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Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag

Thema:
Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise
Aufgabenstellung:
  • Analysiere den vorliegenden Auszug aus Gotthold Ephraim Lessings Drama Nathan der Weise im Hinblick auf die Darstellung der Figuren und ihrer Beziehung – auch unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Beziehung zu der in dieser Szene abwesenden Recha.
    (45 Punkte)
  • Der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal (* 1874 - † 1929) kommentiert in einem Essay bezogen auf Lessings Dramen:
    „Lessing hat ausgezeichnete Rollen geschrieben [...]. Aber diese Rollen stehen nicht für sich; [...] so machen die Rollen einander wechselweise noch stärker, als jede für sich schon wäre.“
    Untersuche mit Blick auf den vorliegenden Dramenauszug, inwieweit die Figuren Nathan und Tempelherr durch die jeweils andere an Kontur gewinnen. Beziehe dies auch auf die gesamte Dramenhandlung. Erläutere abschließend, inwiefern der Handlungsstrang um die beiden Figuren zum Charakter des Stücks als aufklärerisches Erziehungsdrama beiträgt.
    (27 Punkte)
Material
Nathan der Weise (Dritter Aufzug, Neunter Auftritt)
Gotthold Ephraim Lessing
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Nathan und der Tempelherr.
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Nathan:
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Wie? seid Ihr's?
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Tempelherr:
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Ihr habt
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Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten.
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Nathan:
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So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn
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Zu viel verweilt. Ah, wahrlich, Curd; der Mann
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Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten.
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Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind
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Nur sagen ...
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Tempelherr:
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Was?
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Nathan:
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Er will Euch sprechen; will,
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Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet
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Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn
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Erst etwas anders zu verfügen habe:
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Und dann, so gehn wir!
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Tempelherr:
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Nathan, Euer Haus
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Betret ich wieder eher nicht ...
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Nathan:
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So seid
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Ihr doch indes schon da gewesen? habt
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Indes sie doch gesprochen? Nun? Sagt: wie
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Gefällt Euch Recha?
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Tempelherr:
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Über allen Ausdruck!
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Allein, sie wiedersehn das werd ich nie!
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Nie! nie! Ihr müßtet mir zur Stelle denn
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Versprechen: daß ich sie auf immer, immer
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Soll können sehn.
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Nathan:
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Wie wollt Ihr, daß ich das
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Versteh?
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Tempelherr (nach einer kurzen Pause ihm
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plötzlich um den Hals fallend):
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Mein Vater!
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Nathan:
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Junger Mann!
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Tempelherr (ihn ebenso plötzlich wieder lassend):
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Nicht Sohn?
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Ich bitt Euch, Nathan!
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Nathan:
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Lieber junger Mann!
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Tempelherr:
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Nicht Sohn? Ich bitt Euch, Nathan! Ich beschwör
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Euch bei den ersten Banden der Natur!
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Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor!
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Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! Stoßt mich
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Nicht von Euch!
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Nathan:
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Lieber, lieber Freund! ...
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Tempelherr:
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Und Sohn?
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Sohn nicht? Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn
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Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter
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Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?
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Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen,
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Auf Euern Wink nur beide warteten?
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Ihr schweigt?
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Nathan:
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Ihr überrascht mich, junger Ritter.
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Tempelherr:
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Ich überrasch Euch? überrasch Euch, Nathan,
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Mit Euern eigenen Gedanken? Ihr
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Verkennt sie doch in meinem Munde nicht?
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Ich überrasch Euch?
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Nathan:
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Eh' ich einmal weiß,
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Was für ein Stauffen Euer Vater denn
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Gewesen ist!
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Tempelherr:
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Was sagt Ihr, Nathan? was?
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In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts
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Als Neubegier?
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Nathan:
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Denn seht! Ich habe selbst
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Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,
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Der Conrad hieß.
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Tempelherr:
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Nun, wenn mein Vater denn
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Nun ebenso geheißen hätte?
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Nathan:
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Wahrlich?
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Tempelherr:
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Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd
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Ist Conrad.
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Nathan:
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Nun so war mein Conrad doch
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Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war,
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Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt.
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Tempelherr:
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O darum!
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Nathan:
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Wie?
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Tempelherr:
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O darum könnt' er doch
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Mein Vater wohl gewesen sein.
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Nathan:
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Ihr scherzt.
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Tempelherr:
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Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau! Was wär's
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Denn nun? So was von Bastard oder Bankert!
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Der Schlag ist auch nicht zu verachten. Doch
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Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe.
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Ich will Euch Eurer wiederum entlassen.
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Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel
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In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte!
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Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham
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Hinauf belegen. Und von da so weiter,
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Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.
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Nathan:
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Ihr werdet bitter. Doch verdien ich's? Schlug
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Ich denn Euch schon was ab? Ich will Euch ja
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Nur bei dem Worte nicht den Augenblick
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So fassen. Weiter nichts.
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Tempelherr:
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Gewiß? Nichts weiter?
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O so vergebt! ...
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Nathan:
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Nun kommt nur, kommt!
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Tempelherr:
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Wohin?
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Nein! Mit in Euer Haus? Das nicht! das nicht!
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Da brennt's! Ich will Euch hier erwarten. Geht!
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Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie
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Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie
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Schon viel zu viel ...
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Nathan:
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Ich will mich möglichst eilen.

Aus: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. SchulLV, Karlsruhe 2023.

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