Thema 1
Gedichtinterpretation mit weiterführendem Vergleich
Thema: Hilde Domin (* 1909 - † 2006): Unaufhaltsam (1962) Johannes Bobrowski (* 1917 - † 1965): Sprache (1966) Aufgabenstellung:- Interpretiere das Gedicht Unaufhaltsam von Hilde Domin. ca. (70 %)
- Vergleiche Hilde Domins Gedicht Unaufhaltsam mit dem Gedicht Sprache von Johannes Bobrowski bezüglich des Themas. Berücksichtige dabei auch formale und sprachliche Gestaltungsmittel. (ca. 30 %)
1
Das eigene Wort,
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wer holt es zurück,
3
das lebendige
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eben noch ungesprochene
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Wort?
6
Wo das Wort vorbeifliegt
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verdorren die Gräser,
8
werden die Blätter gelb,
9
fällt Schnee.
10
Ein Vogel käme dir wieder.
11
Nicht dein Wort,
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das eben noch ungesagte,
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in deinen Mund.
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Du schickst andere Worte
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hinterdrein,
16
Worte mit bunten, weichen Federn.
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Das Wort ist schneller,
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das schwarze Wort.
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Es kommt immer an,
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es hört nicht auf, an-
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zukommen
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Besser ein Messer als ein Wort
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Ein Messer kann stumpf sein
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Ein Messer trifft oft
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am Herzen vorbei.
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Nicht das Wort.
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Am Ende ist das Wort,
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immer
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am Ende
30
das Wort
Aus: Domin, Hilde: Rückkehr der Schiffe. Frankfurt a. M:. S. Fischer 1962, S. 19 f. Material 2 Sprache Johannes Bobrowski
1
Der Baum
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größer als die Nacht
3
mit dem Atem der Talseen
4
mit dem Geflüster über
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der Stille
6
Die Steine
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unter dem Fuß
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die leuchtenden Adern
9
lange im Staub
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für ewig
11
Sprache
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abgehetzt
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mit dem müden Mund
14
auf dem endlosen Weg
15
zum Hause des Nachbarn
Aus: Paefgen, Elisabeth K. und Peter Geist (Hg.): Echtermeyer Deutsche Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin: Cornelsen 2010, S. 701.
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Einleitung
- Bei dem vorliegenden Gedicht (Material 1) handelt es sich um den Titel Unaufhaltsam. Letzterer wurde im Jahr 1962 von Hilde Domin verfasst.
- Indem die Autorin mit klaren Bildern und unverschnörkelter Sprache arbeitet, wird ihre intentionierte Botschaft im Werk deutlich: Das Wort besitzt eine enorme und unwiderrufliche Wirkungskraft.
- Das lyrische Ich reflektiert über die Natur der Sprache und die Unfähigkeit, einmal ausgesprochene Worte jemals wieder zurücknehmen zu können.
Hauptteil
Inhalt- Das Gedicht beginnt mit der Frage, wer das eigene Wort zurückholen kann, nachdem es ausgesprochen wurde.
- Es beschreibt die Kraft des gesprochenen Wortes, das wie ein unaufhaltsamer Strom vorbeifliegt und alles in seiner Umgebung verändert.
- Die Worte haben die Fähigkeit, Leben zu nehmen oder zu geben, sie können wie ein Messer sein, das tief schneidet und Verletzungen hinterlässt.
- Die Verse 10 bis 13 betonen die Unumkehrbarkeit der Worte, die einmal ausgesprochen wurden.
- Selbst wenn man versucht, weitere, wohl gewählte, weichere Worte („Worte mit bunten, weichen Federn.“, V. 16) hinterherzuschicken, kann das nicht das schwarze Wort aufhalten, das unaufhaltsam seinen Weg findet.
- Die letzten Verse des Gedichts betonen die Endgültigkeit der Worte. Am Ende bleibt immer das Wort bestehen, es hört nicht auf zu kommen und besitzt eine bleibende Wirkung.
- Das Gedicht verdeutlicht die Bedeutung und Macht der Sprache sowie die Verantwortung, die damit einhergeht.
- Insgesamt zeigt das Gedicht von Hilde Domin die Kraft der Worte und ihre unumkehrbare Wirkung auf unser Leben und unsere Umgebung. Es erinnert uns daran, achtsam mit unseren Worten umzugehen und ihre Auswirkungen zu bedenken.
- Das Gedicht Unaufhaltsam von Hilde Domin gliedert sich in vier Strophen, welche wiederum auf 30 Verse verteilt sind.
