HT 2 – Ökologie, Evolution

Thema: Das Schweigen der Grillen

1.
Gib eine Definition für den Begriff der reproduktiven Isolation an und ermittle einen möglichen Isolationsmechanismus zwischen den in Material A genannten Grillenarten (Material A). Erläutere die Bedeutung von Lock- und Balzgesang der Grillenmännchen unter evolutiven Aspekten (Material A).
(12 Punkte)
2.
Fasse die in den Abbildungen 2 und 3 dargestellten Ergebnisse zusammen (Material B) und leite Selektionsvorteile und Selektionsnachteile für Teleogryllus oceanicus-Männchen ab (Materialien A und B). Gib die Unterschiede zwischen konvergenten und divergenten Entwicklungen an und analysiere vor diesem Hintergrund umfassend Abbildung 4 (Materialien A bis C).
(28 Punkte)
3.
Erkläre die zu erwartenden Zahlenverhältnisse für die angegebenen Erbgänge (Tabelle 1) und werte die tatsächlichen Kreuzungsergebnisse im Hinblick auf den Erbgang aus (Material D).
(10 Punkte)
4.
Erkläre die Entwicklung der stummen Grillen auf Kauai mithilfe der Synthetischen Evolutionstheorie (Materialien A und B). Erläutere die Geschwindigkeit des evolutionären Wandels bei Teleogryllus oceanicus (Materialien A bis D).
(16 Punkte)

Material A: Gesang der Feldgrillen

In Australien kommen zwei Arten von Feldgrillen vor, die morphologisch kaum zu unterscheiden sind. Beide Arten sind dunkelbraun bis schwarz und etwa drei Zentimeter groß. Die Verbreitungsgebiete von Teleogryllus oceanicus und Teleogryllus commodus überlappen sich im Osten von Australien. Wie viele andere Feldgrillen erzeugen die Männchen mithilfe ihrer Vorderflügel einen Gesang. Dazu bewegen sie die Schrillader, eine harte, gezähnte Struktur auf der Unterseite des rechten Vorderflügels, über die Hinterkante des linken Vorderflügels hin und her. Den Grillenweibchen fehlt die gezähnte Schrillader.
Die von den Männchen erzeugten Laute können als Gesangsmuster aufgezeichnet und verglichen werden (Abbildung 1). Der Lockgesang der Grillenmännchen lockt paarungsbereite Weibchen an, dann nehmen die Partner über die Fühler Kontakt auf. Während des weiteren Paarungsrituals spielen chemische Signale und ein Balzgesang des Männchens eine wichtige Rolle. Der Balzgesang ist energieaufwändiger als der Lockgesang und innerhalb der jeweiligen Grillenart variabel. Weibchen bevorzugen Männchen mit hochfrequenten, energieaufwändigen Balzgesängen. Der Lockgesang verschiedener Männchen innerhalb einer Art ist hingegen sehr ähnlich.
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Abb. 1: Gesangsmuster des Lockgesangs der Feldgrillen.
Die Frequenz in Hertz (Hz, Schwingungen pro Sekunde) ist ein Maß für die Tonhöhe.

