica und Sapria himalayana bestimmt und mit der von Arabidopsis thaliana verglichen (Abbildung 2). Arabidopsis thaliana lebt nicht-parasitisch und besitzt ein für viele Pflanzen typisches Genom.
Material D: Evolution der Gattung Rafflesia auf den Philippinen
Die Vertreter der Gattung Rafflesia gehören wie Sapria zur Familie Rafflesiaceae und sind Endoparasiten. Viele Arten dieser Gattung leben auf den Philippinen, einer Inselgruppe mit zahlreichen größeren und kleineren Inseln. Fast alle dieser Rafflesia-Arten kommen dort nur auf jeweils einer der Inseln vor.
Die großen, roten Blüten von Rafflesia verströmen einen Aasgeruch und locken dadurch Fliegen zur Bestäubung an. Die Verbreitung der Samen ist noch nicht endgültig geklärt. Es wurde beobachtet, dass Rafflesia-Samen von Ameisen aufgenommen und transportiert werden. Phylogenetische Untersuchungen haben ergeben, dass sich alle philippinischen Rafflesia-Arten auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückführen lassen, der ursprünglich auf Borneo vorkam.Material E: Rafflesia-Arten auf Mindanao
Auf der philippinischen Insel Mindanao kommen vier verschiedene Rafflesia-Arten vor. Auf den anderen Inseln werden diese Arten nicht gefunden. Alle Rafflesia-Arten parasitieren ausschließlich einige häufige und weitverbreitete Arten der Gattung Tetrastigma. Ausgewählte Merkmale der vier auf Mindanao vorkommenden Rafflesia-Arten sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

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Sapria himalayana | Striga asiatica |
---|---|
Endoparasit | Ektoparasit |
Obligat | Fakultativ |
Kein Pflanzenkörper | Pflanzenkörper mit Sprossachse, Blättern und Wurzelsystem |
Die Untersuchung zeigt, dass Striga asiatica und Arabidopsis thaliana etwa gleich viele Gene für Wachstum und Entwicklung besitzen. Bei Sapria himalayana ist die Genanzahl etwas reduziert, aber immer noch relativ hoch. Bei Genen für die Fotosynthese besitzt Sapria himalayana allerdings nur noch etwa ein Drittel der Gene im Vergleich zu den anderen beiden Arten. Gene für Stressreaktionen und Abwehr sind bei Striga asiatica leicht bzw. bei Sapria himalayana im Vergleich zu Arabidopsis thaliana stark reduziert.
Deutung der Befunde:Die geringere Anzahl an Genen bei beiden parasitischen Pflanzen deutet darauf hin, dass sie sich evolutionär zum Überleben in einer parasitären Rolle angepasst haben. Die ektoparasititsche Striga asiatica ist in der Lage, ohne den Wirt zu überleben. Daher sind bei ihr die Gene für Wachstum, Entwicklung und Fotosynthese fast in genauso hoher Anzahl vorhanden, wie bei Arabidopsis thaliana. Gleichzeitig wird sie durch ihren Wirt versorgt und geschützt. Daher sind bei ihr die Gene für Stressreaktion und Abwehr reduziert. Bei Sapria himalayana dagegen sind alle Gene im Vergleich zu Arabidopsis thaliana reduziert. Aufgrund der endoparasitischen Lebensweise sind Gene für die Fotosynthese und Abwehr bzw. Stressreaktionen besonders reduziert. Grund dafür ist der Selektionsdruck. Für die nicht-parasitisch lebende Arabidopsis thaliana ist es zum Beispiel wichtig auf Umweltstressoren reagieren zu können. Daher ist es für sie ein Selektionsvorteil, viele Gene für Stressreaktionen und Abwehr zu besitzen, da sie so mehr Möglichkeiten hat auf potenzielle Fressfeinde oder andere Stressfaktoren zu reagieren. Für parasitisch-lebende Pflanzen wirkt allerdings kein starker Selektionsdruck auf diese Gene, da Abwehrmechanismen von der Wirtspflanze übernommen werden.
Die evolutionäre Entstehung der verschiedenen Rafflesia-Arten auf den Philippinen kann durch adaptive Radiation erklärt werden, bei der sich die Arten an unterschiedliche ökologische Nischen auf den einzelnen Inseln anpassen und somit eine hohe Artenvielfalt erzielen.
Koexistenz der Rafflesia-Arten auf Mindanao:Tabelle 1 zeigt, dass die unterschiedlichen Rafflesia-Arten spezifische Merkmale aufweisen, die ihre Anpassung an die jeweiligen Mikroumgebungen auf der Insel Mindanao belegen. So unterscheidet sich beispielsweise die Höhe des jeweiligen Fundorts voneinander. Es kommen generell wenige Tetrastigma-Arten auf der Insel vor, die Rafflesia-Arten als Wirt dienen. Mit zunehmender Höhe nimmt diese Anzahl auch noch ab. Dementsprechend sind die Rafflesia-Arten sehr spezifisch an einen oder maximal zwei Wirtspflanzen angepasst. Dieser enge Bezug zur Wirttspflanze und die unterschiedliche Höhe sorgt für eine geringe Konkurrenz unter den Rafflesia-Arten, was eine Koexistenz begünstigt.
Definition von Coevolution:Coevolution bezeichnet den evolutiven Prozess, bei dem die Entwicklung zweier oder mehrerer Arten durch wechselseitige Anpassungen miteinander gekoppelt ist.
Deutung im Hinblick auf Coevolution:Die verschiedenen Rafflesia-Arten auf Mindanao zeigen Coevolution durch ihre Anpassung an spezifische Wirtspflanzen. Eine mögliche Anpassung seitens der Tetrastigma-Arten könnte eine Verlagerung des Ausbreitungsgebietes in größere Höhen sein, um dem Ausbreitungsgebiet des Parasits zu entkommen.