- Diese freiere Gedichtform unterstreicht die Ungebundenheit und die unkontrollierte Natur der Worte. Die fehlende feste Form könnte auch die Unvorhersehbarkeit und die unkontrollierbare Ausbreitung der gesprochenen Worte betonen.
- Klare Sprache: Hilde Domin verwendet eine klare und direkte Sprache, die es dem Leser ermöglicht, die Botschaft des Gedichts leicht zu erfassen.
- Bildhafte Sprache: Das Gedicht enthält viele bildhafte Ausdrücke, die die Kraft der Worte veranschaulichen. Zum Beispiel wird das Wort als etwas beschrieben, das vorbeifliegt und Gräser verdorren lässt oder Schnee fallen lässt.
- Wortwahl: Die Autorin wählt Worte mit großer Bedeutung und Wirkung, um die Unausweichlichkeit und Macht der Worte zu betonen. Besonders die Kontrastierung von „bunten, weichen Federn“ (V. 16) mit dem „schwarzen Wort“ (V. 18) hebt die Intensität hervor.
- Strophenstruktur: Das Gedicht besteht aus 30 Versen, die in unregelmäßigen Strophen angeordnet sind. Diese Struktur verleiht dem Gedicht eine gewisse Dynamik und Spannung.
- Reimschema: Das Gedicht folgt keinem festen Reimschema, was zu seiner freien und modernen Form beiträgt. Dennoch gibt es einige Reimwörter wie „vorbei“ (V. 25) und „gelb“ (V. 8), die subtil miteinander verbunden sind.
- Enjambements: Hilde Domin nutzt Enjambements, also Zeilenumbrüche ohne Satzende, um den Lesefluss zu unterbrechen und Spannung aufzubauen. Dies verstärkt die Dringlichkeit und Unausweichlichkeit der Worte.
- Metaphern: Das Gedicht verwendet mehrere starke Metaphern, um die Kraft und die irreversible Wirkung von Worten darzustellen. In Vers 6-8 wird das Wort mit Naturphänomenen verglichen: „Wo das Wort vorbeifliegt / verdorren die Gräser, / werden die Blätter gelb, / fällt Schnee“. Diese Metaphern suggerieren, dass das gesprochene Wort, sobald es die Lippen verlässt, irreversible Veränderungen bewirkt.
- Personifikation: Worte werden in menschlicher oder tierischer Form dargestellt. In Vers 10 heißt es, „Ein Vogel kame dir wieder / nicht dein Wort“. Hier wird das Wort als etwas Lebendiges, Unkontrollierbares dargestellt, das sich von seiner Ursprungsperson gelöst hat.
- Erzählform: Das Gedicht wird in einer allgemeinen, beinahe philosophischen Perspektive präsentiert. Es scheint, als ob die Worte selbst sprechen und ihre unaufhaltsame Kraft verdeutlichen.
- Symbolik: Die Verwendung von Symbolen wie dem Wort, den bunten Federn und dem Messer verleiht dem Gedicht eine tiefere Bedeutungsebene. Diese Symbole repräsentieren die Macht der Sprache, ihre Auswirkungen und die Unumkehrbarkeit ihrer Handlungen.
- Kontraste: Durch den Kontrast zwischen dem schwarzen Wort und den bunten Federn sowie zwischen dem Wort und dem Messer werden Gegensätze hervorgehoben. Diese Kontraste betonen die Dualität der Sprache als Instrument der Zerstörung oder des Aufbaus.
- Vergleich: In den Versen 22-25 wird ein Vergleich zwischen einem Messer und einem Wort gezogen: „Besser ein Messer als ein Wort / Ein Messer kann stumpf sein“. Dieser Vergleich verdeutlicht, dass während physische Verletzungen durch ein Messer vermieden oder geheilt werden können, Worte unvermeidlich und unabwendbar ihre volle Wirkung entfalten.
- Wiederholungen: Die Wiederholung des Wortes „Wort“ (V. 1) und die abschließenden Versen „Am Ende ist das Wort, / immer / am Ende / das Wort“ (V. 27 ff.) betonen die endgültige und unaufhaltsame Natur des Gesprochenen. Es gibt keine Flucht oder Zurückweisung von dem, was einmal ausgesprochen wurde.
- Anapher: Die erste, dritte und vierte Strophe beginnen und enden mit dem Wort „Wort“ (V. 1, 5, 22, 26, 27, 30). Durch das repetitive Stilmittel wird abermals die Tragweite des Wortes verdeutlicht.