Material B: Teleogryllus oceanicus auf der Hawaii-Inselgruppe

Während der Besiedlung der hawaiianischen Inseln durch den Menschen vor etwa tausend Jahren wurde T. oceanicus vermutlich von Australien zur Hawaii-Inselgruppe verschleppt und Populationen etablierten sich auf den verschiedenen Inseln wie Hawaii, Kauai und Oahu. Eine ursprünglich in Nordamerika heimische Fliege, Ormia ochracea, die etwa 1989 auf die HawaiiInselgruppe eingeschleppt worden ist, kann die Lockgesänge der Männchen von T. oceanicus hören. Die Weibchen von O. ochracea lokalisieren rufende Grillen-Männchen und legen ihre Larven auf oder in direkter Nähe der Grillenmännchen ab. Die Fliegenlarven bohren sich in das Innere der Grillenmännchen, entwickeln sich dort weiter und fressen dabei die Grille auf. Nach etwa sieben Tagen ist die Entwicklung der Fliegen vollendet. Bei ihrer Freisetzung stirbt das Grillenmännchen.
Auf Kauai waren 1991 rund 30 Prozent der rufenden T. oceanicus-Männchen von den Fliegen befallen. 2001 konnten nur noch wenige Grillen dieser Art auf Kauai gefunden werden, darunter nur ein rufendes Männchen. Im Jahr 2003 wurde wieder eine größere Population von T. oceanicus entdeckt, deren Männchen eine deutlich veränderte Morphologie der Flügel zeigten. Unter anderem war bei ihnen die Schrillader stark verkürzt. Diese Männchen können weder Lockgesang noch Balzgesang produzieren. Die stummen T. oceanicus-Männchen von Kauai werden als K-flatwing-Männchen bezeichnet. Innerhalb von weniger als 20 Generationen hatte sich auf Kauai eine stabile K-flatwing-Population etabliert.
Zwei Jahre später wurden auf Oahu, einer Nachbarinsel von Kauai, ebenfalls stumme Männchen entdeckt, die als O-flatwing-Männchen bezeichnet werden. Innerhalb weniger Generationen etablierte sich eine stabile O-flatwing-Population auf Oahu (Abbildung 2).
Von vielen anderen Feldgrillen-Arten ist bekannt, dass Männchen, die gerade keinen Lockgesang produzieren, sich häufig in räumlicher Nähe zu rufenden Feldgrillen-Männchen aufhalten. Bei Freilanduntersuchungen auf Hawaii, Oahu und Kauai wurde der Abstand von T. oceanicus-Männchen zu einem Lautsprecher gemessen, der den T. oceanicus-Lockgesang abspielte (Abbildung 3 ).
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Abb. 3: Durchschnittlicher Abstand der T. oceanicus-Männchen vom Lautsprecher. Die Zahlen unter den Symbolen geben die Anzahl der getesteten Individuen an.

Material C: Vergleichende Untersuchungen der Flügelmorphologie

Auf Oahu und Kauai wurde eine Vielzahl von T. oceanicus-Männchen gefangen, um ihre rechten Vorderflügel zu untersuchen. Aus den dabei gewonnenen Messwerten wurden für jedes Männchen zwei Form-Maßzahlen A und B gebildet, die charakteristische Merkmale der Flügelmorphologie zusammenfassen. Anhand der Maßzahlen-Paare kann die Morphologie von Flügeln verglichen werden. Je ähnlicher sich zwei Flügel sind, desto näher liegen ihre Diagrammpunkte beieinander. Je unterschiedlicher zwei verglichene Flügel sind, desto weiter auseinander liegen die Diagrammpunkte. Die Maßzahlen-Paare wurden für die Vorderflügel von Wildtyp-Männchen und flatwing-Männchen sowohl von Oahu als auch von Kauai ermittelt und als Diagrammpunkte in ein Koordinatensystem eingetragen (Abbildung 4).
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Abb. 4: Flügelmorphologie von T. oceanicus-Männchen. Jeder Diagrammpunkt entspricht dem Maßzahlen-Paar des Vorderflügels eines untersuchten Männchens.

Material D: Genetische Grundlagen der flatwing-Morphologie

Um die genetischen Grundlagen der flatwing-Morphologie bei T. oceanicus zu untersuchen wurden Kreuzungsexperimente durchgeführt. Dazu wurden Weibchen von Kauai verwendet, die aus einer Wildtyp-Population entstammten und daher kein flatwing-Allel besaßen. Diese wurden mit Männchen aus einer stabilen flatwing-Population von Kauai gekreuzt. Die daraus entstandene erste Nachkommengeneration (N1) wurde dann untereinander gekreuzt, sodass man eine zweite Nachkommengeneration (N2) erhielt. Man bestimmte und zählte in N1 und N2 jeweils die Phänotypen der männlichen Nachkommen.
Bei T. oceanicus erfolgt die Geschlechtsbestimmung über Geschlechtschromosomen, Weibchen besitzen zwei X-Chromosomen (XX) und Männchen eins (X0). Ein Y-Chromosom gibt es nicht. Tabelle 1 zeigt die erwarteten und die tatsächlichen Ergebnisse der Kreuzungen.
Tab. 1: Kreuzungsexperimente
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