Schluss
- Das Gedicht Unaufhaltsam lässt sich als Warnung und Reflexion über die Verantwortung verstehen, die mit dem Akt des Sprechens einhergeht.
- Worte haben eine unausweichliche Macht und Langzeitwirkung, die nicht zurückgenommen werden kann. Sie sind schneller als physische Mittel und hinterlassen tiefere, unauslöschliche Spuren.
- Im übertragenen Sinne bedeutet dies, dass man sich der Konsequenzen seiner Worte bewusst sein muss, da sie dauerhaft Einfluss auf die Umwelt und die Menschen um einen herum haben können.
- Die Thematik des Gedichts lädt dazu ein, über die ethische Dimension der Kommunikation nachzudenken und die Verantwortung jedes Einzelnen beim Gebrauch der Sprache zu betonen.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- Nachdem nun eine ausführliche Interpretation und Analyse Hilde Domins Gedicht Unaufhaltsam vorausgegangen ist, findet im Folgenden ein direkter Vergleich des lyrischen Stücks mit dem Werk Sprache aus der Feder Johannes Bobrowskis statt.
- In dem nun anschließenden Vergleich liegt der Schwerpunkt besonders auf der sprachlichen sowie formalen Komponente der Gedichte.
Hauptteil
Thematische Gemeinsamkeiten- In den vorliegenden Werken befassen sich die Autoren gleichermaßen mit der Macht und Wirkung der Sprache, jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven.
- Während Hilde Domins Unaufhaltsam die irreversible Natur und die unaufhaltsame Kraft der gesprochenen Worte thematisiert, fokussiert Bobrowskis Sprache auf die Mühe und den Prozess der Kommunikation.
- Form: Sowohl Unaufhaltsam als auch Sprache sind in freier Versform geschrieben, was die Freiheits- und Unbestimmtheitsaspekte der Sprache unterstreicht. Domins Gedicht fließt ohne feste Strophen, was die Unaufhaltsamkeit der Sprache betont. Bobrowskis Gedicht besitzt ebenfalls einen freien Versaufbau, was die Ruhe und Langsamkeit des Sprachprozesses widerspiegeln könnte.
- Metaphern: Beide Gedichte verwenden Naturmetaphern, um die Wirkung der Sprache zu verdeutlichen. Domin nutzt Bilder wie „verdorren die Gräser“ (V. 7) und „werden die Blätter gelb“ (V. 8), was die zerstörerische Kraft der Worte symbolisiert. Bobrowski verwendet Metaphern wie „Der Baum / größer als die Nacht“ (v. 1 f.) und „mit dem Atem der Talseen“ (V. 3), um die Sprache als Teil der natürlichen Welt, gleichzeitig ermüdend und mühselig zu präsentieren.
- Personifikation: Domin personifiziert das Wort und verleiht ihm Eigenschaften eines lebenden Wesens, z.B. „Worte mit bunten, weichen Federn“ (V. 16). Bobrowski personifiziert die Sprache, indem er sie als „abgehetzt / mit dem müden Mund“ (V. 12 f.) beschreibt, was den Aufwand und die Erschöpfung darstellt, die oft mit der Kommunikation einhergehen.
- Ton und Stimmung: Domins Gedicht wohnt ein dringlicher, ernster Tonfall inne, der auf die Schwere und die unausweichlichen Konsequenzen der gesprochenen Worte hinweist. Bobrowski’s Gedicht hingegen besitzt einen ruhigen, fast melancholischen Ton und betont die Müdigkeit und den Aufwand, der mit der Sprache verbunden ist.
Schluss
- Beide Gedichte zeigen, dass Sprache eine immense, oft unterschätzte Kraft besitzt.
- Während Domin die irreversible und oft zerstörerische Wirkung der Worte hervorhebt, indem sie betont, dass nie zurückgeholt werden kann, was einmal ausgesprochen wurde, beschreibt Bobrowski die Sprache als einen mühsamen, ewig währenden Prozess, der die Ermüdung der sprechenden Person symbolisiert.
- Trotz dieser unterschiedlichen Ansätze betonen beide Autoren die Wichtigkeit und die tiefgreifenden Folgen der Sprache in unserem Leben.
- Domin warnt vor der Macht der Worte und fordert Verantwortungsbewusstsein im Sprachgebrauch, während Bobrowski die Sprache als integralen Bestandteil des menschlichen Daseins darstellt, der jedoch mühsam und erschöpfend sein kann.
- Beide Perspektiven ergänzen sich und bieten ein umfassendes Bild der Komplexität und Bedeutung der Sprache.